Nachts um ein Uhr vertagte sich das Gremium auf Sonntag, den 22. Juni. Man wollte in Ruhe noch einmal über alles nachdenken und sich gegenseitig annähern. An den darauffolgenden Tagen fielen dann aber die beiden SPD-Minister Döring und Hay ihrem Fraktions- und Parteivorsitzenden Dr. Stegner in den Rücken - auch dies geschieht ja wöchentlich - und erklärten öffentlich, auch die SPD käme nicht um Sparmaßnahmen herum. Eine völlig neue Ersterkenntnis! Am Sonntagabend steckten die Koalitionäre also erneut ihre Köpfe zusammen, offenbar so lange, bis weißer Rauch aufstieg. Noch am Abend trat die Koalition dann vor die Presse, und Finanzminister Wiegard erklärte, man habe Regelungen zur Schuldenbremse gefunden und einen Personalabbau und umfassende Haushaltsstrukturmaßnahmen beschlossen, die sich alle auch im 2. Nachtragshaushalt wiederfinden würden. So die Erklärung von Finanzminister Wiegard.
Als ich die Ergebnisse der Pressekonferenz hörte, dachte ich kurzzeitig, CDU und SPD hätten sich doch einmal auf etwas Wegweisendes einigen können. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich dies aber allzu leicht als Gutgläubigkeit.
Was wurde denn im Detail beschlossen? - Als Erstes hat man sich verständigt, einen Beschluss, den der Landtag einstimmig gefasst hat, einfach nicht umzusetzen. Man ist übereingekommen, gegen die Einführung einer Schuldenbegrenzung durch den Bund, die ab 2020 die Aufnahme von Krediten in konjunkturellen Normallagen nicht mehr zulässt, nicht zu klagen. Man hat weiter beschlossen, keine eigene Regelung in die Landesverfassung zu bringen. Ich frage hier einmal: Gegen wen und vor wem soll man demnächst eigentlich klagen, wenn ein Landeshaushalt in Schleswig-Holstein nicht verfassungsgemäß ist? Soll man beim Landesver
fassungsgericht unter Hinweis auf das Grundgesetz klagen? Das ist kein taugliches Verfahren, weil es keine geeignete Ermächtigungsnorm gibt. Wenn wir keine eigene Regelung in der Landesverfassung haben - darüber werden wir noch einmal sprechen -, kann der nächste Haushaltsgesetzgeber machen, was er will: Es gibt keine Sanktionsmöglichkeiten außer der Möglichkeit, dass der Bund bis 2020 vielleicht die 80 Millionen € nicht zahlt. Das sind angesichts der Dimension, über die wir uns unterhalten, angesichts der Milliardenbeträge aber eigentlich auch eher Peanuts, um das neudeutsche Wort des Aufsichtsratsvorsitzenden der HSH Nordbank umzusetzen.
Auf der anderen Seite haben aber weder CDU noch SPD konkrete Vorstellungen, wie die Schuldenbremse umgesetzt werden soll. Finanzminister Wiegard teilte am 22. Juni zwar mit, er werde eine Lösung finden und entsprechende Formulierungen für die Umsetzung in der Landeshaushaltsordnung vorschlagen. Auch nach intensivem Suchen ist es mir jedoch nicht gelungen, im 2. Nachtragshaushalt irgendeine Änderung der Landeshaushaltsordnung zu finden. Ich habe vernommen, dass die Koalitionäre sich jetzt auf den 31. August vertagt haben. Wahrscheinlich vertagt man sich auf den 9. Mai nächsten Jahres. Der Glaube daran, dass den hehren Worten reale Taten folgen, ist in Schleswig-Holstein, wie ich glaube, jedenfalls nicht mehr sehr weit verbreitet.
Auch ein konkreter Antrag der Koalition zu entsprechenden Änderungen der Landeshaushaltsordnung liegt bis heute nicht vor. Das ist schon ein starkes Stück. Dazu werde ich mich ausführlich bei den entsprechenden Tagesordnungspunkten äußern.
Ich möchte aber an dieser Stelle dem Kollegen Martin Kayenburg ausdrücklich meinen Respekt und meine Anerkennung dafür aussprechen, dass er sich als Landtagspräsident offen mit einem eigenen Plenarantrag gegen die Koalition stellt und eindeutig klarstellt, dass ein einstimmig gefasster Beschluss des kompletten Landtags nicht einfach von einem Koalitionsausschuss infrage gestellt werden kann. Das ist ihm hoch anzurechnen.
sende Haushaltsstrukturmaßnahmen zur Konsolidierung, die sich nach Aussage des Koalitionsantrages auch im 2. Nachtragshaushalt wiederfinden. So steht es in Ihrem Antrag. Doch weit gefehlt! Im Nachtragshaushalt findet sich nichts von den im Koalitionsausschuss angeblich beschlossenen strukturellen Maßnahmen.
Oder mit anderen Worten: Der 2. Nachtragshaushalt ist eine Abkehr von politischen Entscheidungen. Keine der angekündigten Maßnahmen findet sich dort wieder. Insofern nutzt auch der vorliegende Antrag von CDU und SPD relativ wenig, da er lediglich vage Absichtserklärungen enthält, die diese Koalition nicht mehr umsetzen muss, sondern eine neu gewählte nach dem 9. Mai 2010. - Eine Verlagerung der Probleme auf den nächsten Haushaltsgesetzgeber, ohne dass auch nur ansatzweise zu erkennen ist, dass erste Maßnahmen durch diese Regierung bereits eingeleitet werden!
(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das macht Berlin genauso!)
Die Aussage des Finanzministers in der Finanzausschusssitzung am 9. Juli, er plane keinen weiteren Nachtrag, zeigt eindeutig, dass es definitiv nicht zu einer konkreten Umsetzung der von der Koalition beschlossenen Maßnahmen kommt. Von daher ist dieser Antrag von CDU und SPD nicht nur substanzlos, er ist auch ganz schön dreist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, er ist in sich auch widersprüchlich. Denn kommen wir einmal zu den personalwirtschaftlichen Maßnahmen, so listen CDU und SPD haarklein auf, dass bei der Polizei 150, bei der Justiz 141, in der Steuerverwaltung 155 und bei den Lehrkräften 1027 Stellen wegfallen sollen. Also Angaben auf die einzelnen Stellen genau. Aber keiner sagt uns, wie man zu diesen Zahlen gekommen ist. Warum 150 und nicht 170? Warum 141 und nicht 138? Gleichzeitig heißt es im Antrag, dass die Landesregierung und damit die einzelnen Ressorts erst im ersten Quartal 2010 ein Umsetzungskonzept in Form eines Abbauplans vorlegen sollen. Das ist doch absurd. Was hier passieren soll, ist ein Personalabbau, der in fataler Weise durch ein reines „Abbröseln“ durch die natürliche Fluktuation gekennzeichnet ist, und zwar ohne im Rahmen einer Aufgabenkritik das Verwaltungshandeln auf Kernaufgaben zu reduzieren.
den Polizeibeamten nichts passieren, es solle keine einzige Stunde wegfallen, man wolle Verwaltungsaufgaben streichen - sagen Sie doch einmal konkret, welche!
Ich hätte gern gewusst, welche Aufgaben wegfallen sollen. Sollen die Schulleiter keine Stundenpläne mehr aufstellen, soll die Polizei künftig nicht mehr selbst einkaufen, soll das ausgelagert, zentralisiert werden? Sagen Sie doch einmal konkret, welche Verwaltungsaufgaben wegfallen sollen, die Personal freisetzen, sodass es im Vollzug weder im Bildungsbereich noch bei der Polizei zu irgendwelchen konsequenten Sparmaßnahmen und Sparbemühungen kommt!
Eine vernünftige Landesregierung würde genau andersherum vorgehen. Sie würde zunächst die Aufgaben definieren, die wegfallen können oder beibehalten werden müssen, dann den Personalbedarf dieser Aufgaben feststellen und daraufhin entsprechend das Personal bestimmen, das heißt gegebenenfalls auch reduzieren. Ich finde es einigermaßen befremdlich, dass sich in diesem Antrag - zumindest im Zuständigkeitsbereich des Landes - kein Wort zum Aufgabenverzicht findet, kein Wort zur Verwaltungsstrukturreform findet und kein Wort zur Deregulierung findet. Ist es tatsächlich so, dass CDU und SPD von den vielfältigen Vorschlägen des Entbürokratisierungsstaatssekretärs zur Verwaltungsneustrukturierung keinen einzigen aufgreifen wollen?
Mir ist schleierhaft, wie auf diese Weise im Jahr 2020 auch nur annähernd ein strukturell ausgeglichener Haushalt erreicht werden soll.
Herr Kollege Dr. Stegner, Sie und ich - Sie twittern häufiger, ich gucke häufiger Fernsehen - nehmen mit Erstaunen zur Kenntnis, wer seine Hand über welche Maßnahmen hält und verspricht, dass sich da nichts ändern wird. Beispiel: Schleswig-Holstein Musik Festival. Ich frage mich nach wie vor, warum da nicht auch gespart werden kann. Ist das eine dringende Notwendigkeit für das Land, oder müsste man da nicht auch, wenn wir 2020 zur Neuverschuldung null kommen wollen, 10 % pro Jahr einsparen? Herr Kollege Neugebauer, wir haben früher schon einmal ein degressives Absenken dieser Subvention vorgeschlagen. Nein, wir hören: Darüber wird von Seiner Heiligkeit die Hand gehal
Ein Aspekt - und das ist aus Sicht der FDP-Fraktion der wichtigste - fehlt bei den Vorstellungen von CDU und SPD völlig. Der schleswig-holsteinische Haushalt zeigt doch sehr eindrucksvoll, dass wir nur über die Einnahmeseite eine Konsolidierung der Landesfinanzen erreichen: durch Wachstum, durch Stärkung der Kaufkraft und der damit einhergehenden Steuermehreinnahmen. Es ist doch auch der Koalition nicht verborgen geblieben, dass Haushaltsdefizit und Wirtschaftswachstum in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander stehen. Oder einfacher gesagt: Wirtschaftswachstum senkt die Schulden.
Doch bereits heute nimmt Schleswig-Holstein im Vergleich zu den anderen westdeutschen Flächenländern pro Kopf 120 € weniger an Steuern ein. Das liegt nicht an zu niedrigen Steuersätzen, sondern an zu geringem Wachstum. Genau hier liegt das Problem. Ob mit oder ohne Schuldenbremse die Zinslasten drohen, unser Land zu ersticken. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Neuverschuldung zu reduzieren, und zwar durch Wirtschaftswachstum, durch eine wirtschaftsfreundliche Politik, durch eine Politik, die es ermöglicht, dass in Schleswig-Holstein Wertschöpfung entstehen kann und das Bruttoinlandsprodukt steigt. Aber es fehlt sowohl im 2. Nachtragshaushalt als auch im Antrag von CDU und SPD ein Konzept, das zu mehr Wirtschaftswachstum in diesem Land führt. Das ist mehr als bedauerlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion wird den Antrag der Koalition ablehnen. Er enthält keine konkrete Maßnahme, die auch mit dem 2. Nachtragshaushalt umgesetzt wird. Er verschiebt die Entscheidungen auf die kommenden Legislaturperioden. Es fehlen die dringend notwendigen Anstrengungen zur Aufgabenkritik, und es fehlt ein Konzept zur strukturellen Einnahmeverbesserung durch eine Erhöhung der Wachstumsdynamik. Das ist kein Ausdruck guter Politik.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Kubicki. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun deren Vorsitzender, der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das mit Seiner Heiligkeit fand ich gut. Peter Harry, jetzt weiß ich endlich, warum du immer nach Rom reist. Ich wusste gar nicht, dass das gleich nutzt.
Vor einem Monat haben wir einen Antrag eingebracht, in dem wir Rahmenbedingungen für die Gestaltung einer Schuldenbremse formuliert und zugleich die Landesregierung aufgefordert haben, ein konkretes Konzept vorzulegen, wie der Abbau der strukturellen Neuverschuldung erfolgen kann. Jetzt hat die Große Koalition einen eigenen Antrag vorgelegt. Ich habe unseren Antrag deswegen erneut in den Landtag eingebracht, damit er heute alternativ zur Abstimmung kommt. Damit erledigt sich unser Antrag, der im Ausschuss liegt.
Schauen wir uns den Antrag der Großen Koalition einmal genauer an. Zunächst stellen Sie fest, dass die für Schleswig-Holstein bereitgestellten Konsolidierungshilfen nicht ausreichen. Das wissen wir.
Warum Sie aber, wenn Sie das wissen, trotzdem auf die Klage gegen die Schuldenbremse verzichten, hat mir bisher niemand erklären können. Finanzpolitisch ist das Harakiri.
Denn damit verzichten Sie freiwillig gegenüber dem Bund auf jeglichen Verhandlungsspielraum und bringen Schleswig-Holstein in eine aussichtslose Situation.
Was nun? - Nun hätte man ein Konzept zur Entschuldung erwarten müssen, wie es mit unserem Antrag eingefordert wurde. Nichts dergleichen! Stattdessen verweisen sie erst einmal auf den 2. Nachtragshaushalt. Über den werden wir hier anschließend noch diskutieren. Deshalb nur so viel vorweg - mein Kollege hat es schon gesagt -: Nichts, aber auch gar nichts von Ihren groß verkündeten Einsparabsichten spiegelt sich an irgendeiner Stelle in den Zahlen des Haushalts wider.
Das ist sicherlich dringend nötig. Denn viele Kommunen gehen finanziell längst auf dem Zahnfleisch. Aber was haben Sie da formuliert? Hat das von Ihnen überhaupt jemand durchgelesen?
,,Durch eine Reduzierung der Aufgaben im kommunalen Bereich in Form von Aufgabenverzicht, Deregulierung und Umwandlung von pflichtigen Aufgaben in freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben soll die kommunale Ebene nachhaltig von Kosten entlastet werden …“