- hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie herumjaulen -, nämlich den Versuch, den Zuspruch für diesen Gesetzentwurf mit der Stigmatisierung des Sozialhilfebezugs zu erreichen.
- Doch, die Schlagzeile lautete: Ministerin Moser will in Zukunft den Gang zum Sozialamt ersparen. - Frau Ministerin Moser, ich fordere Sie auf, gerade bei der sozialdemokratischen Fraktion Werbung dafür zu machen, dass wir endlich aufhören, den Sozialhilfebezug, der grundgesetzlich garantiert ist, weiter zu stigmatisieren, sondern zu entstigmatisieren.
Dann bekommen Sie nämlich diejenigen - ich mache Ihnen gleich einen ganz konkreten Vorschlag -, die diesen Rechtsanspruch haben, dazu, dass sie sich nicht mehr schämen müssen. Die brauchen sich nicht zu schämen. Sie müssen es ihnen klipp und klar sagen, dass sie sich nicht zu schämen brauchen.
Frau Ministerin Moser, hier bin ich etwas anderer Auffassung als der Kollege Wadephul. Ich möchte Ihnen einen konkreten Vorschlag machen, wie Sie zu dieser Entstigmatisierung kommen könnten. Lassen Sie uns über eine partielle Durchbrechung des strengen Subsidiaritätsprinzip bei der Sozialhilfe, bei Altersarmut und bei Pflege reden. Dann schaffen wir eine Neuordnung sozialer Transferleistungen. Ob man das negative Einkommensteuer, Bürgergeld oder sonst wie nennt, ist völlig wurscht. Wenn wir damit anfangen, können wir auch das gewährleisten, was von der Zielrichtung her richtig ist, was wir aber mit diesem Stückwerk nicht erreichen.
Ein letzter Satz. Ich warne davor, die aus meiner Sicht erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, was die tatsächliche Durchbrechung des Konnexitätsprinzips angeht, einfach vom Tisch zu wischen. Das ist ein Einwand, der sehr ernst genommen wer
den sollte. Mir ist allerdings im Moment die Frage, wie wir in Zukunft ein tragfähiges Alterssicherungssystem absichern, wichtiger als diese Frage. Denn das wird die Frage sein, die uns in den nächsten 25 Jahren beschäftigt.
Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.
- Es wäre schön, wenn das Tête-à-tête zwischen Sozialministerin und Heiner Garg unterbrochen würde, denn ich würde auch gern Ihr Ohr, Frau Ministerin, und das des Kollegen Garg haben.
Wir als grüne Fraktion haben mit dem Thema Grundsicherung keine Probleme, Herr Garg. Denn wir sagen, wir brauchen sowohl für Kinder als auch für alte Menschen und für Menschen, die zwar im erwerbsfähigen Alter, aber nicht erwerbsfähig sind, eine Ablösung der traditionellen Sozialhilfe. Dieses Instrument war für eine vorübergehende Notlage gedacht und hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend als zu bürokratisch und als nicht mehr hinreichend für das erwiesen, für das es genutzt wird, nämlich als dauerhafte faktische Grundsicherung. Man kann sich natürlich als grüner Koalitionspartner in Berlin fragen, ob das, was wir jetzt hier finanziell erreicht haben, ausreicht. Aber es ist ein erster Schritt. Zu Recht fragen gerade alte Menschen und erwerbsunfähige Menschen, warum sie jedes Mal im Einzelfall begründen sollen, warum sie Geld brauchen für jeden Wintermantel. Es ist ein Unterschied, ob man das im Einzelfall tun muss oder ob man ein Grundrecht hat, das sich anders ableitet als bei der Sozialhilfe.
Herr Garg, ich gebe Ihnen Recht: Wir sollten das Sozialamt nicht als stigmatisierendes Amt bezeichnen. Wir wollen aber, dass es auch in anderen Tatbeständen der Sozialhilfe einen Grundsicherungsanspruch gibt. Der nächste Schritt wäre für uns konsequenterweise eine Kindergrundsicherung, die sich
besonders an Menschen mit geringem Einkommen und ihre Kinder richtet. Es ist klar: Millionäre brauchen kein Kindergeld in immer weiterer Höhe. Es geht um die Menschen, die tatsächlich Schwierigkeiten haben, mit ihren Kindern über die Runden zu kommen.
Das ist in der Planung. Wir haben sozusagen mit der Altersgrundsicherung und der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte begonnen. Der nächste Schritt werden Auseinandersetzungen zum Thema Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe - das soll jetzt nicht unser Thema sein - sein. Der dritte Schritt werden die Kindergrundsicherungen sein. Insofern passt das alles zusammen. Wenn sie schon Bundespolitik anreißen, dann möchte ich Ihnen hierauf auch antworten.
Ich finde es wichtig, Frau Moser, dass das Gesetz rasch umgesetzt wird und dass Sie sich in Berlin dafür stark machen, dass die Kommunen die Kosten nicht allein tragen müssen, Ich erwarte, dass für dieses Instrument Werbung gemacht wird, und zwar vor Ort und gegenüber allen, die es angeht. Zum Beispiel müssen auch Menschen mit Migrationshintergrund dies erfahren. Denn wenn dieses Instrument nicht bekannt ist, dann nimmt das jemand genauso wenig in Anspruch wie bisher die Sozialhilfe.
- Wenn das Instrument nicht bekannt ist, dann wird es nicht in Anspruch genommen. Deshalb finde ich es wichtig, dass vor Ort für diese Umstellung geworben wird.
Es ist natürlich richtig, dass der Freibetrag von 100.000 € die Generationenabhängigkeit nicht völlig aufhebt. Aber es ist doch klar, dass es häufig zu Auseinandersetzungen bei niedrigeren Einkommen führt und dass es die erwachsenen Kinder in finanzielle Schwierigkeiten bringen kann, wenn Kinder für ihre Eltern aufkommen müssen. Insofern halte ich diesen Schritt angesichts der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft für konsequent. Wir als Grüne haben immer vertreten, dass Menschen erst einmal als Individuen und dann als Familienmitglieder gesehen werden. Familie heißt für uns jedoch nicht Hierarchie und Abhängigkeit, die zu schwierigen Notlagen und vor allem zu emotionalen Abhängigkeiten führen kann, die nicht gut tun. Insofern begrüßen wir dieses Instrument und hoffen, dass wir rasch zu einer zweiten Beratung kommen, um das Gesetz schnell umzusetzen. Wir sollten natürlich die
Insgesamt ist das Gesetz ein konsequenter und richtiger Schritt in den Einstieg einer steuerfinanzierten Grundsicherung für schwierige Lebenslagen. Wir möchten sie auch für andere Lebenssituationen nutzen. Das hatte ich bereits ausgeführt. Es ist gut, dass die Regierung in Berlin Ernst gemacht hat, und zwar trotz knapper Kassen. Wir erwarten nunmehr, dass alte Menschen und erwerbsgeminderte Menschen von diesem Instrument rasch Gebrauch machen können. Insofern freuen wir uns auf eine zielführende Beratung und ein Inkrafttreten Anfang nächsten Jahres.
Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik - nicht in Dänemark - wird seit Jahrzehnten darüber gesprochen, dass es auch in unserem Land Armut gibt. Die bisherige soziale Sicherung hat offensichtlich ihr Ziel verfehlt, denn sie war nicht in der Lage, Menschen im Alter oder bei Invalidität vor Armut zu bewahren. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der steigenden Arbeitslosigkeit hat sich stattdessen die Sozialhilfe als eine Grundsicherung auf unterstem Niveau etabliert. Wie die Kollegin Birk bereits sagte, war sie dafür nie vorgesehen, nicht konzipiert und eigentlich ist sie dafür auch nicht geeignet.
Die bis 1998 amtierende Bundesregierung hat sich aber über ein Jahrzehnt lang dafür entschieden, die Existenz von materieller Armut mit all ihren Folgeerscheinungen in Deutschland zu leugnen. Deshalb begrüßen wir das Grundsicherungsgesetz. Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit der bedarfsorientierten Grundsicherung wird ab 2003 zumindest den Menschen geholfen, die kein ausreichendes Arbeitseinkommen erzielen können, weil sie alt oder erwerbsunfähig sind. Sie sind zukünftig nicht mehr oder zumindest nicht mehr nur auf Sozialhilfe angewiesen. Gerade die Frauen sind Gewinnerinnen
Zu dem, was Herr Wadephul vorhin ausführte, nämlich zu der Verkäuferin mit 1.300 €, darf ich darauf hinweisen, dass das zwar sehr schön wäre, dass dieses Geld aber in der Vergangenheit nicht an Frauen, die sehr stark im Einzelhandel tätig waren, gezahlt worden ist.
Außerdem wird die Ungleichheit des Sozialversicherungssystems ausgeglichen. Wer nämlich im Arbeitsleben wenig verdient hat, wird als Rentner nicht mehr automatisch sozialhilfebedürftig werden. Als eine der größten Errungenschaften sehen wir es auch hier an, dass die Unterhaltspflicht von Angehörigen eingeschränkt wird. Bisher mussten ja bei der Sozialhilfe erst die Kinder einspringen, wenn die Eltern im Alter ihren Lebensunterhalt oder ihre Pflege nicht mehr aus eigener Tasche zahlen konnten. Das haben die Betroffenen, die jahrzehntelang gearbeitet hatten, als sehr entwürdigend empfunden.
Genau das ist doch das Problem. Wir wissen doch, dass viele deshalb gar nicht erst den Versuch unternommen haben, Sozialhilfe zu erhalten. Es war sozusagen nicht das Stigma, Sozialhilfe zu beantragen, sondern dahinter stand beispielsweise die ganz große Angst: Was geschieht mit meinen Kindern? Sie haben doch die Enkelkinder zu versorgen.
Bundesweite Studien schätzen die Dunkelziffer von Menschen, die in Armut leben, aber keine Sozialhilfe beziehen, auf bis zu 100 % der heutigen Sozialhilfeempfänger. Sie bekommen jetzt eine faire Chance auf solidarische Unterstützung. Die Konzepte für eine bedarfsbezogene Grundsicherung haben ursprünglich vorgesehen, dass der Bund die gesamten Kosten aus Steuermitteln trägt und die Kommunen weitgehend von Sozialhilfekosten entlastet werden. Das ist leider nicht eingehalten worden. Das beschlossene Gesetz wird die kommunale Ebene möglicherweise weiter belasten; denn die Bundesebene hat die Kostenträgerschaft für die Grundsicherung auf die Kreisebene abgeschoben. Der Bund zahlt 20 Millionen € an
Schleswig-Holstein, das Land gibt 14,5 Millionen € dazu. Die Kreise und kreisfreien Städte bleiben auf dem Rest sitzen. Das Land hat zugesichert, dass die Kommunen keine zusätzlichen Kosten tragen müssen. Die Landesregierung will aber die Förderung für die nächsten zwei Jahre festschreiben und nicht wie bei der Sozialhilfe anhand der tatsächlichen Fallzahlen abrechnen.
Nun habe ich das quotale System etwas anders verstanden. Es ist zwar sehr schön, dass Sie das vorhin ausgeführt haben, aber das Problem liegt seitens der Kommunen möglicherweise darin, dass die Zuschüsse, die man jetzt errechnet hat, auf veralteten kommunalen Daten beruhen. Daher sehen sich die Kommunen gezwungen, in Vorleistung zu treten. Denn die Mehrausgaben bei der Grundsicherung werden möglicherweise die Einsparungen bei der Sozialhilfe deutlich übersteigen, weil Menschen weiterhin Anspruch auf beides haben, weil die Unterhaltspflicht entfällt und weil eine eigenständige Grundsicherungsverwaltung gesetzlich vorgeschrieben ist.
Die Stadt Flensburg hat in einer eher vorsichtigen Schätzung berechnet, dass sie trotz der Zuschüsse eine zusätzliche finanzielle Belastung von jährlich über 900.000 € zu tragen hat. Eine solche Reform reduziert den ohnehin minimalen kommunalpolitischen Handlungsspielraum noch weiter. Das ist nicht haltbar.