Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung am heutigen Freitag.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, will ich mitteilen, wer erkrankt ist: Von der CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Thomas Stritzl und von der SPD-Fraktion Herr Abgeordneter Andreas Beran. Beiden gelten unsere Wünsche zur guten Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind von der CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Werner Kalinka und von der SPD-Fraktion Herr Abgeordneter Thomas Rother.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler sowie die begleitenden Lehrkräfte des Regionalen Bildungszentrums, Plön, und der Johann-Heinrich-Voss-Schule, Eutin. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung die Tagesordnungspunkte 12 und 29 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2711

b) Einbau einer Schuldenbremse in die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2710

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Fraktionsvorsitzenden, KarlMartin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mindestens seit 1970 gab es keinen Haushalt mehr, in dem nicht die Ausgaben höher waren als die Einnahmen. Deswegen fordere ich eine Schuldenbremse für die Landesverfassung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Bevor ich zu den Details komme, möchte ich mich für die positiven Reaktionen von Herrn Wadephul und Herrn Wiegard auf unsere Anträge bedanken. Ein solcher Umgang hat Stil. Es ist gut, wenn nicht immer die üblichen Reflexe eintreten, dass alles, was von der Opposition kommt, zunächst falsch ist. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für eine sachliche Diskussion.

(Konrad Nabel [SPD]: Wenn es denn richtig ist!)

Ich werde in meinem Beitrag auf drei Punkte eingehen: Erstens. Warum legen wir einen Vorschlag vor? Zweitens. Wie soll die Schuldenbremse genau konstruiert werden? Drittens. Wie kann ein Entschuldungskonzept für Schleswig-Holstein aussehen, und was folgt daraus?

Zum ersten Punkt. Wenn wir heute einen Vorschlag vorlegen, so nicht deswegen, weil wir glauben, wir besäßen die einzig wahre Lösung. Wir tun das zum einen, weil wir entscheiden müssen - denn sonst erhält das Land keine Konsolidierungshilfe -, und zum anderen, weil wir den Regierungsfraktionen Druck machen wollen; denn wir wollen verhindern, dass das Thema bis nach der Landtagswahl vertagt wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Solange nicht klar ist, wie das Entschuldungskonzept für Schleswig-Holstein aussieht, solange sind alle Versprechungen in den Wahlprogrammen der Regierungsfraktionen Makulatur. Das gilt für Autobahnen und für Kurpromenaden, das gilt auch für großzügige Versprechungen der FDP an die Beamten sowie für das Versprechen kostenloser Kindergärten und das Versprechen eines gebührenfreien Studiums.

Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach die Reaktion der Herren Kubicki und Stegner, die vor zu viel Schnelligkeit warnen, zwar verständlich, aber inakzeptabel.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, die Menschen in Schleswig-Holstein haben einen Anspruch darauf, vor der Wahl zu wissen, was auf sie zukommt.

Damit komme ich zum zweiten Punkt: Wie kann eine Schuldenbremse aussehen? Ich bin bei unserem Vorschlag von dem ausgegangen, was die Föderalismuskommission II vorgeschlagen hat, zum einen, weil ich das Regelwerk der Föderalismuskommission recht vernünftig finde, und zweitens, lieber Herr Kubicki und lieber Herr Stegner, weil wir nur, wenn wir die Bedingungen der Kommission erfüllen, die Konsolidierungshilfe in Höhe von 80 Millionen € bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie glauben, Sie könnten irgendwelche anderen Modelle beschließen, so ist das reine Traumtänzerei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Im Konkreten bedeutet das: Ab 2020 darf das Land keine Schulden mehr aufnehmen. Bis dahin muss das Defizit jährlich um 10 % reduziert werden. Ausnahmen sind nur aufgrund von Konjunktureinbrüchen, Seuchen, Katastrophen und Kriegen möglich. Ob ein solcher Fall eingetreten ist, muss dann der neu zu bildende Stabilitätsrat entscheiden, der sich aus allen Finanzministern und dem Bundeswirtschaftsminister zusammensetzt.

Diese Regeln sind einfach und klar. Ich bin sehr gespannt, welche alternativen Vorschläge Sie heute vorlegen.

Damit komme ich zu meinem dritten Thema: Wie kann ein Entschuldungskonzept des Landes aussehen? - Minister Wiegard konnte es in seiner Reaktion auf unseren Vorschlag schließlich doch nicht lassen, gegen uns zu sticheln: Wir sollten erst selbst ein Konzept vorlegen, bevor wir das von der Regierung fordern. Diese Reaktion finde ich sehr schade. Denn ich denke, alle hier im Haus müssten ein Interesse daran haben, von der Regierung zu hören, wie es aus ihrer Sicht gehen soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ernst: Wenn Herr Wadephul hier im Mai sagte, bis 2020 könne man das sicherlich hinbekommen, und Herr Carstensen am liebsten im Bundesrat zugestimmt hätte, dann müssen Sie ja ein Konzept haben.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das haben wir auch!)

Ich will gern darstellen, wie wir die Situation einschätzen. Aber ich lasse mich auch gern eines Besseren belehren und bin sehr gespannt auf die Ergebnisse des Koalitionsausschusses am Sonntag.

Als Grundlage für meine Überlegungen nehme ich den Doppelhaushalt 2009/2010 mit dem Nachtrag, wie er hier im Landtag von den Regierungsfraktionen verabschiedet worden ist. Dieser wurde explizit noch ohne Berücksichtigung der Finanzkrise aufgestellt. Danach beträgt das strukturelle Defizit des Landes mindestens 600 Millionen € pro Jahr. Aber wenn ich die mittelfristige Finanzplanung der Jahre 2011 und 2012 anschaue, liegt es bereits bei 800 Millionen €, und nach der HSH-Operation dürfte es nicht geringer geworden sein.

Meine Damen und Herren, wo also sind Einsparungen möglich? - Ich sehe vier Bereiche: erstens das Personal; zweitens die Kommunen; drittens die Investitionen und viertens die großen Förderprogramme der EU und des Bundes, die wir kofinanzieren müssen. Relevante Einsparungen bei den rein landesfinanzierten Förderprogrammen sind dagegen mangels Masse kaum mehr realistisch. Das hat auch Herr Wiegard mittlerweile erkannt.

Beim Personal reden wir über 50.000 Beschäftigte des Landes plus 20.000, die zwar aus dem Haushalt ausgelagert wurden, aber zumeist noch vom Land finanziert werden. Der Landesrechnungshof will bis 2020 weitere 5.600 Stellen einsparen. Das halte ich für sehr optimistisch. Denn anders als die Herren Altmann und Wiegard bin ich der Meinung, Bildung ist unser wichtigstes Kapital.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Machen Sie Vor- schläge!)

Wenn wir international konkurrenzfähig sein wollen, dann müssen wir mehr in die Bildung investieren und nicht weniger.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen werden wir trotz der sogenannten demografischen Rendite Schwierigkeiten haben, im Bildungsbereich einzusparen. Aus meiner Sicht bedeutet das: Die 5.000 Stellen, um die es geht, müssen in den anderen Bereichen - dort sind es etwa 30.000 bis 40.000 - eingespart werden. Wenn wir die Vorgabe des Herrn Altmann erfüllen wollen, bedeutet das konkret, dass wir jedes Jahr 600 Stellen einsparen müssen.

Sie haben das im letzten Jahr nicht geschafft. Sie haben nicht einmal das geschafft, was unter RotGrün gemacht worden ist. Damals waren es 250 Stellen pro Jahr. 600 Stellen pro Jahr ist die Marge,

(Karl-Martin Hentschel)

um nur das zu erfüllen, was der Landesrechnungshof eingefordert hat. Das erbringt dann bis 2020 nicht 800 Millionen €, die wir brauchen, sondern das erbringt nur 250 Millionen € Einsparungen. Das erfordert auch ein völlig anderes Tempo als das, was diese Koalition bisher vorgelegt hat. Tabubereiche können wir uns dann in der Tat nicht mehr leisten.

Der zweite Bereich sind die Kommunen. Schon heute gehen viele Kommunen auf dem Zahnfleisch. Kindergärten, Schulen und vieles andere ist chronisch unterfinanziert. Wer also ernsthaft bei den Kommunen sparen möchte, der muss den Mut zu einer grundlegenden Reform der Kommunalverwaltungen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dänemark hat das getan. Innerhalb von zwei Jahren hat die Regierung in Dänemark das Land in 90 Kommunen und fünf Regionen neu gegliedert. Würden wir dazu die Kraft aufbringen, dann könnten mit Sicherheit 100 Millionen €, möglicherweise sogar mehr eingespart werden.

Bleiben also die Förderprogramme und die Investitionen. Ich kann mir auch in diesen Bereichen einiges vorstellen, gerade auch - da bin ich bei unserem Herzensthema - wenn es darum geht, endlich die Synergien im Agrar- und Umweltbereich zu nutzen. Aber dreistellige Millionenbeträge werden dadurch nicht mehr zustande kommen. Denn ich weiß, dass diese Programme elementar wichtig für die Zukunft des Landes sind. Gerade die Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass wir einen handlungsfähigen Staat brauchen.

Meine Damen und Herren, ich komme zu dem Ergebnis: Wenn wir alle Kräfte anspannen - das, was ich vorgetragen habe, ist schon sehr viel -, dann kommen wir bis 2020 zu Einsparungen von maximal 400 Millionen €. Das ist die Hälfte dessen, was nötig ist.