Protokoll der Sitzung vom 16.07.2009

Übrigens kann man den Punkt, den Sie als Punkt fünf genannt haben, der nun weitgehend überholt ist, auch wenn man die Presseverlautbarungen beispielsweise des AStA zu Rate zieht, als positiven Punkt aufführen, denn dort haben die Selbstregulierungskräfte einer Hochschule gewirkt. Dort hat man sich an einen Tisch gesetzt, ohne dass die Politik großartig eingreifen musste, ohne dass das Land damit in irgendeiner Form befasst war, und hat das Problem gelöst. Das ist ein gutes Beispiel. Sie sollten unseren Hochschulen auch weiterhin vertrauen. Wir stehen für Hochschulautonomie, werden aber das Thema Bachelor und Master weiterhin vertieft im Ausschuss beraten müssen.

(Beifall bei der CDU)

(Angelika Birk)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Niclas Herbst und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Jürgen Weber das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn noch einmal festhalten - das haben auch andere Redner so gemeint, denke ich -, dass es keine Alternative dazu gab, sich als deutsche Hochschullandschaft dem Bologna-Prozess anzuschließen, und dass es im Grunde auch richtig ist, ein internationales Großprojekt mit vergleichbaren Strukturen als Voraussetzung für Durchlässigkeit in Europa zu schaffen. Das bleibt so richtig. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille ist, dass es erhebliche Probleme in der Umsetzung gibt. Diese erheblichen Probleme in der Umsetzung haben sich mittlerweile als mehr als nur Kinderkrankheiten herausgestellt. Dort sind einige prinzipielle Dinge schiefgelaufen. Die bedürfen der Aufarbeitung und der kritischen Betrachtung.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vonseiten der Studierenden, aber auch von der Hochschullehrerseite werden stets folgende vier bis fünf Hauptpunkte erwähnt: eine Verschulung, also zu starke Reglementierung des Studiums, zu wenig Freiraum zur eigenen Schwerpunktsetzung oder gar für Studieninhalte, die nicht unmittelbar zum Curriculum gehören, aber eben auch die Frage von zu wenig Spielraum für Erwerbstätigkeit oder Ehrenamt. Ich halte es für eine nicht besonders ermutigende Zwischenbilanz, zu lesen, dass die angestrebte Internationalisierung nach wie vor auf sich warten lässt und in den Bachelor-Studiengängen zurzeit nur rund 15 % der Studierenden ein Auslandssemester absolvieren oder absolvieren wollen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist eine wirklich trübe Bilanz.

Die Probleme kann man meiner Auffassung nach in vier Stichworten zusammenfassen: Erstens überbordende Akkreditierungsbürokratie, zweitens unnötige und zum Teil auch unfaire Selektionsmechanismen, drittens immer stärker ausufernde Auflagen und viertens eben auch ein Stück Überforderung von personellen und sachlichen Ressourcen; ich werde dazu gleich Beispiele nennen.

Ich greife drei Punkte in der Kürze der Zeit heraus, um deutlich zu machen, dass es eben nicht nur um kleine Probleme, sondern auch um ein paar Systemkorrekturen geht.

Erster Punkt: Die Forderung, dass die neuen Studiengänge spezielle Profile haben müssen und sich damit auch von den alten Studiengängen, also den alten Magister- oder Diplom-Studiengängen deutlich unterscheiden sollen, hat sich an vielen Hochschulen zu einer Art „Man muss eben irgendwie etwas anderes machen“ - Mentalität entwickelt. Die Verpflichtung zu speziellen Profilen vermindert aber deutlich die Mobilität der Studierenden, da teilweise durchaus merkwürdige Curricula dazu führen, dass man Spezialisierungen nachweist und damit immer schärfer in den Widerspruch zwischen einer gewünschten Vereinheitlichung und der Mobilität der Studierenden gerät.

Zweiter Punkt: Die neuen Studiengänge sollen sich auch inhaltlich von ihren Vorgängern unterscheiden. Das hat gerade im naturwissenschaftlichen Bereich - Frau Birk hat das vorhin schon angetippt - zu vielen Missverständnissen geführt. Was, bitte schön, könnte man fragen, soll an der Quantenmechanik der Halbleiter im Master anders sein als im Diplom? Der Mathematik ist es eigentlich auch egal, ob sie im Bachelor oder im Vordiplom unterrichtet wird. Das spricht nicht automatisch gegen die neuen Studiengänge. Es wirft aber Fragen bei der Umsetzung der Modernisierung auf, wo meines Erachtens noch Nachholbedarf besteht.

(Beifall beim SSW)

Ein dritter Punkt ist das Thema Berufsqualifizierung. Der Bachelor als Abschluss wurde als berufsqualifizierend definiert. Das ist im Kern richtig und funktioniert in den Fachhochschulen auch ziemlich gut, blendet aber eine ganze Reihe von praktischen Problemen aus. Wir alle wissen - ich nenne das Beispiel Chemie -: In der Chemie ist faktisch erst die Promotion berufsqualifizierend. In den staatlich kontrollierten Studiengängen wie Jura oder Medizin hat die Umstellung gar nicht stattgefunden. Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: Im Bereich des Lehramtes haben wir selbst gesetzt, dass erst der Master berufsqualifizierend ist.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Das heißt, wir haben eine erhebliche Widersprüchlichkeit und Verfahren, die ein weiteres Nachdenken dringend erfordern.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Einen letzten Punkt will ich als Beispiel bringen: das Thema Leistungsnachweise. Abschlüsse werden ja jetzt nicht mehr in einer Abschlussprüfung erworben, sondern setzen sich aus vielen Teilprüfungen zusammen. Man macht wegen der Mobilität der Studierenden eher kleine Module, was dazu führt, dass man für einen Bachelor 25 Prüfungen und mehr bestanden haben muss. Da man alle Prüfungen bestanden haben muss, um insgesamt bestanden zu haben und die Zahl der Anläufe weiter begrenzt wird, da man die Studiendauer nicht ausweiten will, hat sich die Misserfolgswahrscheinlichkeit deutlich erhöht. Nachweisbar haben wir steigende Abbrecherquoten. Das ist nicht akzeptabel und führt zu erheblichem Handlungsbedarf.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich will abkürzen und zum Schluss sagen: Ich sehe Handlungsbedarf im Bereich von Hochschulen in allererster Linie, aber auch bei Regierung und Parlament, nämlich die aktuelle Entwicklung kritisch zu überprüfen, und zwar gerade deswegen, um eben nicht zu einer pauschalen Ablehnung der neuen Studienkonstruktion zu kommen - das wollen wir nicht -,

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

sondern die berechtigten Kritikpunkte aufzulisten und Abhilfe zu schaffen. Nur wenn wir das tun, erhalten wir Akzeptanz auch für das, was wir an neuen Studienstrukturen einführen.

Es wäre schön, Herr Abgeordneter, wenn der letzte Satz käme.

Der letzte Satz war schon angefangen; ich hätte ihn jetzt schon fertig gehabt. Ich will ihn gern wiederholen; er lautet folgendermaßen: Es wäre schön, wenn wir durch unsere Maßnahmen dafür Sorge trügen, dass der Begriff Bologna nicht irgendwann einen ähnlichen Klang bekommt wie der Begriff Hartz.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Begriff Bologna ist auf dem besten Wege, einen ähnlichen Klang zu bekommen wie der Name Hartz.

Ich habe in früheren Debatten immer die Befürchtung geäußert, dass sich aus dieser Entwicklung das größte bildungspolitische Desaster seit Entstehung der Bundesrepublik ergeben könnte, und ich sehe meine Befürchtungen Jahr für Jahr bestätigt. Da nutzt es auch nicht, dass man gebetsmühlenartig sagt, es habe keine Alternative zu Bologna gegeben. Denn wir wissen alle, dass in den einzelnen europäischen Staaten diese Bologna-Vereinbarung, die im Übrigen die Unterschrift von Frau Erdsiek-Rave trägt, auf ganz unterschiedliche Art und Weise umgesetzt worden ist. Ich könnte das hier breit ausführen, habe aber leider die Zeit nicht dafür.

Zum Antrag der Grünen. Darin wird von Studierfähigkeit gesprochen, meint aber eigentlich Studierbarkeit. Das nur nebenbei bemerkt. Da geht es natürlich um Dinge wie Arbeitsbelastung, Studienorganisation, Prüfungswesen, alle diese Dinge, wo vieles im Argen liegt, was heute unter anderem zu der hohen Studienabbrecherquote in diesen Studiengängen führt. Die Grünen gehen auf einige Lösungsmöglichkeiten ein.

Zu Punkt eins im Antrag der Grünen möchte ich sagen: Da verfehlen die Antragsteller komplett den eigentlich sinnvollen Lösungsweg, indem sie an der Fiktion von den berufsqualifizierenden Bachelor-Abschlüssen - diese Fiktion ist von Anfang an ein Geburtsfehler bei der ganzen Sache gewesen festhalten. Wenn wir sagen - das hat Jürgen Weber völlig zu Recht ausgeführt -, dass wir als Länder Lehrer nur mit einem Master-Abschluss einstellen, dann bedeutet das logischerweise, dass alle Studierenden, die in Lehrerbildungsstudiengängen nur bis zum Bachelor gelangen, in einer Sackgasse landen. Für die gibt es beruflich im Kern keine Alternativen, die hängen in der Luft. Das ist in vielen anderen Berufsfeldern eben auch der Fall. Das Dogma der Zweistufigkeit schafft in vielen Bereichen solche Sackgassen. Deshalb muss es überdacht werden.

(Jürgen Weber)

Jürgen Weber hat zu Recht auf die Problematik der Spezialisierung von Studiengängen und auch der Konstruktion der Module hingewiesen. Darin liegt nach meinem Dafürhalten eine wesentliche Ursache dafür, dass wir nicht mehr Mobilität und mehr Internationalität haben, sondern sich stattdessen die Hochschulen wie Kleingärten, die durch Zäune abgeriegelt sind, abschotten und eine eigene kleine Hochschulwelt aufbauen, die dann nicht mehr Mobilität zu anderen Standorten ermöglicht, weil anderswo ganz andere Studienkonzepte gefahren werden.

Hierin liegt ein zentrales Problem. Da ist Murks gemacht worden. Da nützen auch schöne Umfragen wie an der Uni Kiel „Wie kommt der Bachelor an?“ nichts. Universitätsangehörige an der CAU in Kiel machen schon den Witz und antworten auf die Frage „Wie kommt der Bachelor an?“: „Nackt und zu Fuß“. Das ist der Sarkasmus, der sich in zunehmendem Maße an den Hochschulen ausbreitet.

Lösungswege werden gesucht. Frau Schavan spricht davon, dass man ja nicht sechs Semester im Bachelor vorschreiben soll, ein Bachelor könnte ja auch acht Semester dauern. Das macht - Stichwort Verlängerung der Gesamtstudiendauer -, wenn noch weitere Abschlüsse folgen sollen, die Sache ganz rund.

(Zuruf von der SPD)

Das schraubt natürlich den Bedarf an Lehrkapazität insgesamt noch einmal nach oben. Es ist das Grundproblem, dass Bachelor und Master zusammengenommen ein Plus an 15 % Lehrkapazität erfordern und die Politik nirgendwo bereit ist, diesen Zuschlag an Lehrkapazität, sprich an Wissenschaftler-, Dozenten- und Professorenstellen, den Hochschulen auch tatsächlich für eine vernünftige Umsetzung dieses Bachelor/Master-Modells zu geben. Das ist der Kern aller Probleme bei der Ausgestaltung dieser Studiengänge.

Der Lösungsweg ist eben nicht der, den Frau Schavan anbietet, sondern nach meiner Überzeugung liegt die Lösung in einer Abkehr vom Dogma der Zweistufigkeit, das für alle Studiengänge im Bachelor-Master-Modell vorgeschrieben werden soll. Wenn man stattdessen wie in England auch einen grundständigen Master ermöglicht, also ohne vorgeschalteten Bachelor in einer vernünftigen Regelstudienzeit auch einen Master an den Universitäten möglich macht, dann könnte man viele jetzt vorhandene Probleme sehr leicht in den Griff bekommen. Dann würde auch das Nadelöhr, das sich zunehmend herauskristallisiert beim Übergang vom

Bachelor zum Master, als Problem nicht mehr zu bewältigen sein.

Es gibt also Möglichkeiten. Ich denke, die Hochschulpolitik ist gut beraten, sich alsbald über diese Lösungsmöglichkeiten Gedanken zu machen und nicht darauf zu warten, bis wir an den Universitäten eine Unruhe unter den Studenten bekommen, wie sie in den späten 60er-Jahren in Deutschland in ähnlicher Größenordnung schon einmal vorhanden gewesen ist.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug und erteile für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag deren Vorsitzender, Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrem Antrag zur Studierbarkeit eine Vielzahl von Vorschlägen aufgelistet, um Bachelor-Master-Studiengänge zu verbessern. Ich will gleich auf diese Anregung eingehen, möchte aber noch einmal klarstellen, dass alle akkreditierten Studiengänge grundsätzlich natürlich auch studierbar sind und als studierbar gelten.

Gleichwohl sind auch wir der Auffassung, dass es einen umfassenden Nachbesserungsbedarf an der Umsetzung des Bologna-Prozesses gibt. Aber ich glaube, dieser Nachbesserungsbedarf hat sehr viel mit unseren Hochschulen und auch mit dem zu tun, was Kollege Weber vorhin ansprach, dass man bei der Umstellung auf Bachelor/Master auf Krampf der Meinung war, es müsste etwas grundlegend Anderes auf dem Tisch liegen.

Nach dem vorliegenden Antrag soll der BachelorAbschluss vorrangig ein berufsqualifizierender Abschluss sein. Ich denke, es ist doch etwas überraschend, dies als Forderung aufzustellen. Denn bekannt ist ja, dass der Bachelor der erste berufsqualifizierende Abschluss ist. Natürlich kann es nicht zu jedem Abschluss auch das entsprechende Berufsbild geben. Zum einen entwickeln sich Berufsbilder nicht von heute auf morgen, zum anderen ist das fehlende Berufsbild zum Teil ein grundlegendes Merkmal wissenschaftlicher Studiengänge. Das Studium dient gerade dazu, ein individuelles Berufsbild zu entwickeln. Ich erwarte einfach auch, dass allmählich begriffen wird, dass diejenigen, die

(Dr. Ekkehard Klug)

ein Studium absolvieren, nicht ohne Weiteres in ein bestimmtes Berufsbild hineinpassen, sondern auch die Möglichkeit haben, mit dem Werkzeug des Studiums individuelle Berufsbilder zu erschließen. Ich glaube, diese Vorstellung muss noch deutlicher formuliert werden.

Die zweite Forderung bezieht sich auf eine Reduzierung der Arbeitsbelastung und auf die grundlegende Einführung von Teilzeitstudiengängen an den Hochschulen. Wie hoch die Arbeitsbelastung der Studierenden ist, bestimmen die Hochschulen zuerst einmal selbst, da sie die Creditpoints pro Lehrveranstaltung vergeben. Hier gibt es also ausreichend Gestaltungsspielraum, um die Studierenden nicht mit 40, 50 Stundenwochen zu überfrachten.

Aus Sicht des SSW muss es möglich sein, alle Studiengänge auch als Teilzeitstudiengänge an den Hochschulen anzubieten.

(Beifall beim SSW)