Protokoll der Sitzung vom 23.07.2009

In diesem Zusammenhang - das will ich auch ganz deutlich sagen - war es mit Sicherheit wenig hilfreich, dass gleich am Tag darauf der Bundesumweltminister sofort nach den erneuten Störfällen die Forderung aufgestellt hat, die Atomaufsicht von den Ländern auf den Bund zu übertragen. Dass hierbei zwangsläufig der Eindruck entstehen musste, dass die Kieler Atomaufsicht nicht ordnungsgemäß gearbeitet hat, liegt doch auf der Hand. Aber ich will Ihnen ganz deutlich sagen - das sage ich auch Ihnen, der Sie die Atomaufsicht vorübergehend in der Hand hat -: Wenn einer aus den Pannen von 2007 gelernt hat, dann war es die Kieler Atomaufsicht.

(Dr. Heiner Garg)

(Beifall bei der FDP)

Ich kann im Moment nicht erkennen, dass die Atomaufsicht nicht ordentlich gearbeitet hat.

Wo Menschen und Technik aufeinandertreffen, passieren Fehler. Das ist so. Aber bei dem Betrieb eines Atomkraftwerks können solche Fehler fatale Folgen haben. Hier sind in ganz besonderer Weise Sicherheit, Zuverlässigkeit sowie Vertrauen in den Betreiber dringend geboten. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall hat hiermit nicht nur in Krümmel offenbar massive Schwierigkeiten.

Ich habe für die FDP-Landtagsfraktion bereits am 16. Juli 2008 im Plenum des Landtags gefordert, mit der Bundesregierung und den Kernkraftwerksbetreibern Vattenfall und E.ON in konkrete Verhandlungen einzusteigen, um ein angemessenes Verfahren zu finden, mit dem gewährleistet ist, die Reststrommengen von älteren Reaktoren wie Krümmel auf neuere Anlagen, beispielsweise auf Brokdorf, zu übertragen. Nach dem Atomgesetz wäre das möglich, setzt allerdings einen Konsens der Beteiligten voraus. Dieser Energiekonsens muss herbeigeführt werden, und zwar in einem unideologischen, unaufgeregten und sachlichen Verfahren. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Daher fordere ich Landesregierung auf, mit der Bundesregierung und den Kernkraftwerksbetreibern Vattenfall und E.ON in konkrete Verhandlungen einzutreten, um ein angemessenes Verfahren zu finden, mit dem gewährleistet ist, nach § 7 Abs. 1 b Satz 1 des Atomgesetzes tatsächlich zur Anwendung zu bringen.

Das Verfahren muss so ausgestaltet sein, dass zum einen ältere, von Stillständen und Ausfällen betroffene Anlagen frühzeitig vom Netz genommen werden können, gleichzeitig aber gewährleistet ist, dass die in Anlage 3 nach § 7 Abs. 1 a des Atomgesetzes festgelegte Gesamtsumme der Reststrommenge ausgeschöpft wird.

In diesem Zusammenhang, was die Anwendung des Atomgesetzes anbelangt, stört mich im Übrigen auch die Kraftmeierei des Bundesumweltministers. Vielleicht sollte er einmal, anstatt mit dem Finger auf andere, auch auf die Kieler Atomaufsicht, zu zeigen, einfach einmal das Atomgesetz lesen. Denn im Atomgesetz steht glasklar, dass der Widerruf der Betriebsgenehmigung wegen erwiesener Unzuverlässigkeit des Betreibers sofort möglich ist. Wenn Herr Gabriel also will, dann kann er Krümmel sofort dichtmachen. Genau das sollte er dann tun,

wenn er überzeugt ist, dass der Betreiber unzuverlässig ist. Jetzt in den Medien zu verbreiten, Vattenfall-Kunden sollten schnellstmöglich den Anbieter wechseln, das ist gelinde gesagt ein politisches Armutszeugnis.

(Zuruf von der SPD)

Wenn Herr Gabriel krampfhaft mit diesem Thema und mit dem Schüren von Ängsten der Bevölkerung versucht Wahlkampf zu machen, dann kann er das auch gern tun. Ich glaube nur, dass es in der Sache wenig dienlich ist.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will noch eines sagen, weil es pausenlos immer wieder vom Fraktionsvorsitzenden und Landesvorsitzenden der Sozialdemokraten hier behauptet wird. Die ewige Behauptung, die FDP SchleswigHolstein wolle, dass alle Atomkraftwerke in Deutschland länger am Netz sind, ist falsch. Es ist die Unwahrheit, um kein anderes Wort zu benutzen.

Die schleswig-holsteinische FDP hat auf ihrem Landesparteitag am 2. Dezember 2006 folgenden Beschluss gefasst, der für jeden nachlesbar ist:

„Die FDP Schleswig-Holstein hält am Atomausstiegsbeschluss fest. Eine Verlängerung der Laufzeiten über die gesetzlich vereinbarte Restlaufzeit hinaus ist angesichts der vollkommen ungeklärten Frage der Entsorgung hoch radioaktiven Restmülls nicht zu verantworten.“

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieser Beschluss ist eindeutig. Ich sage ganz deutlich: Daran werden sich im Zweifel auch künftige Koalitionspartner zu messen haben. Mit dieser Forderung würden wir selbstverständlich auch entsprechende Verhandlungen führen. Damit das auch klar ist.

(Beifall bei der FDP)

Genau aus diesem Grund habe ich mich natürlich auch über den Beschluss des Bundesparteitags der FDP vom 15. bis 17. Mai dieses Jahres in Hannover zum Thema Atomkraft sehr gefreut. Denn die Bundes-FDP hat auf Druck der schleswig-holsteinischen FDP beschlossen:

„Wir brauchen die Kernenergie als Übergangstechnologie, bis erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang grundlastfähigen

(Dr. Heiner Garg)

Strom erzeugen können oder die CO2-Abscheidung und -Einlagerung für Kohlekraftwerke im großtechnischen Maßstab zur Verfügung steht. Die Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke müssen daher in diesem Sinne verlängert werden.“

Für die schleswig-holsteinische FDP ist klar, dass dies im Rahmen des Atomkonsenses stattfinden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der FDP müssen konkret die folgenden Maßnahmen ergriffen werden:

Erstens. Es muss eine sofortige neue Zuverlässigkeitsprüfung des Betreibers unter Berücksichtigung der neuen Vorfälle durchgeführt werden. Warum trat exakt derselbe Fehler nach zwei Jahren Stillstand erneut auf? Warum wurde die Überwachungseinrichtung des Maschinentransformators nicht installiert? Warum wurde die vereinbarte Audioüberwachung nicht installiert? Warum wurde die Atomaufsicht nicht informiert?

Zweitens. Wenn den Atomaufsichtsbehörden gesicherte Kenntnisse vorliegen, dass der Betreiber unzuverlässig ist, dann muss der Bundesumweltminister die Betriebsgenehmigung sofort widerrufen.

Drittens sollten sich Bundes- und Landesatomaufsicht überlegen, ob das Genehmigungsverfahren tatsächlich noch zeitgemäß ist oder ob entsprechende Änderungen vorzunehmen sind.

Viertens muss die Landesregierung mit der Bundesregierung und mit den Kernkraftwerksbetreibern Vattenfall und E.ON in konkrete Verhandlungen einsteigen, um ein angemessenes Verfahren zu finden, das ganz konkret die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel frühzeitig vom Netz genommen werden können, gleichzeitig aber gewährleistet ist, dass die im Atomgesetz festgelegte Gesamtsumme der Reststrommenge dahingehend ausgeschöpft wird, dass die Reststrommengen der beiden Kraftwerke auf Brokdorf übertragen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beantragen abschnittweise Abstimmung. Wir beantragen, über den Punkt 1 des gemeinsamen Antrags von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW in der Sache abzustimmen. Ich beantrage, die Punkte 2 bis 4 an den zuständigen Ausschuss zu überweisen, weil sie von der Tendenz her genau meinem Vorschlag vom vergangenen Jahr entsprechen, wir uns aber über die konkrete Abwicklung im Einzelnen ernsthaft unterhalten müssen. Da spielen zum Beispiel Fragen eine Rolle, Kollege Hentschel: Wollen Sie

sich wirklich nicht mehr an den Atomkonsens halten? Sie haben das angedeutet. Das heißt, die Reststrommengen verfielen dann.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das wollen wir ausdrücklich nicht. Das haben Sie so nicht aufgeschrieben. Aber Ihr Punkt vier ließe beide Möglichkeiten offen. Das heißt, wir müssen uns im Ausschuss intensiv beraten, welchen Weg Sie tatsächlich gehen wollen. Wir müssen darüber reden: Was passiert mit den Gewerbesteuerannahmen, die Geesthacht wegbrechen? Man könnte eine Vereinbarung finden, wenn Reststrommengen übertragen werden, dass - ähnlich wie bei der Fusion von Sparkassen - Brokdorf, das davon profitieren würden, beispielsweise die zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen aufteilen würde, sodass Geesthacht nicht völlig ohne dastehen würde.

Wenn Sie tatsächlich an der Sache interessiert sind und nicht ausschließlich einen Schaukampf vorführen wollen, dann stimmen Sie der Ausschussüberweisung der Punkte zwei bis vier zu. Darum bitte ich Sie herzlich.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für den SSW dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schön muss es doch sein, wenn man als Energieversorger einen alten Atomreaktor betreibt, der bereits seit Jahren abgeschrieben ist und nur noch Geld in Millionenhöhe abwirft. Schöner kann es für den Energieversorger nur noch werden, wenn die Laufzeit seines Reaktors durch politische Entscheidungen noch verlängert wird, obwohl der Reaktor eine Panne nach der anderen einfährt. Das wäre wohl aus Sicht der großen Atomkraftwerksbetreiber in Deutschland der Glücksfall auf Erden. Für uns als SSW gilt: Wir werden politisch alles daransetzen, dass dieser Fall nicht eintritt.

Die alten Atommeiler sind nicht so sicher wie es ihre Betreiber und die politischen Atombefürworter immer gern darstellen. Insbesondere wird dies am Meiler in Krümmel deutlich. Dort steht der Pannenmeiler der Nation. Er und sein Betreiber machen wieder negative Schlagzeilen wie schon lange nicht. Dass es in den letzten zwei Jahren nichts über

(Dr. Heiner Garg)

ihn zu lesen gab, liegt nur daran, dass er abgeschaltet war.

Als der Meiler nach rund zwei Jahren Reparaturzeit wieder angefahren werden durfte, wurde der Pannenreaktor nur vier Tage danach seinem Spitznamen wieder gerecht. Man fragt sich: Was hat Vattenfall eigentlich in den zwei Jahren gemacht, um den Meiler wieder auf Vordermann zu bringen? Augenscheinlich hat man nichts gemacht.

Seit dem Störfall wird deutlich, dass sich nicht nur einige der Ereignisse mit denen von vor zwei Jahren spiegeln, sondern auch das Verhalten von Vattenfall hat sich seit 2007 nicht geändert, soll heißen, die Kritik an der Informationspolitik von Vattenfall, die nach den Störfällen von 2007 laut wurde, hat nicht gefruchtet.

Was hat Vattenfall an seinen Strukturen geändert? Offensichtlich auch nichts. Ebenso hat es Vattenfall nicht für notwendig erachtet, bestimmte Vorgaben der Genehmigungsbehörde einzuhalten. Es gibt also auch diesmal Anlass genug, zu hinterfragen, ob nicht durch eine bessere gesetzliche Grundlage für mehr Sicherheit für die Menschen gesorgt werden muss. Dabei spielt die Frage, ob man für oder gegen die Kernenergie ist, keine Rolle. Sicherheit hat Vorrang vor allen anderen Erwägungen.

(Beifall beim SSW)

Die Vorfälle in Krümmel vor zwei Jahren waren für uns als SSW seinerzeit Grund genug zu fordern, dass Betreibern von Atomkraftwerken leichter die Betriebsgenehmigung entzogen werden kann. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der Atomaufsicht in ihrem Handeln Grenzen gesetzt sind. Frau Trauernicht hatte als Ministerin mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, das Maximum herausgeholt. Denn so war zumindest für zwei Jahre die Gefahr, die von Krümmel ausgeht, gebannt. Dafür gebührt ihr unser aller Dank.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Sie hat seinerzeit deutlich gemacht, dass die Hürden für die Versagung einer Betriebsgenehmigung sehr hoch sind. Soll heißen, wenn die internen Abläufe geändert werden, zum Beispiel durch den Austausch von Personal oder durch Veränderung in der Organisationsform, kann der Betreiber damit deutlich machen, dass er in Zukunft besser arbeiten will und kann. Ob dies dann auch wirklich eintritt, ist nicht wichtig.

Mit der Ankündigung von Vattenfall-Chef Hatakka, jetzt alle Prozesse technisch und organisatorisch auf

den Prüfstand zu stellen, erschwert Vattenfall der Aufsichtsbehörde jetzt wieder einmal die Versagung der Betriebsgenehmigung.

Diese Lücke im Gesetz muss geschlossen werden. Es kann nicht angehen, dass ein Atomkraftwerk bei immer wiederkehrenden Verfehlungen weiter betrieben werden darf. Da stimmt etwas in der Gesetzgebung nicht.