Protokoll der Sitzung vom 08.05.2009

An dieser Stelle wäre noch viel zum Thema Berufsbildung und zu den ECDS-Punkten zu sagen. Ähnlich wie bei der Ausbildung an den Universitäten stehen wir hier vor einem Aushandlungsprozess, wie unsere Berufsbildungsabschlüsse wechselseitig in den verschiedenen Staaten anerkannt werden. An dieser Stelle nur der Hinweis: Wir haben noch die Drucksache der Landesregierung zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu bearbeiten. Auch hier gibt es „kommunizierende Röhren“ zu diesem Europathema. Wir werden das im Ausschuss vertiefen.

Ich komme zu meinem letzten Punkt, der aber in dem Bericht überhaupt nicht „angetickt“ wird, obwohl er sehr wesentlich ist, ein Politikum. Es geht um das Thema Arbeitszeitregelung. Es war immerhin ein an einem Kieler Krankenhaus arbeitender Arzt, der mit seinem Prozess gegen die langen Bereitschaftszeiten - es geht um die berühmten 36-Stunden-Dienste - ein wegweisendes Urteil durch mehrere Instanzen auch auf der europäischen Ebene erreicht hat.

(Werner Kalinka [CDU]: Sie haben den An- trag damals abgelehnt! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Damals haben sie noch regiert!)

Viele Menschen atmeten damals auf. Ausgerechnet der bundesdeutsche Arbeitsminister Scholz hat in den letzten Tagen mit seinem Veto -

(Werner Kalinka [CDU]: Sie haben damals den Antrag zum Thema abgelehnt!)

- Ich möchte mich an dieser Stelle nicht mit dieser Polemik von Ihnen auseinandersetzen. Die war schon damals falsch und wird auch heute nicht richtig, Herr Kalinka.

Viele Menschen atmeten damals auf, wir auch. Ausgerechnet der bundesdeutsche Arbeitsminister Scholz hat in den vergangenen Tagen mit seinem Veto eine humane Wochen- und Bereitschaftsdienstarbeitsregelung auf EU-Ebene blockiert. Das ist nicht das, was wir uns unter einem sozialen Europa vorstellen.

An dieser Stelle kann ich auch nur sehr pauschal sagen, Herr Kollege Garg: Wenn Sie Wettbewerb wollen, dann brauchen Sie faire Rahmenbedingungen und ein faires Regelwerk. Das sei auch dem Kollegen Herbst gesagt. Das haben wir natürlich nicht, wenn wir zwar grenzüberschreitenden Waren- und Leistungsverkehr haben, aber die Sicherung rudimentärer Bedürfnisse wie das Recht auf Schlaf nicht gewährleistet ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Birk, lassen Sie mich bitte zwei Feststellungen machen.

Erstens. Der Ältestenrat hat das Ende der heutigen Tagung auf 13 Uhr festgesetzt, weil die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem Bundesparteitag wollten.

Zweitens. Die Beschlussfähigkeit des Parlaments ist bis zum Ende sicherzustellen, weil nachher noch alle Punkte ohne Aussprache aufgerufen werden.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und SPD)

Nunmehr hat für die Abgeordneten des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das im Juli 2008 veröffentlichte Sozialpaket der EU-Kommission ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung - ein Schritt hin zu einem sozialen Europa.

Umso bedauerlicher ist es - ich habe es bereits in der Debatte zum diesjährigen Europabericht angesprochen -, dass die tschechische EU-Ratspräsi

(Angelika Birk)

dentschaft den für Anfang Mai geplanten Sozialgipfel abgesagt und weder die Kraft noch den Willen dazu gehabt hat, eine Ersatzveranstaltung vorzuschlagen.

Hauptthemen des genannten Gipfels hätten soziale und arbeitsmarktpolitische Fragen sein sollen, wobei vonseiten der Europäischen Kommission auch angedacht war, erstmals in der Geschichte der Europäischen Union einen Dialog zwischen den Staatschefs der EU und den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu organisieren.

Es mag sein, dass José Barroso als Kommissionsvorsitzender mit so einem Gipfel in erster Linie das soziale Image der Kommission aufpolieren wollte und die Kritiker recht hatten, die befürchteten, dass man damit angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen in Europa viel zu hohe Erwartungen wecken würde. Anders herum ist es eine vertane Chance, die nicht gerade die Glaubwürdigkeit der Ratsmitglieder stärkt, wenn sie in Sonntags- und Wahlkampfreden die mangelnde soziale Dimension in der EU anprangern.

Für den SSW steht fest: Die Grundlage der europäischen Zusammenarbeit darf sich nicht in der Freizügigkeit von Dienstleistungen, Verkehr und Kapital erschöpfen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen sollte die EU für eine soziale Staatengemeinschaft stehen, in der nicht nur der Markt regiert, sondern der Sozialstaatsgedanke eine tragende Säule der europäischen Zusammenarbeit bildet.

(Beifall beim SSW)

Lieber Kollege Herbst, ich spreche nicht von einer sozialen Union, ich spreche davon, dass der Sozialstaatsgedanke eine tragende Säule in der europäischen Zusammenarbeit sein muss.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist somit ein zentrales soziales Thema der EU, von dem das deutsch-dänische Grenzland jeden Tag wieder aufs Neue profitiert.

Tausende Arbeitnehmer, unten ihnen auch viele ohne Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, konnten in den vergangenen Jahren in Dänemark auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Die Entwicklung macht deutlich, dass wir dem Ziel eines grenzüberschreitenden, gemeinsamen Arbeitsmarktes sehr viel nähergekommen sind.

Aber zu den konkreten Problemen zählen immer noch die mangelnden Sprachkenntnisse. Daher fordern wir, dass die Landesregierung ihren Worten in dieser Hinsicht auch mehr Taten folgen lässt und den Dänischunterricht an den öffentlichen Schulen und den Beruflichen Schulen weiter ausbaut. Denn die Schaffung dieser Art von Rahmenbedingungen müssen wir selbst in die Hand nehmen, wenn wir ein soziales Europa wollen und das Subsidiaritätsprinzip auch ernst nehmen. Ohnedem geht es nicht.

Der SSW unterstützt die Landesregierung in ihren Bemühungen, bilaterale Anerkennungsverfahren zumindest für die wichtigsten beruflichen Abschlüsse zu erwirken und möglichst vielen Berufsgruppen die Möglichkeit zu geben, im Ausland zu arbeiten. Aus der Antwort auf eine von mir gestellte Kleine Anfrage zu dieser Thematik geht aber hervor, wie groß die Hürden sind, zum Beispiel Ausbildungen über die deutsch-dänische Grenze hinweg anzuerkennen.

Befürchtungen, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die daraus resultierende stärkere Konkurrenz vor allem eine Absenkung der sozialen Standards bedeutet, werden durch die Antwort der Landesregierung nicht bestätigt. Dennoch können wir uns sicherlich noch alle an das harte Ringen um die Einführung der EU-Dienstleistungsrichtlinie erinnern. Der SSW hatte sich damals gegen das Herkunftsland-Prinzip ausgesprochen wie die anderen Fraktionen auch, weil es das deutsche Lohnund Beschäftigungsniveau gefährdet hätte. Der ursprüngliche Entwurf der EU-Richtlinie sah vor, dass Arbeitnehmer EU-weit jeweils nach den Tarifen ihres Heimatlandes entlohnt werden sollten. Damit wären Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein massiv durch Billigkonkurrenz aus dem europäischen Ausland bedroht worden. Die abgespeckte Version der EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde schließlich ohne das Herkunftsland-Prinzip beschlossen und von allen auch so begrüßt.

In der genannten Richtlinie gibt es zwar tatsächlich Erleichterungen für die Niederlassung von Dienstleistungsbetrieben in ganz Europa, aber diese müssen sich nunmehr überwiegend an die Bestimmungen, Standards und Gesetze der jeweiligen Länder halten. Ich denke, das ist ein wichtiger Grundsatz im europäischen Miteinander, der den internationalen Wettbewerb fördert, aber faire Rahmenbedingungen für alle Wettbewerber schafft, egal, ob es sich nun um ein ausländisches oder ein einheimisches Unternehmen handelt.

(Anke Spoorendonk)

Die Landesregierung kommentiert ausführlich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den letzten Jahren oder hauptsächlich des letzten Jahres, die mehr als alles andere die Notwendigkeit verdeutlicht, die soziale Dimension in der europäischen Zusammenarbeit zu stärken. Es geht dabei um Antidiskriminierung, um die Stärkung von Arbeitnehmerrechten zum Beispiel durch die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats, und es geht um Tariftreue.

Der SSW setzt sich bekanntlich schon seit vielen Jahren für die Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen ein. Für uns steht daher fest: Wenn die Richter des EuGH unter anderem die Beschränkung auf öffentliche Aufträge als zu selektiv ablehnen, dann ist es unserer Meinung nach durchaus denkbar und vielleicht sogar auch notwendig, Tariftreue auch an private Aufträge zu binden.

Die Debatte um das Tariftreuegesetz beginnt also jetzt erst richtig. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in dieser Frage auf sicherem Grund bewegen. Wer nämlich in Schleswig-Holstein kein Geld verdienen kann, weil er sich an Tarife hält und die anderen Anbieter ihm alle Aufträge wegschnappen, der wird entweder den Standort wechseln, Tarife unterbieten oder Beschäftigte entlassen. Auf jeden Fall wird der mittelständisch geprägte Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein geschwächt, und die Nachfrage sinkt, weil auch die Löhne sinken.

Genau diese Abwärtsspirale beobachten wir tatsächlich schon in einigen Branchen, in denen die Beschäftigten zu Hungerlöhnen arbeiten. Darum fordert der SSW die Einführung eines Mindestlohns. Die Landesregierung hat in ihrer Antwort ganz deutlich ihre Position bezogen, dass nämlich die Lohn- und Gehaltstarife in ganz Deutschland gelten müssen, um auch in Brüssel Bestand zu haben. Konsequenterweise müssen wir darum schleunigst die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach einem bundesweit geltenden Mindestlohn umsetzen.

Die Landesregierung kann das über ihre Stimme im Bundesrat tun. Die Bundesregierung hat mit dem vor wenigen Tagen in Kraft getretenen Mindestarbeitsbedingungengesetz die Möglichkeit geschaffen, dass auch in Branchen, in denen keine Tarifverträge existieren oder nur eine geringe Tarifbindung besteht, Mindestlöhne eingeführt werden. Ich denke, wir müssen hier am Ball bleiben, denn das ist der richtige Weg.

Auch der Gesundheitssektor nimmt breiten Raum in der Beantwortung der Großen Anfrage ein. Die

grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen gehört in Schleswig-Holstein zu den ältesten grenzüberschreitenden Netzwerken überhaupt. Das Flensburger Franziskus-Krankenhaus belegt eindrücklich, dass die dänischen Patienten nicht nur helfen, Kapazitäten effizient auszunutzen, sondern dass sie auch in den Krankenhausalltag eingebunden werden. Zweisprachige Patientenbegleitung ist nämlich selbstverständlich und eines der ersten grenzüberschreitenden Ausbildungsprojekte überhaupt.

Die Landesregierung verweist in ihrer Antwort auf die europäische Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, die die Rechtssicherheit für Patientinnen und Patienten verbessern soll. Für Schleswig-Holstein gilt es vor allem, die deutschdänischen Patientenverkehre rechtlich abzusichern. Der SSW hatte daher im letzten Jahr ein deutschdänisches Rahmenabkommen beantragt, um unter anderem einen besseren und schnelleren Zugang der Bewohner des Grenzlandes zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsleistungen zu ermöglichen. Noch ist für uns nicht abzusehen, inwieweit die geplante Richtlinie so ein Abkommen ersetzen kann. Wir werden das weiter verfolgen.

Ich möchte aber auch noch einmal deutlich machen: Es ging uns dabei nicht darum, jetzt alles von uns wegzuschieben und alles der Ebene Kopenhagen und Berlin zuzuordnen. Das war nicht der Ansatz. Aber der Ansatz ist, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dann auch die deutsch-dänische Kooperation im Gesundheitsbereich weiter ausgebaut werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der SSW betrachtet die Große Anfrage als ein Arbeitsinstrument. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Europaministeriums, auch bei dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa für die Beantwortung bedanken. Sie liefert die Grundlage für neue Initiativen und auch für vertiefte Debatten. Sie zeigt aber vor allem in aller Deutlichkeit die aktuelle Entscheidungslage und spricht auch konkrete Probleme an. Darum, denke ich, werden wir gute Anregungen aus dieser Großen Anfrage erhalten.

(Beifall bei SSW und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

(Anke Spoorendonk)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich drei Punkte kurz ansprechen.

Der erste richtet sich an Frau Birk, die nun leider nicht mehr hier ist.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Was heißt „lei- der“?)

Ein bisschen seltsam berührt es mich schon, dass wir auf der einen Seite immer die hohe Bedeutung von Europa betonen, aber hier mit dem Hinweis auf einen anderen Termin eine doch zentrale Debatte abkürzen. Das empfinde ich - das sollte ihr vielleicht ausgerichtet werden - als nicht ganz guten Stil und auch als nicht sehr überzeugend.

(Beifall bei SPD und CDU - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Das liegt auch daran, dass der Minister nicht da war! Das hätten wir einfach erwartet!)