Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Minister und eröffne die Aussprache. Ich erteile dazu zunächst dem Herrn Abgeordneten Schlie das Wort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick verwundert es, dass unmittelbar vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das rechtmäßige Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes die rot-grünen Fraktionen im Landtag eine umfangreiche Debatte führen wollen.

Der eigentliche Anlass zu dieser Debatte, nämlich der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesaufnahmegesetzes, rechtfertigt jedenfalls nicht die Dauer dieser Debatte. Interessanter wird es sicher bei der Frage, wie sich die Landesregierung auf das mögliche In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes vorbereitet hat. Neben der Frage, wie die Aufnahme der Zuwanderungswilligen erfolgen soll, ist dabei insbesondere das Thema der Integrationsmaßnahmen von entscheidender Bedeutung.

Bezogen auf das Landesaufnahmegesetz will ich für meine Fraktion deutlich hervorheben, dass eine unmittelbare Zuleitung von Ausländern an die Kreise oder kreisfreien Städte tatsächlich nur mit der ausdrücklichen Zustimmung der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaft erfolgen darf, da ansonsten keine verlässliche Planung für die Kapazitäten der Übergangswohnheime möglich ist. Wie in der Begründung des Gesetzes ausgeführt, würde das zustände Landesamt dann zwar Kosten sparen, die Kommunen würden dann aber gegebenenfalls mit zusätzlichen Problemen belastet werden.

Hinweisen möchte ich ferner darauf, dass noch Klärungsbedarf über den Personenkreis besteht, der im Entwurf des Landesaufnahmegesetzes definiert ist. Auch über die Frage der Kostenregelungen werden wir in den Ausschussberatungen noch sprechen müssen.

Eines ist jedoch schon jetzt klar. Die Behauptung der Bundesregierung, dass durch das neue Zuwanderungsgesetz die Zuwanderung gesteuert und begrenzt wird, ist falsch.

(Beifall der Abgeordneten Uwe Greve [CDU] und Martin Kayenburg [CDU])

Tatsächlich wird die Zuwanderung erweitert. Der Anwerbestopp wird aufgehoben. Zuwanderung aus demographischen Gründen wird zugelassen. Es gibt großzügigere Aufenthaltsgenehmigungen und es gibt einen wesentlich erweiterten Familiennachzug.

Ich habe nicht die Absicht, hier im Landtag eine Wiederholung der Debatte aus dem Deutschen Bundestag über die Sinnhaftigkeit dieses Zuwanderungsgesetzes zu führen. Trotzdem werden wir als Land die Auswirkungen dieses Gesetzes zu spüren bekommen und müssen mit dem erhöhten Zuwanderungsdruck fertig werden. Deshalb muss die Frage gestellt werden, welche Auswirkungen eine generelle Aufhebung des Anwerbestopps haben wird.

Der Anwerbestopp ist 1973 unter der Regierung Willy Brandt bei einer Arbeitslosenquote von insgesamt 1,2 % eingeführt worden. Die Ausländerarbeitslosigkeit betrug damals 0,8 %. Heute ist die Arbeitslosigkeit unter den 7,3 Millionen hier lebenden Ausländern 25mal höher. Im Januar 2002 betrug sie 20,2 %.

Auch die Behauptung der rot-grünen Bundesregierung, dass die Zahl der Flüchtlinge durch die generelle Anerkennung nicht staatlicher und so genannter geschlechtsspezifischer Verfolgung nicht steigen werde, ist objektiv falsch.

Zu quasi Asylberechtigten werden Ausländer, die vor Kriegs- und Bürgerkriegssituationen, der Armut und wirtschaftlicher Verelendung, vor Natur- oder Hungerkatastrophen oder vor Problemen fliehen, die sich aus der unterschiedlichen Stellung von Mann und Frau auf dieser Welt ergeben. Diese Aufwertung zu Fällen des so genannten kleinen Asyls führt zur Möglichkeit des vollen Familiennachzugs auch bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften sowie zu Aufenthaltserlaubnissen mit Zugang zum Arbeitsmarkt ohne jede Bedarfsprüfung oder Quotierung. Damit verlässt Deutschland im Übrigen die gemeinsame Linie der Europäischen Union, wonach nur

(Klaus Schlie)

staatliche oder dem Staat zurechenbare Verfolgung zur Flüchtlingsanerkennung führt.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Diese im Alleingang durchgesetzte Regelung geht weit über die Standards internationaler Vereinbarungen hinaus und wird uns auch in Schleswig-Holstein vor unlösbare Probleme stellen, Herr Minister.

Verschärft wird dies dadurch, dass illegal eingereiste Ausländer allein durch Zeitablauf ein Daueraufenthaltsrecht erwerben können. Dies widerspricht im Übrigen auch eklatant unserer Rechtsauffassung. Das kann auch nicht zum Grundprinzip erhoben werden. Notfälle sind im Einzelnen zu lösen. Wir können aber doch Illegalität nicht zu einer rechtmäßigen Aufenthaltsdauer in Schleswig-Holstein führen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Durch eine Fülle von Ausnahmevorschriften soll der Nachzug von Kindern bis zum 18. Lebensjahr möglich sein. Die PISA-Studie hat gezeigt - darüber haben wir hier im Haus auch mehrfach diskutiert -: Ein möglichst früher Spracherwerb ist unerlässlich für eine sichere Zukunftsperspektive ausländischer Kinder in unserem Land.

Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz erschwert die Integration, statt sie zu fördern.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Selbst die Landesregierung bezweifelt an dieser Stelle die Sinnhaftigkeit des Zuwanderungsgesetzes. Das fand ich schon beachtlich. Auf Seite 12 ihres Integrationskonzeptes formuliert sie:

„Ob das Gesamtsprachkonzept tatsächlich zur Umsetzung kommt, scheint mit dem Zuwanderungsgesetz fraglich.“

Das ist doch der Schlüssel zu jeder Integration. Wenn die rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein sagt, dass dieses Gesamtkonzept auf der Grundlage dieses Zuwanderungsgesetzes nicht durchgesetzt werden kann, dann frage ich Sie: Warum haben Sie dem Zuwanderungsgesetz im Bundesrat zugestimmt?

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung sieht zu Recht die Gefahr, dass durch das neue Zuwanderungsrecht zwei parallele Sprachkurssysteme installiert werden. Das ist nicht meine Formulierung, sondern sie stammt aus dem Konzept der Landesregierung. Außerdem haben alle schon hier lebenden Ausländer und die künftig zuziehenden EU-Bürger keinen Anspruch auf Sprachförderung. Das ist Irrsinn! Es kommt doch gerade darauf an, dass die hier schon lebenden Ausländerinnen

und Ausländer in der Sprache gefördert werden, damit sie sich integrieren können. Was ist das für ein Integrationskonzept?

Der Weg zu einer erfolgreichen Integration kann nur über die deutsche Sprache führen. Ich betone: Konkrete Verpflichtungen zum Erlernen der deutschen Sprache, verbunden mit einem System von Anreizen und Sanktionen, müssen dazu beitragen, dass die bleibeberechtigten Ausländer möglichst früh die deutsche Sprache erlernen. Ein solches System fehlt. Es fehlt übrigens auch im Konzept der Landesregierung. Der Grad der Verbindlichkeit ist gering. Sanktionen gibt es nicht. Der Bund drückt sich vor der Kostenübernahme dieser Integrationsleistungen und schließt alle hier schon lebenden Ausländer aus. Sie haben darüber berichtet.

Dies ist ein gravierender Fehler. Somit trägt das Gesetz den Gesichtspunkten der Integration leider nicht Rechnung. Vorrang vor weiterer Zuwanderung muss die Integration der hier lebenden Ausländer haben. Es ist im Interesse derjenigen, die bei uns leben und sich bemühen, sich zu integrieren, fatal, dass wir weitere Zuwanderung zulassen und nicht in der Lage sind, als Staat insgesamt diejenigen, die hier sind und integrationswillig sind, so mit Sprachkursen zu versorgen, dass sie sich integrieren können. Das ist der Schlüssel zu jeder Integration. Wer solch ein Gesetz schafft, der ist falsch davor.

(Beifall bei der CDU)

Die gesamte Kostenregelung für die Integrationsleistungen ist ungeklärt. Die Landesregierung führt in ihrem Integrationskonzept zwar eine lange Reihe von Integrationsmaßnahmen auf, verweist aber ständig darauf, dass die Umsetzung davon abhängt, dass mit dem Bund konkrete Kostenübernahmen vereinbart werden müssen. Herr Minister, Sie berichten, dass es Entwürfe von Erlassen gibt. Wir in Schleswig-Holstein werden diese Kosten angesichts der desolaten Haushaltslage wohl kaum zusätzlich übernehmen können.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Schleswig-Holstein soll - das ist unsere ehrliche und notwendige Auffassung - auch in Zukunft ein offenes und gastfreundliches Land bleiben. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Ihre Integration ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern sie stellt auch eine politische Chance für unsere Gesellschaft insgesamt dar.

(Beifall des Abgeordneten Uwe Greve [CDU])

(Klaus Schlie)

Der Schlüssel zur Integration ist neben dem selbstverständlichen Anerkenntnis unserer Rechtsordnung das Erlernen der deutschen Sprache. Hier versagen RotGrün im Bund und im Land leider völlig. In diesem Sinne ist unstreitig, dass Deutschland ein modernes Zuwanderungsbegrenzungsrecht braucht. Die von der Regierung Schröder-Fischer eingeführten Regeln bergen aber nur Risiken und Gefahren und bieten leider kein schlüssiges Integrationskonzept. Die Landesregierung begegnet dieser Tatsache mit Hilflosigkeit.

Die aufgeführten Maßnahmen können wir in großen Teilen unterstützen; sie basieren ja auch auf unseren Vorschlägen. Man kann Maßnahmen aber nicht nur in einem Papier aufzählen, man muss diese Maßnahmen anschließend auch umsetzen und damit Politik gestalten. Wenn aber zwischen dem Land und dem Bund oder dem Land und den Kommunen oder freiwilligen Trägern nur Verschiebebahnhöfe eingerichtet werden und am Ende festgestellt wird, dass keiner das Geld hat, um diese Maßnahmen durchzuführen, dann sind wir arm dran, was die Integration angeht. Ich glaube, dass hier im Interesse aller integrationswilligen Ausländer noch kräftig nachgearbeitet werden muss. Dieses Zuwanderungsgesetz ist jedenfalls leider nicht in der Lage, Integration in dem Sinne durchzuführen, dass die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sich im entsprechenden Maße bei uns integrieren können.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann nicht oft genug gesagt werden: Deutschland braucht ein Zuwanderungsgesetz. Schleswig-Holstein braucht es und das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Zuwanderungsrecht ist nicht schädlich, sondern nützlich. Wir brauchen das Zuwanderungsgesetz, um den wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen Deutschlands gerecht zu werden, aber auch, um unseren humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Wir brauchen das Zuwanderungsgesetz, um hoch qualifizierte Arbeitskräfte für Arbeitsplätze zu gewinnen, die trotz hoher Arbeitslosigkeit im Inland nicht besetzt werden können. Dies schafft neue Arbeitsplätze und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft. Wir brauchen das Zuwanderungsgesetz, um die Integration der nach Deutschland zuge

wanderten Menschen endlich wirksam und rechtsverbindlich steuern zu können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Herr Kollege Schlie, auch wir wollen keine neuerliche parteipolitische Auseinandersetzung hier und heute über die Frage Zuwanderung - Ja oder Nein, wie oder wie nicht, zumal im Landtag bereits seit langem eine eindeutige Beschlusslage besteht. Bereits am 18. Mai 2000 hat sich dieses Landesparlament mit großer Mehrheit für ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen, das das Zuwanderungsverfahren reguliert und vereinfacht, das die Trennung von Asylverfahren und allgemeiner Zuwanderung zum Ziel hat, das den Zugang der Einwandererfamilien zu integrierenden Maßnahmen erleichtert, das die demographische Entwicklung einbezieht, das die aktuelle Situation und die kurz- und längerfristige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland berücksichtigt, das eindeutige Regelungen für den Familiennachzug umfasst und das humanitäre Gesichtspunkte ebenfalls einbezieht.

Am 22. März 2002 lag dem Bundesrat unter Tagesordnungspunkt 8 ein Einwanderungsgesetz vor, das all diesen Punkten voll entspricht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bedauerlicherweise hat dann die - wenn ich das einmal so nennen darf - unwürdige Posse im Bundesrat dazu geführt, dass das Gesetz immer noch nicht in Kraft ist und möglicherweise nicht einmal zum vorgesehenen Zeitpunkt, dem 1. Januar, in Kraft treten kann. Das Abstimmungsverfahren im Bundesrat hat wieder einmal zur Fortsetzung der Politik auf der Bühne des Bundesverfassungsgerichts geführt. Die Politik allgemein - und damit auch wir als Landespolitikerinnen und -politiker - ist einmal mehr in den öffentlichen Misskredit gebracht worden, obwohl wir mit den Bundesentscheidungen und den Bundesratsdebatten unmittelbar gar nichts zu tun haben. Wir können aber nicht erwarten, dass dies in der Bevölkerung so differenziert gesehen wird. Deshalb war auch das inhaltliche Gewackel von CDU und FDP in der entscheidenden Phase der Beratungen auf Bundesebene für die Sache und die dahinter stehenden Menschen bedauerlich und schmerzlich.

(Klaus Schlie [CDU]: Sie hätten zuhören sol- len!)

- Herr Kollege Schlie, die Vorarbeiten für das Bundesgesetz sind durch eine Kommission der rot-grünen

(Klaus-Peter Puls)

Bundesregierung unter Vorsitz von Rita Süssmuth, die der CDU angehört, geleistet worden.

(Klaus Schlie [CDU]: Das macht es nicht besser!)