Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

Wir werben für unseren Gesetzentwurf. Wir werben für den begleitenden Antrag, der das, was ich hier dargestellt habe, noch einmal zusammenfasst. Wir hoffen auf eine intensive Anhörung. Wir wissen, dass die Lebenshilfe und diejenigen, die sich seit Langem mit diesem Thema befassen, hinter uns stehen. Einige würden gern noch radikalere Schritte gehen. Die meisten haben aber gesagt, dass unser

(Angelika Birk)

Schritt pragmatisch und realisierbar und ein deutlicher Schritt nach vorn ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Heike Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Gott, Frau Birk, was strotzte das vor Unkenntnis. Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal in einer Schule?

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist im vergangenen Jahr von der Bundesregierung ratifiziert worden. Die CDU-Fraktion begrüßt dies ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU)

Diese Beschlüsse tragen dazu bei, die Rechte auf Bildung und Gleichstellung in den Ländern zu fördern, insbesondere in den Ländern, in denen sie noch nicht selbstverständlich sind.

Die Grünen schließen daraus, dass alle Kinder unabhängig von ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten gemeinsam unterrichtet werden müssen. Nein, das ist nicht ganz richtig, nicht alle Kinder. Nach Ansicht der Grünen sollen bei einigen Behinderungen allein die Eltern entscheiden, ob ihre Kinder integrativ oder an einem Förderzentrum beschult werden, während bei anderen Behinderungen eine Beschulung an einem Förderzentrum gar nicht mehr möglich sein soll.

Im Einzelfall bedeutet dies, Eltern eines Kindes mit einer ausgeprägten Lernbehinderung, das vielleicht auch noch von einer emotionalen Störung betroffen ist, müssen nach den Vorstellungen der Grünen ihr Kind auf jeden Fall an einer Regelschule anmelden, während Eltern eines Kindes mit DownSyndrom wählen können, wo ihrer Meinung nach der geeignetere Förderort für Ihr Kind ist. Es gibt Formen von Lernbehinderungen, bei denen die Abgrenzung zu einer geistigen Behinderung nicht eindeutig vorgenommen werden kann. Wer von Ihnen entscheidet in solchen Fällen über den Ort der Förderung? - Dieses Aussortieren einzelner Behinderungen lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei der CDU)

Kinder müssen entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse gefördert werden. Dabei ist für uns immer der Bedarf des konkreten Einzelfalls ausschlaggebend. Wenn Kinder den Schonraum der kleinen Gruppe und die intensive Betreuung und Förderung eines Förderzentrums benötigen, um sich entwickeln zu können, dann müssen wir dem auch entsprechen können.

(Beifall bei der CDU)

Dabei müssen auch Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung Berücksichtigung finden. Kinder brauchen soziale Kontakte und Freundschaften zu Gleichaltrigen. Insbesondere bei Kindern mit Entwicklungsverzögerungen müssen wir darauf achten, dass es bei der integrativen Beschulung nicht zu Ausgrenzung und Vereinsamung im Klassenverband kommt. Wir brauchen für eine verantwortungsvolle sonderpädagogische Förderung von Kindern sowohl die integrative Beschulung als auch die intensive Förderung durch Fachpersonal an den Förderzentren.

(Beifall bei der CDU)

Die Grünen haben in ihrer Pressemitteilung zu Recht darauf verwiesen, dass der Anteil der Kinder, die in Schleswig-Holstein integrativ beschult werden, deutlich höher ist als der in anderen Bundesländern. Das ist richtig und mit Sicherheit auf die Verfahren zurückzuführen, die in unserem Land Anwendung finden.

Wird der sonderpädagogische Förderbedarf eines Kindes festgestellt, dann werden Koordinierungsgespräche geführt. Führen diese zu keinem Einvernehmen, wird ein Förderausschuss eingerichtet, der unter anderem den konkreten Förderbedarf der Kinder ermittelt, die benötigten Hilfs- und Lernmittel feststellt und natürlich auch über den geeigneten Förderort beschließt.

Die Behauptung in der Begründung des Gesetzentwurfes der Grünen, „dass diese Förderzentren zu Abschiebeplätzen für Schülerinnen und Schüler werden, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft einem höheren Risiko ausgesetzt sind“, ist daher meiner Meinung nach ungeheuerlich.

(Beifall bei CDU und FDP - Zurufe von der CDU: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, diese Aussage ist falsch und diffamiert die gute Arbeit der beratenden Lehrkräfte, der beteiligten Schulen und der verantwortlichen Schulämter.

(Angelika Birk)

(Beifall bei der CDU)

Die Grünen wollen, dass nur noch 15 % der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderzentren unterrichtet werden. Alle anderen sollen integrativ in allen Schularten unterrichtet werden, und zwar mit einem besonderen Hinweis auf die Gymnasien.

Das ist vor dem jetzigen Hintergrund nichts anderes als ein schöner Wert für die Statistik. Wir wollen aber keine Statistiken schönen, sondern wir wollen junge Menschen fördern.

Ich stelle daher infrage, ob das auch dem gesetzgeberischen Ziel des Artikel 24 Abs. 2 Buchstabe e) der UN-Konvention gerecht wird. Hier heißt es im Wortlaut:

„Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.“

Ich glaube, wir haben in Schleswig-Holstein ein gutes Angebot.

Bis heute wissen wir nicht, ob die integrative Beschulung in Schleswig-Holstein immer und für alle der erfolgreiche Weg für eine vollständige Integration ist. Zweifel sind durchaus angebracht; denn es werden immer wieder Umschulungen an die Förderzentren vorgenommen, weil sich die Verantwortlichen darüber einig sind, dass das Förderzentrum eben doch der geeignete Förderort ist.

Die Grünen gehen davon aus, dass auch bei abnehmenden Schülerzahlen die bestehende Ressourcenausstattung aufrechterhalten wird, die Lehrkräfte aber ab dem Schuljahr 2012/2013 ihre Schülerinnen und Schüler ausschließlich an den Regelschulen betreuen.

Derzeit werden für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen zusätzlich 1,7 Wochenstunden für die integrative Beschulung in den Schularten zugewiesen. Das vorgeschlagene Konzept der Grünen wird zu einer weiteren Verschlechterung dieser Zuweisungen führen. Glauben Sie wirklich, dass Sie damit den Kindern in diesem Förderschwerpunkt gerecht werden?

Wir haben zudem bei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf entgegen der allgemeinen Tendenz keine rückläufigen, sondern steigende Schülerzahlen, also einen höheren

Lehrerbedarf. Wie wollen Sie den abdecken? Was machen Sie eigentlich mit den Schülerinnen und Schülern, die in diesem Schuljahr in den Förderzentren unterrichtet werden? - Darauf gibt es keine Antwort. Darüber hinaus sprechen Sie in Ihrem Antrag von weiteren Fachkräften und Bertreuerinnen und Betreuern der betreffenden Schülerinnen und Schüler. Was sind das für Fachkräfte und Betreuer? Woher kommen sie, und wer finanziert sie?

Es gibt noch viel mehr Punkte, an denen man diesen Antrag aus handwerklicher Sicht kritisieren könnte. Ich möchte aber auch noch eine kurze Bemerkung an unseren Koalitionspartner richten: Ihre jüngsten Ausführungen zum Jahr der Inklusion haben mich verwundert. In Ihrer Pressemitteilung vom 13. März 2009 feiern Sie den Antrag und den Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes der Grünen als - ich zitiere - einen

„Beitrag zum ‚Jahr der Inklusion 2009’ und eine Unterstützung des Zieles von Bildungsministerin Erdsiek-Rave und der gesamten SPD, den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, der in eigenen Förderzentren unterrichtet wird, auf die im OECDRahmen üblichen 15 % und weniger zu reduzieren.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es stellt doch überhaupt niemand in diesem Haus infrage, dass wir im Rahmen der Inklusionsthematik gemeinsam die OECD-Ziele erreichen wollen. Ich stimme Ihnen auch darin zu, dass es - ich zitiere Sie erneut - ,,zu Integration und Inklusion keine Alternative gibt“, wie Sie presseöffentlich am 20. Februar 2009 erklärt haben. Ich hätte mir von Ihnen aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Vorschlägen der Grünen gewünscht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Vorschläge der Grünen vermischen Sachverhalte und sind unausgegorene Gedankenspiele. Wollen Sie tatsächlich infrage stellen, dass sich die schulische und insbesondere die sonderpädagogische Arbeit an dem individuellen Bedarf der Kinder und Jugendlichen und an den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles orientieren muss?

Ich möchte noch drei wichtige Punkte aufgreifen:

Erstens. Förderzentren sind öffentliche Schulen, deren besonderer Auftrag im Schulgesetz geregelt ist. Sie sollen junge Menschen mit besonderem Förderbedarf unterrichten, erziehen und fördern sowie Eltern und Lehrkräfte beraten. Sie nehmen Kinder dann auf, wenn sie in den anderen Schularten trotz

(Heike Franzen)

besonderer Hilfestellung dauernd oder vorübergehend nicht ausreichend gefördert werden können. Dabei unterliegen sie den allgemeinen Lehrplänen, die sowohl für die Grundschulen als auch für die Sekundarstufe I und II gelten. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, unterstellen Sie, dass diese Schulen keine Schulen des allgemeinen Bildungssystems sind. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Zweitens. Sie wollen alle Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „emotionale und soziale Entwicklung“ ausschließlich an den Regelschulen unterrichten. Das Förderzentrum „emotionale und soziale Entwicklung“ unterrichtet und erzieht Schülerinnen und Schüler, die sich wegen erheblicher Erziehungsschwierigkeiten im Rahmen von Hilfe zur Erziehung nach § 34 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in einem Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform befinden. Des Weiteren unterrichtet und erzieht es, begrenzt auf ein Jahr, Schülerinnen und Schüler, die gemäß des Achten Buches Sozialgesetzbuch Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung in Anspruch nehmen, sofern dadurch eine Heimunterbringung vermieden werden kann. Es handelt sich dabei um Kinder, die zum Teil in Einzelbetreuung erst einmal wieder an den Schulalltag herangeführt werden müssen. Nach dem vorliegenden Antrag soll das ausschließlich in Grundschulen und in den weiterführenden Schulen geschehen. Ich weiß aber nicht, wie das umgesetzt werden soll. Ist das wirklich Ihr Ernst?

Drittens. Sie wollen, dass sich Eltern von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Sehen auch für eine Beschulung im Förderzentrum entscheiden können. Ist Ihnen eigentlich klar, dass das Landesförderzentrum „Sehen“ gar keine eigenen Klassen hat? Wollen Sie diese etwa wieder einführen? Ist das wirklich Ihr Ernst?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihr vorliegender Antrag und Ihr Gesetzentwurf sind handwerklich so schlecht gemacht, dass sie beide bei allen redlichen Motiven, die Sie vielleicht damit verfolgen - zurückziehen sollten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Dr. Henning Höppner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt eine gute Nachricht: Schleswig-Holstein ist es gelungen, den Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in den Regelschulen integriert sind, in den vergangenen 15 Jahren von 18 % auf 45 % zu steigern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Vergleich zum europäischen Ausland ist das allerdings noch eine schlechte Nachricht, denn dort liegt der Standard bereits bei 85 %. Verehrte Kollegin Franzen, irgendwann wird auch ein konservativer Bildungspolitiker feststellen, dass das, was um uns herum geschieht, eigentlich nicht so schlecht ist.