Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie herzlich.

Ich möchte Ihnen mitteilen, dass die Abgeordneten Thomas Stritzl und Andreas Beran sowie von der Landesregierung Finanzminister Rainer Wiegard erkrankt sind. Wir wünschen allen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Gibt es bei den Sozialdemokraten noch den Zählap- pell? - Jutta Schümann [SPD]: Dann wäre ich ja nicht hier!)

- Falls es das Plenum interessiert: Herr Minister Biel ist für heute beurlaubt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Im Alter von 83 Jahren ist am Dienstag der ehemalige Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Hans-Joachim Zimmermann, verstorben. Er gehörte diesem Parlament von 1971 bis 1987 als Mitglied der CDU-Fraktion an.

Hans-Joachim Zimmermann, in Wormditt in Ostpreußen geboren, war einer der ganz maßgeblichen Wegbereiter für die Gründung der Stadt Norderstedt im Jahr 1970. Der Aufschwung, den die fünftgrößte Stadt Schleswig-Holsteins seither genommen hat, ist fest mit dem Wirken des engagierten und stets bodenständig gebliebenen Kommunalpolitikers verbunden. Über viele Jahre hat er sich als Stadtvertreter, Fraktionsvorsitzender und als Magistratsmitglied für das Wohl der Norderstedterinnen und Norderstedter eingesetzt.

Im Schleswig-Holsteinischen Landtag brachte Hans-Joachim Zimmermann, von Beruf Rechtspfleger, seinen großen Sachverstand und seine Erfahrung vor allem in die Innen- und Rechtspolitik ein. Ein wichtiges Anliegen war es ihm stets, die Auswirkungen politischer Entscheidungen auch im Kleinen zu verfolgen. Aus Überzeugung wirkte er daher zuletzt als stellvertretender Vorsitzender im Eingabenausschuss mit, wo es galt und gilt, ein besonders offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land zu haben. Zudem gehörte er mehreren Untersuchungsausschüssen und von 1975 bis 1987 dem Ausschuss Kommunaler Investitionsfonds an. Von 1984 bis 1987 war Hans

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Joachim Zimmermann Parlamentarischer Vertreter des Innenministers des Landes Schleswig-Holstein.

Für seine großen Verdienste um unser Land wurde er mit der Freiherr-vom-Stein-Medaille und 1985 mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag gedenkt seines früheren Mitglieds Hans-Joachim Zimmermann in Dankbarkeit. Unsere Anteilnahme gilt seiner Familie.

Ich bitte Sie, einen Augenblick innezuhalten und Hans-Joachim Zimmermanns im stillen Gebet zu gedenken. - Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Pflegegesetzbuches Schleswig-Holstein - Zweites Buch (PGB II) - Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2290

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 16/2704

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2721

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2728

Zunächst erteile ich der Frau Berichterstatterin des Sozialausschusses, der Abgeordneten Siegrid Tenor-Alschausky, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat dem Sozialausschuss den Entwurf eines Pflegegesetzbuches Schleswig-Holstein Zweites Buch - (PGB II) - Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung in seiner Sitzung am 12. November 2008 überwiesen. Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, dem Novellierungsbedarf, der sich durch die föderale Neugestaltung ergibt, umzusetzen. Dabei soll auch die in Artikel 5 a der Landes

verfassung formulierte Leitvorstellung zum Schutz der Rechte und Interessen von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung berücksichtigt werden.

Der Sozialausschuss hat zunächst schriftliche Stellungnahmen eingeholt, diese ausgewertet und im Folgenden eine ganztägige mündliche Anhörung durchgeführt. Nach intensiven Beratungen in den Fraktionen wurden im Ausschuss Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Koalitionsfraktionen erörtert. Die Fraktion der FDP hat angekündigt, weitere Änderungsanträge vorzulegen.

Ich will nur auf einige der vielen im Ausschuss sowohl mit den Anzuhörenden als auch untereinander diskutierten Sachverhalte eingehen.

Zur Gesetzesüberschrift. Als sich der Gesetzentwurf noch in der Verbandsanhörung befand, trug er den Arbeitstitel „Selbstbestimmungsstärkungsgesetz“. Die Angehörten trugen vor, dieser Begriff gebe den Gesetzeszweck besser wieder als der Begriff „Pflegegesetzbuch II“. Diesen Gedanken nahm der Ausschuss auf, wenngleich auch in unterschiedlichen Formulierungsvorschlägen. Dem Ausschuss lagen zwei Formulierungsvorschläge vor; dem Plenum heute ein dritter. Die Entscheidung fiel mehrheitlich für die Formulierung „Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung (Selbstbestim- mungsstärkungsgesetz - SbStG) Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein - Zweites Buch“.

Einer der Schwerpunkte in der Diskussion war, ob die einzelnen Bestimmungen klar, eindeutig und voneinander abgegrenzt seien. Dazu sind dem Ausschuss verschiedene Formulierungsvorschläge unterbreitet worden. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich für die Änderungen entschieden, die Sie der Beschlussvorlage entnehmen können.

Intensiv wurde über die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Zertifizierungspflicht für das Wohnkonzept „Betreutes Wohnen“ beraten. Damit wird das Ziel verfolgt, Transparenz und Übersichtlichkeit zu schaffen. Nunmehr sollen Anbieter des betreuten Wohnens allgemein verständliche Informationen über ihr Angebot vorhalten, diese im Internet und in sonstiger geeigneter Weise veröffentlichen und unentgeltlich zugänglich machen. Außerdem sollen sie sich um ein Gütesiegel bewerben.

Es sind eine Reihe anderer Themen diskutiert worden, die in der nun folgenden Debatte sicherlich noch angesprochen werden. In meinem kurzen Be

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(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

richt will ich es bei diesen wenigen Beispielen belassen.

Ich möchte es aber nicht versäumen, mich bei allen Beteiligten - den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, den Verbandsvertreterinnen und Verbandsvertretern und nicht zuletzt den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen - für eine, wie ich denke, wirklich intensive und gute Arbeit zu bedanken.

(Beifall bei SPD, CDU und des Abgeordne- ten Dr. Heiner Garg [FDP])

Zum Schluss meines Berichts bleibt es mir noch, Ihnen im Namen des Sozialausschusses, der mit Mehrheit entschieden hat, zu empfehlen, die Überschrift des Gesetzes in der von mir geschilderten Weise zu ändern und den Gesetzentwurf in der Fassung der rechten Spalte der in Drucksache 16/2704 ersichtlichen Gegenüberstellung anzunehmen. Vom Ausschuss beschlossene Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage sind durch Fettdruck kenntlich gemacht.

Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Bevor wir uns in die Aussprache begeben, bitte ich Sie, gemeinsam mit dem Präsidium Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Dräger Medical aus Lübeck auf der Tribüne zu begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Nach den Vorgaben der Föderalismuskommission II ist nicht mehr der Bund für die Heimgesetzgebung zuständig, sondern die Länder. Wir haben uns hier in Schleswig-Holstein dieser Herausforderung gestellt und wollen heute das Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung kurz: Selbstbestimmungsstärkungsgesetz - verabschieden.

Zunächst einmal möchte ich mich bei allen Beteiligten für die konstruktive Zusammenarbeit und die sachlichen Diskussionen, die zu dem jetzt vorlie

genden Beschlussvorschlag des Sozialausschusses geführt haben, sehr herzlich bedanken.

(Beifall bei CDU, SPD und der Abgeordne- ten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele der vorgebrachten Anregungen und Vorschläge sind im parlamentarischen Verfahren von den beiden Koalitionsfraktionen aufgenommen worden und finden sich nun im Gesetz wieder.

Der Anspruch unseres Gesetzes ist hoch. Wir wollten sowohl den Bedürfnissen von Menschen mit Pflegebedarf als auch denen von Menschen mit Behinderung gerecht werden - unter dem Anspruch des Verbraucherschutzes. Die letzte Diskussion und die Abstimmung im Sozialausschuss zeigten sehr deutlich, dass sich diesem Anspruch alle Fraktionen in diesem Hause verpflichtet fühlen.

Das Gesetz trägt insbesondere dem Grundsatz von ambulanten Hilfen vor stationären Hilfen Rechnung. Dabei haben wir einige Schwerpunkte gesetzt: in der Beratung, bei der Qualitätssicherung, bei den Mitwirkungsrechten und der Förderung von ambulant unterstützten Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen. Menschen sollen in Schleswig-Holstein selbstbestimmt leben können und dabei die Hilfen bekommen, die sie auf Grund ihres Pflegebedarfs oder ihrer Behinderung benötigen.

So verschieden wie die Menschen sind, so verschieden sollen auch die Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen sein: von der ambulanten Betreuung in der eigenen Wohnung über Haus- oder Wohngemeinschaften, wo man sich gegenseitig hilft und Hilfeleistungen selbstverantwortlich einkauft, bis hin zu den stationären Hilfen zum Wohnen und Leben. Um die Träger von stationären Einrichtungen zu ermuntern, auch hier den Grundsatz „ambulant vor stationär“ umzusetzen, ist in § 11 vorgesehen, dass sie bei der Weiterentwicklung von stationären zu ambulanten Einrichtungen und bei der Erprobung von neuen Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen unter den im Gesetz beschriebenen Vorgaben zunächst auf fünf Jahre befristet und bei Bewährung der entsprechenden Konzepte auch auf Dauer befreit werden können. Ich will noch einmal betonen, dass diese Regelungen sowohl für den Bereich der Pflege als auch für die Angebote für Menschen mit Behinderung gelten. Selbstverständlich gelten sie auch für die Einrichtungen, die beides anbieten.

Bei der Pflege ist in den letzten Jahren zu Recht das betreute Wohnen in den Mittelpunkt der Diskussi

(Siegrid Tenor-Alschausky)

on gerückt. Immer wieder sind mit diesem Begriff unterschiedlichste Vorstellungen von betreutem Wohnen verbunden worden: vom Wohnen mit Service bis hin zu dem Anspruch, bei Notwendigkeit der Pflege die Pflegestufe 3 zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist immer wieder die mangelnde Transparenz der Angebote des betreuten Wohnens angesprochen worden. Das war auch notwendig. Das Gesetz sieht daher eine Transparenzpflicht für die Anbieter vor. Sie müssen allgemeinverständliche Informationen über ihre Angebote vorhalten, damit gleich von Anfang an klar ist, was der Anbieter leisten kann. Zudem fordert das Gesetz sie auf, sich um ein Gütesiegel zu bewerben. Die im Entwurf des Ministeriums vorgesehene Pflicht der Anbieter zur Zertifizierung ihres Angebotes entfällt an dieser Stelle. Ich glaube, dass wir mit der neuen Regelung die Qualität von Betreutem Wohnen einerseits sichtbar machen und noch deutlich verbessern, andererseits aber auch zur allgemeinen Akzeptanz des Gesetzes beitragen.

Natürlich enthält ein solches Gesetz auch die Voraussetzungen und Pflichten für den Betrieb von ambulanten Angeboten sowie besonderen Wohn-, Pflege und Betreuungsformen und stationären Einrichtungen. Diese will ich nicht alle aufzählen, aber schon aufzeigen, dass wir sowohl bei den besonderen Wohnformen als auch bei den stationären Einrichtungen auf die Selbstbestimmung der Bewohner besonderen Wert gelegt haben. So müssen Anbieter von besonderen Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen die Darstellung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte vorlegen und Angaben darüber machen, wie bürgerschaftliches Engagement stattfinden kann. Für die stationären Einrichtungen sichert und stärkt der § 16 die Mitwirkungsrechte bis hin zur Teilnahme an den Vergütungsverhandlungen.