Protokoll der Sitzung vom 13.07.2000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erfreulicherweise wird der Bericht des Bildungsministeriums zur Unterrichtssituation immer dicker. Das heißt nicht nur, dass das Zahlenwerk, das jedes Jahr vorgelegt wird, sondern gerade auch - wie die Ministerin betonte - die qualitativen Aspekte der Unterrichtsversorgung eine immer größere Rolle in der Berichterstattung spielen, weil es hierzu immer mehr Erfreuliches zu berichten gibt. Das ist gut so. Es ist auch richtig, dass diese gute Qualität zu einem Bericht über die Unterrichtsversorgung gehört.

Auf einige dieser Qualitätsaspekte möchte ich eingehen. Aufgrund der neuen Durchlässigkeit und neuen Chancen für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger durch Veränderungen der Prüfungsordnung können immer mehr Jugendliche mit einem Berufsschulabschluss gleichzeitig einen weiterführenden Schulabschluss erreichen. Es ist nicht nur etwas am Abitur geändert worden, sondern auch an der Berufsschulordnung, Fachschulordnung und Berufsfachschulordnung. Ich möchte Sie hier nicht mit den Details quälen, aber der Effekt, dass wir tatsächlich eine größere Durchlässigkeit in unserem Bildungssystem haben, ist positiv. Dies möchte ich unterstreichen, weil das meistens in den Zahlenvergleichen, die uns hier alljährlich vorgelegt werden, untergeht.

Die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft äußert sich auch in dem Berufswahlpass, der gerade für unsichere Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger eine Orientierung bietet und ihre Versuche dokumen

tiert.

Das Stichwort des Generationenvertrags macht sich auch an den Erträgen der so genannten 58er-Regelung fest, die - auch wenn dies vielleicht hier im Hause bereits vergessen wurde - eine Regelung aus der letzten Legislaturperiode war und zu mehr Referendarstellen, zu mehr Unterrichtsstunden für Kinder und Jugendliche und zu Maßnahmen für Jugendliche mit Schulschwierigkeiten und Berufsanfangsschwierigkeiten geführt hat.

Interkulturelle Bildung ist ein weiteres Stichwort. Dies hat einen größeren Horizont, als gemeinhin angenommen wird. Ich möchte an dieser Stelle ganz bewusst hervorheben, wie wichtig Schleswig-Holstein das Thema der nicht sprechenden Kinder nimmt und wie fortschrittlich Schleswig-Holstein ist. Wir sind eines der wenigen Länder, in denen sowohl in der Ausund Fortbildung als auch im Unterricht Gebärdensprache eine tatsächliche Rolle zu spielen beginnt. Diesen Weg sollten wir weiter beschreiten. Ich erinnere an die Klage von Fachleuten, dass andere Bundesländer - ich nenne beispielweise nur die Metropole Berlin - noch längst nicht so weit sind.

Interkulturelle Bildung heißt nämlich, sogar von denen zu lernen, die nicht sprechen können, aber auch von denen, die verschiedene Sprachen können. Das wird in einer globalisierten Welt immer wichtiger. Dazu brauchen wir nicht nur die IT-Anschlüsse. Dazu brauchen wir auch die Zweisprachigkeit als Regelphänomen. Wir müssen anerkennen, dass immer mehr Kinder in unseren Schulen Deutsch nicht als Muttersprache sprechen oder darüber hinaus vielleicht noch eine zweite Muttersprache sprechen. Das ist nicht eine Last, sondern das ist ein Schatz, den es zu heben gilt. Daher begrüße ich, dass sich eine zunehmende Zahl von Lehrerinnen und Lehrern fortbildet, hierzu Schwerpunkte im Unterricht setzt und dass die Ausbildung dem künftig Rechnung trägt.

Es ist ein Phänomen dieser interkulturellen Bildung, das nach wie vor unterschätzt wird. In diese Interkulturalität hat sich die Diskussion über bilingualen Unterricht einzuordnen. So macht es Sinn. Es sollte aber nicht gegeneinander ausgespielt werden: Zweisprachige Kinder, die in die Schule kommen, und diejenigen, die die Zweitsprache erst in der Schule erwerben.

Einen Aspekt möchte ich jedoch kritisch anmerken, gerade wenn wir von Generationengerechtigkeit sprechen. Ich glaube, wir können es uns in der Zukunft angesichts der Generationenwende, die wir an den Schulen haben, nicht leisten, zu viele Referendarinnen und Referendare abzuweisen. Frau Erdsiek-Rave,

(Angelika Birk)

Sie haben darauf hingewiesen, dass trotz der Angebote anderer Bundesländer viele junge Leute gern zu uns kommen. Wir wissen aber, dass es in den nächsten Jahren in vielen Fächern etwas lückenhaft werden kann, weil zu wenig Leute den Lehrberuf studieren. Wenn wir jetzt erst anfangen zu werben, könnte es sein, dass Studenten erst fertig sein werden, wenn sie sozusagen „überflüssig“ sind. Wir brauchen aber gerade in den nächsten Jahre eine Brücke.

Hier müssen wir ungewöhnliche Wege gehen. Ich denke da gerade an den Berufsschulunterricht, aber auch an alle Schularten. Wir sollten im Ausschuss vertiefend darüber sprechen, wie wir zu Lösungen kommen, sodass dieser Generationenwechsel schnell und pädagogisch verantwortlich gestaltet werden kann.

Ich begrüße außerordentlich, dass wir gerade zum Generationenwechsel der Schulleiterinnen und Schulleiter eine Kommission haben. Ich hoffe, dass hier das Thema der Frauenförderung eine Rolle spielen wird. Denn es ist eine einmalige Chance, endlich mehr Frauen für die Aufgabe der Schulleitung zu gewinnen. Dazu gehört allerdings auch, sich über die Aufgaben zu verständigen. Hierzu gibt es natürlich im modernen Schulwesen andere Aufgabenanteile als früher.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal daran erinnern: Es ist schade, dass im Bericht nicht betont wurde, dass wir beim Thema der Lehrerinnen- und Lehrerarbeitszeit neue Wege gehen. Das Land bereitet gemeinsam mit all denen, die daran mitwirken wollen, Modellversuche zu diesem Thema vor. Das ist auch ein Impuls, den Schleswig-Holstein gibt und der nach vorn weist und der endlich von dem schlechten Lehrerimage weg führt, dieses realistisch bewertet und das, was getan werden muss, zu neuen Arbeitseinheiten zusammenfasst.

Die Frage, wer wie viele Stellen bekommt, ist ein beliebtes Thema der F.D.P.-Fraktion, aber nicht nur der F.D.P.-Fraktion, denn zu Recht interessiert es natürlich alle Eltern und viele Kinder und Jugendliche, wo diese 1.200 Stellen, deren Schaffung für die Zukunft beschlossen wurde, und wo die 200, die jedes Jahr hinzukommen, eingesetzt werden. Es dürfte nicht schwer sein, sich hierüber Klarheit zu verschaffen.

Wir sind uns ja in der Vergangenheit einig darüber gewesen, dass gerade die Hauptschulen immer mehr ins Abseits geraten sind. Zu Recht ist hier auch von vielen Verbänden angemahnt worden, die Initiative für die Hauptschule zu ergreifen. Es gibt Erstaunliches, was die Hauptschulen leisten. Auch dies haben wir gemeinsam unterstrichen. Deshalb ist es richtig, dass wir hier einen Akzent gesetzt haben.

Es ist festzustellen, dass sich das Gros der Schülerin

nen und Schüler an den Realschulen befindet und dass wir gerade hier einen besonders großen Anteil der jetzigen Generation haben. In Zukunft drohen die Klassen eher größer denn kleiner zu werden. Dass wir hier bei der Einstellung und Weitergabe von Stellen Schwerpunkte setzen, ist richtig.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmahnen: Lassen Sie uns die Qualitäten, die wir für die Schulen beschlossen haben, nicht aufweichen! Es ist wichtig, dass alle Schularten wissen, dass sie bei der Verteilung nicht vergessen worden sind, sondern dass eine bewusste Entscheidung gefällt worden ist. Es ist keine Entscheidung für die Ewigkeit, sondern eine, die sich an den aktuellen Bedürfnissen orientiert. In jedem Jahr wird natürlich neu geprüft und entschieden. Es wäre vielleicht leichter, mit dieser Entscheidung umzugehen, wenn wir uns in allen Fraktionen ernsthaft mit dieser Sache befassen und die Zahlen kennen und diese nach außen vertreten können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind wir den Eltern schuldig. Das ist kein Aufwand an Bürokratie, sondern gerade in Zeiten knapper Mittelvergabe ein Gebot der Fairness.

Die Mitverantwortung von Schülerinnen und Schülern hat Frau Erdsiek-Rave heute zu Recht besonders hervorgehoben. Sie zeigt sich jeden Tag in der Schule. Ich möchte das an dieser Stelle besonders würdigen. Vielleicht werden uns künftige Berichte darüber noch mehr Auskunft geben können. Es passiert ja schon sehr viel mehr, als man überhaupt in eine solche überschaubare Zusammenstellung hineinschreiben kann. Es gibt sehr viele Schulen, die Schulpartnerschaften innerhalb und außerhalb Europas haben. Sie setzen sich mit gemeinnütziger Tätigkeit auch außerhalb eines solchen Aktionstages für die Zusammenarbeit und Unterstützung von Schulen in insbesondere ärmeren Regionen dieser Welt ein.

Die Schülerinnen und Schüler haben das Thema „Schulprofil“ so kreativ aufgegriffen, dass ich nur sagen kann: Wir haben viel von ihnen zu lernen. Eine Broschüre mit der Überschrift „Der Weg ist das Ziel“ herauszubringen und damit alle Altersgruppen zu ermutigen, am Profil ihrer Schule mitzuwirken, ist das Schönste, was sich Pädagoginnen sowie Pädagogen und Eltern wünschen können. Denn so viel Verantwortung zu übernehmen, an diesem Prozess selber mitzumachen und die eigene Kraft, die eigene Kreativität einzubringen, ist das, was man unter Schlüssel

(Angelika Birk)

qualifikation versteht. Das ist das, was man unter Mündigkeit versteht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle der Schülerschaft zu diesem Schritt gratulieren und finde es auch wert, dass er an dieser Stelle beim Thema der Unterrichtsversorgung erwähnt wird. Es ist das, was die Schülerinnen und Schüler dazu beitragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile der Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bericht befasst sich erwartungsgemäß mit all den Fragen, die auch sonst die bildungspolitischen Debatten des Landtages bestimmen. Dauerthema Nummer eins ist die Unterrichtsversorgung, gefolgt von der Entwicklung der Schülerzahlen und der Übergänge auf weiterführende Schulen. Es würde zu weit führen, hier auf alles einzugehen; ein paar Bemerkungen müssen genügen.

Stichwort Nummer eins - Unterrichtsversorgung! Das Konzept der Landesregierung mit den Stundengebermitteln ist positiv und hat zu spürbaren Entlastungen geführt. Es lässt sich aber auch nicht verhehlen, dass es nach wie vor Versorgungsengpässe gibt. Hier muss also noch mehr getan werden, obwohl wir natürlich wissen, dass es angesichts der Haushaltssituation keine großen Sprünge, sondern allenfalls kleine Schritte geben kann.

Die Diskussion der Unterrichtsversorgung hat aber auch immer eine qualitative Komponente, denn man muss sich fragen, ob man eher große oder eher kleine Klassen haben will. Der SSW spricht sich eindeutig für kleine Klassen aus. Dann muss man eben in Kauf nehmen, dass es hier in der Unterrichtsversorgung nicht so schnell vorangeht wie in Ländern, die auf große Klassen setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Klassenfrequenzen insgesamt geringfügig gestiegen sind, was eine Belastung - insbesondere in den Berufsschulen - darstellt.

Zu dem Stichwort „Übergänge zu weiterführenden Schulen“! Jahr für Jahr setzt sich der Trend fort, dass Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen immer mehr frequentiert werden, während die Hauptschulen an Attraktivität verlieren. Die Übergangsquote der Hauptschule beträgt jetzt noch 20,2 % und ist damit gegenüber dem letzten Schuljahr um weitere

0,6 Prozentpunkte zurückgegangen. Die Schere zwischen Empfehlungen und Anmeldungen klafft also inzwischen bei Hauptschulen um 13 % und Gymnasien um 7,5 % immer weiter auseinander.

Darum möchte ich gern hinzufügen: Wer sagt, die Hauptschule müsse gestärkt werden - der Kollege de Jager sagte es vorhin und bot an, dass man dies auch im Dialog, im Konsens tun könnte -

(Jost de Jager [CDU]: Die Ministerin auch!)

- Ja, gut, die Ministerin bot ebenfalls einen Dialog an. Das ist ja alles richtig und in Ordnung. Aber Sie, Herr de Jager, sagten, Voraussetzung sei, dass man zu einer Hauptschulabschlussprüfung komme. Alle Zahlen des Berichts belegen aber, dass dies nicht das Problem ist. Das Problem liegt vielmehr darin, dass Eltern für ihre Kinder das Beste wollen, und sie wissen - weil sie das in den Medien sehen, weil sie es in der Wirklichkeit, in der sie leben, immer wieder sehen -, dass das Beste für ihre Kinder heißt, eine weiterführende Schule zu besuchen.

(Unruhe)

Das heißt, das, was Sie wollen - damit bin ich wieder bei dem, was wir vorhin diskutiert haben -, ist eine Einschränkung des Wahlrechts der Eltern; anders kann ich das nicht sehen. Damit müssen wir uns im Ausschuss wirklich auseinander setzen.

(Anhaltende Unruhe)

Wir wollen die Diskussion hier jetzt nicht vertiefen, aber im Ausschuss müssen wir sie führen.

Besonders bemerkenswert ist auch die Verteilung von Jungen und Mädchen auf einzelne Schularten,

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: In der Tat!)

denn der Mädchenanteil beim Übergang zu Hauptschulen ist unterdurchschnittlich und beim Übergang zu Realschulen und Gymnasien überdurchschnittlich. Dazu kann man vieles sagen. Auch dies können wir im Ausschuss vielleicht einmal etwas vertiefen.

Schon im letzten Jahr habe ich bei diesem Thema gesagt, dass der erste Schritt zu einer ungeteilten Schule - das ist es ja, was der SSW will - die Einführung einer sechsjährigen Grundschule sei. Ich denke, dass die Einführung der sechsjährigen Grundschule bei diesem Punkt vielleicht sogar Erleichterung schaffen könnte.

Aus der Sicht des SSW sind aber auch weitere Strukturfragen anzugehen, so etwa, dass Hauptschulen nicht nur für sich selbst gestärkt werden, sondern

(Anke Spoorendonk)

dass man in der Zusammenarbeit von Schularten Perspektiven schafft.

(Anhaltende Unruhe)

Das nächste Stichwort sind Qualitätsaspekte! Die Qualitätsdebatte und die Evaluation sind natürlich grundsätzlich begrüßenswert. Der Bericht gibt darüber eine detaillierte Übersicht. Bei den Vergleichsstudien sehe ich aber immer noch Grund für eine gewisse Skepsis, denn sie dürfen nicht unkritisch betrachtet werden. Außerdem erinnert der SSW daran, dass Kosten und Leistungen dieser Vergleichsstudien in einem vernünftigen Verhältnis stehen müssen. Nach der TIMS-Studie soll nun - wir wissen es alle - die PISAStudie kommen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur einmal daran erinnern, dass die Tests der TIMSStudie für deutsche Schüler doch eher ungewohnt waren - jedenfalls ist mir das so gesagt worden - und daher auch zum Teil verzerrte Ergebnisse brachten.

(Anhaltende Unruhe - Glocke der Präsiden- tin)