Protokoll der Sitzung vom 21.02.2003

(Rolf Fischer)

der föderalistischen Ordnung ist für uns die Chance, als Landesparlamente in die Diskussion wieder hineinzukommen und uns zu stärken.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Landtagspräsident Arens hat bereits darauf hingewiesen, dass wir allerdings im Augenblick im doppelten Sinne dazu nicht gefragt sind. Wir sind zwar laut Verfassung oberstes Organ der politischen Willensbildung, sind aber aus der aktuellen Diskussion fast ausgeschlossen.

Lassen Sie mich aus europäischer Sicht Folgendes sagen: Immer wieder wird beklagt, dass Europa seine Bürgerinnen und Bürger nicht erreicht. Wenn aber Europa unter Ausschluss der Kräfte gestaltet wird, die es später tragen sollen, frage ich mich, wie das gehen soll.

Wir haben gerade als Landesparlamente die große Möglichkeit und damit auch die Pflicht, Europa zu den Menschen zu bringen. Das ist unser Anliegen, das wird von uns erwartet und dazu benötigen wir auch die Stärkung der europapolitischen Informations- und Kontrollinstanzen und Beteiligung hier im Parlament, das heißt eine Stärkung der Funktionen, die die Europaarbeit dieses Parlaments stärken. Ich mache den Vorschlag, dass wir auch in diese uns betreffende Diskussion im Rahmen der Konventdebatte einsteigen.

Wir haben auch Erwartungen als Region an Europa. Zumindest die Chance, diese Erwartungen zu äußern, müsste uns auch eingeräumt werden. Das ist im Rahmen des EU-Konvents direkt nicht der Fall, obwohl es dort um Themen wie Subsidiarität und Kompetenzverteilung geht, also Punkte, die uns unmittelbar betreffen.

Wir sehen uns also aufgefordert, unsere Forderungen und Vorstellungen in den aktuellen Prozess der Verfassungsgebung auf europäischer Ebene einzubringen. Der Konvent der Landesparlamente in Lübeck bietet hierfür eine gute und geeignete Plattform. Insoweit ist es nicht nur eine Frage der Möglichkeit, sondern auch eine Frage des Selbstverständnisses, dass sich alle Fraktionen hinter der Konventidee versammeln und deren zentrale Forderungen unterstützen. Unter diesen Forderungen befinden sich eben essentielle Punkte, die das Gebot der Subsidiarität und der klaren und nachvollziehbaren Kompetenzverteilung zwischen Europa, Bund und Land sichern.

Klare Kompetenzverteilung und Teilhaberechte müssen sich, wenn auf europäischer Ebene eingefordert,

selbstverständlich auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern fortsetzen. Es ist sicher nicht nur konsequent und folgerichtig, sondern schlichtweg notwendig, die Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben hierbei als ein zentrales Ziel anzugehen sowie eine Neuschneidung der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung zu diskutieren, um damit die Möglichkeiten des weiteren Kompetenzverlustes der Landtage einzudämmen und neue Kompetenzen hinzuzufügen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mit den vorangegangenen Inhalten habe ich insbesondere die Rückgewinnung und die Sicherung von Kompetenzen durch die Länder beschrieben. In diesen Dingen befinden wir uns in hundertprozentiger Übereinstimmung, in Deckungsgleichheit mit den Regierungen. Doch die Parlamente müssen mehr fordern. Es kann und darf nicht möglich sein, dass ohne Zustimmung der Mehrheit der Landtage über deren legislative Kompetenzen bestimmt wird. Das gilt für die Übertragung von Kompetenzen sowohl auf den Bund als auch auf die europäische Ebene. Da dies ohne eine Mehrheit im Bundesrat aber schlichtweg unmöglich ist, sind den Landtagen im Bundesratsverfahren über die Landesregierungen nicht nur informelle, sondern Mitwirkungsbefugnisse einzuräumen. Die im Entwurf aufgestellte Forderung gegenüber den Landesregierungen, in Fällen der Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen von den Ländern auf eine andere Ebene entsprechende Voten der Landesparlamente im Bundesrat maßgeblich zu berücksichtigen, halte ich hierbei für wegweisend.

Meine Damen und Herren, wir können auf der Basis des vorliegenden Entwurfs die Position zur Stärkung der Länder und ihrer Parlamente in die derzeitige Modernisierungsdebatte auf Bundes- und Europaebene einbringen. Ich bin ebenso sicher, dass wir erst am Anfang des Weges stehen und dieser nicht schon in Lübeck am 31. März enden wird. Wir haben mit dem Entwurf zum Konvent eine Grundlage, die es nun weiterzuentwickeln gilt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir wollen als Parlament weg vom Exekutivföderalismus, hin zu einem echten Beteiligungsföderalismus.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir setzen dabei auf die Stärkung des Demokratieprinzips, das heißt auf eine angemessene Teilhabe der Parlamente am europäischen und am bundesweiten Integrationsprozess, also auf einen Zuwachs an Kompetenzen. Es liegt in unserer Hand, diesen Zuwachs herbeizuführen.

(Rolf Fischer)

Im Namen der SPD-Fraktion bedanke ich mich beim Landtagspräsidenten für dessen Initiative zum Föderalismuskonvent, insbesondere auch für die Chance, dass die Fraktionen mit eingebunden wurden. Ich meine, wir können mit diesem Konvent in Lübeck den Landesparlamenten Gewicht und Stimme verleihen und den Prozess der Modernisierung mitbestimmen. Daran wird sich die SPD-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag gern weiter beteiligen. Wir werden dem vorgelegten Entwurf zustimmen.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt dem Oppositionsführer und CDU-Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Martin Kayenburg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wort „Reform“ ist zurzeit in der deutschen Politik wohl der am häufigsten verwendete Begriff. Auf nahezu allen Politikfeldern sind Reformen notwendig: in der Renten- und Krankenversicherung, beim Bildungswesen, bei den öffentlichen Finanzen und bei der Finanzierung von Gebietskörperschaften.

Lassen Sie mich auch anmerken: Nach der Fragestunde habe ich den Eindruck, dass auch Reformen im Parlamentsverständnis bei der Regierung dringend erforderlich sind.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deutschland hat einen gewaltigen Reformstau, der ganz schnell aufgelöst werden muss, wenn unser Land zukunftsfähig bleiben soll. Aber gerade wir in Deutschland gehen mit Reformen, anders als die anderen europäischen Länder, sehr umständlich um und scheitern häufig dabei. Es gibt viele Baustellen, aber ernsthafte Veränderungen sind kaum zu erkennen. Es gibt keine wirklichen Reformen. Umso größer ist die Herausforderung beim Föderalismus.

Die existenziellen Grundfragen unserer Gesellschaft werden nicht mehr entschieden, nicht nur, weil sich die Mentalität breit gemacht hat, es allen recht machen zu wollen, nicht nur, weil alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, von Gewerkschaften bis hin zu Industrieverbänden, mitreden wollen, sondern weil auch im deutschen Mitwirkungsföderalismus alle staatlichen Ebenen vom Bund bis zu den Kommunen in der jeweils anderen Ebene mitreden und mitbestimmen wollen. Damit blockieren sich die Ebenen gegenseitig und am Ende wird nichts entschieden.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD]: Da ist was dran!)

Eine Reform des Föderalismus ist deshalb dringend erforderlich. Dabei hat sich der deutsche Föderalismus seit 1949 durchaus bewährt, ist aber in den letzten Jahren mehr und mehr zu einer Blockadeveranstaltung geworden, in der die eine Ebene jeweils die andere anbindet.

Die CDU-Fraktion begrüßt deswegen die Einberufung des ersten Föderalismuskonvents der deutschen Landesparlamente am 31. März dieses Jahres. Da gilt unser Dank insbesondere auch unserem Landtagspräsidenten.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir freuen uns aber auch, dass für diese Veranstaltung gerade die in der deutschen Staatsgeschichte so bedeutende Hansestadt Lübeck ausgesucht worden ist.

(Vereinzelter Beifall)

Der vorliegende Entwurf einer Resolution der Präsidentinnen und Präsidenten und der Fraktionsvorsitzenden der deutschen Landesparlamente greift im Wesentlichen die Schwerpunkte auf, die wir schon am 26. September 2001 auf Antrag von CDU, SPD, FDP und der Abgeordneten des SSW zur Stärkung des Föderalismus und des Regionalprinzips hier verabschiedet haben, leider ohne die Stimmen der Grünen.

Ich möchte noch einmal drei Forderungen davon herausstellen, die mir bei einer Reform und Stärkung des Föderalismus ganz besonders wichtig erscheinen. Das ist vor allem die Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder, das ist die Mitwirkung der Landesparlamente im Bundesrat und das ist eine Finanzreform, die eine Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorsieht.

Eine Reform, eine Neuorientierung des Föderalismus muss eine Stärkung der Entscheidungskompetenzen und eine Stärkung der Eigenverantwortung der Länder ergeben. Wir beobachten den Kompetenzzuwachs des Bundes in fast allen Politikbereichen mit großer Sorge. Für die Länder bleiben nur noch geringe Gestaltungsspielräume. Die Verabschiedung von Landesgesetzen verliert auch in unserem Schleswig-Holsteinischen Landtag immer mehr an Bedeutung. Stattdessen ist unsere Parlamentsarbeit durch unendlich viele Anträge und Berichte geprägt. Stattdessen müssen wir jahrelang über Kormorane, über die Bahnhofsmodernisierung, über den Sauerstoffmangel in der Ostsee oder über das Halten und Beaufsichtigen von Hunden entscheiden. Sind das denn wirklich

(Martin Kayenburg)

die Themen, die für das Landesparlament unabdingbar notwendig sind?

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sauerstoffmangel in der Ostsee ist ernst zu nehmen!)

- Wenn Sie etwas sagen wollen, Frau Fröhlich, kommen Sie doch hierher!

In der konkurrierenden Gesetzgebung hat sich der Bund in immer mehr Aufgabenbereiche hineingedrängt. Selbst bei der Rahmengesetzgebung, wie zum Beispiel beim Beamtenrecht, bleibt den Ländern kaum noch ein eigener Gestaltungsspielraum. Damit ist der föderale Grundgedanke, der davon ausgeht, dass der Bund als Gesamtstaat nur für die Dinge zuständig ist, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen, genau ins Gegenteil verkehrt worden.

Mit Artikel 70 des Grundgesetzes haben die Väter des Grundgesetzes bestimmt, dass die Länder das Recht zu Gesetzgebungsbefugnissen haben. Dieser Artikel verleiht dem Bund nur Gesetzgebungsbefugnisse in dem Umfang, in dem die Länder diese Rechte nicht wahrnehmen. Dieser Grundsatz gibt zunächst den Ländern das Recht, entsprechend zu entscheiden. Er ist aber heute ins Gegenteil verkehrt worden.

Deshalb ist es dringend erforderlich, die Gesetzgebungskompetenzen zugunsten der Länder neu zu regeln. Es geht darum, dass die positiven Wirkungen des föderalen Systems im Interesse des Bundes, aber noch mehr im Interesse der Bürger und im Interesse der Länder verstärkt werden müssen.

Mit unserem Beschluss vom 26. September 2001 haben wir hierzu bereits sehr konkrete Vorschläge gemacht. Ich will mir ersparen, darauf noch einmal im Einzelnen einzugehen.

Aber ein weiterer Punkt, der dringend der Reform bedarf, ist unseres Erachtens unsere Mitwirkung im Bundesrat. Die Landesregierungen haben verfassungsrechtlich das Mandat, die Interessen der Länder über den Bundesrat auf der Bundesebene wahrzunehmen. Der Landtag wird als vom Volk gewähltes oberstes Organ der politischen Willensbildung dabei leider in die Zuschauerrolle gedrängt. Gerade auf den Gebieten, die die Länder unmittelbar betreffen, haben die Landesparlamente kein Mitspracherecht auf Bundesebene. Die Parlamente erfahren erst im Nachhinein, welche Position der Landesregierung im Bundesrat vertreten hat. Das ist für uns ein unbefriedigender Zustand.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

- Danke schön, Frau Spoorendonk. - Ich möchte deshalb noch einmal unsere Forderung nach einer Erweiterung beziehungsweise Ergänzung des Artikels 23 des Grundgesetzes wiederholen. Eine solche Änderung des Grundgesetzes hätte zum Ziel, den Landesparlamenten eine Mitwirkung bei der Erarbeitung der Voten ihrer jeweiligen Landesregierung für den Bundesrat einzuräumen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Zumindest sollte sichergestellt werden, dass die Landesparlamente am Entscheidungsprozess der Landesregierungen beteiligt werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Seit Jahren reformbedürftig ist auch der wichtige Bereich der Finanzbeziehungen, die wir ebenfalls schon angesprochen haben. Länderfinanzausgleich, Gemeinschaftsaufgaben und die zahlreichen sonstigen Mischfinanzierungen müssen dringend entflochten und den aktuellen Erfordernissen angepasst werden.

(Thorsten Geißler [CDU]: Sehr richtig!)

Auch sollten die Länder künftig eine eigene Steuerautonomie erhalten. Die Länder müssen in die Lage versetzt werden, wirtschaftliche Gegebenheiten mit eigenen Regelungen auf Landesebene gestalten zu können.