Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Wichtig ist für uns: mehr Bildungserfolg für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern. Daran messen wir die PISA-Ergebnisse. Ich hoffe, dass sie das nächste Mal für unser Land besser ausfallen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erhält Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als praktizierende Großmutter bin ich froh darüber, dass meine Enkel in Dänemark und Schweden zur Schule gehen und nicht in Korea oder Japan. Das möchte ich einmal vorwegschicken.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 2001 und dem Bekanntwerden der ersten PISA-Ergebnisse beschäftigen wir uns im Landtag mit der Leistung unserer Schülerinnen und Schüler. Bei dieser vorerst letzten PISA-Debatte möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, was eigentlich die Zielsetzung der PISA-Studie ist.

Erstens geht es um eine Rückmeldung zur Qualität des Bildungssystems und der Schulen des jeweiligen Landes. Zweitens geht es darum, einen Vergleich der Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme

(Angelika Birk)

zu ermöglichen. Drittens geht es darum, der Politik eine Grundlage zu liefern, um Reformen für das Schulsystem abzuleiten.

An dieser Zielsetzung wird deutlich, dass PISA ein politisches Instrument ist, ein Instrument, um Aussagen treffen zu können, inwieweit es Bildungssystemen gelingt, junge Menschen auf die Wissensgesellschaft vorzubereiten.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Lieber Kollege Kayenburg, international betrachtet ist die OECD kein politisch neutrales Instrument. Auch das darf man sich manchmal in Erinnerung rufen.

Mit den ersten Ergebnissen und dem darauf folgenden PISA-Schock in Deutschland wurde das Thema Schulbildung ins Bewusstsein der gesellschaftlichen Öffentlichkeit gerufen, und das finden wir gut so. Akteure und Betroffene führten eine leidenschaftliche Diskussion, die deutlich machte, dass die Interpretierbarkeit von Bildungsdaten keine Grenzen kennt. Die politische Ebene reagierte teils mit operativer Hektik, teils mit einem durchaus kritisch geführten Dialog für und wider das eigene Bildungssystem, eine Diskussion, die wir im Landtag zur Genüge geführt haben.

Der SSW setzt sich seit Jahren sowohl für eine Veränderung der Schulstruktur als auch der Schulinhalte ein. Für uns sind dies zwei Seiten derselben Medaille, und dabei bleiben wir. PISA hat deutlich gemacht, dass das dreigliedrige Schulsystem veraltet ist. Das kann man von 2001 bis heute belegen, dass das so ist. Die Einführung der Gemeinschaftsschule ist aus unserer Sicht daher zu begrüßen. Mit dieser Schulform erhöhen sich die Chancengleichheit unter den Schülerinnen und Schülern und die Reaktionsfähigkeit der Schulen auf aktuelle Herausforderungen.

Lieber Kollege Kayenburg, das ist die Pointe der Gemeinschaftsschule. Man hat eine Schule für alle und kann gezielt auf Veränderungen, auch Fördermöglichkeiten und neue Herausforderungen reagieren. Man braucht nicht erst abzuwarten, ob das Kind in die richtige Schublade gesteckt wird. Darauf kommt es letztlich an.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Lieber Kollege, das werden wir in der Mittagspause, wenn wir nichts anderes zu tun haben, diskutieren können.

Der faule Kompromiss der Großen Koalition mit der gleichzeitigen Einführung der Regionalschule und der verweigerten Modernisierung der Lehrerausbildung ist beklagenswert und nicht tragbar.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vor diesem Hintergrund weist der SSW noch einmal ganz deutlich darauf hin, dass eine Reform der Struktur auch mit einer Reform der Inhalte einhergehen muss. Kesselflickerei allein reicht nicht aus, wenn sich die Leistung unserer Schülerinnen und Schüler in Zukunft verbessern soll.

Schleswig-Holstein landete in den neusten PISAErgebnissen wieder im Mittelfeld. Der Kollege Kubicki lief daraufhin völlig aus dem Ruder und - wie der „Spiegel“ so passend titelte - punktete im Wettstreit um den dümmsten Vergleich mit der Nazizeit. Auch das will ich noch einmal sagen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Kollegin Herold gab dagegen Vorschusslorbeeren auf die in Schleswig-Holstein durchgeführte Schulreform, die aber mit den aktuellen PISA-Ergebnissen überhaupt nichts zu tun hat. Denn die Daten des aktuellen PISA-Tests sind im Frühjahr 2006 an den Schulen erhoben worden, und das neue Schulgesetz greift bekanntlich erst seit Anfang 2007. Ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und den bereits realisierten Reformen lässt sich also nicht herstellen. Das ist auch das, was die Bildungsministerin zu Recht noch einmal hervorgehoben hat. Sie macht deutlich, dass die aktuellen Reformen erst mittel- und langfristig Erfolge zeigen werden.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wissen wir, ob sie Erfolge zeigen werden?)

- Natürlich werden sie Erfolge zeigen.

Darüber hinaus liegen die schleswig-holsteinischen Jugendlichen in ihrem Mathematik- sowie Leseund Schreibverständnis mit 497 und 485 Punkten knapp unter dem OECD-Durchschnitt und in der Naturwissenschaft mit 510 Punkten knapp darüber.

Tatsache ist, dass im Leseverständnis die fünf nördlichsten Bundesländer am schlechtesten abschneiden. Dies ist jedoch nicht nur ein schulisches, sondern ein gesellschaftliches Problem.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Anke Spoorendonk)

Die Stiftung Lesen weist in Studien seit 1992 darauf hin, dass tendenziell immer weniger gelesen wird. Die Folgen mangelnder Lesefähigkeit zeigen sich dann auch in der Schule, und zwar in allen Fächern.

Aus Sicht des SSW ist es daher notwendig, sich das Umfeld der Jugendlichen anzuschauen. Wir brauchen einen Ausbau des Büchereiwesens und eine ganzheitliche Förderung der Lesekultur.

Nach wie vor stellt auch die Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen eine besondere Herausforderung im schulischen Alltag dar. Das Gleiche gilt - wie wir wissen - auch für die Verbindung von schulischer Leistung und sozialer Herkunft. Hier liegt aber immer noch ein entscheidendes Handlungsfeld zur Sicherung von Bildungsgerechtigkeit und sozialer Ausgewogenheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass hier ein Hauptproblem des schleswig-holsteinischen Schulwesens liegt. Dies belegen auch die aktuellen Ergebnisse der IGLU-Studie: Die Grundschule wird in diesem Zusammenhang als einzige Gemeinschaftsschule in Reinform beschrieben, die international mit einem geschlossenen Leistungsbild ein hohes Niveau vorweist. Darum noch einmal: Der SSW setzt sich für eine konsequente Umsetzung der Gemeinschaftsschulen ein. Das will ich so stehen lassen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD] - Sylvia Eisenberg [CDU]: Das kann man so stehen lassen!)

- Ja, das ist so, das ist wirklich so. Liebe Kollegin Eisenberg, ich kann mich richtig darüber aufregen, dass wir nicht weitergekommen sind.

Wichtig ist auch, dass an der Qualität der Schulbildung weitergearbeitet wird. Es ist unverantwortlich, dass wir die Neustrukturierung und Anpassung der Lehrerausbildung auf die lange Bank geschoben haben. Wir zweifeln an der Ernsthaftigkeit dieser Schulreform, wenn nach wie vor Lehrerinnen und Lehrer an den Hochschulen dieses Landes für Schularten ausgebildet werden, die es gar nicht mehr gibt. Ich kenne ja die Hintergründe dafür, dass das so ist, aber das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine Lehrerausbildung, die nicht nur effiziente Fachdidaktik und elementare Inhalte thematisiert, sondern die außerdem den Schulformen angepasst ist. Es geht nicht nur um die Lehrerausbildung, es geht auch darum, dass die Ressourcen

der Schulen über Menge und Art des Unterrichts entscheiden. Auch das haben wir hier in vielen Diskussionen miteinander debattiert. Auch das darf nicht aus dem Blick verloren werden.

Jetzt bin ich bei dem berühmten Blick über den Tellerrand und gucke einmal auf die Reaktion nördlich der Grenze hinsichtlich der letzten PISA-Studie. Richtig ist - wie die Ministerin auch angeführt hat -, dass Dänemark häufiger im Mittelfeld als auf den vorderen Plätzen landet.

(Dr. Henning Höppner [SPD]: Das erschreckt uns aber nicht!)

- Natürlich nicht. - Die Erklärung dafür liegt in den unterschiedlichen Wertesystemen, lieber Kollege Höppner. Die PISA-Studien zielen auf einen Typus von Bildung, der in Dänemark und Schweden höchst umstritten ist. Hier richtet sich der Unterricht nach einem ganzheitlichen Ansatz.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Da war doch Finn- land an erster Stelle!)

- Ja, das wissen wir ja.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sind die Finnen auch aus dem Nordischen Rat ausgeschlos- sen?)

- Nein, das sind sie nicht.

Bei der ersten PISA-Studie schnitten die dänischen Schülerinnen und Schüler sehr gut ab, wenn es darum geht, das eigene Lernen zu organisieren, das selbstständige Lernen hinzubekommen. Sie treten sehr selbstbewusst auf und freuen sich darüber, zur Schule zu gehen. Das ist meiner Meinung nach etwas, was Eltern gern wollen und von der Schule gefördert werden sollte. Eine demokratische Kultur, soziale Kompetenzen und persönliche Entwicklung sind genauso wichtig wie kognitive Fähigkeiten.

(Beifall beim SSW)

Nicht vergessen darf man dabei, dass es natürlich auch um Wissen geht. Daher haben die PISA-Ergebnisse auch in Dänemark zu Reformen und weitreichenden Diskussionen unter allen Beteiligten geführt.

An den Ergebnissen der TIMSS-Studie, an der Dänemark teilgenommen hat, sieht man, dass der Unterschied hinsichtlich der Mathematikkompetenz zwischen Jungen und Mädchen aufgehoben worden ist. Das heißt, die Mädchen haben aufgeholt, sodass es keinen Unterschied mehr gibt. Darüber lässt man sich nun in den Medien aus, und darüber wird jetzt

(Anke Spoorendonk)