Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

Herr Kubicki, Sie bleiben doch die Antwort schuldig, wie Sie auf die Steuereinbrüche reagieren wollen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich stütze den Bundeskanzler in dieser Frage! Durch eine verstärkte Wirtschaftsleistung und nicht da- durch, dass man bei den Investitionen spart!)

Ich habe noch kein Land in der westlichen Welt erlebt, dem es gelungen ist, mit Steuersenkungen zusätzliche Steuereinnahmen zu erzielen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie müssen blind sein! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie bitte? Irland, Neuseeland! - Martin Kayenburg [CDU]: Niederlande! - Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Alle solche Prozesse sind gescheitert. Das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt das. Die Steuersenkungsprozesse der Reagan-Regierung haben die höchste Haushaltsverschuldung in der Geschichte der Vereinigten Staaten hinterlassen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Zurufe von CDU und FDP)

Lassen Sie mich wenige Sätze zum Verzicht auf den Verkauf von Landesbankanteilen sagen. Das ist ein weiteres Element, das Anlass zur Erhöhung der Nettokreditaufnahme gibt. Der Finanzminister hat auf die Notwendigkeiten hingewiesen. Herr Finanzminister, wir halten es für richtig, dass in der gegenwärtigen Schwächephase aller Kreditinstitute auf diese Transaktion verzichtet wird, weil sie in der Tat nur mit hohen Preisabschlägen realisierbar gewesen wäre. Kollege Kubicki, bei allem, was uns nicht eint, freue ich mich, dass wir wenigstens auf diesem Gebiet in der Beurteilung einig sind.

Wir bedauern, dass es keine Alternative gab, dass sich das Land Schleswig-Holstein der Ausrufung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch den Bund hat anschließen müssen. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass es auch angesichts der derzeitigen konjunkturellen Entwicklung keine Alternative dazu gegeben hat. Wir haben leider auch vom Kollegen Wiegard keine Alternativen gehört.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wie ich Sie kenne, Kollege Kubicki, werden wir auch von Ihnen wenig Konstruktives dazu hören, wenn Sie das Wort ergriffen haben.

(Günter Neugebauer)

Es ist für uns auch kein Trost, dass Finanzminister Möller in Gemeinschaft vieler anderer Finanzministerinnen und Finanzminister ist, auch derer, Kollege Kubicki, wo sie regieren. Sprechen Sie einmal mit Finanzminister Weimar in Hessen oder mit Ihrer Fraktionsvorsitzenden! Sprechen Sie einmal mit den Kolleginnen und Kollegen im Saarland! Es gibt zu dieser Entscheidung leider keine Alternative.

Trotzdem wird es notwendig, so schnell wie möglich auf der Ausgabeseite zu starken Korrekturen zu kommen und die Einnahmeseite zu stabilisieren. Über die Einnahmeseite habe ich schon gesprochen. Was die Korrektur auf der Ausgabeseite angeht - das Stellen aller freiwilligen Leistungen auf den Prüfstand, eine noch zügigere Umsetzung der Verschlankung der Verwaltung -, darüber wird der von mir sehr geschätzte Vorsitzende der SPD-Fraktion in der nächsten Woche konkrete Vorstellungen der SPDLandtagsfraktion vortragen. Insofern kann ich darauf jetzt verzichten.

Zum Abschluss stelle ich fest, dass wir in den nächsten Jahren eine Senkung der Nettokreditaufnahme nur werden erreichen können, wenn es uns gelingt - und diesen Mut müssen wir von Rot-Grün wohl allein aufbringen, weil wir dabei nicht auf Ihre Mithilfe werden rechnen können -, auf der Ausgabeseite zu prüfen, was originär Aufgabe des Staates ist, was wir leisten müssen und was wir nicht mehr leisten können, indem wir die Verwaltungsstrukturreform noch konsequenter anschieben und indem wir auch durch Investitionen für die notwendigen Wachstumsimpulse sorgen.

Wir wissen, dass wir es allein nicht schaffen können. Wir brauchen auch eine Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden, weil wir dagegen sind, dass sich der Bund dauerhaft zulasten der Länder und Kommunen entlastet.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir brauchen eine Gemeindegebietsreform, damit auch die Kommen ihren investiven Verpflichtungen nachkommen können und in die Lage versetzt werden, wieder planbare Haushalte aufzustellen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden dem Entwurf der Landesregierung zum Nachtragshaushalt zustimmen. Wir sehen keine Alternative zu diesem Vorschlag.

(Zurufe von CDU und FDP)

Herr Kollege Kubicki, auch die Opposition weiß, dass die Einbrüche bei den Steuereinnahmen nicht hausgemacht und nicht von dieser Landesregierung verschuldet sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Natürlich!)

Sie sollten sich vorsehen, wenn Sie weiter in dieser Weise mit Steinen an die Glaswand werfen, weil die Steine, die Sie werfen, auf Ihren Körper zurückfallen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein denkwürdiger Tag mit einem passenden Datum. An einem Freitag, dem 13., legt die Landesregierung einen verfassungswidrigen Nachtragsentwurf vor, mit dem sie die Neuverschuldung auf über 1,1 Milliarden €, mehr als 2 Milliarden DM, katapultieren will. Das finanzpolitische Chaos, das damit angerichtet wird, wird nur noch durch die Peinlichkeit der Begründung überboten.

(Beifall bei der FDP)

Die Landesregierung stellt sich als eine von Sachzwängen getriebene Ansammlung armer finanzpolitischer Seelen dar, die für die Entwicklung dieses Dramas nicht verantwortlich sei und gar nicht anders könne, als den Bürgerinnen und Bürgern im Vorbeigehen eine neue Rekordschuldenlast aufzubürden.

Wo ist denn der Kollege Neugebauer? - Er steht da und freut sich über seinen hervorragenden Beitrag. Kollege Neugebauer, wir haben die Ministerpräsidentin in diesem Plenum jahrelang davor gewarnt, bei der Frage der Entbeamtungspolitik einen Alleingang zu vollziehen. Sie hat es trotzdem gemacht. Mit welchen Folgen? - Dass ein dreistelliger Millionenbetrag aus Steuermitteln für nichts und wieder nichts verpulvert worden ist. Wir haben Sie davor gewarnt, das Liegenschaftsmodell ins Werk zu setzen, das wir jetzt kompliziert wieder rückabwickeln müssen. Wir sagen Ihnen, dass wir dort für nichts und wieder nichts einen dreistelligen Millionenbetrag verpulvert haben. Das müssen die Beschäftigten des öffentlichen Diens

(Wolfgang Kubicki)

tes jetzt ausbaden, Ihre verfehlte Finanzpolitik der Vergangenheit!

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ursache der dramatischen Finanzlage des Landes ist die verfehlte Finanzpolitik der letzten 15 Jahre. Die Hauptverantwortlichen sitzen auf der Regierungsbank: die Ministerpräsidentin, vormals Finanzministerin, und der Nachfolger, Finanzmisereminister Möller. Ich sage Ihnen: Ein richtiges Kontrastprogramm, Frau Kollegin Schümann, gäbe es, wenn dieser Finanzminister seinen Platz räumen würde.

(Beifall bei der FDP)

Es muss ja nicht gleich zu einem Regierungswechsel kommen. Aber es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder der Minister weiß nicht, was er sagt - dann gehört er nicht in dieses Amt -, oder er weiß, was er sagt, dann sind ihm die Verfassung und Recht und Gesetz dieses Landes völlig egal. Beides ist in gleicher Weise verwerflich.

Dieser Nachtrag ist verfassungswidrig; wir lehnen ihn ab. Wir sind, Herr Kollege Neugebauer, für den ehrlicheren Weg und schlagen vor, den Haushalt 2002 mit einem Defizit abzuschließen und dieses Defizit schlicht und ergreifend in den kommenden beiden Haushaltsjahren auszugleichen. Das sehen die Landeshaushaltsordnung und die Verfassung so vor.

Wir sind uns bewusst, dass dieser Weg politisch anstrengend wäre. Kein Wunder: Bei der Konsolidierung der Landesfinanzen haben wir schließlich 15 Jahre Rückstand aufzuholen. Denn die jetzige Landesregierung und die drei vorherigen Landesregierungen haben zwar einerseits stets unter großem Wehklagen die Konsolidierung des Haushalts angekündigt, aber fast alles getan, um die Hürden für die Konsolidierung immer höher zu schrauben. Schauen Sie sich doch einmal die Finanzplanungen und Vorhersagen dieser Regierung seit 1989 an. Immer wieder ist uns erklärt worden, die Verschuldung würde heruntergeschraubt; aber sie ist von Jahr zu Jahr nach oben geschraubt worden. Hier klaffen Reden und Taten so weit auseinander wie in kaum einem anderen Bereich.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Mit diesem Nachtrag würden die Hürden in noch schwindelerregenderen Höhen liegen. Die Lasten der katastrophalen rot-grünen Finanzpolitik würden wieder in die Zukunft verschoben, damit die Verantwortlichen sich aus ihrer Verantwortung stehlen können.

Ich komme zu den Details. Die Landesregierung will das Defizit im Haushalt 2002 in Höhe von 589,4 Millionen € mit Schulden decken. Dies wäre nach Artikel 53 der Landesverfassung nur zulässig, wenn entweder das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört oder eine schwer wiegende Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes zu überwinden wäre. Die höheren Schulden - Kollege Wiegard hat darauf hingewiesen - müssten geeignet sein, die Störungen zu überwinden.

Die Landesregierung stellt beide Störungen fest und behauptet, dass Schulden das geeignete Gegenmittel seien. Wir bestreiten alle drei Behauptungen.

Selbstverständlich ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört - es ist immer gestört. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist ein theoretisches, makroökonomisches Konzept, das als Schnittpunkt mehrerer Linien oder als Lösung eines Systems von Differentialgleichungen dargestellt wird, um die Komplexität der Entwicklung von Volkswirtschaften für Menschen begreifbar zu machen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal eine Diffe- rentialgleichung gelöst?)

- Herr Kollege Hentschel, Sie bekommen jetzt eine Vorlesung in Volkswirtschaft I. Sie sollten in Ihrer Freizeit vielleicht wirklich mal in die Uni gehen und sich dazu eine Vorlesung anhören; dann würden Sie nicht so dumme Zwischenrufe machen.

Welche Elemente hat das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht? Ein Anhalt ist das magische Viereck des Stabilitätsgesetzes: Vollbeschäftigung, Preisstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum. Von der Differenz zwischen utopisch-optimistischen Steuereinnahmeerwartungen und tatsächlichen Steuereinnahmen bei überhöhten Ausgaben ist keine Rede, auch nirgends in den Gesetzespaketen, die wir haben; Sie haben darauf hingewiesen, Kollege Wiegard.

Die Bundesrepublik Deutschland leistet sich ein Gremium ausgewiesener, international anerkannter Fachleute zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Herr Kollege Hentschel, es wäre gut, wenn Sie einmal zur Kenntnis nehmen würden, was Leute, die etwas davon verstehen, dazu sagen. Der Sachverständigenrat, bekannt als die fünf Weisen, ist per Gesetz berufen und verpflichtet, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und eventuelle Störungen dieses Gleichgewichts zu beurteilen. So steht es im gesetzlichen Auftrag für dieses Gremium.

(Wolfgang Kubicki)

Im seinem aktuellen Jahresgutachten vom 13. November dieses Jahres stellt der Sachverständigenrat fest - jetzt kann ich Ihnen ein längeres Zitat nicht ersparen, weil die meisten von Ihnen ja doch nicht nachlesen -:

„Aller Voraussicht nach werden in diesem Jahr sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene die jeweiligen Defizite auch die in den Haushaltplänen veranschlagten Investitionsausgaben übersteigen. Nach Artikel 115 Grundgesetz ist dies als Ausnahmetatbestand nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig; ähnliche Bestimmungen finden sich in den Länderverfassungen. Nun könnte man sich die Sache einfach machen und etwa unter Verweis auf die hohe Arbeitslosigkeit eine Störung... feststellen. Dann wäre aber das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in den letzten zwei Jahrzehnten sehr häufig gestört gewesen. Eine solche Argumentation könnte allenfalls bei einer formalistischen Betrachtung überzeugen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. April 1989 dem Gesetzgeber zwar einen Spielraum bei der Einschätzung und Beurteilung des unbestimmten Rechtsbegriffes ‚Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes’ zugestanden, es hat aber auch auf einige Einschränkungen hingewiesen. So sei das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ‚dynamisch zu verstehen’ und es müsse ‚ernsthaft und nachhaltig gestört’ sein; für die Annahme einer solchen Störung komme es auf die ‚erkennbare Entwicklungstendenz’ an. Tatsächlich ist in diesem Jahr aber keine wesentlich größere Zielverfehlung im Hinblick auf das Wachstums- und Beschäftigungsziel festzustellen als in den letzten Jahren. Es liegt keine veränderte Entwicklungstendenz vor, die auf eine ‚ernste und nachhaltige’ Abweichung vom Trend und damit eine deutliche Verschlechterung bei der Zielerreichung schließen lässt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes muss die Bundesregierung überdies begründen, warum die erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der festgestellten Störung... geeignet ist. Diese Begründung muss vor dem Hintergrund der gesetzlich verankerten Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und Willensbildung (Finanzplanungsrat, Konjunkturrat, Sachverständigenrat... Bun- desbank) und der Auffassungen in der

Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft ‚nachvollziehbar und vertretbar’ sein (BVerfGE 79, 311). Der Sachverständigenrat sieht nicht, wie eine höhere Nettokreditaufnahme geeignet sein könnte, mögliche Zielverfehlungen in Form eines geringeren Wachstums oder einer zu hohen strukturellen Arbeitslosigkeit zu korrigieren. Allenfalls könnte eine höhere Staatsverschuldung bei einer schweren Rezession als geeignetes Instrument zur Abwehr einer solchen Störung in Erwägung gezogen werden. Von einer Rezession kann gegenwärtig aber nicht gesprochen werden.“

Wir halten diese Einschätzung der von der Bundesregierung berufenen Experten für zutreffend. Wir verwerfen die Ausflüchte der ausgewiesenen Nichtökonomen Eichel, Clement und Möller. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist nicht so gestört, dass der Nachtrag durch Artikel 53 der Landesverfassung gerechtfertigt wäre.