Protokoll der Sitzung vom 11.09.2002

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Ja und?)

Wie schön wäre es, wenn dies angebracht wäre. Die Opposition würde alle möglichen Argumente bemühen, um die Landesregierung schlecht zu reden. Aber es ist nicht an der Zeit. Ich brauche mir keine Argumente zu suchen, um die Landesregierung schlecht zu reden.

(Zuruf von der FDP: Sie ist schlecht!)

Die Wirklichkeit ist schlimm genug. Die Argumente liefern die amtlichen Statistiken. Wenn Politik die Geschicke einer Gesellschaft beeinflusst - davon sind

wir alle ja überzeugt, sonst wären wir nicht in diesem Parlament -, dann sind die Regierung und die sie tragenden Kräfte zumindest mit verantwortlich für diesen Einfluss, dann ist die Regierung Simonis auch mit verantwortlich für die vergleichbar schlechte Entwicklung in Schleswig-Holstein, dann ist die Regierung Schröder zumindest auch mit verantwortlich für die vergleichbar schlechte Entwicklung in Deutschland. Seit 1988 trägt die SPD die politische Hauptverantwortung für die Entwicklung in SchleswigHolstein. Aber ich möchte noch etwas früher anfangen, viel früher. Bevor Adam und Eva aus dem Paradies hinausgeschmissen wurden, gab es für alle alles zum Nulltarif. Das Paradies auf Erden. Seit dem Fiasko im Paradies ist auf dieser Erde zwar vieles umsonst, aber nichts ist kostenlos.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Das ist Ihr Problem, Herr Fischer. Das ist das Problem der Regierungsfraktion. Was Sie anstellen, ist meistens umsonst, aber die Menschen müssen es trotzdem bezahlen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie bezahlen es mit hoher Arbeitslosigkeit, mit Wachstumsschwäche, mit erdrückenden Steuerlasten, mit einem nahezu zahlungsunfähigen Sozialsystem, mit maroden Bildungssystemen, mit kaputten Straßen, mit zu wenig Lehrern und Polizisten und mit staatlicher Gängelei allerorten und allen Zeiten. Als Ausgleich bieten Sie wohlfeile sozialökologisch romantische Luftschlösser.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Arbeit, Bildung und Innovation sollten die Schwerpunkte sein. Arbeitslosigkeit, Bildungskatastrophe und Ideenlosigkeit kennzeichnen die tatsächliche Regierungsarbeit.

(Beifall bei FDP und CDU)

Eine erste Statistik als Beleg: Rot-Grün regiert noch im Bund, in Schleswig-Holstein und in NordrheinWestfalen. Alle drei Gebietskörperschaften sind in ihren Vergleichsgruppen die wirtschaftlichen Absteiger. Beim Wirtschaftswachstum ist Deutschland Letzter in Europa. Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind unter den westdeutschen Bundesländern die Letzten. Hier können Sie Ihren Kopf schütteln, Herr Fischer. Sie müssen einfach einmal die Zahlen zur Kenntnis nehmen. So ist es schlicht und ergreifend. Wo Rot-Grün regiert, ist Schluss mit Wachstum und Wohlstand. Deshalb muss sich etwas ändern, und zwar so schnell wie möglich, damit Tagträumereien nicht mehr die Schicksale der Menschen

(Wolfgang Kubicki)

besiegeln, damit die immer noch drittgrößte Industrienation der Erde ihre Kräfte zum Wohle der Menschen endlich wieder entfaltet und damit SchleswigHolstein endlich aus dem Mauerblümchendasein unter den Bundesländern herauskommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu den erklärten Schwerpunkten Ihrer Regierungskoalition, nämlich Arbeit, Bildung und Innovation. Zunächst zur Arbeit oder - besser gesagt - zur Arbeitslosigkeit. Mehr als 4 Millionen offiziell arbeitslose Menschen, mehr als 1,7 Millionen verdeckt arbeitslose Menschen, das macht fast 6 Millionen Menschen und deren Angehörigen in Deutschland, denen einer der wesentlichsten Quellen für ein selbst bestimmtes Leben verwehrt wird, nämlich das selbst erarbeitete Einkommen. Es sind fast 6 Millionen Menschen, deren Kraft nicht zu Wachstum und Wohlstand Deutschlands beitragen kann. Warum? - Weil es zu teuer ist, diese 6 Millionen Menschen zu beschäftigen. Der einzige Weg, die 6 Millionen Arbeitslosen in Beschäftigung zu bringen, besteht darin, Arbeit preiswerter zu machen, damit die Unternehmen bereit sind, mehr Menschen einzustellen. Denn Unternehmen beschäftigen nur dann zusätzliche Arbeitskräfte, wenn deren Arbeit mehr einbringt als sie kostet. In Deutschland bedeutet 1 € Bruttolohnerhöhung, dass die Arbeitskosten der Unternehmen um zusätzlich 1,2 € steigen, unter anderem auch wegen der Sozialversicherungsbeiträge. In Kürze, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden diese Beiträge steigen. Die Erhöhung des Beitrags zur Rentenversicherung konnte vor der Bundestagswahl nur verhindert werden, weil die Umlaufreserve um 20 % gekürzt wurde. Sie reicht jetzt nicht mehr für einen Monat, sondern nur noch für 24 Tage. Der Rentenversicherungsbeitrag wird steigen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Genauso ist es!)

Die gesetzlichen Krankenversicherungen hatten im ersten Halbjahr ein Defizit von 2,4 Milliarden €. Das wird im zweiten Halbjahr bestimmt nicht abgebaut. Wahrscheinlich wird es nicht nur nicht sinken, sondern sogar steigen. Daran werden auch das Weihnachtsgeld oder Tariferhöhungen nichts ändern. Die Krankenkassenbeiträge werden steigen. Dann wird Arbeit noch teurer. Die Unternehmen werden noch weniger Menschen zusätzlich einstellen und mehr Menschen entlassen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur die Unternehmen werden von den Kosten der Arbeit abgeschreckt. Beim deutschen Durchschnittsverdiener werden für 1 € zusätzliche Bruttowertschöpfung 65,6 ct Steuern und Abgaben fällig. Es bleiben 34,4 ct zusätzlicher Nettolohn. Steigende Sozialversiche

rungsbeiträge und Steuern verschlechtern die Anreize zu arbeiten weiter. Das sind die Ursachen für die deutsche Massenarbeitslosigkeit. Nur wenn Arbeit preiswerter wird, werden mehr Menschen Arbeit finden.

(Zurufe von der FDP: So ist es!)

Was sagt dazu Rot-Grün auf allen Ebenen? - In der letzten Woche wurden die neuesten Arbeitslosenzahlen verkündet. Schleswig-Holstein 8,3 %, Westdeutschland 7,8 %, Bayern 5,9 %, Baden-Württemberg 5,5 %. Frau Ministerin Moser kommentierte dies mit erfolgreicher Stagnation. Kollege Baasch forderte daraufhin, den günstigen Trend in Schleswig-Holstein zu konsolidieren.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Peinlich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stagnierende Massenarbeitslosigkeit als Erfolg zu verbrämen, kann doch nicht Ihr Ernst sein. Die Träumereien des Kollegen Baasch, so sehr ich ihn auch schätze, werden hoffentlich niemals Wirklichkeit.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Der Anteil der schleswig-holsteinischen Arbeitslosen an den westdeutschen Arbeitslosen hat sich seit 1995 um 18 % erhöht. Dieser Trend zeigt nach oben.

(Zuruf von Ministerin Heide Moser)

- Frau Ministerin Moser, das sind Ihre amtlichen Statistiken, aus denen ich hier vortrage. Ich belege Ihnen das gleich.

(Ministerin Heide Moser: Ich bezweifele nicht die Zahlen, sondern die Bewertung!)

- Wenn wir feststellen, dass sich der Anteil der schleswig-holsteinischen Arbeitslosigkeit im Vergleich zu den westdeutschen Arbeitslosen um 18 % erhöht hat, dann brauche ich das nicht zu bewerten. Die Zahlen sprechen für sich. Wir verschlechtern unsere Position. Dagegen müssen wir etwas tun.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zum Vergleich: Unsere Bevölkerung ist in diesem Zeitraum um 3 % gestiegen, während Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nur um 6 ‰ gestiegen ist. Ergebnis: Die Arbeitslosigkeit entwickelt sich in Schleswig-Holstein schlimmer als in Westdeutschland, und zwar trotz oder vielleicht auch gerade wegen ASH 1 bis ASH 2000 oder 200 X. Diesen schlimmen Trend - in den Augen des Kollegen Baasch ist dieser Trend günstig - wollen wir auf keinen Fall konsolidieren. Wir wollen, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu Ende geht, und zwar in Deutsch

(Wolfgang Kubicki)

land und in Schleswig-Holstein. Die Landesregierung will dies anscheinend nicht. Darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen.

Ich wiederhole noch einmal die dicksten Sargnägel für die Beschäftigung in Deutschland: gesetzlicher Anspruch auf Teilzeit, Einschränkung geringfügiger Beschäftigungen und befristete Arbeitsverträge, Verschärfung der Mitbestimmung und der Regelungen zur so genannten Scheinselbstständigkeit! Alle Experten bestätigen die schädliche Wirkung dieser Arbeitsmarktgesetze, vor allem diejenigen,

(Anke Spoorendonk [SSW]: Welche denn? - Zuruf von der SPD: Keine Ahnung!)

die vom Staat für ihre Beurteilung von Gesetzes wegen beauftragt sind, nämlich die Wirtschaftsforschungsinstitute und der Sachverständigenrat.

Deshalb sollten diese Regelungen über die HartzKommission ja auch wieder zurückgenommen werden.

(Widerspruch der Abgeordneten Anke Spoo- rendonk [SSW])

Wenn Sie mir nicht glauben wollen - ich habe das Kopfschütteln der von mir sehr geschätzten Kollegin Spoorendonk durchaus wahrgenommen; ich hoffe, sie versteht meine Sprache -, dann glauben Sie bestimmt einem Prominenten, der es nach Ansicht der Sozialdemokraten wissen muss. Ich zitiere:

„Deutschland als eine der reichsten Nationen der Welt leidet unter einer bedrückend hohen Massenarbeitslosigkeit. Die Ursachen dafür sind nur zum Teil, höchstens zu einem Viertel, konjunkturell, sie sind überwiegend, aber zumindest zu drei Vierteln, strukturell. Einige Indikatoren lassen sich nennen: zu hohe Arbeitskosten, mangelnde Flexibilität bei den Arbeitszeiten und in den Erwerbsbiographien überhaupt, eine unzureichend entwickelte Dienstleistungsindustrie, zu hohe Regulierungsdichte durch den Staat und die Bürokratie, ein Steuerrecht, dem es an Transparenz fehlt und das Unternehmen und Haushalte über Gebühr belastet, zu geringe Innovationsgeschwindigkeiten und zu lange Transferzeiten zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Umsetzung in der Produktion. Aus all diesen Gründen liegt die Beschäftigungsschwelle bei uns unerträglich hoch.“

Das sind die Ausführungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Rolf Fischer [SPD])

Ich kann nur sagen: Recht hat der Mann. Und, Herr Fischer, wer schon 1999 diese Erkenntnisse hatte und bis jetzt auf die Hartz-Kommission warten musste, um mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission angeblich innerhalb von drei Jahren zwei Millionen Arbeitslose in die Beschäftigung zu führen, der hat es nicht verdient, weiter zu regieren, weil er seit drei Jahren für zwei Millionen Beschäftigungslose verantwortlich ist, die die öffentlichen Haushalte in unerträglicher Weise belasten.

(Lebhafter Beifall bei FDP und CDU)

Die Landesregierung, die sich ständig ihrer wirtschaftspolitischen Weitsicht rühmt, hat im Bundesrat gehorsam die Hand gehoben für die Beschäftigungsvernichtungsgesetze. Aus jeweils sozialen Gründen selbstverständlich, wie ich unterstelle. Die größte gesellschaftliche Ungerechtigkeit in Deutschland aber ist die politisch verursachte Massenarbeitslosigkeit.

Der zweite Schwerpunkt der Landesregierung ist die Bildung. Ihre Bildungspolitik ist eine Katastrophe! Nicht gemessen an den Absichten, aber im Leben zählen die Ergebnisse!

Erstens. Die PISA-Studie bestätigte, was alle längst wussten, Sie aber beständig selbstgefällig abtaten: Das deutsche Bildungssystem ist international auf einem Abstiegsplatz. Im Land der Dichter und Denker lernen immer weniger Kinder richtig lesen, rechnen und schreiben.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- In Schleswig-Holstein, Kollege Fischer, sieht es auf den meisten Gebieten noch schlimmer aus als im Bundesdurchschnitt.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr!)