Protokoll der Sitzung vom 03.04.2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten ist wohl das Ergebnis einer Kommissionsarbeit in Schleswig-Holstein mit so viel Spannung erwartet worden wie das blaue Buch, das uns seit Freitag der letzten Woche vorliegt. Ich möchte auch an dieser Stelle zunächst Herrn Professor Erichsen, allen Mitgliedern der Kommission und auch Herrn Professor Block als Geschäftsführer der Kommission in dreierlei Hinsicht sehr herzlich danken: erstens für die Sorgfalt, für die Kompetenz, für das hohe Engagement, mit dem sie vorgegangen sind, zweitens dafür, dass sie dialogbereit gewesen sind mit den Hochschulen, den gesellschaftlichen Gruppen und den politisch Verantwortlichen, und drittens vor allem dafür, dass sie im Gegensatz zu manch anderer Kommission nicht ständig laut und öffentlich nachgedacht haben und damit ihre Ergebnisse schon vorzeitig haben zerreden lassen.

(Beifall)

Ich danke auch den Hochschulen, dass sie mit dieser Kommission gut zusammengearbeitet haben. Sie haben die Herausforderung, die eigene Arbeit den Experten in einer Leistungsbilanz darzustellen und ihr Profil zu präsentieren, als positive Herausforderung für sich selbst angenommen.

Meine Damen und Herren, die Kommission ist mit hohem Anspruch und zugleich mit dem Blick für das Machbare und - ich füge hinzu - für das in SchleswigHolstein Finanzierbare vorgegangen. Sie wollte Stärken und Schwächen identifizieren, sie wollte die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit sichern und klare Profile der Standorte herausarbeiten. Und sie macht uns auch Vorschläge für künftige Entscheidungs- und Finanzierungsstrukturen.

Die Vorschläge der Kommission sind sehr konkret, in sich schlüssig und machbarkeitsorientiert. Auch das unterscheidet sie von manch anderen Expertenvorschlägen, die dann im Dickicht politischer Entscheidungswege hängen geblieben sind.

Das Ergebnis, ein starkes blaues Buch, ist eine ganz konkrete Chance, die schleswig-holsteinische Hochschullandschaft neu zu strukturieren und unsere Hochschulen wettbewerbsfähig zu profilieren. Das geht nicht in einem Geniestreich und auch nicht in einem Parforceritt und die Umsetzung würde erst

recht schwer, wenn wir in einen kleinteiligen politischen Streit verfallen würden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich möchte deswegen mit Nachdruck an Sie alle appellieren - ich richte meinen Blick natürlich nicht nur auf die Koalitionsfraktionen, sondern auch auf die Opposition -, diese Chance gemeinsam zu nutzen, jedenfalls den Versuch zu machen und uns in möglichst vielen politischen Fragen zu verständigen. Ich biete Ihnen allen dazu Gespräche an.

(Beifall)

Ich möchte Ihnen nun die wichtigsten Empfehlungen vorstellen, wobei ich eines vorausschicken will: Die Kommission hat keine Urteile gefällt. Deswegen gibt es auch keine Gewinner oder Verlierer - so eingängig diese Etiketten auch sein mögen. Die Kommission hat nach einer zukunftsfähigen Perspektive für das Ganze gesucht und sie hat entsprechende Veränderungsvorschläge entwickelt, die ein Gesamtkonzept darstellen. Dieses Gesamtpaket müssen wir nun zügig prüfen und dürfen dabei nicht den Fehler machen, die Dinge kleinteilig zu zerreden. Wir dürfen das Interesse des Landes - das sage ich mit Bedacht - an leistungsfähigen Hochschulen auch nicht regionalen Interessen unterwerfen.

Ich weiß um die Argumente und um die Sorgen vor Ort. Darüber will ich mich auch nicht leichtfertig hinwegsetzen. Aber wir haben die Pflicht zur Güterabwägung und wir müssen alle einsehen, dass ein instabiles, schwaches Gebilde nicht zukunftsfähig wäre, und folglich müssen wir konsequent entscheiden.

Die Zukunft unserer Hochschulen hängt von ihrer Profilierung, von ihrer Exzellenz, von ihrer Attraktivität für Studierende und Lehrende ab, und allein um dieses Ziel geht es.

Die wichtigsten Einzelvorschläge der Kommission werden seit Freitag auch öffentlich diskutiert. Angesichts der knappen Zeit beschränke ich mich auf die wesentlichen Elemente. Insgesamt haben die Vorschläge natürlich eine viel größere Detailliertheit und Tiefe. Allen, die jetzt vorschnell zu einem der Elemente Ja oder Nein sagen, rate ich, im blauen Buch nachzulesen, auch die Begründungszusammenhänge nachzuvollziehen und eine Gesamtschau vorzunehmen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Vorschläge in Stichpunkten! Erstens. In Flensburg soll sich die Universität künftig als Zentrum für

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

die Lehrerausbildung und für die Unterrichtsforschung profilieren. Damit Flensburg zur Ausbildungsstätte und zur Forschungseinrichtung für „Vermittlungswissenschaften“ - wie die Kommission es nennt - werden kann, sollen die Realschullehrerausbildung und das Heilpädagogische Institut von der CAU an die Universität Flensburg verlagert werden, ebenso der Diplomstudiengang Erziehungswissenschaften. Die Fachhochschule soll sich vor allem auf Informatik, auf Kommunikationstechnik und Energietechnik konzentrieren.

Zweitens. Die Agrarwissenschaftlichen Studiengänge der CAU und der Fachhochschule Kiel werden von der Kommission exzellent bewertet. Sie sollen am Standort Kiel zusammengeführt werden. In Kiel soll der zukunftsträchtige und auch wirtschaftlich bedeutsame Ausbauschwerpunkt Biowissenschaften angesiedelt sein und ausgebaut werden.

Drittens. Die Studiengänge Bauwesen und Architektur sollen an einem Standort konzentriert und nach Lübeck an die Fachhochschule verlagert werden. Das bedeutet zugleich die Schließung des Standortes Eckernförde und die Einstellung dieses Studiengangs an der Muthesius-Hochschule. Lübeck soll außerdem zum hochschulübergreifenden Schwerpunkt für Medizininformatik und Medizintechnik werden.

Viertens. Der Studiengang Maschinenbau soll von der Fachhochschule Westküste an die Fachhochschule Flensburg verlagert werden und in Heide sollen die Studiengänge in den Bereichen Tourismusmanagement, Wirtschaft und Recht ausgebaut werden und damit ein in Norddeutschland einmaliges Profil entstehen.

Fünftens. Die Muthesius-Hochschule soll sich als selbstständige Hochschule für Kunst und Gestaltung profilieren, allerdings ohne die Architektur.

Sechstens. Die Fachhochschule Wedel soll weiter ausgebaut und unterstützt werden.

Siebtens. Die Kommission kritisiert mit Nachdruck die Höhe der Kosten für die universitäre Medizin in Schleswig-Holstein. Sie schlägt vor, die beiden Fakultäten zu erhalten und an den Standorten für Forschung, Lehre und Krankenversorgung Kiel und Lübeck festzuhalten, aber die Anzahl der Studienplätze auf das bundesrepublikanische Durchschnittsniveau zu senken, die Bettenzahl an beiden Standorten deutlich zu verringern, die Zahl der Professuren dem tatsächlichen Forschungs- und Lehrbedarf anzupassen und den Landeszuschuss für die Hochschulmedizin deutlich zu verringern.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von grundsätzlichen Empfehlungen an das Land. Im Mittelpunkt steht der Abschluss eines Hochschulvertrages. Dazu hat die Kommission einen Zwölf-Punkte-Katalog vorgelegt. Seine zentralen Bestandteile sind erstens die Konsolidierung der Hochschulfinanzierung durch die Umsetzung der Empfehlungen und den Verbleib der Ressourcengewinne im System, durch den Ausgleich von Tarifsteigerungen und Kostensteigerungen, durch eine leistungsorientierte Verteilung des Landeszuschusses und durch die Einrichtung eines Innovationsfonds für leistungs- und wettbewerbsorientierte Mittelvergabe.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens die Einrichtung eines Hochschulrates mit externen Mitgliedern zur Umsetzung der Kommissionsempfehlungen und zur Steuerung der Mittelvergabe aus dem neu einzurichtenden Innovationsfonds.

Drittens die Professionalisierung des Hochschulmanagements, also eine stärkere Trennung von Leitungs- und Kontrollfunktionen mit einer Stärkung der Rektorate und der Dekanate und mehr Eigenverantwortung, zugleich der Aufbau von Controlling, Verantwortung für Gebäude und Ähnliches mehr.

Viertens eine generelle Umstellung der Studienstruktur in Schleswig-Holstein auf Bachelor- und Master-, also gestufte Studiengänge als Antwort auf die Herausforderung der Internationalisierung und des damit verbundenen Bologna-Prozesses.

Wie geht es nun weiter? Die Kommission fordert –ich zitiere Herrn Erichsen – eine mutige Politik ein, die sich an die Umsetzung macht. Und ich füge hinzu, nicht nur Mut ist gefordert, sondern auch Entschlossenheit und zügiges Handeln. Darauf sind wir vorbereitet. Wir haben einen ehrgeizigen Zeitplan aufgestellt. Die wichtigsten politischen Entscheidungen müssen im ersten Halbjahr bis zur Sommerpause gefällt werden.

(Beifall bei SPD)

Zu diesen wichtigsten Entscheidungen zählen natürlich insbesondere die von der Kommission vorgeschlagenen Wanderungsbewegungen und strukturellen Einschnitte. In diesen Entscheidungsplan gehören selbstverständlich Gespräche als Erstes mit der Hochschulrektorenkonferenz, Anhörungen, parlamentarische Verfahren, und in den Ablaufplan gehören auch Prüfungen etwa der wirtschaftlichen Dimensionen, der Frage, welche aktuellen Kosten, welche Folgekosten entstehen zu welchem Zeitpunkt für Raum- und Personalbedarf, auch für Umzüge und so weiter. Es müssen Fragen der juristischen Umsetzbarkeit geprüft

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

werden, und zwar im Personalbereich, bei der Zulassung von Studierenden, bei der Auflösung und Verlagerung von Studiengängen im Hinblick auf Mietverträge und so weiter. Natürlich gehört die Frage dazu, welche Bedeutung die strukturellen Entscheidungen für den Wirtschaftsstandort, für die Weiterentwicklung der technologischen Kompetenz in SchleswigHolstein und damit auch der Zukunft unserer Wirtschaft haben.

Ein Prüfauftrag geht über die Grenzen des Landes hinaus, nachdem die Hamburger Kommission unter Leitung von Herrn von Dohnanyi keine Vorschläge zur Kooperation Hamburg-Schleswig-Holstein gemacht hat. Die Erichsen-Kommission hat Felder benannt für die Kooperation, und auf Regierungsebene sind zwischen den beiden Ländern erste Verfahrensschritte zur Abarbeitung dieser Vorschläge verabredet.

(Beifall bei der SPD)

Zu einem Teil des Berichtes will ich heute schon eine klare Aussage machen. Wir erarbeiten derzeit die Grundzüge für eine neue Hochschulsteuerung durch eine konsequente leistungsorientierte Mittelverteilung, und wir erarbeiten neue Grundzüge des Hochschulmanagements mit klaren Entscheidungsstrukturen, insbesondere die Stärkung der Hochschulleitungen. Ich bin mir sehr bewusst, dass es sich leichter sagt als umsetzt, diese neuen Regelungen in ein neues Hochschulgesetz zu gießen. Ich bitte deshalb heute schon mit Nachdruck um Unterstützung hier im Hause. Die vorbereitende Kabinettsentscheidung mit den Strukturvorschlägen der Landesregierung unter der Überschrift „Deutlich mehr Freiheiten für die Hochschulen“ ist bereits getroffen.

Zentrales Element des zukünftigen Verhältnisses zwischen Land und Hochschulen muss aus unserer Sicht ein Hochschulvertrag sein. Er wird die Leistungen des Landes für einen Zeitrahmen von fünf Jahren enthalten. Ich sage aber in aller Klarheit, er wird nur zustande kommen, wenn die Hochschulen ihrerseits zügiger ihre Entscheidungen zur Umsetzung der Strukturvorschläge treffen.

Frau Ministerin, darf ich an die Zeit erinnern?

Ja, ich komme zum Schluss.

In einen solchen Vertrag bringen nämlich beide Seiten Leistungen ein. Die Landesregierung will mit

einem Nachtragshaushalt für die Hochschulen in Vorleistung gehen. Mit zweieinhalb Millionen Euro im laufenden Haushaltsjahr sollen die drängendsten Probleme bei den Tarifsteigerungen abgemildert werden. Das ist ein wichtiges Signal an die Hochschulen.

(Beifall bei der SPD)

Es zeigt nämlich die Entschlossenheit der Landesregierung, die Empfehlungen der Kommission auch umzusetzen.

Bei unserem ehrgeizigen Zeitplan sitzen Politik und Hochschulen in einem Boot. Wenn wir gemeinsam wollen, dass das Hochschulsystem in SchleswigHolstein den kommenden Anforderungen gewachsen sein soll, dann geht es jetzt nicht darum, ob, sondern wie wir die Vorschläge umsetzen. Ich mache natürlich auch hier und heute keine eins zu eins Umsetzungsaussagen. Das ist, wie wir aus Erfahrung wissen, gefährlich, und es lässt auch nach meiner Auffassung die demokratischen, parlamentarischen Verfahren außer Acht. Lassen Sie mich sagen, die Latte liegt hoch. Eine Umsetzungsquote, wie sie in NordrheinWestfalen erzielt worden ist, von 85 % wäre für mich deutlich zu wenig und eher eine Enttäuschung. Deswegen plädiere ich mit Nachdruck für eine sorgfältige, für eine zügige, für eine zielorientierte Prüfung und eine in sich geschlossene Umsetzung der Vorschläge.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für diesen Bericht und eröffne jetzt die Aussprache. Ich erteile das Wort zunächst Herrn Abgeordneten Dr. Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht, den die Expertenkommission unter Leitung von Professor Erichsen vorgelegt hat, erteilt der Hochschulpolitik dieser Landesregierung die Note Sechs, ungenügend. Und für Ihre Reaktion erhielt die zuständige Kultusministerin am 31. März im „Flensburger Tageblatt“ das Zitat des Tages: „Ute ErdsiekRave erklärte: Ich nehme die Kritik in Demut entgegen, und wir werden deutlich Konsequenzen ziehen.“ Meine Damen und Herren, wir werden sehen, ob Konsequenzen gezogen werden.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie dürfen gerne meiner Rede zuhören, dann finden Sie auch einige Antworten, Frau Kollegin.

(Dr. Ekkehard Klug)