Protokoll der Sitzung vom 29.04.2002

In dieser Situation gibt es drei Konsequenzen zu ziehen.

Erstens. Es ist richtig und notwendig, dass diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen - seien es Politiker oder Beamte - bestraft werden. Es ist richtig und notwendig, dass in der vorliegenden Situation Staatsanwälte ohne Ansehen der Person die Wahrheit erforschen, und es ist das gute Recht der Opposition, in einer solchen Stunde einen Untersuchungsausschuss zu fordern, den das ganze Parlament trägt.

Zweitens. Wir sind alle aufgerufen, in unserer eigenen Partei und in der Verantwortung als Parlamentarier, Regierungsmitglieder und Beamte alles zu tun, damit solche Vorfälle verhindert werden.

Drittens. Es ist genauso wichtig, dass die Arbeit derjenigen Parteien, Beamten, Politikerinnen und Politiker sowie Ministerinnen und Minister, die sich an die strengen ethischen Regeln der öffentlichen Sphäre halten, gewürdigt wird. Das erhoffe ich mir nicht nur von den Medien, sondern ich erwarte auch von uns selbst, dass der gegenseitige Respekt gewahrt bleibt.

Die politische Entwicklung in Österreich, Italien, Dänemark, Frankreich und in unserem Nachbarland Hamburg machen sehr deutlich,

(Lachen bei der CDU)

wohin die Reise geht, wenn wir diese Regeln nicht einhalten.

(Thorsten Geißler [CDU]: Alles in einen Topf geworfen!)

Meine Damen und Herren, auch in dieser Situation bleibe ich ein Optimist. Ich bin davon überzeugt, dass die Schuldigen bestraft werden und dass den Ehrlichen zuletzt Gerechtigkeit widerfährt, denn, meine Damen und Herren, diesen letzten hoffnungsvollen Gedanken möchte ich mit den Worten von Oscar Wilde ausdrükken -: Auch wer die Wahrheit sagt, wird früher oder später dabei ertappt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort erteile ich jetzt für den SSW im SchleswigHolsteinischen Landtag der Sprecherin des SSW, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bild, das die Politik der deutschen Öffentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten geboten hat, ist wahrlich nicht dazu angetan, das Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken. Da prozessiert ein Bundeskanzler wegen der Echtheit seiner schwarzen Haare

(Holger Astrup [SPD]: Stritzl könnte das auch!)

und über ein so wichtiges Thema wie das Zuwanderungsgesetz wird im ehrwürdigen Bundesrat ein Oscar-reifer Eklat mit schauspielerischen Höchstleistungen inszeniert. Solche Fälle kann man den Bürgerinnen und Bürgern kaum noch vermitteln - trotz der bevorstehenden Bundestagswahl.

Viel schlimmer für die Akzeptanz unserer Demokratie sind allerdings der Kölner Spendenskandal und die vermeintlich damit verbundene Korruption in vielen nordrhein-westfälischen Rathäusern, wobei die Parteifarbe der Regierenden keine Rolle zu spielen scheint.

Nichts ist gefährlicher für eine funktionierende Demokratie als Korruption und Bestechlichkeit, auch wenn die schwarzen Schafe - auch das muss gesagt werden, denke ich - unter den Politikerinnen und Politikern nur eine sehr geringe Anzahl ausmachen. Aber noch schlimmer wäre es, wenn diese Fälle nicht aufgeklärt und die Schuldigen nicht bestraft würden. Für das Rechtsempfinden unserer Bürgerinnen und Bürger müssen aus allen diesen Fällen sichtbare Konsequenzen gezogen werden.

Ich rufe in Erinnerung, dass die Aufarbeitung des Spendenskandals der CDU viele Frustrationen hervorgerufen hat, weil die Verantwortlichen nach dem damaligen Parteiengesetz nicht richtig zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Gerade daher war es ja auch so wichtig, dass das Parteiengesetz dahingehend geändert wurde, dass gesetzliche Zuwiderhandlungen in Zukunft mit Gefängnis bestraft werden können. Man stelle sich nur, wie der Fall des Altbundeskanzlers Helmut Kohl unter den neuen gesetzlichen Bestimmungen gehandhabt worden wäre.

Leider geht es auch bei den schleswig-holsteinischen Affären, mit denen wir uns heute zu beschäftigen haben, um schwerwiegende Korruptionsvorwürfe. Ob man nun gleich - wie es mein verehrter Kollege Kubicki getan hat - vom Affärenland Schleswig-Holstein sprechen kann, sei dahingestellt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: „taz“ von heute!)

Aber es ist schon mehr als ein dunkler Fleck in der Geschichte des Landes, wenn sich nach der Barschel

(Anke Spoorendonk)

Affäre und der Schubladenaffäre nun schon zum dritten Mal in 15 Jahren ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin vor einem Untersuchungsausschuss verteidigen muss. Wobei ich gleich unterstreichen möchte, dass jeder andere Vergleich mit den Geschehnissen aus dem Jahre 1987/88 und den späteren Folgen einschließlich des Rücktritts von Björn Engholm nicht hinnehmbar ist.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lothar Hay [SPD]: Das meine ich aber auch!)

Was aber angesichts der Korruptionsvorwürfe gegen den EXPO-Beauftragten Pröhl und den ehemaligen Staatssekretär Dr. Lohmann sowie der merkwürdigen Begleitumstände in der Staatskanzlei und im Finanzministerium beunruhigen sollte, ist die scheinbar zunehmende Verquickung von Politik und Wirtschaft sowie die damit verbundene Profitorientierung einiger Weniger. Erst kürzlich hat der Generalstaatsanwalt in seinem „Lagebericht Korruption 2001“ von einer Stabilisierung der Korruptionsverfahren in SchleswigHolstein auf hohen Niveau gesprochen. Der einzig erfreuliche Aspekt des Lageberichts war, dass die Strafverfolgungsbehörden seit der Einsetzung der besonderen Ermittlungsgruppe vor drei Jahren sehr erfolgreich gearbeitet und damit das große Dunkelfeld der Korruption erheblich aufgehellt haben.

Leider machen die aktuellen Korruptionsfälle in Köln, Kiel und anderswo deutlich, dass es seit Jahren ein gesellschaftliches Klima gibt, in dem solche Auswüchse gut gedeihen können. Wenn selbst verantwortliche Politikerinnen und Politiker vielerorts in solche Fälle verwickelt sind, darf man sich nicht wundern, wenn die Hemmschwelle von einigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch gefallen ist. Wir müssen also beim Kopf anfangen: Die politischen Führungseliten müssen endlich bei der Korruptionsbekämpfung ihre Vorbildfunktion wahrnehmen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Dabei ist es nur ein geringer Trost, dass das Thema Politik, Geld und Bestechlichkeit schon seit Jahrtausenden aktuell ist. Inspiriert durch die Reise des Ältestenrates nach China

(Lothar Hay [SPD]: Oho!)

möchte ich auf den großen chinesischen Gelehrten Konfuzius verweisen, der auch die Habsucht nicht leiden konnte. Denn er sagt: „Nur der Geringe denkt an seinen eigenen Vorteil.“ Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der vielen Weisheiten dieses weltweit bekannten chinesischen Denkers,

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Renate Gröpel [SPD] und Lothar Hay [SPD])

der übrigens - das füge ich in Klammern hinzu - zum Staatsminister in der kaiserlichen Beamtenschaft aufstieg und sich dabei vehement gegen die sehr ausgebreitete Korruption in der kaiserlichen Verwaltung einsetzte.

Von Konfuzius lernen, heißt Siegen lernen. Ich könnte hier wieder einmal - ich habe es mehrfach getan - mein Lieblingszitat von Václav Havel einbringen. Sinngemäß sagte er, dass die heutige Zeit besonders bescheidene Politiker benötige.

Nur auf eine bessere Moral der Verantwortlichen oder auch auf eine effiziente Kontrolle zu setzen, reicht nicht aus. Wir müssen dafür sorgen, dass die politischen Entscheidungsprozesse - vom Bund bis zu den Kommunen - für die Bürgerinnen und Bürger transparenter und nachvollziehbarer werden. Es ist kein Zufall, dass die skandinavischen Länder nach einer internationalen Studie die wenigsten Korruptionsfälle in Europa aufweisen. Das hängt auch damit zusammen, dass man in Schweden beispielsweise sehr weit gefasste Informationsrechte für die Bürgerinnen und Bürger geschaffen hat. Entscheidungen der öffentlichen Hand können somit bis ins Detail nachvollzogen werden. Auf diese Weise verhindert man, dass wichtige kommunale Entscheidungen - ich nenne das Stichwort Müllverbrennungsanlagen - von einigen wenigen Personen in dunklen Hinterzimmern getroffen werden können.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das vom SSW eingebrachte Informationsfreiheitsgesetz für Schleswig-Holstein verweisen, das bisher leider bei der IHK oder den Kommunen nicht auf großes Wohlwollen gestoßen ist. Die präventive Wirkung dieses Gesetzes auf mögliche Korruption darf aber unserer Meinung nach nicht unterschätzt werden. Auf Bundesebene fehlt eine solche Regelung weiterhin. Das wissen Sie alle.

Wenn es zu Fällen von Korruption auf höchster Ebene kommt, dann wird man immer auch über politische Verantwortung sprechen müssen. Dafür gibt es in unserer parlamentarischen Demokratie das Instrument des Untersuchungsausschusses. Wie Sie wissen, meinen wir, dass mit diesem Instrument sorgfältig umgegangen werden muss. Wir sind der Auffassung, dass es viel zu oft zu parteipolitischen Zwecken missbraucht worden ist und auch heute noch missbraucht wird. Anstatt das schärfste Schwert der Demokratie zu sein, verkommen viele Untersuchungsausschüsse zu Schau

(Anke Spoorendonk)

bühnen für öffentliche Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erfahrungen der letzten Jahre belegen jedenfalls, dass die wirkliche Aufklärung von Sachverhalten nur selten geleistet wird. Hinzu kommt, dass die Aufklärung von wirklichen Straftatbeständen nicht vom Untersuchungsausschuss, sondern von der Staatsanwaltschaft zu leisten ist.

(Beifall des SSW)

Das gilt natürlich auch für den heute zu beschließenden Ausschuss. Wenn man beispielsweise bedenkt, wie der so genannte Mantik-Untersuchungsausschuss im gesamten letzten Jahr ohne irgendwelche Erkenntnisse vor sich dahindümpelte, dann muss man bei der Einsetzung eines neuen Untersuchungsausschusses Vorsicht walten lassen.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Bernd Schröder [SPD])

Keiner hätte es gemerkt, wenn dieser Untersuchungsausschuss noch bis zum Ende der Legislaturperiode existiert hätte. All dies war auch noch Anfang des Jahres unsere Auffassung, als wir zum ersten Mal mit den Fakten der Vergabe eines Mittelbewirtschaftungs- und Kostenrechnungssystems im Finanzministerium konfrontiert wurden. Dazu habe ich einiges gesagt. Der SSW war lange der Auffassung, dass der Finanzausschuss und die Haushaltsprüfgruppe Fehlverhalten und Fehler bei der Vergabe aufarbeiten könnten. Auch der konkrete Verdacht der Bestechung von Staatssekretär Dr. Lohmann änderte erst einmal nichts an der Auffassung, weil dies eine Sache der Staatsanwaltschaft war. Ich wiederhole dies.

Erst durch den Fall des EXPO-Beauftragten Pröhl und seine völlig undurchschaubaren Nebenaktivitäten änderte sich unsere Auffassung. Der schnelle Rücktritt von Klaus Gärtner, dem Leiter der Staatskanzlei, konnte nicht verhindern, dass Ministerpräsidentin Heide Simonis wochenlang schwerwiegenden Vorwürfen über ihr angebliches Mitwissen ausgesetzt war. Das Land Schleswig-Holstein kann nicht damit leben, dass sich die Ministerpräsidentin fast täglich gegen immer absonderlicher wirkende Vorwürfe wehren muss. Um es salopp zu sagen: Der jetzige Zustand, bei dem jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, ist für Schleswig-Holstein unerträglich.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und des Abge- ordneten Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU])

Der SSW wird daher der Einsetzung des Untersuchungsausschusses vor allem deswegen zustimmen, weil wir die Hoffnung haben, dass sich der Untersuchungsausschuss so schnell wie möglich mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen wird und somit die Landesregierung entlasten kann. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt! - Martin Kayenburg [CDU]: Wohl wahr!)

Die brauchen wir natürlich. Deshalb müssen alle Vorwürfe vollständig und umfassend aufgeklärt werden. Das kann aus jetziger Sicht nur im Untersuchungsausschuss geschehen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

In diesem Zusammenhang möchte ich die CDULandtagsfraktion dafür loben, dass sie nicht gleich Hals über Kopf zwei Untersuchungsausschüsse beantragt hat.