Ich darf Ihnen mitteilen, dass niemand erkrankt ist, was uns alle freut, und dass Herr Abgeordneter Dr. Stegner beurlaubt ist.
Auf der Tribüne begrüßen Sie bitte mit mir sehr herzlich Angehörige der Bundeswehr aus Kiel. Herzlich willkommen!
Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herrn Dr. Christian von Boetticher, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD hat uns in unserem Hause in den letzten sechs Monaten einiges an Arbeit abverlangt. Das kann man erkennen, wenn man die 92 verumdruckten Seiten liest. Es geht am Ende um weit mehr als nur den Küstenschutz. Es geht auch um die Frage von einwandernden Arten, um Küstengewässer und um die Gewässerqualität. Ich möchte mich in meiner Rede heute Morgen natürlich vor allen Dingen auf den Küstenschutz konzentrieren. Was wir in diesem Bereich tun, schützt immerhin 25 % unserer Landesfläche. 300.000 Menschen wohnen in diesen Gebieten und wären unmittelbar durch Fluten bedroht und betroffen, wenn wir in diesem Bereich nicht unsere Arbeit leisten würden. An diesen Zahlen wird deutlich, dass Küstenschutz für uns in der Landesregierung oberste Priorität hat. Wir sind
Wir waren das erste Bundesland, das bei der Bemessung der Deiche vorsorglich einen Klimazuschlag genommen hat, und zwar weit vor der aktuellen Klimadiskussion, die wir im Augenblick führen. Der UNO-Klimabericht aus dem Jahre 2007 hat uns eindrucksvoll bestätigt, wie vorausschauend dieser Zuschlag aus der heutigen Sicht ist.
Was haben wir heute an Bestand? - Es gibt bei uns 431 km Landesschutzdeiche. Dazu kommen 96 km Regionaldeiche und die 570 km lange zweite Deichlinie, die einen zusätzlichen Schutz an der Westküste darstellt. Es sind insgesamt 3.600 km2 an Landesfläche, die dadurch geschützt werden. Das ist eine Fläche, die so groß ist wie das Saarland, Bremen und Hamburg zusammen. Die beiden ganz großen Bereiche sind dabei Nordfriesland mit 1.600 km2 und Dithmarschen mit 1.000 km2. Für die Unterhaltung unserer Landesdeiche wenden wir pro Jahr durchschnittlich etwa 10 Millionen € auf. Dazu kommen die Kosten für die Unterhaltung der Regionaldeiche und der zweiten Deichlinie in der Trägerschaft der Verbände.
Wir haben uns bei der Beantwortung der Großen Anfrage auch mit den Fragen des Deichrückbaus beschäftigt. Ich glaube, es wird deutlich, dass entsprechende Maßnahmen nur in Ausnahmefällen infrage kommen, und zwar dann, wenn der Sicherheitsabstand einschließlich einer eventuell vorhandenen doppelten Deichsicherheit erhalten bleibt. Wir haben von solchen Maßnahmen in SchleswigHolstein erst zweimal Gebrauch gemacht, überwiegend aus Naturschutzgründen, und zwar in der Geltinger Birk und auf Fehmarn. Das waren betroffene Niederungen, wo natürlich keine Menschen wohnten. Die Situation wird langfristig zu beobachten sein. Wie gesagt, derzeit kommen solche Maßnahmen nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Wenn man viele Tage seiner Jugend an der Westküste verbracht hat, konnte man feststellen, dass gerade in den 70er-Jahren die Landabgänge auf den Inseln Sylt und Föhr erheblich gewesen sind. Ich kann mich noch an meine Jugend in den 70er-Jahren erinnern; damals gab es den sogenannten wandernden Bunker. Als man klein war, stand dieser oben auf der Düne. Wenn man ein oder zwei Jahre später an derselben Stelle vorbeikam, stand er am Strand. Weitere zwei oder drei Jahre später war er plötzlich im Wasser versunken. Der Witz ist natürlich, dass nicht der Bunker wandert, sondern sich das Meer in dieser Zeit immer mehr ins Landesin
nere vorfraß. Das war wirklich ganz offensichtlich und für jeden zu beobachten. Uns ist es in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelungen, diesen Landabbruch auf den Inseln zu stoppen, aufzuhalten und vor allen Dingen durch unsere Sandvorspülungen die Linie zu stabilisieren.
- Ich glaube, das ist durchaus einen Applaus wert, denn es war in den 60er- und 70er-Jahren überhaupt nicht vorhersehbar, dass das einmal gelingen würde.
Es wurden in den letzten 20 Jahren insgesamt 130 Millionen € aufgewendet, um insgesamt 30 Millionen m3 Sand aufzuspülen. Davon entfielen allein auf die Insel Sylt rund 28 Millionen m3 und auf die Insel Föhr rund 2 Millionen m3.
Natürlich kommt auch die Frage auf: Gibt es keine Alternative zu diesen doch sehr umfangreichen und über die Jahre natürlich auch kostenintensiven Maßnahmen? Wir haben uns in der Beantwortung der Großen Anfrage deshalb auch um die technische und finanzielle Machbarkeit von anderen Techniken gekümmert. Diese Techniken mussten überprüft werden. Auch die Naturverträglichkeit musste überprüft werden. Die Konsequenz können Sie nachlesen: Bei all den Möglichkeiten, die uns vorgestellt worden sind - auch in Dänemark, wo neue Verfahren angewandt worden sind -, ist am Ende deutlich geworden, dass es zu den Sandaufspülungen im Augenblick keine Alternative gibt. Sie sind die effizienteste und naturverträglichste Küstenschutzmaßnahme zur Stabilisierung unserer erosiven sandigen Küsten. Im Übrigen entspricht dies auch dem internationalen Kenntnisstand. So empfiehlt zum Beispiel die niederländische DeltaKommission im Jahre 2008 nach Prüfung aller möglichen Alternativen die Intensivierung der Sandaufspülung als Antwort auf den Klimawandel und seine Konsequenzen.
Woher kommt der Sand? - Wir haben eine Lagerstätte ungefähr 7 km westlich von Westerland. Nach einer Erkundung in den 80er-Jahren ist deutlich geworden, dass dort unter Zugrundelegung der heutigen Aufspülungsmenge noch Reserven für 1.000 bis 1.500 Jahre liegen. Das sollte wahrscheinlich erst einmal reichen.
Bei der Aufstellung des Generalplans Küstenschutz wurde eine Sicherheitsüberprüfung der Landesschutzdeiche eingeführt. Das Ergebnis ist,
dass 110 km dringend verstärkt werden müssen. Hierfür gibt es ein langjähriges Bauprogramm mit geschätzten Kosten in Höhe von 256 Millionen €. Derzeit müssen noch etwa 75 km verstärkt werden. Schwerpunkte sind dabei Nordfriesland, Fehmarn und der Oldenburger Graben. Insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten Klimaänderung dürfen wir bei diesen Anstrengungen natürlich nicht nachlassen. Es freut uns deshalb, dass es nach vielen Verhandlungen und viel Überzeugungsarbeit gelungen ist, den Bund dazu zu bewegen, seine Küstenschutzmittel aufzustocken. Sie können sich vorstellen, dass dies keine einfache Debatte gewesen ist, denn die Mehrheit der deutschen Bundesländer hat keine Küstenlinie. Dort wird immer wieder hinterfragt, warum dies im Norden alles sein müsse. Wir haben uns aber ganz gut durchsetzen können.
Der Bund hat dafür gesorgt, dass bis zum Jahre 2025 die Küstenländer insgesamt 380 Millionen € an zusätzlichen Bundesmitteln erhalten.
Für Schleswig-Holstein bedeutet dies etwa 85 Millionen € mehr an Bundesmitteln bis 2025. Was mich auch stolz macht, ist, dass es trotz dieser angespannten Finanzlage, die wir derzeit haben, gelungen ist, auch die erforderlichen Kofinanzierungsmittel in Höhe von etwa 26 Millionen € wieder bereitzustellen. Mit den zusätzlichen Mitteln ist es dann möglich, erforderliche Deichverstärkung in der Hälfte der ursprünglich veranschlagten Zeit durchzuführen, die die langfristige Auslegung des Sonderprogramms bis zum Jahre 2025 gewährleistet. Darüber hinaus ist auch eine schnelle und effektive Reaktion auf mögliche spätere Erfordernisse des Klimawandels möglich.
Die Landesregierung hat sich besonders auf den ökologischen Wert der Küste besonnen. Die Planung und Umsetzung der erforderlichen Küstenschutzmaßnahmen werden in Anerkennung dieser Tatsache möglichst naturverträglich durchgeführt.
„Küstenschutz hat wegen seiner lebensschützenden Funktion Vorrang vor anderen Interessen, auch vor den Interessen des Naturschutzes.“
der vierte UNO-Klimabericht aus dem Jahre 2007. Er stellt den gemeinsamen Konsens der internationalen Klimaforschung dar. Deswegen bauen wir heute schon unsere Deiche mit einem Klimazuschlag von 50 cm an der Nordsee und in der TideElbe und etwa 30 cm an der Ostsee als vorsorgende Maßnahmen. Die regelmäßige Überprüfung der Deichsicherheit etwa alle zehn Jahre garantiert darüber hinaus eine flexible und zeitnahe Berücksichtigung künftiger Entwicklungen und verbesserter Verfahren.
Wir werden genau gucken, wie sich beispielsweise eine schnellere Abschmelzung des Grönlandeises auf den Meeresspiegel auswirkt. Hier gibt es bisher noch keine genauen Prognosen, sondern nur Szenarien. Aber das sind Dinge, die natürlich in Zukunft auch stärker berücksichtigt werden müssen.
Neben dem Hochwasserschutz, wie gesagt, wird der Klimawandel auch Konsequenzen für die Sicherung der Küsten vor Landabbruch haben. Nach unserer Einschätzung muss infolge des Klimawandels in einigen Jahrzehnten mit verstärktem Küstenabbruch gerechnet werden, dann auch an den Stellen, die heute stabil sind.
Ich kann zusammenfassen: Die Folgen des Klimawandels für die Küsten sind ernst und dürfen nicht unterbewertet werden. Die Küsten und Küstenschutzanlagen werden künftig erhöhten Belastungen ausgesetzt sein. Eine derzeitige Überarbeitung der Anpassungsstrategie ist jedenfalls noch nicht erforderlich, weil bereits ein Sicherheitszuschlag eingerechnet ist. Wir müssen allerdings wachsam bleiben. Gerade in der Klimaforschung gibt es ständig neue Erkenntnisse. Sie sollen und müssen zeitnah bewertet und berücksichtigt werden. Aber ich glaube, dass wir auch hier mit den Instrumenten des Generalplans gut aufgestellt sind.
Ich danke Herrn Minister von Boetticher für die Beantwortung der Großen Anfrage. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Detlef Buder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was liegt näher, als dass sich der Landtag des Landes zwischen den Meeren mit Küstenschutz und Küsten in SchleswigHolstein auseinandersetzt? Denn der Küstenschutz
hat für Schleswig-Holstein als Land zwischen den Meeren mit rund 1.200 km Küste parteiübergreifend und unabhängig von der politischen Farbe der Landesregierung oberste Priorität gehabt und wird es weiter haben.
Alle notwendigen Maßnahmen des Küstenschutzes wurden durchfinanziert und nach Prioritäten abgeschichtet umgesetzt. Ich kann mich noch gut an die merkwürdige Situation zum Beispiel in Neufeld erinnern, in der gezielt Misstrauen gegen die SPD-geführte Landesregierung und ihren Willen zum Küstenschutz gestreut wurde. Selbst die Durchführung augenscheinlich begonnener Maßnahmen wurde bestritten. Der Regierung wurde unterstellt, die Sicherheit der Küstenbewohner hintanzustellen.
Auch in Neufeld hat inzwischen teilweise ein Meinungsumschwung stattgefunden. Der Landesdeich dort wurde wie geplant, mit einem Aufwand von 40 Millionen € ertüchtigt, im Sommer letzten Jahres eingeweiht. Er schützt heute besser denn je die Menschen vor gefährlichen Einflüssen des Meeres.
Ein ehrliches Dankeschön auch für den Deich mit Fenster dort - das muss man wissen -, ein besonderes Entgegenkommen des Ministeriums den dortigen Bewohnern gegenüber, ein ehrliches Dankeschön oder gar eine Entschuldigung für das frühere Verhalten habe ich allerdings bisher aus dieser Gegend nicht vernommen. Die Erwartung, dass dies in Zukunft stattfinden wird, wird wohl auch vergebens sein.