Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

(Klaus Schlie [CDU]: Das macht es nicht besser!)

Eine eigene CDU-Kommission hat unter Führung ihres saarländischen Ministerpräsidenten Müller ebenfalls Vorarbeiten geleistet. Die Ergebnisse waren die gleichen. Der Gesetzentwurf ist in der Wirtschaft, von den Gewerkschaften, den Kirchen, den Flüchtlingsorganisationen und anderen gesellschaftlichen Gruppen begrüßt worden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Klaus Schlie [CDU]: Kritik an Einzelpunkten ist entscheidend!)

- Herr Kollege Schlie, Sie haben in der letzten Debatte des Bundesrats wieder das parteipolitische Hickhack zu Detailfragen und einzelnen Begriffsbestimmungen eröffnet. Gesellschaftlicher Konsens war und ist hoffentlich nach wie vor vorhanden. Wir machen das durch parteipolitischen Kleinkrieg wieder kaputt. Das dient sicherlich nicht dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was den Bericht des Innenministers angeht, den er heute zur Umsetzung gegeben hat, sage ich: Die angesprochenen Einzelfragen sind geklärt. Wir freuen uns darüber, dass es mit der Umsetzung losgehen kann, wenn das Gesetz am 1. Januar in Kraft treten sollte. Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Sozialministerin hat gestern dazu Ausführungen gemacht: Wir freuen uns darüber, dass auch im Kindergartenbereich Vorsorge getroffen wird und schon da die möglichst frühzeitige Integration ausländischer Kinder beginnen kann. Wir freuen uns darüber, dass für die Trägerschaft der Sprachkurse auf Bundesebene Verhandlungen laufen und - so habe ich gehört - fast 50 Träger hier in Schleswig-Holstein in Betracht kommen, die flächendeckend für die Durchführung dieser Sprachkurse sorgen werden. Wir freuen uns, dass auch im Bereich der Migrationssozialberatung, der begleitenden sozialpädagogischen Betreuung der ausländischen Familien, Vorsorge getroffen ist. Wir freuen uns, dass dies auch haushaltsmäßig geschehen ist. Es wird von uns unterstützt werden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir freuen uns vor allem, dass nach langjährigen - insbesondere schleswig-holsteinischen - Bemühungen in das Bundesgesetz endlich die von uns immer geforderte Härteklausel eingebaut worden ist, die es uns ermöglicht, in landeseigener Kompetenz über einzelne Härtefälle zu entscheiden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich die Arbeit der hier im Lande schon tätigen Härtefallkommission loben und mich dafür bedanken, dass - trotz Fehlens einer solchen Härteklausel - die wenigen Gummiparagraphen, die im bisherigen Gesetz vorhanden waren, ausgenutzt worden sind, um ausländerfreundliche Entscheidungen in einzelnen Härtefällen schon ohne die Härtefallklausel für SchleswigHolstein und die davon betroffenen Menschen zu fällen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Härtefallkommission wird künftig auf der Grundlage der bundesrechtlichen Härtefallregelung noch besser arbeiten können. Die auch landesweit zu erarbeitenden Kriterien könnten wie folgt skizziert werden: Längere Aufenthalte, besondere belastende persönliche Situationen, ein Integrationsaspekt, zum Beispiel Kinder in der Schule oder Menschen mit einem Arbeitsplatz. Darüber hinaus gilt das Kriterium, wenn Einbindung in gesellschaftliche Tätigkeiten und ehrenamtliche Arbeiten besteht. Auch dies muss gesagt werden: Vielfach ist es so, dass sich Menschen, selbst wenn sie als Asylbewerber abgelehnt worden sind, aber gleichwohl im Lande noch geduldet werden, auch in ehrenamtlichen Bereichen für unsere Gesellschaft einsetzen. Für solche Fälle, die unter die geschilderten Kriterien fallen, kommt künftig die Möglichkeit einer landesweiten Entscheidungskompetenz auf uns zu. Endlich und glücklicherweise können wir über diese Härtefälle in Schleswig-Holstein selbst entscheiden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Ich weiß jetzt schon, was dabei he- rauskommt!)

Integration hat auch etwas mit Bewusstseinsschärfung zu tun, und zwar nicht nur bei den ausländischen Menschen. Herr Kollege Schlie, wir sind uns sicherlich einig, dass die die Integration angehenden Rechtsvorschriften auch zu einer Verpflichtung der ausländischen Menschen führen, sich an diesen Integrationsmaßnahmen zu beteiligen. Wir haben aber - gerade im politischen Raum - auch eine Selbstver

(Klaus-Peter Puls)

pflichtung zu erfüllen, die darauf hinausläuft, dass wir das allgemeine ausländerfreundliche Bewusstsein auch in die Köpfe und Herzen der Menschen in Schleswig-Holstein hineinpflanzen. Dort ist es noch nicht überall angekommen. Wir müssen auch von einem parlamentarischen Pult aus immer wieder das sagen, was Sie eben auch gesagt haben, nämlich dass Ausländer eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sind. Artikel 1 des Grundgesetzes besagt nun einmal: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und das gilt nicht nur für die Würde des deutschen Menschen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Eines vorweg: Bei diesem Thema unterhalten wir uns heute leider über noch ungelegte Eier. Sowohl der Gesetzentwurf zum Landesaufnahmegesetz als auch der Berichtsantrag von SPD und Grünen hat das rechtmäßige Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes zur Voraussetzung. Wir wissen aber noch nicht, ob dieses im Frühjahr durch den Bundestag beschlossene Gesetz zum 1. Januar 2003 überhaupt in Kraft treten wird.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Insofern erlauben Sie mir, dass ich auf die aktuelle Problematik zum Zuwanderungsgesetz eingehe, statt mich mit dem Landesaufnahmegesetz zu beschäftigen. Bis auf wenige Punkte folgt der Gesetzentwurf der Landesregierung schlicht den Vorgaben aus dem neuen Aufnahmegesetz, das identisch mit Artikel 1 des Zuwanderungsgesetzes ist.

Allerdings muss in den Ausschusssitzungen schon noch eingehender darüber gesprochen werden, warum zum Beispiel der § 5 gestrichen werden soll, bei dem es um die Möglichkeit der Förderung kultureller Projekte in den Herkunftsländern von Spätaussiedlern geht. Der Herr Innenminister sprach es eben an.

Glaubt man den Berichten aus verschiedenen Zeitungen, dann steht das Scheitern des Zuwanderungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht bevor. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“, die nun wirklich nicht in dem Verdacht steht, den Positionen der rot-grünen Bundesregierung allzu kritisch gegenüberzustehen, werden fünf der acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats der Rechtsauffassung der CDU folgen. Sie werden feststellen, dass das

Zuwanderungsgesetz beim damaligen Tohuwabohu im Bundesrat nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Und da muss ich auf Ihre Bemerkung eingehen, Herr Innenminister. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu dieser Erkenntnis kommt, dann müssen wir das akzeptieren und können nicht die Folgen kritisieren, die möglicherweise daraus entstehen. Dafür ist nicht das Verfassungsgericht verantwortlich, sondern es sind diejenigen verantwortlich, die es beschlossen haben.

So sehr wir auf der einen Seite die Rechtsauffassung teilen, dass das Gesetz nicht verfassungsgemäß ist, so sehr bedauern wir auf der anderen Seite, dass ein Zuwanderungsgesetz leider wahrscheinlich nicht zustande kommen wird; denn unsere Bundestagsfraktion hat bereits im Juni 2000 als erste Fraktion einen Entwurf für ein entsprechendes Gesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir wollten, dass es in der Bundesrepublik endlich eine rechtliche Regelung zur Zuwanderung gibt und damit unter anderem auch die unsäglichen Diskussionen ein Ende haben, ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist oder nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen, faktisch ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD])

Kurz nach der Einbringung des FDP-Gesetzentwurfs wurde die so genannte Süssmuth-Kommission gebildet, deren Ergebnisse sich schließlich zum allergrößten Teil im Gesetzentwurf dieses Frühjahrs wiederfanden. Das war umso erstaunlicher, da es gerade die Sozialdemokraten waren, die noch im Januar mit zum Teil rechtspopulistisch angelegten Parolen vor dem Hintergrund des beginnenden Bundestagswahlkampfes und sich verschlechternder Arbeitslosenzahlen das Zustandekommen einer Zuwanderungsregelung zu gefährden schienen.

So äußerte sich der ehemalige Finanzminister und SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine bei der Sendung „Sabine Christiansen“

(Unruhe bei der SPD - Silke Hinrichsen [SSW]: Ausgerechnet da!)

am 13. Januar diesen Jahres mit den Worten:

„Ich glaube nicht, dass es in einer Situation, in der es 4 Millionen Arbeitslose gibt und in der es 1,7 Millionen Arbeitnehmer in so genannten Beschäftigungsmaßnahmen gibt, wirklich der Bevölkerung vermittelbar ist,

(Günther Hildebrand)

zusätzliche Arbeitskräfte nach Deutschland einzuführen. Zunächst müssen wir anfangen, die Arbeitslosen hier von der Straße zu bringen und dann können wir anfangen, andere Kräfte anzuwerben.“

(Beifall bei der SPD)

Im gleichen Tenor titelte „Die Welt“ vom 29. Januar 2002 mit der Überschrift: „SPD - deutsche Arbeitsplätze erst für Einheimische“.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Ja!)

Letztlich musste aber auch die SPD einsehen, dass ein Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland auch Chancen für mehr Arbeitsplätze für bereits hier Wohnende bedeuten kann. Es hätte also alles seinen ordentlichen Lauf nehmen können, wenn nicht bereits die Bundestagswahlen unmittelbar bevor gestanden hätten.

Die SPD und vor allem ihr Kanzler mussten nun wieder einmal handeln und das Gesetz durchpeitschen, damit er sich rechtzeitig vor den Wahlen als Macher darstellen konnte. Dabei musste er auf die Grünen zugehen und beispielsweise die Regelungen zur „Arbeitseinwanderung“ enger fassen. Gleichzeitig vergrößerte er damit aber die Schlucht zwischen SPD und CDU und provozierte deren Blockadehaltung. Die Zeichen waren also gesetzt für eine Debatte, die dem jeweiligen politischen Gegner die Schuld am Scheitern eines Kompromisses in die Schuhe schieben sollte, um dies für den Wahlkampf zu nutzen.

(Helmut Jacobs [SPD]: Glauben Sie das wirklich?)

Dabei war ein Kompromiss möglich. Wir haben zum Beispiel hier im Landtag eine Initiative für die Anrufung des Vermittlungsausschusses eingebracht. Ähnliche Angebote gab es auf Bundesebene. Diese wurden aber verweigert. Es ging ja nicht mehr um die Sache, es ging um Wahlkampf.

(Beifall bei der FDP)

So mussten wir mit Grausen den Höhepunkt des unsäglichen Verfahrens durch die Bilder der Bundesratssitzung vom 22. März ertragen. Herr Wowereit wertete bekanntermaßen die Aussage von Ministerpräsident Stolpe als Zustimmung Brandenburgs zum Gesetz in der Kenntnis, dass Herr Schönbohm vorher klar gegen dieses Gesetz votiert hatte. Für uns ein klarer Verfassungsverstoß.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordne- ten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Damit aber nicht genug: Die CDU hatte schon im Vorwege von der geplanten Verfahrensweise des Bundesratspräsidenten gehört und für diesen Fall schon einmal Pläne für eine inszenierte Empörung geschmiedet.

(Uwe Eichelberg [CDU]: So ein Stuss! - Zu- rufe von der FDP - Widerspruch des Abge- ordneten Dr. Johann Wadephul [CDU])

Diese wurden dann „spontan“ umgesetzt, wie uns Ministerpräsident Müller dankenswerterweise mitteilte. Wir erinnern noch alle die Bilder von Ministerpräsident Koch, wie er mit hochrotem Kopf mit seiner Faust immer wieder auf den unschuldigen Tisch einschlug. So verkam der Bundesrat letztlich zu einem Laientheater. Dies wurde nicht nur der Sache nicht gerecht, sondern schadete letztlich auch der Demokratie an sich.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die Menschen merken nämlich sehr genau, ob über Lösungen von Problemen diskutiert oder Wahlkampf gemacht wird.