Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 17. Februar ist in Rendsburg für SchleswigHolstein das Europäische Jahr für Menschen mit Behinderung eingeleitet worden. Unter dem Motto „Nicht über uns ohne uns“ wurde vom Diakonischen Werk gemeinsam mit dem Sozialministerium der Startschuss für landesweite und regionale Aktionen in Schleswig-Holstein gegeben. Diese Auftaktveranstaltung war der richtige Rahmen, um neben vielen bereits vorhandenen schriftlichen Erklärungen und neben Gesprächen die Position der Landesregierung zum Thema Eingliederungshilfe erneut darzulegen. Frau Ministerin Moser hat auf dieser Veranstaltung erneut versichert, dass es um eine Analyse der in Schleswig-Holstein überdurchschnittlich gestiegenen Kosten für die Eingliederungshilfe geht.
Es gibt aber in diesem Zusammenhang keine Planung für den Abbau von Leistungen für Menschen mit Behinderung. Dieser von Frau Ministerin Moser vorgetragene Grundsatz wird von der SPD-Fraktion uneingeschränkt mitgetragen; denn es ist wichtig und richtig, dass den behinderten Menschen die notwendige Eingliederungshilfe nicht vorenthalten bleiben darf.
Wenn dies so formuliert ist, dann haben wir auch für ein leistungsfähiges, finanziell gesichertes soziales System zu sorgen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, sich auch die rasante Kostenentwicklung im Bereich der Eingliederungshilfe anzusehen.
Es ist auch gut, dass Frau Ministerin Moser das Arbeitspapier, das eine Diskussionsgrundlage für eine
Arbeitsgruppe des Landkreistages war und nicht als Thesenpapier zur Umsetzung bestimmt war, vom Tisch genommen hat, um vorurteilslos diese Fragen weiter zu behandeln. Für diese Erklärung waren Zeit und Ort richtig gewählt, nämlich die Veranstaltung zum Auftakt des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderung. Übrigens, Herr Kollege Kalinka, bereits am 6. Dezember sind per Schreiben alle Verbände im Behindertenbereich darauf hingewiesen worden, dass es wirklich nicht darum geht, Leistungsabbau zu betreiben, auch nicht irgendwie durch Zeitungsmeldungen, die Sie gefunden haben. Vielmehr sind die Verbände als die wahren Ansprechpartner darüber informiert worden, weil es auch richtig ist, dass es einen bestimmten Diskussionsbedarf gibt. Am 10. Februar - ich erinnere auch gern an die Veranstaltung in Preetz - waren wir nicht „bei Ihnen“sondern wir waren auf Einladung der Lebenshilfe im Kreis Preetz, nicht „bei uns“wie Sie das gesagt haben.
Vor diesem Hintergrund hat der Antrag der CDU heute überhaupt keinen Sinn mehr und ist auch eigentlich durch nichts zu begründen. Erstaunlich ist aber, dass die CDU-Fraktion insbesondere im Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung die Aufgabe und die Chance sieht, die Situation für Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern. Ich halte es deswegen für richtiger, eher beständig daran zu arbeiten, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fordern und sich nicht nur ein bestimmtes Jahr dafür herauszusuchen. Als Beweis dafür gilt vielleicht, dass wir vor einem Jahr ein Landesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung diskutiert haben, das wir auch zum 1. Januar 2003 in Kraft gesetzt haben.
Das Landesgleichstellungsgesetz übrigens, das auch ein Bestandteil der Veranstaltung in Rendsburg war und das vom Hauptredner, Herrn Frehe, in Rendsburg gelobt worden ist, da es sich im Vergleich zu vielen anderen Landesgleichstellungsgesetzen durchaus positiv abhebe, hat natürlich auch seine Schwächen. Darüber wollen wir gern weiter diskutieren, weil wir, wie wir es im Sozialausschuss verabredet haben, nach einer Überprüfungszeit sehen wollen, wie man die Gleichstellung noch besser und effektiver gestalten kann. Beispiele wären die verpflichtende Einführung der Gebärdensprache bei den Bildmedien oder die noch strengere, klarere Festlegung, wie im öffentlichen Personennahverkehr ein barrierefreier Standard eingeführt werden kann.
hinderung ist Thema gewesen. Wir haben das Thema „Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung“ im Landtag aufgegriffen und haben einen Modellversuch in einem Kreis und in einer kreisfreien Stadt vorgeschlagen zu dem Thema „Persönliches Budget“. Das persönliche Budget soll es dem einzelnen Behinderten ermöglichen, selbst zu bestimmen, in welchem Zeitrahmen, in welchem Umfang er Hilfen finanziert bekommen möchte. Ich glaube, auch dieser Versuch macht deutlich: Wir reden nicht nur darüber, die Situation von Menschen mit Behinderung in diesem Bundesland zu verbessern, sondern wir arbeiten auch daran.
Zu den acht eher nebulös und damit verschwommen formulierten Forderungen im Antrag der CDUFraktion bleibt festzuhalten: Es wird alles Mögliche durcheinander geworfen. Ansprüche, Ansprechpartner werden durcheinander geworfen. Träger und Arbeitgeber werden in einem Zuge genannt, wenn es darum geht, den örtlichen Sozialhilfeträger anzusprechen. Es geht darum, den überörtlichen Sozialhilfeträger anzusprechen. Bei Tarifen wird in die Tarifautonomie eingegriffen, die Arbeitgeber und Gewerkschaften ausgemacht haben. All dies soll geregelt werden. Es wird die Subsidiarität, die Verschiedenartigkeit der Einrichtungen angesprochen, gleichzeitig wird aber wieder auf Vergleichbares hingewiesen. Ich glaube, das funktioniert so nicht. Ihre acht Forderungen sind aus meiner Sicht eher das Ergebnis einer Arbeitsgruppe der Jungen Union Plön,
die sich überlegt, in welcher Form man das Leben der Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein sieht. Sie zeigt damit aber, dass man von der Materie keine Ahnung hat.
Ja, ich versuche den letzten Satz. - Dieser Antrag wird der Diskussion, die wir zum Thema Menschen mit Behinderung führen, nicht gerecht. Ich hoffe, dass wir die Diskussion mit Ihnen im Sozialausschuss vertiefen und versachlichen und Ihnen im Sozialausschuss die Gelegenheit geben können, in Zukunft
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die derzeitige Diskussion über die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung macht deutlich, dass auch im Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung die Probleme noch lange nicht gelöst sind. Ziel der Eingliederungshilfe ist es doch, den Menschen mit Behinderung die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Leider muss man aber den Eindruck gewinnen, dass diese Grundlagen in der seit Monaten im Land geführten Diskussion über die Eingliederungshilfe in den Hintergrund gerückt zu sein scheinen. Wenn seit April letzten Jahres die Eltern von Kindern mit Behinderung bangen müssen, dass die gesamte teilstationäre integrative Betreuung infrage gestellt wird, wenn seit September letzten Jahres ein Katalog zur Steuerung und Begrenzung von Kostensteigerungen bei den Eingliederungshilfen durch SchleswigHolstein geistert und die Betroffenen nicht wissen, inwieweit sie mit Einschnitten rechnen müssen, dann führt dies natürlich zur Verunsicherung und trägt in keiner Weise zu einer sachlichen Beurteilung der Situation bei.
Frau Ministerin Moser, ich finde es schön und erfreulich, wenn Sie - wie es schon erwähnt wurde - in Rendsburg bei der Auftaktveranstaltung zum Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung eingeräumt haben, dass es einen Fehler in der Kommunikation gegeben hat. Schade ist nur, dass nicht viel früher in der Öffentlichkeit dem Eindruck entgegengetreten worden ist, das Land wolle auf Kosten der Betroffenen Sparmaßnahmen im Bereich der Eingliederungshilfe ausloten.
Das unkommentierte Arbeitspapier hat in der Öffentlichkeit in unnötiger Weise sehr viel Porzellan zerschlagen.
Es ist durchaus berechtigt und auch im Sinne der Betroffenen, wenn nach den Ursachen des Anstiegs der Eingliederungskosten in Schleswig- Holstein gesucht wird. Nur wenn wir wirklich wissen, warum bestimmte Mehrkosten entstanden sind, können wir auch dafür sorgen, dass zukünftig vorhandene Strukturen optimiert werden, die Kooperation und Koordination zwischen den Kostenträgern verbessert und die Qualität der derzeitigen Leistungen weiterhin erhalten bleibt.
Dazu gehört, dass die Landesregierung mit den Betroffenen eine ehrliche Diskussion darüber führt, was sie eigentlich unter einer notwendigen und was sie unter einer erforderlichen Hilfe versteht.
Die Abwägungen darüber, was notwendig und was erforderlich ist, dürfen auf keinen Fall darauf hinauslaufen, dass letztendlich durch Verwaltungshandeln über den Kopf der Betroffenen hinweg entschieden wird, wie diese zu leben haben und welche Fördermaßnahmen zum Beispiel Mehrfachbehinderten zuteil werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir nach möglichen Kostenfaktoren suchen, dürfen wir uns auch nicht vormachen, dass sich die Bevölkerung im Zuge der demographischen Entwicklung entsprechend verändert hat: Denn nicht nur die Zahl der Menschen mit Behinderung und die Komplexität der Behinderungen nimmt zu, es sind vor allem auch immer mehr ältere Menschen mit Behinderung zu versorgen. So verfügen nach Auskunft des Statistischen Landesamtes rund 23 % der über 65-Jährigen in Schleswig-Holstein über einen gültigen Schwerbehindertenausweis. Dieser Anteil wird sich aufgrund der demographischen Entwicklung künftig noch stärker erhöhen. Gleichzeitig werden sich mit dem steigenden Alter der Betroffenen auch die Bedürfnisse der Betroffenen ändern.
(Arno Jahner [SPD]: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Was hat der Schwerbe- hindertenausweis mit der Eingliederungshilfe zu tun?)
- Darüber können wir uns unterhalten. Ich werde versuchen, Ihnen das zu erklären. Ich hoffe, es gelingt.
Wir dürfen es uns deshalb bei der Suche nach den Ursachen nicht allzu einfach machen, wenn wir wirklich den individuellen Ansprüchen der Menschen mit Behinderung umfassend gerecht werden wollen.
Was auf keinen Fall passieren darf, ist, den seit Urzeiten bestehenden und immer noch nicht beigelegten Abgrenzungsstreit zwischen Leistungen der Einglie
derungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz und Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz weiterhin auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen. Deshalb wird es immer wichtiger und dringender, endlich für eine geregelte Abstimmung zwischen dem zuständigen Träger der Sozialhilfe und der zuständigen Pflegekasse zu sorgen. Erst wenn wir dieses Problem gelöst haben, kann gemeinsam mit den Betroffenen eine Lösung gefunden werden.
(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU] und Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unüberhörbar haben sich die Betroffenen, nämlich diejenigen Menschen, die von der Eingliederungshilfe „leben“in den letzten Wochen nun schon zweimal mit öffentlichen Protesten zu Wort gemeldet. Neulich in Rendsburg versammelten sich vor der gerade erwähnten Veranstaltung an einem anderen Abend über 1.000 Menschen mit Behinderung aus Sorge um ihre Wohnung, ihren Arbeitsplatz und ihr Recht auf Freizeit. Unübersehbar ist aber auch, dass die Ausgaben im Bereich der Eingliederungshilfe im gesamten Bundesgebiet - so auch in Schleswig-Holstein - deutlich steigen, in Schleswig-Holstein deutlich stärker und insgesamt auch stärker als die gesamten Sozialhilfeausgaben. Die Kostensteigerung für die Eingliederungshilfe hierzulande liegt erheblich über dem Bundesdurchschnitt.
Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich notwendig, nach den verschiedenen Ursachen für den Kostenanstieg zu suchen und eine offene Analyse durchzuführen. Dies muss gemeinsam mit allen Beteiligten geschehen und zum Ziel haben, die Ursachen transparent zu machen. Sie darf aber nicht die Leistungen für die Betroffenen kürzen.
Ich möchte an dieser Stelle auf die möglichen Gründe eingehen und teile sie einmal lax in gute und schlechte Gründe ein. Das dürfte in einer ersten Behandlung dieses Themas zulässig sein.
Ein guter Grund für den Anstieg der Eingliederungskosten ist der medizinische Fortschritt, der mehr Menschen als früher das Leben rettet und sie älter werden lässt. Ein guter Grund ist die Selbstver
ständlichkeit, mit der erstmals nach 1945 Menschen mit Behinderung in aller Ruhe alt werden können, ohne um ihr Leben zu bangen. Ein guter Grund mag sein, dass durch die gerade in den letzten Jahren verbesserte Beratungsinfrastruktur mehr Menschen mit Behinderung rechtzeitig zu ihrem Recht kommen.
Frau Moser, Sie weisen ja zu Recht daraufhin, dass die Landesregierung seit 1996 ein flächendeckendes Netz von Integrationsfachdiensten aufgebaut hat. Es ist nun nach den letzten bundesgesetzlichen Änderungen auch noch einmal im Antragsverfahren einiges vereinfacht und beschleunigt worden. Natürlich hat das zur Folge, dass mehr Leute ihr Recht wahrnehmen. Das ist gut so.
Ein guter Grund für die Kosten Schleswig-Holsteins könnte sein - das wäre herauszufinden -, dass der Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen besonders geschätzt wird. Ich verweise auf die große Anzahl von Einrichtungen, die über die Landesgrenzen hinaus einen guten Ruf genießen. Ein guter Grund wäre, dass die Bundesgesetze und die Landesplanung den Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen mehr Selbstbestimmung in dezentralem Wohnen und Arbeiten ermöglichen und dass dies jetzt Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Alle diese Gründe sind vom Bundes- und Landesgesetzgeber nicht umsonst gewollt - die Formulierung „nicht umsonst“ dürfen Sie durchaus in einer breiten Bedeutungspalette lesen.