Protokoll der Sitzung vom 26.09.2003

eine sorgfältige Kostenanalyse erfolgen, um die Eingliederungshilfe zu sichern, bevor sie an die Grenzen der Finanzierbarkeit stößt. Ein Benchmarking-Prozess, so wie er durchgeführt wird, ist hier ein richtiger Schritt. Dieser Prozess berührt aber nicht die Ansprüche Einzelner, die berechtigten Ansprüche von Menschen mit Behinderung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir wollen einen Benchmarking-Prozess, der folgende Zielvorgaben aufgreift:

Erstens. Ein leistungsfähigeres, an den individuellen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung orientiertes, qualifiziertes Angebot zur Unterstützung und Hilfe für Betroffene soll auch in Zukunft sichergestellt sein.

(Beifall der Abgeordneten Andreas Beran [SPD] und Jutta Schümann [SPD])

Zweitens. Mittel der Eingliederungshilfe müssen wirtschaftlich und zielgerichet für die Betroffenen eingesetzt werden.

Drittens. Ein differenziertes Leistungsangebot durch Einrichtungen und Träger muss sich auch einem vergleichenden Prozess stellen.

(Beifall der Abgeordneten Andreas Beran [SPD] und Jutta Schümann [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der demografischen Entwicklung behinderter Menschen werden wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren einen spürbaren Anstieg von Leistungsberechtigten haben. Die Gewährleistung einer leistungsfähigen Eingliederungshilfe ist somit ebenfalls eine große Herausforderung für unsere sozialen Sicherungssysteme.

Mit dem Beschluss im Sozialausschuss werden wir dem Anliegen gerecht, und dies ist gerade auch im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung ein richtiges Signal.

Wir bitten um Annahme der Beschlussempfehlung, Drucksache 15/2639 (neu).

(Beifall bei der SPD)

Ich darf jetzt für die Fraktion der FDP der Frau Abgeordneten Veronika Kolb das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschen mit Behinderung haben noch vor einigen Monaten bundesweit gegen Diskriminierung und für eine stär

(Veronika Kolb)

kere gesellschaftliche Beteiligung demonstriert. Anlass dieser Demonstrationen war der Europäische Protesttag der Menschen mit Behinderung, zu dem in Deutschland und in anderen Staaten aufgerufen worden war.

Die Proteste zeigen, dass viele Probleme noch lange nicht gelöst sind. Gleichzeitig sollte man solche Demonstrationen zum Anlass nehmen, die derzeit bestehenden Bedingungen für Menschen mit Behinderung zu überdenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns natürlich alle einig, dass Menschen mit Handicaps nicht nur im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung oder anlässlich eines europaweiten Protesttages unserer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, an einer stetigen Verbesserung der Bedingungen zu arbeiten.

(Beifall der Abgeordneten Joachim Behm [FDP] und Andreas Beran [SPD])

Gemeinsames Ziel ist es doch, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Menschen mit Behinderung ermöglichen, mehr Gestaltungsspielraum für ihr Leben zu erlangen. Dazu gehört, dass in jedem Lebensabschnitt und in jeder Lebenssituation Menschen mit Behinderung die Möglichkeit erhalten, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es möchten und wie sie es können, ohne dass es zu einer Nivellierung der individuellen Unterschiede kommt.

Viele Maßnahmen, um Nachteile für Menschen mit Behinderung auszugleichen, sind auch oder gerade auf Landesebene möglich und auch notwendig. In Schleswig-Holstein wurde durch die Einführung eines Gleichstellungsgesetzes beispielsweise ein erster Schritt getan, um Menschen mit Behinderung bessere Umgebungsbedingungen zu ermöglichen.

Uns allen ist dabei bewusst, dass Nachteile, die Menschen aufgrund ihres Handicaps erleiden, nicht allein durch Gebote und Verbote an die Träger der öffentlichen Verwaltung ausgeglichen werden können. Die Anforderungen an die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sind deshalb auch nur ein kleiner Teilaspekt.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Doch selbst hier könnten die derzeit bestehenden Anforderungen an eine solche Barrierefreiheit in Schleswig-Holstein noch viel stärker ausgeweitet werden, wenn man es nur wollte. Denn es genügt meiner Meinung nach nicht, dass lediglich in Neubauten, die in öffentlicher Trägerschaft stehen, eine solche Barrierefreiheit hergestellt wird, zumal in abseh

barer Zeit mit weiteren Neubauten nicht zu rechnen ist.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen es uns bei der Suche nach Ursachen nicht allzu einfach machen, wenn wir wirklich den individuellen Ansprüchen von Menschen mit Behinderung umfassend gerecht werden wollen. Wenn die Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung kein Lippenbekenntnis bleiben soll, dann muss ihr wachsender Anteil in den schleswig-holsteinischen teil- und vollstationären Behinderteneinrichtungen berücksichtigt werden. Gerade hier müssen wir beachten, dass sich im Rahmen der demografischen Entwicklung die Altersstruktur von Menschen mit Behinderung analog zur übrigen Bevölkerung nicht nur weiter entwickelt, sondern noch sehr viel stärker ansteigen wird. Der Kollege Baasch hat dies eben erwähnt.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung müssen deshalb künftig viel stärker als bisher die Teilnahme älterer Menschen, die bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, berücksichtigen. Dass diese Entwicklung mit bestimmten Mehrkosten verbunden ist, scheint unausweichlich. Umso wichtiger ist es, die Gründe für solche Mehrkosten in der Eingliederungshilfe genauer zu untersuchen und Lösungen zu finden, wie durch Kooperationen und eine verbesserte Koordination der Kostenträger die Qualität der derzeitigen Leistungen erhalten werden kann.

Die einstimmig beschlossene Beschlussempfehlung berücksichtigt dies meiner Meinung nach implizit und findet deshalb auch die Unterstützung der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderung brauchen die Eingliederungshilfe auch weiterhin als ihr gutes Recht. Die Regierungsfraktionen im Kieler Landtag gehen davon aus, dass die Zahl der Menschen mit Behinderung bis zum Jahr 2010 stetig ansteigen wird. Dem ist durch entsprechenden Ausbau von Angebo

(Angelika Birk)

ten Rechnung zu tragen. Für diesen Beschluss haben wir Grüne uns eingesetzt.

Wir erwarten, dass zeitnah entsprechende Leistungsvereinbarungen zwischen Land und Trägern abgeschlossen werden. Ich meine, Herr Kalinka, mit diesem Beschluss, der wirklich eine Quintessenz ist, können Sie sehr zufrieden sein. Insbesondere vor dem Hintergrund der jetzt auslaufenden Landesrahmenvereinbarung ist dieses Signal des Landtages eine wichtige Unterstützung für die Menschen mit Behinderung und für die Träger in ihren Verhandlungen; das möchte ich deutlich unterstreichen.

(Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Eine solche Einmütigkeit haben wir nicht jeden Tag. Ich bitte Sie, noch einmal zu überlegen, ob Ihre Fraktion dieses Ansinnen nicht entschieden unterstützen muss.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem ja auch das Thema Eingliederungshilfe im SGB XII auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, sieht ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderung vor. Auch hierfür haben wir uns auf Bundesebene eingesetzt. Wir begrüßen es, dass es dazu kommt.

Nun komme ich aber zu einem Wermutstropfen, der unsere Solidarität im Lande fordert und umso mehr die Bedeutung des heutigen Beschlusses unterstreicht. In dem Gesetzentwurf ist nämlich vorgesehen, die Eingliederungshilfe unter Haushaltsvorbehalt zu stellen. Dies halten wir für ein falsches Signal; denn die Unterstützung von Menschen mit Behinderung ist kein Almosen, sondern eine öffentliche Verpflichtung zur Gleichberechtigung.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben über die klamme Situation der Kommunen gerade im Rahmen der Gewerbesteuerdebatte gesprochen. Wenn man weiß, welche Schwierigkeiten es in Bezug auf die Budgets der Kommunen gibt und wie schwierig es für sie ist, die Verpflichtungen im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erfüllen, so kann die Lösung nicht darin bestehen, dass man diese Verpflichtungen abschafft; vielmehr müssen wir auf Landes- und Bundesebene zu anderen Finanzierungswegen kommen. Ich weiß, dass unter Fachleuten - zusammen mit Ministerin Moser - unstreitig ist, dass eigentlich ein Leistungsgesetz in Angriff genommen werden muss. Wenn man ein solches im Augenblick auf Bundesebene aber nicht verabschieden will, dann

muss wenigstens Rechtssicherheit in Bezug auf den Status quo bestehen.

Unserer Meinung nach bedeutet ein persönliches Budget der Menschen mit Behinderung keine Verteuerung per se, wie es manche behaupten; vielmehr kommt man dadurch endlich zu einer weiteren Angebotsform, die dem Recht der Menschen auf individuelle Zuwendung Rechnung trägt. Dies ist - dies haben Beispiele gezeigt - durchaus im Limit der bisherigen Ausgaben für stationäre Betreuung möglich.

Wir freuen uns darüber, dass hier im Landtag Einmütigkeit darüber herrscht, die Einführung eines solchen persönlichen Budgets modellhaft auszuprobieren. Wir hoffen, dass es endlich zu entsprechenden verbindlichen Vereinbarungen zwischen den Kostenträgern kommt. Es gibt ja - das berichtete uns die Sozialministerin wiederholt - Verhandlungen mit zwei Kommunen, einen solchen Modellversuch durchzuführen. Insofern appelliere ich noch einmal an die CDU, nicht weiter stur auf Einzelheiten zu beharren, die auch nach Auffassung der Verbände im Grunde genommen in dieser Form nicht gebraucht werden. Wir haben ausführlich darüber diskutiert. Die Aufzählungen in Ihrem Antrag sind zum Teil nicht vollständig, zum Teil nicht richtig. Insofern meine ich, dass wir als Landtag uns auf das konzentrieren sollten, was wir bewirken können. Wir können nicht die Tarifverhandlungen ersetzen. Wir können auch keine Einzelheiten von Verträgen regeln; denn das ist Vertragsrecht. Aber wir können uns dafür einsetzen, dass es zu Leistungsvereinbarungen kommt.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kalinka?

Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.

Wir müssen uns klarmachen, dass die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen, steigen wird. Hierüber sollte Konsens bestehen. Es sollte nicht in den Bereich der Ideologie verwiesen werden, sondern anerkannt werden, dass diese Erkenntnis fachlich-sachlich begründet ist. Dass wir das noch einmal festhalten, halte ich für den entscheidenden Durchbruch. Ich wünsche für die kommenden Verhandlungen viel Erfolg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen.