Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er investiert gar nicht!)

Hier ist die Bundespolitik gefordert, schnell die richtigen Antworten zu finden und Lösungen zu präsentieren, die grundlegende Reformen möglich machen: für den Arbeitsmarkt - hier scheint es glücklicherweise zumindest bei Hartz eine übergreifende Lösung zu geben -, für die Sozialversicherungen und für die Überführung des Beamtenrechts in ein allgemeines Dienstrecht. Ich wünschte, wir wären uns an dieser Stelle einig.

Die schleswig-holsteinischen Grünen werden sich nicht scheuen, lautstark eigenständig Vorschläge zu machen, so wie wir das auch in den letzten Jahren gemacht haben.

Hier in Schleswig-Holstein werden wir auch weiterhin mutig mit all denjenigen diskutieren, die vom Land mehr finanzielle Unterstützung erwarten, als wir zurzeit bereitstellen können. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr noch nicht alle Demonstrationen hinter uns haben.

Wir werden es ertragen müssen, dass die CDU auch weiterhin mit dem Füllhorn durch die Gegend läuft und 100 neue Polizisten, 200 neue Lehrerstellen, Millionen mehr für Straßen und Küstenschutz, für Werften und Kindertagesstätten, für Hochschulen und Vereine und Verbände verspricht. Wir werden damit leben müssen, dass die CDU Dinge fordert, die sie selber gar nicht in ihren Haushalt einstellt, weil es schlicht und ergreifend überhaupt nicht mehr geht. Ich erinnere an das Finanzausgleichsgesetz. Dabei haben Sie den Kommunen versprochen, dass Sie das, was das Land macht, rückgängig machen. Es ist in Ihren Haushaltsanträgen nicht enthalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber bei uns!)

Ich erinnere an die Landwirtschaftskammer. Sie haben hier gesagt, ab dem Jahr 2003 sei zu wenig Geld

vorhanden. Das wollten Sie rückgängig machen. Kein Antrag ist von Ihnen gekommen. Ich erinnere an den Sport, an die Minderheiten. Gestern haben Sie den Minderheiten erzählt, dass das, was Rot-Grün eingestellt habe - Sie ja nicht -, ganz knapp sei. Wo waren Ihre Anträge?

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Ich erinnere an das Familiengeld, letztes Jahr und vorletztes Jahr von Ihnen als große Lösung präsentiert. Heute suche ich in Ihrem Haushalt. Es steht überhaupt nicht drin. Das sind Eintagsfliegen, um der Bevölkerung etwas zu versprechen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Rolf Fischer [SPD]: Pres- semitteilung!)

Ich erinnere an die Oberflächenwasserentnahmeabgabe, die Sie nie wollten, aber fröhlich verfrühstücken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erinnere an die Landesentwicklungsgesellschaft, die Sie theoretisch jedes Jahr verkaufen, aber nur verkaufen können, weil wir sie nicht verkaufen. Sonst wäre Ihr Haushalt schon lange zusammengebrochen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das macht der Finanzminister jedes Jahr mit sei- nen Landesbankanteilen!)

Es gibt aber auch etwas Positives und Verbindendes. Das möchte ich an das Ende meiner Rede stellen. Ich war im Finanzausschuss letzte Woche schon sehr überrascht. Mein Kollege Arp leitete den Finanzausschuss - die FDP war leider noch nicht da - und fragte am Anfang, ob wir alle der mittelfristigen Finanzplanung des Landes zustimmen. Ja, sagten wir alle - gemeinsam mit der CDU. Da habe ich mich gefreut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang November gab es wahrlich ein paar schwarze Tage für die Bundesrepublik Deutschland. Der Bundesfinanzminister erhielt wegen der Überschreitung der so genannten Maastricht-Kriterien einen blauen Brief aus Brüssel. Hinzu kamen die Stellungnahme der fünf Wirtschaftsweisen zur aktuellen wirtschaftli

(Anke Spoorendonk)

chen Entwicklung und als Höhepunkt die neuesten Daten der Steuerschätzung, die Steuerausfälle in Milliardenhöhe für Bund, Länder und Kommunen sowohl für 2002 als auch für 2003 voraussagten.

Vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Haushaltslöcher in den Sozialversicherungen kommt die öffentliche Debatte seitdem verständlicherweise überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Ich will jetzt nicht der Diskussion über den Haushalt 2003 in der nächsten Woche vorgreifen. Heute nur so viel dazu: Natürlich befindet sich die Bundesrepublik in einer schweren Krise. Aber diese Krise ist nicht wegen der faktischen Lage so dramatisch oder weil wir uns jetzt nur noch im freien Fall abwärts bewegen. Aus meiner Sicht ist es eine sehr ernst zu nehmende Krise, weil die verantwortlichen gesellschaftlichen Kreise dieses Landes nicht dazu imstande sind, gemeinsame Lösungswege zu erarbeiten und durchzusetzen.

(Beifall beim SSW)

Die heutige Debatte ist auch ein Beispiel dafür.

Symptomatisch dafür ist das Schauspiel, das uns derzeit die Bundesregierung und die Opposition in Berlin vorführen, so wie das, was wir heute hier leisten. Nach den Hiobsbotschaften im November entschloss sich der Bundesfinanzminister vor dem Hintergrund des laufenden Haushalts zu einem Nachtragshaushalt. Auch für Schleswig-Holstein ergab sich aus Sicht des SSW keine andere Möglichkeit, als das große Haushaltsloch durch einen Nachtragshaushalt zu schließen. Wie angeschlagen die bundesdeutsche Finanzordnung ist, ersieht man auch daran, dass rund die Hälfte der Bundesländer in diesen Tagen wegen der massiven Steuerausfälle einen Nachtragshaushalt für das laufende Haushaltsjahr beschließen müssen. Dabei ist es in der Geschichte des Landes SchleswigHolstein ein einmaliger Vorfall, dass wir heute einen Nachtragshaushalt nur beschließen können, indem wir eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen, weil wir sonst nicht mehr die notwendigen Kredite aufnehmen könnten, um das aktuelle Haushaltsloch für 2002 zu decken.

Wer hätte sich eine solch dramatische Entwicklung vorstellen können, als wir hier im Landtag vor genau einem Jahr den Haushalt für 2002 beschlossen haben? Wir nicht. Natürlich gab es auch damals schon einige Unsicherheiten darüber, wie der Haushaltsvollzug verlaufen würde. Insbesondere gab es unterschiedliche Auffassungen über die Höhe des Wirtschaftswachstums, die natürlich entscheidend für die Einnahmesituation des Landes ist. Dem Landeshaushalt 2002 lag ein erwartetes Wirtschaftswachstum von 1,25 % zugrunde. Leider hat sich nun gezeigt, dass

das Wirtschaftswachstum für 2002 sehr wahrscheinlich unter 0,5 % fallen wird. Man kann natürlich sagen, dass diejenigen, die letztes Jahr vor zu optimistischen Prognosen gewarnt hatten, Recht behalten haben.

Der Einbruch des Wirtschaftswachstums als Folge der internationalen Konjunkturschwäche kann aber nicht allein die massiven Steuerausfälle von über 400 Millionen € erklären. Statt der veranschlagten 5,6 Milliarden € werden die Steuereinnahmen in diesem Jahr voraussichtlich nur 5,2 Milliarden € betragen. Das Defizit von genau 430 Millionen € erklärt sich aber auch aus dem fast völligen Ausfall der Körperschaftsteuer. Dazu wurde bereits oft gesagt. Im Haushaltsentwurf vom Dezember 2002 rechnete die Landesregierung für dieses Jahr noch mit Einnahmen in Höhe von über 400 Millionen € aus dieser Steuer. Nach der November-Steuerschätzung sind - wie Sie wissen - nur noch circa 40 Millionen € zu erwarten. Damit fehlen allein aus der Körperschaftsteuer für dieses Jahr über 360 Millionen €. Das Haushaltsloch für Schleswig-Holstein lässt sich also fast ausschließlich durch die Fehlentwicklung bei den Einnahmen für die Körperschaftsteuer erklären.

Mit anderen Worten: Welch eine katastrophale Fehleinschätzung der rot-grünen Bundesregierung, die durch die Unternehmensteuerreform die neuen Regelungen für die Körperschaftsteuer eingeführt hat. Nicht nur die Länder haben die Folgen zu spüren bekommen, sondern auch die Kommunen müssen bei ihrem Anteil an der Körperschaftsteuer mit starken Einnahmeverlusten rechnen. Deshalb ist die Landesregierung an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Schließlich hat sie dieser Reform im Bundesrat zugestimmt. Wir begrüßen aber natürlich, dass sich die Landesregierung und ihr Finanzminister schon seit Anfang des Jahres eines Besseren besonnen und eine Änderung in diesem Bereich gefordert haben.

Die Änderung der Körperschaftsteuer muss aber schnellstens umgesetzt werden. Es kann nicht weiter angehen, dass die Länder und Kommunen vor der Pleite stehen, während viele große Konzerne sogar Geld von der Steuer zurückbekommen. Dies gilt umso mehr, als diese massiven Steuersenkungen für die Wirtschaft, wie wir jetzt wissen, leider keine positiven Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung gehabt haben. Daher ist es einfach zu schlicht gestrickt, wenn man behauptet, durch Steuersenkungen kann man die Wirtschaft ankurbeln. So läuft das Geschäft anscheinend nicht.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten I- rene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

(Anke Spoorendonk)

Darüber hinaus muss man immer noch die Ungleichheit bei der steuerlichen Behandlung von Personengesellschaften und Aktiengesellschaften beklagen, die durch diese Unternehmensteuerreform entstanden ist. Wir erwarten deshalb auch, dass die unionsgeführten Länder im Bundesrat einen entsprechenden Vorstoß der Bundesregierung unterstützen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Schließlich hat der damalige Kanzlerkandidat der Union, Ministerpräsident Stoiber, diese Forderung im Wahlkampf erhoben. Auch in dieser Frage muss mit der klassischen Blockadehaltung einer Opposition im Bundesrat endlich Schluss sein.

(Beifall bei SSW, SPD und der Abgeordne- ten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es geht hier um das Wohl des Gemeinwesens, insbesondere aber auch um das Wohl der Kommunen. Sieht man sich im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt noch einmal die Entwicklung der Steuereinnahmen für Schleswig-Holstein an, und zwar einschließlich des Länderfinanzausgleichs und der Bundesergänzungszuweisung - denn diese Gelder kommen ja letztlich bei uns an -, so muss man feststellen, dass die geschätzten Steuereinnahmen für 2002 mit über 5 Milliarden € die niedrigsten Steuereinnahmen seit 1997 sind. Diese Zahlen machen deutlich, vor welchen Problemen wir stehen, denn die Ausgaben sind leider nicht entsprechend gesunken. Dies gilt trotz der vielen Anstrengungen der Landesregierung, die Ausgabenentwicklung in den Griff zu bekommen. Das muss man hinzufügen.

Ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, die Ausgaben im Landeshaushalt konsequent zu senken, ist die Beihilfe für die Landesbediensteten. Schon 1999 hatte der Landtag durch eine Gesetzesänderung versucht, die stark ansteigenden Beihilfekosten zu reduzieren. Dieses Gesetz, das Leistungsansprüche reduzierte, griff nur ein paar Jahre. Mit dem Nachtragshaushalt müssen wir feststellen, dass die Beihilfekosten in diesem Jahr rund 8 Millionen € über den erwarteten Kosten liegen. Eine der Hauptursachen ist auch darin zu suchen, dass wir jetzt wieder mehr verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer verzeichnen können, die natürlich auch Beihilfeansprüche haben. Damit zeigt sich wieder einmal, dass Maßnahmen, die im Landeshaushalt kurzfristig zu finanziellen Entlastungen führen, wie zum Beispiel die Verbeamtung der Lehrerinnen und Lehrer, längerfristig dennoch zusätzliche Ausgaben verursachen.

Auch in anderen Bereichen sind die Kosten mehr als budgetiert gestiegen. Das gilt zum Beispiel für die Lehrerpersonalkosten, die rund 13,9 Millionen € über dem Soll liegen. Auch hier sind einige der Ursachen interessant: Landauf, landab fordern Eltern und Öffentlichkeit zu Recht, dass das Problem der fehlenden Unterrichtsversorgung gelöst wird. Diesem Ansinnen ist das Bildungsministerium zum Beispiel durch den verstärkten Einsatz von Lehrkräften nachgekommen. Natürlich kostet all dies zusätzliches Geld. Hier gibt es also einen Konflikt zwischen dem Ziel der besseren Unterrichtsversorgung und dem Ziel, die Personalbudgets nicht ansteigen zu lassen.

Leider hat es auch in einem anderen Einnahmebereich Probleme gegeben, auf die das Land wenig Einfluss hat, dessen finanzielle Folgen wir aber dennoch tragen müssen. Die Einnahmen der Gerichtskosten sind circa 8 Millionen € hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Hier hat sich unter anderem das bundesgesetzlich geregelte Insolvenzrecht negativ auf die Finanzen des Landes ausgewirkt. Alle Beispiele zeigen, dass sich trotz guten Willens zur Konsolidierung des Landeshaushalts nicht immer alles so umsetzen lässt, wie es sich die Öffentlichkeit vorstellt.

Finanzminister Möller hat die Tatsache, dass beim Nachtragshaushalt sowieso eine Nettoneukreditaufnahme über dem verfassungskonformen Niveau der Investitionen hinaus getätigt werden musste, dazu benutzt, um noch andere Haushaltsprobleme zu lösen. Neben der Bürgschaft für die Flender-Werft, wer wollte diese Bürgschaft nicht? - denke ich hier insbesondere an den geplanten Verkauf der 5 % Landesanteile an der Landesbank, der im Haushalt mit 100 Millionen € Einnahmen angesetzt war. Ich habe es bereits bei der Debatte um das Sparkassengesetz gesagt: Der SSW unterstützt die Landesregierung in ihrem Bestreben, diesen Verkauf erst einmal zu verschieben. Die aktuelle Situation ist nicht so, dass man einen Käufer bekommen könnte, der diesen Preis bezahlen würde. Von daher wenden wir Schaden vom Land ab, wenn wir für den Verkauf einen günstigeren Zeitpunkt abwarten.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Soweit ich mich erinnern kann, hat auch der ansonsten von mir geschätzte Kollege Kubicki immer vor einem zu billigen Verkauf der Anteile an der Landesbank gewarnt. Allerdings will er jetzt in seinen Haushaltsanträgen die gesamte Landesbank verkau

(Anke Spoorendonk)

fen. Das kann man natürlich nur einmal machen. Wie so vieles bei der FDP hängt dies nicht zusammen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Kannst du das mal erklären?)

- Man kann sie nur einmal verkaufen.

Als Folge dieser ganzen Entwicklung muss das Land im Nachtragshaushalt seine Nettokreditneuaufnahme verdoppeln und sich um insgesamt über 1 Milliarde € neu verschulden. Wie schon gesagt, ist dies eine Entwicklung, die in dieser Größenordnung noch nie da gewesen ist. Eine solche Neuverschuldung ist nach Artikel 53 der Landesverfassung nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - diese muss der Landtag feststellen - möglich.

Nun können wir gerne in eine theoretische Diskussion darüber eintreten - diese führen wir zum Teil ja bereits -, ob eine solche Störung vorliegt oder nicht. Natürlich kann man bei einem positiven Wirtschaftswachstum - das haben wir ja immer noch - sagen, dass objektiv gesehen keine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt. Allerdings frage ich mich dann: Warum wird von der Presse, den Wirtschaftsverbänden oder anderen Interessenorganisationen in diesem Land seit Wochen so laut herumgejammert und so getan, als stünde das Ende des Abendlandes bevor, obwohl wir doch überhaupt keine Probleme haben?

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich möchte hinzufügen: Der SSW sieht dies alles pragmatisch.