Protokoll der Sitzung vom 20.06.2003

Das Jahr 2011 steht bald vor der Tür. Das ist nicht mehr lange hin. Man muss sich Gedanken über diese Möglichkeiten machen: Entweder deutlich mehr staatliche Hochschulfinanzierung oder eine neue Finanzierungsquelle auch in Form von Studiengebühren natürlich mit der Maßgabe, die ich angesprochen habe. - Frau Abgeordnete Erdsiek-Rave hat sich gemeldet.

Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Erdsiek-Rave?

Aber gewiss doch.

Herr Abgeordneter Dr. Klug, sind Sie in der Lage, mir zu sagen, wie hoch die Kosten derzeit in der Bundesrepublik für einen Medizinstudienplatz sind? Halten Sie Ihre Forderung aufrecht, wenn ich Ihnen die Antwort gleich mitgebe, dass das ungefähr 120.000 € sind? Wenn Sie das auf das Semester herunterrechnen, haben Sie die Gebühr, die Sie kostendeckend nehmen müssten.

- In welchem Umfang

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

man einen Kostendeckungsgrad erreicht, steht auf einem anderen Blatt. Wie viele Interessenten man findet, ist zu eruieren. Das wäre zumindestens ein gangbarer Weg, den andere Staaten auch gehen. Warum soll man diesen Weg nicht wenigstens einmal versuchen?

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Kollege Matthiessen, es gibt genügend Länder auf dieser Welt, in denen Studienplätze auf der Basis von Studiengebühren auch im Fach Medizin besetzt werden. Warum soll man nicht auch in unserem Bundesland zumindestens einmal ausloten, ob wir eine Nachfrage haben?

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir wissen, dass das Studium an den beiden betroffenen Fakultäten einen sehr hohen Qualitätsmaßstab, einen sehr hohen Qualitätsstandard erfüllt. Es wird also möglich sein, darauf zu verweisen, das die Ausbildung sehr hohen Ansprüchen genügt.

Vor dem Hintergrund des Anstiegs der Studentenzahlen werden wir - wie gesagt - eine Entscheidung treffen müssen: entweder deutlich mehr staatliche Mittel für die Hochschulen oder andere Finanzierungsquellen. Das wirft automatisch die Frage nach einer Studiengebührenfinanzierung mit der Maßgabe, die ich angesprochen habe - Stipendien, steuerliche Behandlungen der Studiengebühren, gegebenenfalls der abzutragenden Darlehn - auf.

(Dr. Ekkehard Klug)

Der zweite Teil des heutigen verbundenen Debattenpunktes betrifft die Einführung der Juniorprofessur. Ich habe nur noch relativ wenig Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Das ist ein Thema, an dem sich die hochschulpolitischen Geister scheiden. Es gibt sehr viele, die das für eine ganz tolle Innovation halten. Das kann man auch im Einleitungsteil des Gesetzes nachlesen. Es gibt aber auch Kritiker, die das sehr skeptisch beurteilen. Herrn Oevermann, ein Frankfurter Soziologe, hat kürzlich auf einer Tagung der Studienstiftung und der Hochschulrektorenkonferenz einige sehr kritische Anmerkungen zum Thema Juniorprofessur gemacht - vor allem in Bezug darauf, dass man sich sehr frühzeitig mit der Dissertation für eine Hochschullaufbahn profilieren muss und dass das möglicherweise dazu führt, dass die Dissertation sehr stromlinienförmig in ein Berufungsverfahren einer Juniorprofessur eingepasst würde, sodass im Rahmen der Dissertation jedenfalls keine Risiken der Spezialisierung, des Querdenkertums oder einer kühnen Neulanderoberung mehr eingegangen werden.

Ein Kritikpunkt ist die Ausstattung, 60.000 €. Das wird in Deutschland durch den Zuschuss der Bundesbildungsministerin finanziert. In den USA gibt es zumindest für naturwissenschaftliche Assistenzprofessuren eine halbe Million Dollar als Einstiegsausstattung. Das sind kritische Fragen.

Die deutschen Universitäten sind viele Jahrhunderte alt. Sie werden wahrscheinlich auch die ziemlich technokratische Hochschulgesetzreform von Frau Bulmahn überleben. Es gibt zumindest die Chance, dass die künftigen Universitätsprofessorinnen und -professoren schneller in eine Lebenszeitstellung geraten, als das heute vielfach der Fall ist. Das ist vorhin auch schon angesprochen worden.

Eines ist aus meiner Sicht aber ganz klar. Zumindest die erste Generation der Juniorprofessoren wird in diesem Land, in Deutschland, ein sehr harten Brot essen. Das hängt damit zusammen, dass sie nach Ablauf der sechs Jahre, wenn es „hui oder pfui!“ heißt, entweder in die Berufung auf eine Lebenszeitstelle übergeht oder aus dem Hochschul-Beschäftigungssystem ausgespuckt zu werden, in einer Konkurrenz mit vielen anderen Mitbewerbern stehen, die noch eine Qualifizierung nach dem alten System, nach dem alten Verfahren durchlaufen haben. Dann stellt sich die entscheidende Frage: Haben sie in den sechs Jahren ihrer Tätigkeit als Juniorprofessor neben den vielen Hochschulaufgaben, die sie in der Lehre, in der Gremienarbeit, in der Prüfungstätigkeit, in der Gutachtertätigkeit zu erfüllen haben - das ist die volle Palette einer Aufgabenstellung, die ein Universitäts

professor im Beruf zu leisten hat - wirklich die Zeit gehabt -

Herr Abgeordneter!

- ich komme zum Schluss -, sich in der Forschung so zu profilieren, dass sie mit den anderen Mitbewerbern, die den bisherigen Qualifizierungsweg durchlaufen haben, mithalten können. Falls das nicht der Fall ist, werden viele nach den sechs Jahren vor dem Aus stehen. Dann stellt sich die Frage, ob das nicht möglicherweise von der Konstruktion her auch durch die fehlenden Brücken, die Abschaffung der Hochschuldozentur auf Zeit, die Abschaffung der Oberassistentur, ein falscher Weg gewesen ist und zumindest in dem Umfang, in dem es bisher gemacht worden ist, nicht ausreichend war, um dem Modell Juniorprofessur wirklich eine Zukunftschance zu geben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neun Punkte erscheinen aus unserer Sicht in dem Gesetz zur Hochschulreform dieses Landes in der ersten Lesung erwähnenswert.

Erstens die schon hinlänglich von meinem Vorredner angesprochene Juniorprofessur. Sie war auf Bundesebene geplant. Jetzt wird sie auf Landesebene umgesetzt und gibt dem wissenschaftlichen Nachwuchs endlich mehr Selbstständigkeit und mehr Rechte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage an dieser Stelle einen Spruch, den Sie alle noch erinnern: Unter den Talaren steckt der Muff von tausend Jahren. - Damit ist zumindest, was die formalen Anforderungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs angeht, in Deutschland endlich Schluss.

Das Hochschulgesetz fordert zweitens die Hochschulen auf, die Studiengänge nach den internationalen Studienabschlüssen Bachelor und Master neu zu organiseren, zumindest zum Teil. Das ist auch ein gewaltiger Schritt nach vorn.

Drittens regelt es die Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienabschlüssen auf Landesebene. Auch wenn es sich vielfach nur um Formalkorrektu

(Angelika Birk)

ren handelt, finde ich es erwähnenswert. Wir hatten in der Vergangenheit mit diesem Thema immer wieder Schwierigkeiten.

Viertens eröffnet es den Hochschulen die Möglichkeit, Unternehmen zu gründen oder sich daran zu beteiligen - etwas, was viele Hochschulen schon tun. Das wird jetzt im Gesetz formal festgehalten.

Fünftens stellt das Gesetz klar, dass Studierende für das Erststudium grundsätzlich keine Gebühren zahlen sollen. Darauf komme ich gleich noch zurück.

Es verbietet den Hochschulen sechstens, Studierende eines bestimmten deutschen Wohnstandortes im Hochschulzugang zu privilegieren. Das ist eine Auseinandersetzung mit der ZVS. Auch darüber sollten wir im Ausschuss noch einmal diskutieren. Mir erscheint dieser Weg richtig. So viel vorab.

Siebtens ermutigt das Hochschulgesetz die Hochschulen zur Weiterbildung. Dafür können tatsächlich Gebühren genommen werden. Im Rahmen dieser Weiterbildung wird offiziell ein Teilzeitstudium zugelassen.

Achtens werden die Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen Senat und Fachbereichen sowie zwischen Ministerium und Hochschule in einigen Dingen neu verteilt. Das Thema Prüfungsordnung haben meine Vorredner angesprochen. Es sind auch noch einige andere Dinge.

Neuntens, last, but not least werden die Hochschulen erstmals zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und auf den Grundsatz nachhaltiger Entwicklung verpflichtet, Auch dies ist eine überfällige Präambel, die wir begrüßen.

Fazit: Die Richtung dieser Reform stimmt. Herr Weber hat noch weitere Einzelheiten angesprochen, die ich hier nicht alle wiederholen will, aber ich sage auch, wie wir das bei jeder Gesetzesreform tun, jetzt kommt es auf das Kleingedruckte an. Wir werden in der Debatte prüfen, ob das Gesetz durch die Einführung der Juniorprofessur einen Braindrain des jetzigen wissenschaftlichen Nachwuchses tatsächlich verhindern hilft. Es gibt einmal das Argument, das gerade von Herrn Dr. Klug kam, die Konkurrenz der neuen Juniorprofessuren zu den alten, die als wissenschaftlicher Nachwuchs schon etwas älter sind und ihre Habilitation schon in der Tasche haben, und es gibt umgekehrt dieses Argument, dass es nicht nur für die Juniorprofessur schwierig ist, sondern dass sich auch viele Habilitanden benachteiligt fühlen, weil sie praktisch von ihren eigenen Schülerinnen und Schülern überholt werden und mit ihnen im Berufungsverfahren in Konkurrenz stehen. Es mag ja auch manche

Hochschule geben, die sich dann grundsätzlich für die jüngere Kandidatin oder den jüngeren Kandidaten entscheidet.

Hier müssen wir genau sehen, wie die Übergangsregelungen sind. Wir brauchen Regelungen für diejenigen, die von den alten Lösungen nicht mehr und von den neuen Lösungen noch nicht profitieren können. Ich bin aber gewiss, dass dieses bei der Formulierung des Gesetzes bedacht worden ist. Auf keinen Fall wollen wir, dass alle Fächer an der Habilitation als conditio sine qua non festhalten, denn dann wäre der Juniorprofessur ein Bärendienst erwiesen. Außerdem möchten wir natürlich, dass das Gesetz auch den Nachwuchs bei den Wissenschaftlerinnen fördert. Auch unter diesem Gesichtspunkt werden wir uns die Regelungen anschauen.

Gebührenermächtigungen für die Hochschulen gibt es tatsächlich eine ganze Reihe. Wir möchten natürlich nicht, dass damit durch das Hintertürchen faktisch Studiengebühren für das Erststudium eingeführt werden, haben die Formulierung auch nicht als solche gelesen. Dann geht es natürlich um die neue Balance von mehr Demokratie und Effizienz an der Hochschule und auch im Verhältnis zwischen Hochschule und Ministerium. Da werden wir uns die Summe der Einzelregelungen ansehen und schauen, ob diese Balance stimmt.

In diesem Zusammenhang interessiert uns natürlich auch, wie denn die Verpflichtung der Hochschulen zu nachhaltiger Entwicklung mit Leben gefüllt werden soll. Sie ahnen es, so etwas kann man nur erfahren, indem man diejenigen fragt, die jetzt von dieser Neuregelung betroffen sind. Wir werden also sicher eine Anhörung der Beteiligten der Hochschulen machen, sind aber dennoch daran interessiert, das Gesetz zügig zu verabschieden. Wir haben schon in der Vergangenheit im Bildungsausschuss beides hingekriegt, Anhörung und zügige Verabschiedung. Das werden wir auch diesmal schaffen.

Jetzt kommen wir zu dem Thema Studiengebühren. Ich denke, dazu sollte ich ein paar Worte zu verlieren. Ich sage mal, auch gerade angesichts der Debatte, die wir letzthin im Landtag hatten, wie das Ungeheuer von Loch Ness lässt die Opposition immer wieder das Thema Studiengebühren auf der Tagesordnung unseres Landtages auftauchen, obwohl es keine neuen Fakten gibt.

Die Ministerpräsidentin hat mit ihrem Satz eine sehr wichtige visionäre Debatte berührt, die auch von der Bildungsministerin aufgegriffen wurde, nämlich dass wir in Deutschland in der Tat einen Flickenteppich von Gebühren und gebührenfreien Zugängen haben.

(Angelika Birk)

Das beginnt im Kindergarten und das hört leider bei der Weiterbildung nicht auf. Aber gerade wenn wir diesen Flickenteppich nicht weiter Flickenteppich sein lassen wollen, sondern wenn wir eine Konstruktion aus einem Guss wählen, dann müssen wir uns ein bisschen mehr Zeit lassen und dürfen uns nicht mit Schnellschüssen und insbesondere auch nicht mit Gerichtsurteilen diesem Thema nähern, sondern mit einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Obwohl es keine neuen Fakten gibt, wollen die CDUregierten Länder sich jetzt mit einer Klage durchsetzen und für das Erststudium Gebühren haben. Diesem Ansinnen erteilen wir eine klare Absage, denn wir brauchen mehr und nicht weniger Studierende in Deutschland. Meine Vorredner haben es auch noch einmal deutlich gemacht, gerade die PISA-Indikatoren zeigen wieder, dass es Jugendliche aus Nichtakademikerfamilien in diesem Lande viel schwerer haben. Das Beispiel Österreich spricht für sich selbst. Mehr Chancengleichheit erreichen wir nicht mit Gebühren, und wir erreichen sie auch nicht mit solchen abschreckenden Debatten, wie sie immer wieder von Ihnen kommen. Es muss junge Menschen doch verängstigen, wenn immer wieder dieses Thema im Raum steht.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die zittern schon alle!)

Die Situation, wie wir perspektivisch mit dem Thema umgehen und tatsächlich die Nachfragesituation der Studierenden stärken, die haben gerade wir Grünen zusammen mit anderen gesellschaftlichen Kräften schon lange im Auge. Aus unseren Reihen wie auch zum Beispiel aus den Diskussionen der BöcklerStiftung kommt das Thema Bildungsgutschein oder auch das Thema Studienkonto. Der Clou eines solchen Systems ist aber, dass Studierende die Hochschulen für ihre Dienstleistung bezahlen und damit einen Wettbewerb um optimal organisierte Forschung und Lehre auslösen, wohlgemerkt einen Wettbewerb, der die öffentliche Hand aber nicht aus der Verantwortung entlässt.

Es ist klar, wenn wir den jungen Leuten solche Bildungsgutscheine in die Hand drücken, dann muss der Scheck natürlich auch gedeckt sein. Es kann nicht sein, dass man sagt, Bildungsgutschein bedeutet, Pappi bezahlt, sondern Bildungsgutschein muss natürlich bedeuten, dass die Zuschüsse, die wir bisher als Land oder auch, wenn wir an die Forschungsförderung des Bundes denken, den Hochschulen en gros gegeben haben, nun praktisch in kleinen Scheinen über die Studierenden den Hochschulen zukommen

lassen. Das heißt, wir statten die Studierenden dann mit dem Geld aus, das wir bisher als Globalzuschuss an die Hochschulen gegeben haben. Das ist eine Umsteuerung, ein großes Rad. Nur auf diese Weise sind dann die Studierenden Nachfragende, die über ihre Nachfrage auch steuern, ob sich eine Hochschule weiterentwickelt oder ob sie verkümmert.