Protokoll der Sitzung vom 25.02.2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 40. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Wir haben das freudige Ereignis, dass weder jemand erkrankt noch beurlaubt ist. Das heißt, das Haus ist vollzählig.

(Vereinzelter Beifall)

Die Fraktionen von CDU und SPD haben im Wege der Dringlichkeit mit der Drucksache 16/2498 einen Wahlvorschlag mit dem Betreff „Ersatzwahl und Umbesetzung“ für den Richterwahlausschuss eingereicht. Ich gehe davon aus, dass über diesen Wahlvorschlag in dieser Tagung entschieden werden soll. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. Ich schlage Ihnen vor, den Wahlvorschlag als Tagesordnungspunkt 8 a) in die Tagesordnung einzureihen und ohne Aussprache zu behandeln. - Auch hier höre ich keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln. Zu den Tagesordnungspunkten 2, 4, 18, 25 bis 27, 43 und 45 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Punkte 10, 11, 13, 33, 34 und 41. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 21 und 39, Aufhebung des Runderlasses zum Landesentwicklungsplan und Raumordnungsbericht Zentralörtliches System, die Tagesordnungspunkte 29 und 35, Investitionspaket zur Stabilisierung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sowie a) Initiativen zur Stabilisierung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung und b) Programm für Zukunft und Beschäftigung, sowie die Tagesordnungspunkte 30 bis 32 und 36 bis 38 zur Energiepolitik in Schleswig-Holstein.

Den Antrag zu Tagesordnungspunkt 17, Erhalt der Frauenfacheinrichtungen in Schleswig-Holstein, Drucksache 16/2457, hat der Antragsteller zurückgezogen. Anträge zur Aktuellen Stunde und zur Fragestunde liegen nicht vor. Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 40. Tagung. Wir werden heute und morgen je

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weils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist ein Sitzungsende für etwa 12 Uhr vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Auszubildende der Polizei aus Eutin, und zwar aus dem Fachbereich Allgemeinbildung. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Außerdem sehe ich unsere ehemaligen Kollegen Behm und Professor Wiebe. - Auch Ihnen ein herzliches Willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

Keine Schuldenbremse ohne Entschuldungskonzept

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2487

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2510 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich das, was hier in den letzten Wochen stattgefunden hat, vor zwei Jahren in einem Albtraum geträumt hätte, hätte ich das für völlig irreal gehalten. Haben wir früher über die Einsparung einzelner Stellen und von 1.000-DM-Beträgen verhandelt, geht es jetzt um Milliarden für die Bank, Hunderte von Millionen für ein Konjunkturpaket, und gleichzeitig erklärt die Landesregierung, dass sie die Schulden mit einer Vollbremsung auf null bringen will.

Kurt Tucholsky sagte einmal in einem schlauen Aufsatz: „Eine Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie dann ja auch nichts mehr.“ Aber wir sind schon einen Schritt weiter.

Der Ministerpräsident hat sich am Montag persönlich an die Spitze der Opposition gestellt und fordert personelle Konsequenzen für die Verantwortlichen. Fragt sich nur: Wen meinen Sie? Wenn Sie sich weiter so steigern, dann fordern Sie morgen Ihren eigenen Rücktritt. - Nur Mut!

Kommen wir zur Schuldenbremse. Herr Carstensen hat mir am Sonnabend in einem Interview mit den „KN“ vorgeworfen, ich würde Schreckensszenarien von Massenentlassungen zeichnen, die wir angeblich vornehmen müssten, wenn wir uns an die Schuldengrenze hielten. Wörtlich spricht er dann weiter: „Das ist Tüdelkram und Angstmache.“

Herr Ministerpräsident, erstens bin ich für die Schuldenbremse. Der Schuldenabbau ist für meine Fraktion eine Herzensangelegenheit.

(Lachen bei der CDU)

- Sie können sich beruhigen. Wir waren das immer, auch in Regierungszeiten, sonst hätten wir uns nicht den permanenten Ärger eingehandelt, überall Stellen abzubauen, sogar bei der Polizei und im Naturschutz - was Sie nie geschafft haben. Aber wenn man eine Schuldenbremse einführen will, braucht man auch ein realistisches Konzept, wie die Verschuldung auf null gebracht werden soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das, was ich vorgerechnet habe, Tüdelkram ist, dann erklären Sie doch bitte einmal, wie Ihr Konzept aussieht. Wo wollen Sie 500 Millionen € und mehr einsparen? - Bei der Polizei, bei den Schulen, im Straßenbau, bei den Hochschulen, bei der Justiz oder gar in der Staatskanzlei? Wann gedenken Sie, dieses Konzept im Landtag bekannt zu geben?

Solange Sie das nicht geliefert haben, halte ich mich an die Zahlen, die uns Ihr Finanzminister Wiegard in der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt hat. Rechne ich die globale Minderausgabe und die Nettokreditaufnahme zusammen, wie das auch der Kollege vom Rechnungshof gestern gemacht hat

(Zurufe von der CDU: Der Kollege?)

- der Präsident des Landesrechnungshofs; er verzeiht mir noch einmal -, dann liegt das geplante Defizit für 2010 bei 557 Millionen €, für das Jahr 2012 - hört, hört! - liegt das geplante Defizit bereits bei 832 Millionen €. Das ist Ihre Finanzplanung, nicht meine.

Fazit, Herr Carstensen: Ich ging bei meiner „Angstmache“ von einem strukturellen Defizit von

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(Präsident Martin Kayenburg)

500 Millionen € aus. Ihr Finanzminister Wiegard, von dem Sie am Freitag noch gesagt haben, er mache einen tollen Job - ich weiß nicht, was solch ein Lob wert ist -, geht für 2012 sogar von einem Defizit von 800 Millionen € aus. Sie sehen, ich bin also wesentlich optimistischer als Ihr Finanzminister.

Aber leider sind das alles Zahlen von gestern. Erstens müssen wir angesichts der Krise mit Steuerausfällen rechnen. Der Landesrechnungshof rechnet mit einer Belastung des Haushalts bis 2012 von zusätzlich 1 Milliarde €. Zweitens dürfte die HSH Nordbank mittelfristig auch nicht umsonst sein. Und was passiert, wenn, wie vom Finanzminister prognostiziert, mittelfristig die Zinsen steigen? Ein Anstieg der Zinsen um 1 % bedeutet, Herr Carstensen, bei heutigem Schuldenstand immerhin 250 Millionen € pro Jahr zusätzliche Belastung. Rechne ich das zusammen und runde ich dann ganz doll nach unten ab, dann kann das strukturelle Defizit des Landes nach der Krise sehr schnell weit über 1 Milliarde € liegen. Wenn Sie das „Tüdelkram“ nennen, Herr Carstensen, dann haben Sie jeden Bezug zur Realität verloren!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mich erinnert das daran, wie der damalige Vorstandsprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, bei der Pleite des Familienunternehmens Schneider von „Peanuts“ sprach. Damals ging es nur um 50 Millionen €. 500 Millionen € sind „Tüdelkram“; das klingt ja auch besser auf Platt. Das zeigt, wie die Zeiten des Zynismus vorangeschritten sind.

Nun hat Ihr Fraktionsvorsitzender Wadephul neuerdings eine aufschlussreiche Bemerkung gemacht. Er sagte: Wir müssen ja gar nicht jetzt schon auf null bei der Neuverschuldung kommen, wir hätten ja noch zehn Jahre Zeit. Das stimmt. Das hat nur einen Haken, Herr Wadephul: Wenn Sie jetzt nicht auf null kommen, dann machen Sie in den kommenden Jahren weiter neue Schulden, und für diese Schulden müssen Sie 2020 auch noch Zinsen zahlen. Bei einer Neuverschuldung von nur 500 Millionen € jährlich bedeutet das bis 2019 noch einmal 5 Milliarden €. Das kostet bei heutigem Zinssatz nochmals 200 Millionen € jährlich. Um das alles einzusparen, Herr Carstensen, reicht es nicht mal, die komplette Justiz und Polizei einzusparen, da können Sie gleich noch alle Hochschulen schließen.

Meine Damen und Herren, nun hat ja der Ältestenrat in seiner Verzweiflung einmütig - in seiner Verzweiflung über die Regierung, hätte ich beinahe vergessen - mit einer Klage gegen die Schulden

bremse gedroht. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der nicht so recht daran glauben kann, dass das Ganze gut gehen kann. Aber ich muss feststellen: Das löst nicht unser Problem; denn unser Problem ist nicht die Schuldenbremse, unser Problem ist der hohe Schuldenberg, an dem wir alle mitgeschaufelt haben.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Unser Problem ist, dass die Landesregierung schlecht verhandelt hat und der Ministerpräsident bis heute nicht weiß, worüber er eigentlich redet. In den „Kieler Nachrichten“ vom Sonnabend sagte er doch tatsächlich, seine Ausgangsposition bei den Verhandlungen seien 1 Million € Schuldenhilfe bis 2020 gewesen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: 1 Milliarde!)

- 1 Milliarde! - Das entspräche 100 Millionen € jährlich. Tatsächlich - Herr Finanzminister, korrigieren Sie mich - hat der Finanzminister uns aber sein Konzept des Altschuldenfonds vorgestellt, das in der Konsequenz Finanzhilfen von 300 Millionen € jährlich für Schleswig-Holstein umfasste. Und das nicht nur bis 2020, sondern bis zur Tilgung der Altschulden. Herr Carstensen, entweder wissen Sie nicht, was die Position Schleswig-Holsteins bei den Verhandlungen gewesen ist - dann kann ich mir gut denken, wie energisch Sie die Interessen des Landes vertreten haben -, oder Sie passen im Nachhinein die Ausgangsposition Ihrem katastrophalen Verhandlungsergebnis an. Es fällt mir schwer zu entscheiden, was mich mehr erschreckt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist dabei, den schleswig-holsteinischen Karren mit Vollgas gegen die Wand zu fahren. In dieser Lage beobachte ich verschiedene Formen der mentalen Krisenbewältigung.

Erstens der Verzweifelte alias Rainer Wiegard. Er ist sich über den Ernst der Lage klar, aber er weiß keinen Ausweg.

Zweitens der Traumtänzer alias Wolfgang Kubicki. Er hat aus dem Desaster der CDU mit ihren gebrochenen Wahlversprechen nichts gelernt. Er fährt im Lande herum und verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel: höhere Gehälter, bessere Stellenkegel, mehr Stellen und so weiter. Man kann ihm nur wünschen, dass diese Wahnträume nie mit der Wirklichkeit konfrontiert werden.

Dritte Variante: Die Gesundbeter alias Peter Harry Carstensen und alias Johann Wadephul. Tatsächlich

(Karl-Martin Hentschel)

sind sich die beiden diesmal einig; das ist schon erstaunlich. Für sie wird alles gut. Man muss nur ordentlich daran glauben.

Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen haben heute Morgen einen Änderungsantrag vorgelegt, der in drei Punkten mit unserem Antrag übereinstimmt. Es war ein Änderungsantrag, der den vierten Punkt unverändert lassen soll. So ist er vorgelegt worden. Ich hatte mich mit Anke Spoorendonk darauf geeinigt, diesen Änderungsantrag zu übernehmen, weil es uns nicht auf semantische Feinheiten ankommt. Nun haben wir vor fünf Minuten noch einen neuen Antrag vorgelegt bekommen, und man staune, es fehlt der Punkt 4. Ich muss eines sagen: Auch der Punkt 3 ist ja schon sehr deutlich; deutlicher kann man im Grunde nicht ausdrücken, dass beide Regierungsfraktionen, SPD und CDU, der Landesregierung nicht mehr trauen und das Verhandlungsergebnis der Landesregierung ablehnen. Wenn wir das verabschieden, sind wir schon einen Schritt weiter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)