Protokoll der Sitzung vom 12.12.2008

Allerdings muss natürlich völlig klar sein, dass die in Deutschland zugelassenen Versandapotheken die gleichen Verpflichtungen mit Blick auf die Standards erfüllen müssen, und es sollten auch gleiche Ausgangsbedingungen gelten. Das Stichwort Wettbewerbssituation ist hier schon gefallen.

Einen Hinweis, da immer mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Versandapotheken gezeigt wird: Auch Präsenzapotheken müssen Standards einhalten. Wir alle wissen, dass beim Thema Beratung auch hier in gewisser Hinsicht, jedenfalls bei einzelnen Apotheken, Handlungsbedarf gegeben ist.

(Lars Harms)

Nach Einschätzung der Landesregierung funktioniert der legale Internethandel mit Arzneimittel bis auf wenige und wirklich ganz wenige Ausnahmen ganz ohne Beanstandungen, und zwar auch der mit verschreibungspflichtigen. Die Bundesregierung stellt dazu auch fest, dass konkrete Fälle, in denen von legalen Versandmedikamenten eine Gefährdung ausgegangen sei, nicht bekannt seien.

Richtig ist aber, ein hohes Niveau an Beratung und Betreuung muss auch im Arzneimittelversandhandel gewährleistet werden. Das wissen allerdings auch die Versandhandelapotheker sehr genau. Nach meiner Überzeugung ist das auch die Handlungsorientierung.

Aber das Problem der Entgegennahme von Medikamenten mittels nicht qualifizierter Drittpersonen oder durch entsprechende sogenannte Pick-upStellen stellt diese Qualitätssicherung infrage. Hier gibt es einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der durch unsere Initiative und durch Diskussionen auf Bundesebene - wie ich meine - in nächster Zeit behoben werden muss.

Ich will auf ein anderes Problem aufmerksam machen. Ein weiteres Problem liegt im Vertrieb von in Deutschland verschreibungspflichtigen Präparaten aus dem Ausland. Hier drohen in der Tat erhebliche Gefahren, und zwar einerseits mangels ärztlicher Kontrolle und Beratung, andererseits weil sich hier ein krimineller Schwarzmarkt auftut, der Menschen durch gefälschte Präparate gefährdet. Allerdings ist der Versandhandel von hierzulande verschreibungspflichtigen Präparaten ohne Rezept schon heute illegal, Arzneimittelfälschungen sind es sowieso, verbotener als verboten gibt es nicht, darum ist es wenig zielführend, gesetzeskonforme Verhaltensweisen verbieten zu wollen - wie Bayern und Sachsen das tun -, sondern hier braucht es einen konsequenten Gesetzesvollzug, und zwar nicht bei dem Thema Qualitätskontrolle sondern durch Polizei und insbesondere Zoll.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Ganz grundsätzlich kann es aber nicht nur um bessere Schutzmechanismen für einzelne Vertriebswege gehen, und deshalb begrüße ich, dass in dieser Woche ganz offensichtlich aktuell durch EU-Kommissar Verheugen Regelungsansätze auf den Weg gebracht werden, die aus meiner Sicht von der EU tatsächlich zu fördern sind. Angestrebt ist danach, eine Herkunftsklassifikation über einen sogenannten Barcode, ein Echtheitskennzeichen durch ein Hologrammsiegel und die Pflicht, Medikamente ausschließlich versiegelt in den Verkehr zu bringen,

einzuführen. Wenn dieser Vorstoß von EU-Kommissar Verheugen Realität würde, dann wären wir einen deutlichen Schritt weiter beim Schutz der Verbraucher vor den Gefahren des illegalen Arzneimittelhandels. In diesem Sinne wünsche ich ihm bei diesem Ziel und seiner Durchsetzung viel Erfolg.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir haben hier auf dem Präsidium darüber diskutiert, ob eine Entscheidung in der Sache gefällt werden soll. Es wurde auch etwas von Ausschussüberweisung gesagt. - Kann ich hierzu bitte eine Rückmeldung bekommen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Entscheidung in der Sache!)

- Ich habe auch das Gefühl, dass die Landesregierung im Bundesrat zu den laufenden Dingen aktiv werden soll, deshalb Entscheidung in der Sache.

Dann ist also beantragt worden, in der Sache zu entscheiden. Ich bitte um Handzeichen, wer der Drucksache 16/2344 zustimmen will. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Kindergeldzuschlag und Wohngeld anstatt Hartz IV

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2364

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Abgeordneter Angelika Birk das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um eine Neuregelung des Bundesgesetzgebers, deren Folgen sich jetzt in der Anwendung zeigen. Ausgangslage für unsere Argumentation ist zum einen - ich denke, das teilt das Hohe Haus -: Die steigende Armut in Deutschland ist nicht hinnehmbar. Politik und Gesellschaft sind aufgefordert, Armut zu bekämpfen, und wenn es nicht anders geht, auch durch Gesetze. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt zwar - anfangs etwas zögerlich, jetzt spürbar und kontinuierlich -, aber die

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Zahl der Working Poor, in Deutschland schöngefärbt „Aufstocker“ genannt, nimmt stetig zu. Und wie wird das erst, wenn die Finanzkrise durchschlägt?

Da hat nun der Gesetzgeber gehandelt. Die neusten Änderungen des Kindergeldgesetzes und des Wohngeldgesetzes sollen - so die Lesart der Bundesregierung - Armut bekämpfen. Der Kindergeldzuschlag und das erhöhte Wohngeld sollen dazu führen, dass mehr Kinder und ihre Familien aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II herausfallen. Sie sollen dazu führen, dass der Lebensunterhalt durch eigenes Einkommen - und dazu zählen eben auch Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Wohngeld - bestritten werden kann. Diese Regelung ist weniger den Interessen der Betroffenen geschuldet als dem Kompromiss zwischen Bund und Kommunen zur Senkung der kommunalen Unterkunftskosten und anderer Transferbewegungen.

Deshalb schlagen sich zurzeit eine Reihe von sozialen Einrichtungen freier Träger wie Familienzentren, Frauenhäuser und andere mit neuem Beratungsbedarf herum.

Nehmen wir als Beispiel eine klassische Alleinerziehendenfamilie, um zu zeigen, wie die Regelung wirkt. Die Mutter verdient - trotz ganztägiger Arbeit - so wenig, dass sie aufstockend Arbeitslosengeld II beantragt hat und für ihre beiden Kinder Sozialgeld erhält. Seit diesem Sommer gelten niedrige Einkommensgrenzen für den Kindergeldzuschlag, deshalb fordert nun die ARGE die Mutter auf, für ihre Kinder den Kindergeldzuschlag zu beantragen, und friert die Zahlung des Sozialgeldes ein. Außerdem soll die Familie einen Antrag auf Wohngeld für die Kinder stellen. All das hält die ARGESachbearbeiterin aufgrund einer Weisung aus Nürnberg schriftlich in der Eingliederungsvereinbarung zwischen ihr und der Ratsuchenden fest.

Und nun? - Drei Personen, die im Haushalt leben, drei Ämter, drei Antragsverfahren - wer soll das schaffen? Es ist kein Wunder, dass die Beratungsstellen jetzt viel zu tun haben. Die ARGE ist nämlich jetzt nur noch für das ergänzende Arbeitslosengeld der Mutter zuständig. Die Kindergeldkasse prüft die Berechtigung des Kindergeldzuschlags und das Wohngeldamt entscheidet über das Wohngeld. Die Wohnungsämter der Kommunen haben aufgrund des ALG II ihr Personal vielerorts abgebaut, denn seit die ARGE die Unterkunftskosten zahlt, haben sie weniger zu tun. Nun werden sie wieder mit Fluten neuer Anträge für die Kinder von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern konfrontiert. Die Kindergeldkassen - drei haben wir für

das ganze Land - sind durch ihre unrühmlich langen Bearbeitungszeiten in der Vergangenheit schon ein Grund dafür gewesen, dass der Ministerpräsident Carstensen unsere Kanzlerin um Hilfe gebeten hat. Hier ist also auch Geduld angesagt.

Die Krönung aber ist, dass die ARGE aus der Leistungsgewährung aussteigt, bevor die anderen Institutionen entschieden haben. Ihr Argument: Wenn erst einmal andere Mittel fließen, müssten Familienkasse und Wohngeldamt die Anträge ablehnen. Wovon soll die Familie zwischenzeitlich leben? Was geschieht, wenn sich diese drei Ämter, die alle drei unabhängig voneinander die Bedürftigkeit prüfen, nicht einig sind?

Eines ist schon mal sicher: Die Aktenberge in den Gerichten werden noch höher - schon jetzt gibt es Bearbeitungszeiten von über einem Jahr - es sei denn, die Justizminister verstopfen den Klagenden, die kein Geld haben, den Klageweg, was ja eifrig vorbereitet wird.

(Minister Uwe Döring: Na, na!)

- Gemeinsam mit Bayern, Herr Döring, haben Sie dieses Thema vorangetrieben.

Eines ist auch überdeutlich: Mit dieser Bürokratie hat sich die Bundesregierung, haben sich die Länder und die Kommunen von dem Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ endgültig verabschiedet und wahrscheinlich auch von ehrlicher Statistik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und des Abgeordneten Frank Sauter [CDU])

Die armen Kinder tauchen ja vielleicht zukünftig gar nicht mehr in der ALG-Statistik der Bedarfsgemeinschaften auf. Es gibt dafür jedenfalls Hinweise. Und wie sieht es denn nun aus, wenn für unsere Beispielfamilie der Papierkrieg glücklich bewältigt ist? Hat die Familie mit Kindergeld plus Kindergeldzuschlag plus anteiligem Wohngeld für die Kinder jetzt mehr im Portemonnaie? - Nicht unbedingt! Wie kann das sein? - Die Antwort ist logisch: Eine ganze Reihe von Sozialermäßigungen und Gebührenbefreiungen sind auf den Bezug von Arbeitslosengeld II hin orientiert. Das fängt bei der GEZ an, setzt sich vielleicht beim regionalen ÖPNV fort, wenn es da Sonderregelungen gibt, geht weiter bei der Nutzungsgebühren für Schwimmbäder und Bibliotheken, und es hört bei den Kindertagesstätten nicht auf.

Auch die von der Bundesregierung beschlossenen, einmal jährlich zusätzlich zu gewährenden 100 € für die armen Schulkinder sind bisher an den ALG

(Angelika Birk)

II-Bezug gekoppelt. Gelten sie auch für die Kinder, die nun zukünftig von Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Wohngeld leben?

Bei all diesen Vergünstigungen wird nicht im Einzelfall das Haushaltseinkommen in der Höhe geprüft, sondern lediglich wie folgt verfahren: Arbeitslosengeld-II-Bescheid vorgelegt, Ermäßigung gewährt, sonst nicht.

Dies führt also dazu, dass unsere Familie am Ende nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung haben kann, dass Kinder weniger ins Schwimmbad gehen, weniger Bücher lesen und die Familie quasi schwarz fernsieht. Selbst Fragen zur Krankenversicherung wurden nicht von allen ARGE-Beratungsstellen hinreichend beantwort. Armutsbekämpfung sieht anders aus.

Wir haben mit unserem Antrag nicht die grundsätzliche Nachrangigkeit von ALG-II-Bezug infrage gestellt. Aber wir wollen, dass die Praxis die Familien und die Antragstellenden nicht allein lässt, dass die ARGEn umfassend aufklären, bei dem Verfahren helfen und dieses am besten stellvertretend durchführen, dass die Ämterlauferei erspart wird und die Ämter dies untereinander klären - „Hilfen aus einer Hand“ eben!

Dieses Thema hat unser Antrag zum Gegenstand. Wir wissen, dass das Land nicht zaubern kann, aber wir erwarten, dass sowohl mit der kommunalen Ebene als auch mit den ARGEn, mit der Arbeitsverwaltung auf Bundesebene und mit den Bundesgremien über dieses Thema geredet wird. Die aktuelle Regelung ist eine Regelung aus dem Tollhaus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Angelika Birk. Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Torsten Geerdts.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele erwerbstätige Eltern brauchen den Kinderzuschlag als zusätzliche finanzielle Entlastung, weil ihr Einkommen schlichtweg nicht ausreichend ist. Gerade Familien im Niedrig-Einkommensbereich sind gefährdet, sich und ihren Kindern keinen entsprechenden Lebensstandard sichern zu können. In dieser Positionierung sind wir wahrscheinlich im Schleswig-Holsteinischen Landtag einig.

Die Bundesregierung hat dies bereits Anfang des Jahres erkannt und den Kinderzuschlag - und ich finde, das gehört auch in die Debatte - eingeführt und weiterentwickelt. Die seit dem 1. Oktober 2008 geltende Regelung verhilft 250.000 Kindern, vor Armut bewahrt zu werden. Das sind 150.000 Kinder mehr als bisher.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Für die Neuregelung ist die Mindesteinkommensgrenze deutlich abgesenkt und einheitlich festgelegt worden. Die Anrechnung für Einkommen aus Erwerbstätigkeit wurde von 70 % auf 50 % abgesenkt. Und auch das ist eine richtige Vorgehensweise.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Scheicht [CDU], Frank Sauter [CDU] und Wolfgang Baasch [SPD])

Darüber hinaus wurde ein Wahlrecht neu definiert. Jener Personenkreis, der bei Beantragung von Arbeitslosengeld II Anspruch auf Leistungen für einen Mehrbedarf hätte, kann nun zwischen Inanspruchnahme von Kinderzuschlag und Leistungen der Grundsicherung wählen. Dies betrifft vor allem Alleinerziehende.

Auch das Wohngeld wurde neu geregelt. Für bisherige Empfänger steigt der Betrag um durchschnittlich 60 %. Zudem werden die Heizkosten zukünftig mit in die Berechnung des Wohngeldes einbezogen. So werden 800.000 Haushalte im Bundesgebiet - darunter knapp 300.000 Rentnerhaushalte von den steigenden Wohnkosten massiv entlastet.