Protokoll der Sitzung vom 18.06.2003

aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation auf Bundes- und auf Landesebene gehen. Im Kern haben wir es auch mit einer Grundsatzrede der Ministerpräsidentin zu tun gehabt. Der Blick zurück ist aus unserer Sicht weniger wichtig als die Perspektiven, die sich daraus für die nächsten Jahre und damit auch für die Zeit nach 2005 ergeben.

Einiges steht schon länger auf der Agenda der Landesregierung, zum Beispiel das Thema Verwaltungsstrukturreform, das ich vorhin ansprach. Anderes wiederum ist neu und hätte mehr als einer Vorankündigung bedurft. Was ist zum Beispiel konkret damit gemeint, dass die Landesregierung künftig den Kommunen den gesamten Landesanteil an der KitaFinanzierung überlassen will?

Der SSW hat in den vergangenen Jahren ganz viele Reformvorhaben der Landesregierung mitgetragen. Das werden wir auch weiterhin tun, aber nur, wenn die Richtung stimmt. So werden wir die Landesregierung daran messen, ob ihre Maßnahmen wirklich zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen werden. Denn bei den vielen gesellschaftlichen Problemen dieser Republik gehört die seit vielen Jahren auch politisch betriebene Entsolidarisierung zu den größten.

(Beifall beim SSW)

Der SSW hat auch - das füge ich in aller Bescheidenheit hinzu - maßgeblich dazu beigetragen, dass mit den Minderheiten im Land ein neues partnerschaftliches Verhältnis entstehen konnte. Minderheitenpolitik ist also mehr als ein gutes psychologisches Klima. Ich hätte mir gewünscht, wenn dies aus der Rede der Ministerpräsidentin deutlicher hervorgegangen wäre. Denn 2005 ist nicht nur ein Wahljahr. Wahljahr heißt auch 50 Jahre Bonn-/Kopenhagener-Erklärungen. Dies sollte sich die Landesregierung bei der Aufstellung des kommenden Doppelhaushalts zum Beispiel vor Augen halten, nicht zuletzt aber auch, wenn es um die Formulierung von Kernaufgaben der Landespolitik nach 2005 geht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerpräsidentin Simonis.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. In der Presseübersicht des heutigen Tages wird in den „Lübecker Nachrichten“ richtig aus

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

einem Buch von mir zitiert, das am 30. erscheinen wird. Ich darf zitieren, um den Zusammenhang herzustellen, was die „Dithmarscher Landeszeitung“ dazu schreibt:

„Nach exklusivem Vorabdruck der ‚Lübecker Nachrichten’ rät Simonis Politikerinnen auf dem Weg nach oben, sie sollten alles vermeiden, was einen Vorwand für Kommentare zu ihrem Äußeren liefere, statt sich mit ihnen politisch auseinander zu setzen. ‚Nicht in zu engen Kleidern oder zu kurzem Rock erscheinen! Am besten ist das klassische unauffällige Kostüm, noch besser der Hosenanzug, gedeckte Farben, keine geblümten Kleidchen, nur ja keine Spitze und keine Rüsche’.“

So weit die richtige Darstellung! Was daraus aber der Schreiber der „tageszeitung“ heute gemacht hat, ist ein absoluter Klopper, um es vorsichtig auszudrücken. Das mag seinen sexuellen Vorlieben entsprechen. Die kann er auch ausleben. Das interessiert mich nicht. Aber es ist nicht mein Text. Ich habe es so nicht gesagt. Ich habe es nicht so geschrieben. Ich halte das für eine absolute Unverschämtheit, für frauenfeindlich und für gemein.

(Beifall im ganzen Haus)

Wenn Sie das ganze nachlesen und mein Buch kaufen wollen, bin ich nicht böse.

(Heiterkeit)

Heute Morgen haben wir streckenweise wieder das erlebt, was wir immer haben: große Diskussionen, großes Palavern - und am Ende kommt man raus und fragt sich: Was wollten sie dir eigentlich mit auf den Weg geben? Was solltest du ändern? Was war bei dir falsch?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben wir uns bei Ihrer Erklärung auch gefragt!)

Lieber Herr Kubicki, vielen Dank, dass Sie sich zu Wort melden; dann kann ich gleich mit Ihnen anfangen. Insbesondere haben Sie ein Zitat aus dem „Tagesspiegel“ von mir genommen, bei dem Sie freundlicherweise die Fragen weggelassen haben, einen einzigen Satz aus meiner gesamten Antwort herausgefischt haben. Die gesamte Antwort lautet:

„An der ersten Fähigkeit ist viel dran. Sie müssen sitzen, sitzen, sitzen. Ich habe oft Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst geführt. Wenn Sie es da nicht bis drei Uhr nachts in der Früh auf dem Stuhl aushalten, bekommen Sie auch keinen Tarifabschluss

hin. Ich will’s mal so sagen: Politik ist der Sieg des Hinterns über das Gehirn.“

Dieser gesamte Satz hätte ein bisschen mehr ausgesagt.

Dann kommt die Anschlussfrage:

„Der Vorstandschef eines Autokonzerns hat mal erzählt, vor einer Hauptversammlung trinke er zwei Tage lang fast nichts. Es wäre eine Katastrophe, wenn er während der … rausgehen müsste...“

Daraufhin sagte ich:

„Ich brauche keinen Durst zu leiden. Bei mir geht das einfach so, ich bin ein Naturtalent. Ein Blasenwunder.“

Das hätte man wirklich im Zusammenhang bringen können. Dann hätte es auch Sinn gemacht, lieber Herr Kubicki.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was Sie wollten, war, mich als das kleine Dooferchen hinzustellen, das nicht in der Lage ist, zwischen Hintern und Kopf zu unterscheiden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich bin gern be- reit, das gesamte Interview zu verlesen!)

- Ich kann gerne das ganze Interview vorlesen. Das wird aber vermutlich das Präsidium hinter mir nicht mitmachen.

Ich möchte gern noch auf zwei, drei Punkte eingehen, bei denen ich heute Morgen bewusst missverstanden worden bin.

(Zurufe von der FDP)

1988 haben wir von den Kommunen eine ernste Kindergartensituation übernommen. Damals standen im Haushalt des Landes 1,3 Millionen

(Holger Astrup [SPD]: DM!)

- DM Zuschüsse an die Kommunen. In der Zwischenzeit sind es über 56 Millionen €.

Wenn Sie mir heute Morgen zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen, dass ich gesagt habe, dass wir jetzt zweimal 60 Millionen zusätzlich für die Jahre 2004 und 2005 in den KFA einstellen wollen, um auf diese Art und Weise den Kommunen zu helfen. Dann folgt noch ein bisschen Text über Flexibilität.

Wie man daraus machen kann, wir nähmen das den Kommunen weg, weil wir das in den Vorwegabzug stellten - da muss man schon ganz schön krumm den

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

ken, muss ich Ihnen ehrlich sagen. Es war durchaus nicht in Ordnung, das so zu machen. Sie wollten, dass der Eindruck entsteht, wir wollten den Kommunen und den Trägern der Kindertagesstätten Geld wegnehmen.

Genauso missverstanden haben Sie die Diskussion, die Gott sei Dank von der Frau Abgeordneten Spoorendonk aufgenommen wurde. Ich habe wörtlich gesagt: Die durch Nichtbeiträge gedeckten Sonderleistungen aus den Rentenversicherungen werden unter Umständen durch Mehrwertsteuererhöhungen direkt eingebracht, wie es in den skandinavischen Ländern üblich ist. Diese Diskussion wird übrigens auch von der mittelständischen Industrie in unserem Lande als durchaus nicht falsch empfunden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerpräsidentin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Ja, bitte!

Herr Kubicki, Sie haben das Wort.

Frau Ministerpräsidentin, ich muss zu meiner Schande gestehen, dass es aus der mir vorliegenden schriftlichen Vorlage Ihrer Regierungserklärung nicht eindeutig hervorging. Daher frage ich ausdrücklich nach: Ich habe Sie so verstanden, dass die Landesregierung den Kommunen ohne Kürzung des kommunalen Finanzausgleichs vorweg zusätzlich zweimal 60 Millionen € zur Verfügung stellen wird.

Ja. Wir wollen dies nicht mehr direkt an die Träger geben. An dem, was der Abgeordnetenkollege von den Grünen gesagt hat, ist etwas dran. Wir haben das Gefühl, dass die Abrechnung mancher Verwaltung über den Kopf wächst. Es kommt dann, wenn die Kommunen sich wegen des Finanzausgleichs zusammensetzen, unter Umständen dazu, dass das Geld gerecht verteilt wird, nämlich dorthin, wo die Kinder sind.

(Zuruf von der FDP)

- Ich habe es gerade richtig gestellt. Ähnliches gilt für die Mehrwertsteuer. Ich möchte nicht, dass - wie heute geschehen - der Eindruck entsteht, ich wäre nur für Steuererhöhungen. Ich habe gesagt, gleichzeitig müsse die strukturelle Sanierung der Systeme weitergehen. Sonst bringt uns das alles nichts und wir sitzen in zwei Jahren in der gleichen Situation.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir haben den Universitäten konkrete Angebote gemacht. Ich weiß nicht, ob sie sie annehmen werden. Sie werden aber mit uns in die Diskussion eintreten. Ich habe heute Morgen die vier Punkte vorgetragen und ich muss sagen, ich fand das großmütig: auf fünf Jahre feste finanzielle Pläne, die Zusage, dass die Tarifsteigerungen für fünf Jahre mitbezahlt werden. Weiter die Bereitstellung eines Innovationsfonds für fünf Jahre. Als Antwort erwarten wir allerdings, dass die Universitäten ihre Effizienz steigern und Studiengänge, die nicht mehr so besucht werden, entweder mit anderen Universitäten zusammenlegen - hier haben wir die Fusion geschafft - oder in irgendeiner anderen Form dafür sorgen, dass Kapazitäten freigesetzt werden. Nach dem, was ich gehört habe, haben die Universitäten dieses Angebot als fair empfunden. Jetzt werden sie darüber zu diskutieren haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)