Protokoll der Sitzung vom 27.02.2009

Die Zuordnung erwachsener Arbeitsloser unter 25 Jahren zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern ist genau so ein Fall.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das hat nicht zur Klärung beigetragen, sondern hat zu mehr Verunsicherung geführt. Hier ist mit Sicherheit eine Überarbeitung angebracht.

Egal, lieber Kollege Baasch, mit wem wir uns im Ausschuss unterhalten: Dass es so nicht weitergehen kann, hat der Kollege Geerdts in seinen Ausführungen, insbesondere was die Belastungen der Sozialgerichtsbarkeit angeht, ausdrücklich noch einmal dargestellt. Ich teile auch diese Ansicht. Den Rest werden wir, denke ich, im Sozialausschuss vernünftig beraten.

(Beifall bei FDP, CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die von Arbeitsloseninitiativen als Zwangsgemeinschaften kritisierten Bedarfsgemeinschaften sind ein Konstrukt, das die Gerichte ständig auf Trab hält und das ständig nachgebessert wird - zuletzt im Sommer 2006 mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Der einzig nachhaltige Effekt dieser Lösung ist, dass wir nun sehen können, dass die Zahl der Gerichtsverfahren überhand genommen hat und die Bürokratie in den zuständigen Behörden massiv angestiegen ist.

Mit der Gesetzesänderung von 2006 versuchte die Bundesregierung, mögliche Schlupflöcher zu stopfen, indem sich zusammenwohnende Menschen nicht einfach als Wohngemeinschaft ausgeben können, wenn sie dort in einer anspruchsgeminderten Bedarfsgemeinschaft leben. Darum wurde in § 7 Abs. 3 a SGB II eine Beweislastumkehr konstruiert.

Der Gesetzgeber vermutet automatisch eine Bedarfsgemeinschaft, wenn - ich zitiere - „ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen“, besteht. Länger als ein Jahr gemeinsam in einer Wohnung lebende Erwachsene werden als Bedarfsgemeinschaft angesehen und müssen demnach füreinander aufkommen - egal, wie sie zueinander stehen.

Auf der anderen Seite stehen die ARGEn und die Sozialzentren, die versuchen, ihre Arbeit nicht unnötig zu bürokratisieren - ein Spagat, der nicht gelingen kann.

Viele Jobberater sind genervt von dem engen Korsett dieser Vorschrift. Sie sind zu Recherchen und umfangreichen Aktenvermerken gezwungen oder müssen auf das Ergebnis der Prüfung durch die Außendienstmitarbeiter warten. Das alles frisst Zeit und kostbare Ressourcen, die für Beratung und Arbeitsvermittlung fehlen. Diese Zeit fehlt dann auch den Betroffenen. Geldleistungen können sich hinziehen. Auch die Vermittlungsleistungen sind abhängig davon, welchen Status eine Person hat. Verlierer sind somit alle: die wohlwollenden Arbeitsvermittler wie auch die betroffenen Leistungsbezieher.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass es nur genauer Vorschriften bedarf, um eine gerechte Geldverteilung zu gewährleisten - im Gegenteil. Wir müssen vom Regelungswahn,

(Dr. Heiner Garg)

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen bittet um Ruhe)

auch wenn man damit meint, im Detail und im Einzelfall Gerechtigkeit hinzubekommen, weg. Der Bundesgesetzgeber zwingt zu Kontrollen, Hausbesuchen und Nachweisen und bleibt dennoch unehrlich. Man kann keine Gerechtigkeit per Verordnung durchsetzen. Es wird immer schwarze Schafe geben. Ich glaube, dass sich die Menschen auch hier ihre Schlupflöcher suchen werden und diese dann wieder vom Gesetzgeber geschlossen werden, sodass sich dieser Prozess ewig fortsetzen kann. Was bleibt, sind Bürokratie und vermehrte Kosten. Ich glaube, wir können diese Kosten sparen, wenn wir hier Leistung nach einheitlichen Prinzipien für die einzelnen Personen gewähren würden und uns die Bürokratie ersparen würden. Besser wäre es, diese Bürokratiekosten in die Vermittlung und Weiterbildung von Arbeitsuchenden zu stecken.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier haben die damaligen sogenannten Hartz-IVReformen nämlich kläglich versagt. Oberstes Ziel der Arbeitsmarktreform war und sollte es auch bleiben, Menschen in Arbeit zu bringen. Das vergessen wir oftmals. Ich warne davor, sich durch vorgebliche TV-Dokumentationen und einen reißerischen Boulevard-Journalismus aufstacheln zu lassen. Transparenter und leichter zu administrieren wäre eine einfache Regelung, die auf einer budgetierten Grundlage arbeitet. Das wäre vernünftiger, kostengünstiger und vor allem verfassungsrechtlich einwandfrei.

Derzeit gibt es allerdings keine Mehrheit zur Abschaffung des Bedarfsgemeinschafts-Konstrukts im ALG II, zumindest nicht solange die schäbigen Äußerungen des Herrn Mißfelder auf fruchtbaren Boden fallen.

Leistungsbezieher pauschal zu diffamieren, passt nun wirklich nicht mehr in diese Zeit. Vielmehr müssen wir die Menschen aus ihrer derzeitigen Situation herausholen und ihnen eine neue Perspektive geben. Hierfür sollte man das Geld ausgeben und nicht für unnötige Bürokratie. Die Bedarfsgemeinschaften müssen weg. Wir brauchen wesentlich mehr Förderung und nicht immer nur Forderungen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Das Wort für die Landesregierung hat nun der Herr Minister Uwe Döring.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da von allen Fraktionen so viel Richtiges hier gesagt worden ist, muss ich das jetzt nicht alles wiederholen. Lassen Sie mich einige Grundsätze sagen, damit hier auch kein Missverständnis entsteht. Ich freue mich natürlich, wenn meine Pressemitteilungen gelesen werden. Sie müssen aber nicht jedes Mal zu einer Antragstellung im Landtag führen.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Im gesamten Bereich der Arbeitsmarktverwaltung, der Grundsicherung gilt für mich Folgendes: Es gibt kein Zurück in die Zeiten vor 2005.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Das heißt, die Grundsätze waren und bleiben richtig. Zu den Grundsätzen gehört Fordern und Fördern - beides. Jeder Mensch hat einen Anspruch darauf, dass er, wenn er in Not gerät, die Hilfe der Allgemeinheit bekommt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Jeder hat auch die Pflicht, so schnell wie möglich, wenn er es kann, sich aus dieser Notlage zu befreien. Dazu müssen wir Hilfestellung geben. Die Grundsicherung, über die wir hier reden, ist nicht angelegt als dauerhafte Lohnersatzleistung. Auch das muss klar gesagt werden.

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Unser Ziel war es, möglichst viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Das wird möglicherweise bei dem einen oder bei der anderen nicht gelingen. Da müssen wir über andere Dinge nachdenken, wie wir das vernünftig regeln können. Da gibt es vielfältige Probleme. Eben wurden noch einmal die Ausführungen von Herrn Mißfelder angesprochen. Das waren dumme Bemerkungen, die man anders nicht bezeichnen kann.

Ein Fünkchen Wahrheit ist dabei: Wir haben bei vielen Menschen Alkohol- und Nikotinprobleme, andere Dinge kommen hinzu. Gerade bei Langzeitarbeitslosen sind so viele Probleme vorhanden, die gemeinsam gelöst werden müssen. Das muss man nur anders formulieren.

(Lars Harms)

(Beifall bei CDU und FDP)

Man darf davor aber auch nicht die Augen verschließen. Meine Initiative heißt nicht, automatisch mehr Geld - die Zahlen haben Sie alle genannt. Wir können nicht laufend Lebenszeitrichter nachsteuern, die uns 30, 35, 40 Jahre - wenn sie bis 68 Jahre arbeiten - nachher auf der Payroll stehen, wenn hoffentlich so viele nicht mehr gebraucht werden. Wenn ich erst einmal einen eingestellt habe, bekomme ich ihn nicht wieder in eine andere Gerichtsbarkeit. Das ist nun einmal bei der richterlichen Unabhängigkeit so. Das heißt, dieses Nachsteuern können wir auf Dauer nicht übernehmen. Deswegen müssen wir dort anpacken, wo die Probleme liegen. Ich habe dazu zwei Beispiele genannt, Frau Birk, die Bedarfsgemeinschaften, und zwar unter dem Gesichtspunkt, den auch Herr Garg angesprochen hat. Es ist nicht nachvollziehbar, dass hier Unterhaltspflichten konstruiert werden, die wir im übrigen Rechtssystem nicht kennen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Das kann niemand nachvollziehen. Wenn Sie sich so einen Bescheid einmal angucken: Selbst relativ einfache Lebensverhältnisse sind ohne Erklärung nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Auch das ist ein Problem. Es ist nicht so, wie die BA, die bekannterweise eine meiner Lieblingsbehörden ist, jetzt am 19. Februar 2009 gerade festgestellt hat, dass nämlich die Flut an Widersprüchen nicht ihre Ursache im „Gesetzesmurks“ hat - das würde ich nie so formulieren, aber wenn Sie es so tun, wird vielleicht etwas daran sein -, sondern es liege schlicht und einfach daran, dass es mehr Empfänger gebe. Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe. Denn wir haben uns immer nur auf die Zahl der Widersprüche und Klagen nach dem neuen Gesetz und nicht auf alte Dinge berufen. Da ist festzustellen: Wir haben das Ganze damals gemäß den Prognosen bei der Gesetzgebung ausgesteuert. Wir haben festgestellt: Wir sind jetzt beim Dreifachen. Das heißt, da stimmt auch etwas in der Gesetzgebung nicht. Es muss hier nachgesteuert werden, nicht nur an diesen beiden Punkten. Es gibt eine ganze andere Reihe anderer. Ich kann nur sagen: Eine Gesetzesinitiative im Bundesrat, isoliert zu diesen beiden Dingen, werde ich nicht machen.

Ich schlage vor, dass wir das im Ausschuss diskutieren. Ich werde in meiner Zuständigkeit Folgendes machen: Ich werde Gespräche führen mit allen Betroffenen im Lande, mit der Bürgerbeauftragten.

Ich habe einen Diskurs begonnen mit der Sozialgerichtsbarkeit, mit dem Landessozialgericht, aber auch mit dem Bundessozialgericht, um zu sehen, was die höchstrichterliche Rechtsprechung ist. Wir werden entsprechende Vorschläge erarbeiten und in die Gremien auf Bundesebene einbringen. Und wir werden das sehr gern mit Ihnen diskutieren. Ziel muss es sein, das gefühlte Recht wieder in Einklang mit dem geschriebenen Recht zu bringen.

Lassen Sie mich ein abschließendes Wort zur Nachfolge der ARGE sagen. Die Situation ist wie folgt: Alle Länder sind sich einig. Das gilt sowohl für die Arbeitsminister von der CDU oder der CSU, für Frau Haderthauer oder für die Kolleginnen und Kollegen. Wir alle sind uns einig darin, dass wir ein Nachfolgemodell wollen. Das Problem ist im Moment in der Bundespolitik zu suchen. Ich denke, wir alle gemeinsam werden hier etwas erreichen. Es darf nicht sein, dass durch das Nichtstun das passiert, was eigentlich niemand von uns will, nämlich dass alles aufgelöst wird, dass wir zwei Zuständigkeiten haben und dass am langen Ende die von mir sehr geschätzte Einrichtung der BA auf einmal der große Gewinner ist, weil alles in ihre Zuständigkeit rutscht. Es darf nicht sein, dass auch noch die Optionskommunen gefährdet werden. Das darf nicht passieren. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Minister Uwe Döring. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/2484 an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Danke, das ist so geschehen.

Wir kommen nun zur Sammeldrucksache und den Tagesordnungspunkten ohne Aussprache.

Ich rufe auf:

Sammeldrucksache über Vorlagen gemäß § 63 Abs. 1 a der Geschäftsordnung des SchleswigHolsteinischen Landtags

Drucksache 16/2500

Wir werden über die Punkte der Tagesordnung, für die eine Aussprache nicht vorgesehen ist, in einer Gesamtabstimmung beschließen. Voraussetzung ist,

(Minister Uwe Döring)