Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Wir befinden uns in einer etwas verzwickten Lage. Sozialpolitisch haben wir ein großes Interesse daran, dass möglichst viele Anspruchsberechtigte ihre neuen Rechte nutzen, während die Bürgermeister angesichts dieser Aussichten schon an den Fingernägeln kauen. Wer die Grundsicherung will, darf das nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen. Dieser Fall zeigt wieder, dass es wirklich höchste Zeit wird für ein Konnexitätsprinzip auf Bundesebene. Das wäre das Sinnvolle, damit der Bund auch die Musik bezahlt, die er vor Ort bestellt hat.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, die Drucksache 15/2074 zur federführenden Beratung an den zuständigen Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist das vom Haus einstimmig so beschlossen.

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Ich rufe nun den für heute voraussichtlich letzten Punkt, den Tagesordnungspunkt 33, auf:

Bericht zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Landtagsbeschluss vom 20. Februar 2002 Drucksache 15/1542

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/1817

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/2123

Für den Bericht erteile ich zunächst der Ministerin für Jugend, Frauen und Justiz, Frau Lütkes, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Protokoll: „Justiz, Frauen, Jugend und Familie“ lautet die Bezeichnung des Ministeriums.

Stimmt. Da haben Sie Recht.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit, Verantwortung und Teilhabe sind Grundwerte unserer Politik. Frühe Teilhabe an der Gestaltung der Lebensverhältnisse ist für die Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens entscheidend. Kinder und Jugendliche sind als Träger von eigenen Rechten anerkannt. Das Recht auf Respekt und insbesondere das Recht auf gewaltfreie Erziehung ist in den letzten Jahren durch die rot-grüne Koalition auch bundespolitisch anerkannt worden. Ich weise nur auf die Veränderung des Bürgerlichen Gesetzbuches hin.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Konrad Na- bel [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])

Aber Kinder und Jugendliche müssen als eigenständige Persönlichkeiten lernen, sich in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen, in einem demokratisch verfassten Alltag zu bewegen. Sie müssen lernen, Interessen, gemeinsame Ziele und das eigene Individuum zu achten, aufrechtzuerhalten und nicht aufzugeben, miteinander zu kooperieren. Dazu bedarf es Lernorten der Demokratie, Lernorten für bürgerschaftliches Engagement.

Dem Bericht, der Ihnen schon einige Monate vorliegt, können Sie entnehmen, wie die Landesregierung seit 1997 Maßnahmen voranbringt, die diese Orte schafft. Diese Maßnahmen sind in drei Kategorien eingeteilt: projektorientierte, gremienorientierte und strukturell verankerte Maßnahmen. Ein Schwerpunkt liegt bei der Projektorientierung. Dies ist insbesondere bei der Ausgestaltung der Beteiligungsangebote und des Beteiligungsgebots nach § 47 f der Gemeindeordnung zu erkennen. Wesentlich ist allerdings, dass hier nicht die formalisierte Struktur der anderen Vorschriften für die Beteiligung der Erwachseneneinwohnerbeteiligung gewählt worden ist. Die Arbeit der Landesregierung zielt insbesondere auf die Akzeptanz von Beteiligung.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hierfür haben wir zahlreiche Instrumente entwickelt, die dem Bericht auch im Einzelnen zu entnehmen sind. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass gremienorientierte Beteiligungsformen nur dann funktionieren, wenn die Jugendlichen über ihre Rechte und Möglichkeiten auch wirklich informiert sind und bezüglich dieser Aufgaben auch trainiert sind und darüber hinaus die genügende Unterstützung erhalten. Intensive pädagogische Betreuung, organisierte und fachliche Unterstützung, tatsächliche Akzeptanz und fortlaufende Qualifizierung sind Voraussetzungen für ein solches Engagement.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die entsprechende schleswig-holsteinische Studie liegt vor und bestätigt gerade diese Forderungen. Wir sind neben der Entwicklung und Förderung von Projekten mit gemeinwesenorientierten Ansätzen bemüht, die ressortübergreifende strukturelle Verankerung von Mitbestimmungsrechten voranzutreiben. Erfolgreiche Beteiligung erfordert insbesondere, dass sie zu selbstständigem Lernen motiviert, zu sozialem und demokratischem Verhalten veranlasst, dass sie in der Lage ist, den Lebensraum attraktiver zu machen und letztendlich lokale Demokratie wirklich lebendig erhält.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dies erfordert in den Beteiligungsprozessen, dass Jugendhilfe aktiv in die Entscheidungsbildung in Schulen, Jugendverbänden und örtlichen Behörden einbezogen ist. Es erfordert, die Beteiligung der Jugendlichen als Frage an die Erwachsenen nach Machtteilung zuzulassen, und es erfordert, dass Beteiligungsarbeit konstruktive Beziehungen zwischen

(Ministerin Anne Lütkes)

Erwachsenen und Jugendlichen fördert, die auf Achtung abzielen und den wechselseitigen Respekt einklagen, weniger auf Kontrolle setzen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass es die demokratische Zivilgesellschaft unabdingbar erfordert, dass ihre Gesellschaftsmitglieder früh lernen, die Interessen des anderen zu erkennen und zu achten und die eigenen Interessen zu verfolgen, gegebenenfalls gemeinsam die wechselseitige Konfliktlage abzuwägen, Kompromisse zu suchen, Verantwortung für das Ergebnis zu übernehmen und insbesondere diesen dann vergleichsweise erzielten Erfolg auch zu akzeptieren und voranzutreiben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dies bedeutet, dass eine Kultur des Aufwachsens das Erlernen des Streitens beinhaltet. Die Partizipationsprojekte, die wir betreiben und unterstützen, lassen diese Orte entwickeln, wo Streiten konstruktiv erlernt und gelernt werden kann. Das zieht sich durch die gesamte Politik meines Hauses von der Konfliktlotsenausbildung bis hin zum Landesschlichtungsgesetz, dann allerdings bezüglich des außergerichtlichen Streitens Erwachsener.

Ich habe das Blinken der Lampe gesehen, Herr Präsident; deshalb nur noch folgender Hinweis. Die intensive Beratungsarbeit und Servicearbeit für die Beteiligungspolitik im Land wollen wir verstärken. Wir werden durch das Landesjugendamt als Schnittstelle bei der Fortentwicklung der Beteiligungspraxis und der Förderung der Verankerung in Ausbildungsstrukturen die Möglichkeiten zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gerade in den pädagogischen, in den planerischen und in den Verwaltungsberufen vorantreiben. Wir setzen auf eine aktuelle aktive Beteiligung aller Beteiligten und haben - ich hoffe, darin stimmen Sie mir zu - gemeinsam erkannt, dass Beteiligung wirklich ein jugendpolitisches Instrumentarium ist, das die demokratische Gesellschaft stärkt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Denn Beteiligungspolitik ist - so glaube ich - nicht nur nach meiner Auffassung ein Teil der Erfüllung des umfassenden Bildungsanspruchs, den junge Menschen zu Recht an uns stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf hinweisen, dass sich nach § 56 Abs. 6 unserer Ge

schäftsordnung die Redezeit der Fraktionen um jeweils eineinhalb Minuten verlängert.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Thema angemessen!)

- Das war keine Provokation, das war keine Aufforderung, das war nur ein Hinweis nach der Geschäftsordnung.

(Heiterkeit)

Jetzt hat für die Antragstellerin, für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ganze Republik schaut auf Schleswig-Holstein, wenn es um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Aktion „Schleswig-Holstein - Land für Kinder“ und der Demokratiekampagne haben wir Maßstäbe gesetzt, die in Fachkreisen weit über die Landesgrenzen hinaus hohe Anerkennung gefunden haben. Die Partizipation hat aber trotzdem schon auf Einsparungslisten der Regierung gestanden.

Auch im Haushaltsentwurf für 2003 ist annähernd eine Mittelhalbierung bei der Demokratiekampagne vorgesehen. Das weckt natürlich Besorgnis, denn wir wollen gern, dass Schleswig-Holstein seinen guten Ruf behält. Deshalb haben wir den vorliegenden Bericht beantragt, um zu sehen, was die Landesregierung dafür tut.

Es ist jetzt fünf Jahre her, dass der Landtag auf Initiative des SSW einen umfassenden Antrag zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen beschlossen hat. Dies geschah in Verbindung mit der Einführung des Kommunalwahlrechts ab 16 Jahren. Wir stellen jetzt fest, dass im Großen und Ganzen zentrale Punkte erfüllt oder in Angriff genommen worden sind. Ich nenne unter anderem die Drittelparität in den Schulkonferenzen, die finanzielle Eigenverantwortung der Landesschülervertretungen, die Mitbestimmung in Kindertagesstätten.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bericht macht deutlich, dass die Mitbestimmung vor Ort in vielfältiger Weise vorangetrieben worden ist. Bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sind vor allem Phantasie und Kreativität gefragt; sie sind im Lande offensichtlich vorhanden. Dies

(Silke Hinrichsen)

zeigt der Bericht ganz genau auf. Allerdings lässt auch die Aufzählung über die Wirkungen von Mitbestimmungsprojekten auf kommunaler Ebene keine Aussagen darüber zu, wie viele Kreise, Städte und Gemeinden die Kinder und Jugendlichen wirklich mitreden lassen. Unsere eigene Erfahrung sagt uns, dass es bis zum flächendeckenden Mitspracheangebot für alle Kinder und Jugendlichen im Land noch ein weiter Weg ist. So reicht es mancherorts immer noch nicht besonders weit über ein ritualisiertes Jugendparlament mit wenig Breitenwirkung hinaus.

Deshalb begrüßen wir auch, dass die Kinder- und Jugendbeauftragte jetzt durch die Kreise zieht, um für die Mitbestimmungspolitik des Landes zu werben. Die Änderung des § 47 f der Gemeindeordnung hat hier auch ein neues Signal gesetzt. Zukünftig sollen Kinder und Jugendliche beteiligt werden. Diese Änderung wird ohne weitere Nacharbeit aber kaum die beabsichtigte Wirkung entfalten. Hier sollten übrigens auch alle Landtagsabgeordneten an der kommunalpolitischen Basis Überzeugungsarbeit leisten.

(Beifall bei SSW, SPD und der Abgeordne- ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei geht es nicht nur um Motivationsschübe. Es wäre naiv zu glauben, dass die Kreise und Kommunen ohne entsprechende finanzielle Unterstützung viel in diesen Bereich investieren können und werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Land jetzt nicht selbst diesen Bereich finanziell abwertet.