Ich eröffne die Grundsatzberatung. Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Konzeption und die Durchführung des Grundsicherungsgesetzes sind nach Auffassung der Christlichen Demokraten falsch. Deswegen lehnen wir das Gesetz ab und wollen an dieser Stelle noch einmal unsere Kritik deutlich machen, Frau Ministerin.
Die verschämte Altersarmut ist in der Tat - darauf haben Sie eben gerade hingewiesen - lange nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, das Problem. Sie versuchen, das Problem systematisch völlig falsch zu lösen. Ich darf auf Folgendes hinweisen.
Eine Verkäuferin, die im Monat etwa 1.300 € verdient und 40 Jahre arbeitet, hat einen in etwa gleich hohen Anspruch auf Rente wie jemand nach dem Grundsicherungsgesetz. Damit demotivieren Sie die Menschen. Eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit lohnt nicht mehr, wenn man nach diesem Gesetz automatisch einen Anspruch hat. Das halten wir für systematisch falsch.
Dann setzt sich die Regel durch: Wer vorsorgt, wird versorgt, wer nicht vorsorgt, wird auch versorgt. Es ist quasi die Einladung zum Trittbrettfahren.
Im Gesetz verzichten Sie - darauf haben Sie hingewiesen - auf einen möglichen Rückgriff auf die Kinder. Damit geben Sie im Sozialversicherungsrecht den letzten Solidaritätsgedanken in engen Verwandtschaftsverhältnissen auf. Ich halte das für einen großen Fehler. Angesichts der Tatsache, dass wir eine demographische Entwicklung haben, in der wir alle uns allergrößte Sorgen machen, wie die Sozialversicherungssysteme in zehn, 15 Jahren überhaupt noch finanzierbar sein sollen, können wir es uns nicht erlauben, an dieser Stelle noch einmal sozusagen Geld aus dem Füllhorn zu schütten. Wir haben die bewährten Instrumentarien des Bundessozialhilfegesetzes. Wir brauchen an dieser Stelle kein neues Leistungsgesetz. Es ist auf Dauer schlicht und ergreifend nicht finanzierbar. Das muss man ehrlicherweise sagen.
Ich bin auch etwas überrascht, dass Sie, nachdem Sie sich bei der Riester-Rente zumindest vom Gedanken her dazu entschlossen haben, neue Finanzierungsmöglichkeiten und Vorsorgenotwendigkeiten, die
Hinweisen möchte ich auch darauf, dass von anerkannten Verfassungsrechtlern sehr bezweifelt wird, ob der Bund in diesem Bereich überhaupt eine Regelungskompetenz hat. Auch dem hätte man nachgehen müssen.
Hier ist auf Bundesebene ein Gesetz im Schnellgang durchgepeitscht worden, übrigens ohne die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene. Erkundigen Sie sich einmal bei den kommunalen Spitzenverbänden.
So machen Sie Politik: Ohne Beteiligung der Kommunen wird in Berlin ein Gesetz beschlossen, das verfassungsrechtlich außerordentlich problematisch ist.
Jetzt zur Frage: Wie belastet es die Kommunen und reichen die Kompensationsmittel, die gerade genannt worden sind, aus? Es steht völlig in den Sternen, ob diese Mittel ausreichen. Insbesondere ist offen, in welchem Umfang der Bund ab 2005 Zahlungen an die Länder leisten wird. Dieser Scheck ist also nach wie vor ungedeckt. Von vornherein keine Kostenerstattung gewährt der Bund den Kommunen für diejenigen Sozialhilfemehraufwendungen, auf die die Bürger bereits bisher Anspruch gehabt haben, die sie aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht bei den Sozialhilfeträgern abgerufen haben. Letztlich wird auch der Verwaltungsmehraufwand an keiner Stelle abgegolten.
Frau Ministerin, ich möchte auf Ihre Darstellung zurückkommen - so haben Sie freundlicherweise auch auf meine Kleine Anfrage geantwortet -, warum Sie darauf verzichten, sich im Sinne des quotalen Systems zu beteiligen. Ich halte das auch nicht für gerechtfertigt. Der Gesamtaufwand ist in der Tat mit den kommunalen Landesverbänden auf 71 Millionen € per annum beziffert worden. Nach dem quotalen System des BSHG würde das Land etwa 27,7 Millionen € zahlen müssen. Tatsächlich wollen Sie - so die Antwort heute auf meine Kleine Anfrage - 14,56 Millionen € zahlen. Das Land spart also an dieser Stelle 13 Millionen € auf Kosten der Kommunen ein. Deswegen muss ich sagen: Bei der Umsetzung dieses Gesetzes setzen Sie wieder einmal das Kostenausgleichsprinzip außer Kraft. Es geht erneut nach dem Motto: In Berlin und in Kiel wird einer ausgegeben und die Kommunen vor Ort können es bezahlen. Das lehnen wir ab. Das werden wir in den Beratungen im Ausschuss auch deutlich machen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem am 1. Januar 2003 in Kraft tretenden Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird ein weiterer Bestandteil sozialer Sicherheit in dieser Gesellschaft errichtet. Dieses Gesetz war seinerzeit Bestandteil der Rentenreform. Es soll sicherstellen, dass Menschen mit geringen oder gar keinen Rentenansprüchen keine Sozialhilfe beziehen müssen. Damit soll auch die Altersarmut - besonders die verschämte - bekämpft werden.
Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass alte Menschen oft davor zurückschrecken, Sozialhilfe zu beantragen, weil sie sich schämen oder weil sie die unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht belasten wollen. Beiden Ursachen trägt das Gesetz Rechnung. Es sieht nicht vor, Trittbrettfahrer zu finanzieren, sondern tatsächlich alten, bedürftigen Menschen zu helfen.
Die Grundsicherung wird nicht über die Sozialämter - um auch hier die Trennung deutlich zu machen -, sondern über die Rentenversicherungsträger beantragt. Die Einkommen von Kindern und Eltern der Anspruchsberechtigten bleiben bis zu einem Freibetrag von 100.000 € unangetastet. Auch das ist eine Grenze, die angemessen und richtig sein dürfte.
Die Höhe der Grundsicherung für die Einzelnen orientiert sich an der Sozialhilfe zuzüglich 15 % und den Kosten für Unterkunft, Heizung und Krankenversicherung. Bei Menschen bei Schwerbehindertenausweis G erhöht sich der Mehrbedarf auf 20 %. Anspruchsberechtigt sind neben Menschen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, auch dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen. Zuständig für die Leistungen sind die Kreise und kreisfreien Städte als Träger der Grundsicherung.
Über die Leistung wird eine Statistik geführt, um finanzielle und organisatorische Auswirkungen beurteilen und Ausgleichszahlungen nach einer gewissen Zeit überprüfen zu können. Ausgleichszahlungen an die Kommunen leistet die Bundesregierung in Höhe von 306 Millionen €. Dies ist auch dem Einsatz der
Von dieser Summe fließen 20 Millionen € an das Land Schleswig-Holstein. Das Land übernimmt zusätzlich 14,5 Millionen €, die es an die Kommunen weiterleitet, um zusätzliche Belastungen der Kommunen durch das neue Gesetz abzufedern. Ich glaube, dies ist auch ein Beitrag, der deutlich macht, dass nicht abgewälzt wird, sondern dass solidarisch von allen mitfinanziert wird.
Mit diesem Gesetz will die rot-grüne Bundesregierung wie auch die rot-grüne Koalition hier in Schleswig-Holstein die verschämte Altersarmut beseitigen. Aber Armut ist mehr als nur materielle Armut. Sie hat ebenso soziale wie psychologische Seiten. Dem Gesichtspunkt der Ausgrenzung kommt bei zunehmender Kommerzialisierung aller unserer Lebensbereiche sogar eine zunehmend größere, ja beherrschende Stellung zu.
Wer heutzutage nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann - dazu ist mehr denn je die Verfügung über eine ausreichende materielle Ausstattung erforderlich -, ist in Gefahr, stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. Diese Ausgrenzung darf und kann unsere Gesellschaft nicht akzeptieren. So haben auch die Sozialverbände, VdK und Lebenshilfe auf Bundesebene gegen die Vorstellung des Kanzlerkandidaten der CDU, Edmund Stoiber, protestiert. Edmund Stoiber will dieses Gesetz über eine soziale Grundsicherung rückgängig machen. Er will es stoppen. Das ist nicht nur unchristlich, sondern auch unsozial, gerade gegenüber den Schwächsten in unserer Gesellschaft.
Mit den Vorstellungen des Kanzlerkandidaten der Union drohen alten Menschen wie auch Behinderten wieder Schlechterstellung und Altersarmut. Das darf nicht Realität werden. Es ist gut, dass wir in Schleswig-Holstein zu dem Projekt der sozialen Grundsicherung stehen - im Gegensatz zur Union -, weil wir damit das Schicksal älterer Menschen, die von Armut bedroht sind, und die Lebensbedingungen erwerbsgeminderter Menschen verbessern wollen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich das eben gehört habe, komme ich in die Versuchung, den heutigen Vormittag fortzusetzen und wieder ein bisschen Wahlkampf zu machen. Ich will es trotzdem nicht tun, weil es mir zu den Ohren herauskommt.
(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir sind gerade so eingestimmt! - Wolfgang Baasch [SPD]: Du musst ja nicht hier bleiben!)
Frau Ministerin, mir ist klar, dass Sie das eine oder andere auf Ihre Kappe nehmen müssen, obwohl die Urheber in Berlin sitzen. Aber Sie haben das Ausführungsgesetz vorgelegt.
In der Zielsetzung müsste eigentlich Einigkeit bestehen:, dass wir infolge unserer demographischen Entwicklung die Alterssicherung, das heißt sämtliche Systeme, die die Sicherung von Einkommen im Alter beinhalten, auf völlig neue Füße stellen müssen.
Wenn wir die Sicherung des Einkommens im Alter auf etwa drei gleich starke Säulen stellen wollen, um der demographischen Entwicklung Rechnung zu tragen, dann hieße das eine steuerfinanzierte Säule, eine umlagefinanzierte Säule und eine kapitalgedeckte Säule, alle drei gleich stark. Das müsste unser Ziel für die nächsten 25 Jahre sein.
Den Kritikern, Herr Wadephul, die sich auf die versicherungsmathematische Äquivalenz berufen, will ich ausdrücklich widersprechen. Ich weiß zwar, was Sie damit ausdrücken wollen. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die versicherungsmathematische Äquivalenz in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits heute durch den steuerfinanzierten Staatsanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung permanent durchbrochen wird. Das ist übrigens ein Indiz dafür, dass wir uns dieses System in dieser Form in Zukunft gar nicht mehr leisten können.
Das Problem ist nur: Was machen Sie auf Bundesebene? Anstatt tatsächlich an diesen drei Säulen zu arbeiten, fabrizieren Sie Stückwerk, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Hauses. Sie machen wirklich Stückwerk. Sie machen keine umfassende Rentenreform, sondern vor das kollabierende umlagefinanzierte Rentensystem stellen Sie ein kleines bisschen Riester-Rente, die es an der Tankstelle gibt, und jetzt wollen Sie noch ein kleines bisschen steuerfinanzierte Grundsicherung. So wer
den wir nicht weiterkommen. So stehen wir in fünf Jahren wieder vor dem Problem, dass wir die Ansprüche, die Sie gerade schaffen, nicht werden erfüllen können.
Dieses Gesetz und insbesondere die Beratung zu diesem Gesetz haben jedenfalls aus unserer Sicht zwei ganz entscheidende Fehler.