Protokoll der Sitzung vom 23.07.2009

Es ist sehr positiv, dass Ulli Hase mit seinem Tätigkeitsbericht nicht nur Schwachstellen aufzeigt, sondern auch besonders gute und nachahmenswerte Beispiele nennt, Beispiele, die zeigen, dass die Integration von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt möglich ist. Unternehmen können sich auf die besondere Unterstützung für behinderte Arbeitnehmer einstellen, und Vorurteile werden abgebaut.

Es ist unmöglich, in fünf Minuten Redezeit den umfassenden Bericht von Ulli Hase detailliert zu würdigen. Ich will aber noch einen Punkt ganz besonders herausgreifen; das ist der Begriff „Barrierefreiheit“. Er zieht sich durch viele Praxisbeispiele und Anforderungen für die Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung durch den Bericht. Der Bericht macht deutlich, dass für eine wirkliche Barrierefreiheit im Bereich der Mobilität noch viele Hemmnisse bestehen. Unter anderem hat aber Ulli Hase an anderer Stelle festgestellt: Der öffentliche Stadtverkehr ist für Menschen mit Behinderung entweder gar nicht oder nur mit einer Hilfe zu benutzen. Hier besteht noch großer Handlungsbedarf, sowohl beim öffentlichen Personennahverkehr wie auch bei der Bahn. Viele Menschen mit Behinderung schildern uns die Situationen, die sie alltäglich erleben müssen. Es kann nämlich sein, dass der Niederflurbus nicht eingesetzt wird, weil es zu wenig Niederflurbusse gibt, sodass man an der Haltestelle steht und gar nicht erst mitgenommen wird. Ich finde, dies ist ein Skandal an sich.

(Beifall im ganzen Haus)

Es wird im Bericht aber auch deutlich, dass es um Barrierefreiheit im Tourismus geht, dass es um Barrierefreiheit beim Wohnen und in der Freizeit geht, aber auch um barrierefreie Informationstechnologien. Der Begriff „Barrierefreiheit“ zieht sich wie ein roter Faden durch den umfangreichen Bericht und macht deutlich, wie viel wir noch in der politischen Gestaltung umdenken müssen, wenn wir Menschen mit Behinderung wie selbstverständlich Zugänge und Teilhabe ermöglichen wollen.

Im Bericht wird der umfassende Ansatz der Inklusion aufgegriffen. Mit der Diskussion um die Leitorientierung „Inklusion“ hat die Sozialministerin die Interessen und die Anliegen von Menschen mit Behinderung stärker in den Blickpunkt genommen und Veränderungen in allen Lebensbereichen von Menschen mit Behinderung angeschoben. Diese Diskussion hat der Landesbeauftragte mit seiner Forderung nach umfassender Barrierefreiheit und der Verstärkung der Bemühungen um Integration von Menschen mit Behinderung massiv unter

(Wolfgang Baasch)

stützt. Dadurch ist es Uli Hase gelungen, dass die Betroffenen noch verstärkt in die Entscheidungen und Diskussionen einbezogen werden.

Die Forderung, noch mehr und detaillierte Konzepte für eine verbesserte Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung aufzustellen, hat Uli Hase mit einer Rundreise durch alle Kreise und kreisfreien Städte in Schleswig-Holstein untermauert. Er hat gemeinsam mit dem Landesverband der Lebenshilfe vor Ort und in direktem Kontakt mit Menschen mit Behinderung ihre Probleme und Nöte aufgenommen, aber auch ihre Forderungen und Anregungen für eine umfassende Inklusionspolitik in Schleswig-Holstein aufgegriffen. Als Folge seiner Gespräche vor Ort wurden bereits einige Aktivitäten gestartet. Es sind Fortbildungsangebote für Menschen mit Behinderung initiiert worden, und es wurde eine Informationsbroschüre zur politischen Organisation von Kommunen auf den Weg gebracht, eine Broschüre, die ich übrigens jedem, auch hier im Haus, empfehlen kann, erklärt sie doch unter der Überschrift „Was ist Politik?“ in leichter Sprache, wie politische Prozesse gestartet werden und wie auch Menschen mit Behinderung auf politische Prozesse einwirken können. Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Teilhabe umgesetzt wird. Wenn ich allerdings an die letzten Tage denke, dann haben einige Punkte, wie Politik gestaltet wird, noch keinen Eingang in die Broschüre gefunden. Vielleicht muss man auch Konflikte noch einmal deutlicher beschreiben.

Es gäbe noch viele Punkte anzusprechen. Dies ist aus zeitlichen Gründen an dieser Stelle für mich nicht mehr möglich.

Darum bitte, ich den Bericht - wie meine Vorrednerin schon gesagt hat - an die Ausschüsse zu überweisen. Wir sollten dort direkt mit dem Landesbeauftragten die Diskussion intensiv weiter führen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ulli Hase, herzlichen Dank Ihnen und Ihrem Team für die geleistete Arbeit!

(Beifall)

Seit Januar 2009 sind Sie Beauftragter des Landtags Schleswig-Holstein. Ich finde, darauf können wir stolz sein. Mit dem vorgelegten Bericht schließt Dr. Hase einen Zeitraum ab, für den er noch Beauftragter der Landesregierung war.

Der vorgelegte Bericht ist - jedenfalls für meine Fraktion - mehr als eine Anregung an Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit, um die Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Er ist ein ganz klarer Auftrag an die Politik zu handeln.

Wie ein roter Faden zieht sich deshalb die Forderung nach mehr Barrierefreiheit durch den Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung.

Wer Inklusion will, muss dazu auch die Rahmenbedingungen sicherstellen. Inklusion fordert sowohl von den Menschen mit Behinderung als auch von der Gesellschaft Anpassungsleistungen ein. Dabei genießen Menschen mit Behinderung Schutz und Rechte durch die Gesellschaft - bei Beachtung ihrer besonderen Verletzlichkeit. Eine Anpassungsleistung von Menschen mit Behinderung kann deshalb nur dann gelingen, wenn sie ein barrierefreies Umfeld vorfinden. Die Gesellschaft ist deshalb gefordert, genau dieses barrierefreie Umfeld zu schaffen und in Vorlage zu treten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Es ist ärgerlich und völlig inakzeptabel, dass beispielsweise bei den wenigen öffentlichen Neubauten die Maßgaben zur verpflichtenden barrierefreien Gestaltung nicht oder nur unzureichend eingehalten werden. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel aus Kiel nennen: Die kürzlich fertiggestellte Gablenzbrücke war von Anfang an nicht vollständig barrierefrei geplant. Begründet wurde dieser Umstand von der Stadt Kiel damit, dass die bautechnische Prüfung vor Inkrafttreten des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes abgeschlossen worden sei. Was für ein Armutszeugnis, dass es erst eines Gesetzes bedurfte, um an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zu denken!

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Im Fall der Gablenzbrücke müssen jetzt für Nachbesserungsarbeiten zur Herstellung der Barrierefreiheit weitere 250.000 € aufgewendet werden.

Dass es auch anders geht, zeigt ein aktuelles Beispiel - ebenfalls aus Kiel: Bei der Planung des neu zu errichtenden Schiffsanlegers in Falckenstein ist die barrierefreie Nutzung von vornherein berück

(Wolfgang Baasch)

sichtigt worden. Davon profitieren jetzt nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern es spart mittelfristig auch Kosten.

Wenn die sozialpolitischen Sprecher der - ich muss jetzt sagen: ehemaligen - Großen Koalition als Reaktion auf die Vorstellung des Tätigkeitsberichtes das Thema „Barrierefreiheit“ als besondere Herausforderung betonen, dann ist das richtig und ich freue mich darüber. Den Betroffenen ist aber wenig geholfen, wenn es bei diesen Lippenbekenntnissen bleibt und in der praktischen Umsetzung zu wenig passiert.

Wenn Kinder mit Behinderung künftig mehr in den Regelunterricht einbezogen werden sollen, dann müssen sie ein barrierefreies Umfeld vorfinden. Andernfalls scheitert die inklusive Bildung bereits an der Schuleingangstreppe.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir haben deshalb bereits im Oktober 2005 einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Herstellung von Barrierefreiheit innerhalb einer Übergangsfrist von 15 Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes auch in bestehenden Gebäuden vorsieht. Dabei soll es auch die Möglichkeit von Zielvereinbarungen mit den Interessenvertretungen geben und somit den Trägern der öffentlichen Verwaltung eine Erweiterung der Übergangsfrist eröffnet werden. Dieser Entwurf liegt seit fast vier Jahren im zuständigen Sozialausschuss vor.

Die Herstellung von Barrierefreiheit ist die Durchsetzung von Bürgerrechten, und diese dürfen nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Ich finde es schlicht skandalös, wenn man sich immer nur auf das Konnexitätsprinzip beruft und nichts dafür tut, dass die Herstellung von Barrierefreiheit endlich durchgesetzt wird.

Der Bericht des Landesbeauftragten zeigt, dass schon mit wenig Aufwand viel erreicht werden könnte, wenn das Thema durch uns alle ein bisschen anders betrachtet werden würde.

Ich sage es ganz deutlich: Es sind keine Sonntagsreden mehr gefordert -ich glaube im Übrigen auch, dass die Menschen keine Sonntagsreden mehr hören können und mehr hören mögen -, sondern die praktische Umsetzung, beispielsweise im Rahmen von Ausschreibungen durch die öffentliche Hand oder die Sensibilisierung von Architekten und Ingenieuren. Dabei müssen wir Barrierefreiheit auch als Wirtschaftsfaktor verstehen und uns dieses Knowhow sichern.

Lieber Ulli Hase, ich bedanke mich noch einmal ausdrücklich dafür, dass Sie in Ihrem Bericht die Probleme klar benannt und der Politik konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreitet haben.

Jetzt ist es unsere Aufgabe, diese Vorschläge in konkretes Handeln umzusetzen. Dazu fordere ich auf.

Der Ausschussüberweisung schließt sich meine Fraktion an.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht hätte eigentlich einen anderen Zeitpunkt der Behandlung verdient. Aber machen wir zu dieser späten Stunde, wo alle schon etwas erschöpft sind, das Beste daraus!

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung hat heute seinen dritten und gleichzeitig letzten Tätigkeitsbericht unter dem Dach des Sozialministeriums vorgelegt. Die gute Arbeit von Ulrich Hase und seinem Team hat sich ausgezahlt. Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind sie, Herr Hase, direkt dem Landtag zugeordnet. Auch von dieser Stelle aus noch einmal Glückwunsch und Dankeschön. Beides stärkt die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung nachhaltig: das Glück und der Dank von unserer Seite. Man sieht, alle sind schon erschöpft, aber ein bisschen Beifall wäre hier hilfreich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie vereinzelt bei der CDU)

Wir Grünen haben von Anfang an ein Maximum an Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit für den Behindertenbeauftragten gefordert. Die direkte Zuordnung zum Landtag hat sich bei der Bürgerbeauftragten und dem Beauftragten für Flüchtlingsund Migrationsangelegenheiten sehr bewährt. Auch Ulrich Hase hält in seinem Tätigkeitsbericht mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Ich erlaube mir, zu zitieren:

„Die Zuordnung zum Sozialministerium führte regelmäßig dazu, dass der Landesbe

(Dr. Heiner Garg)

auftragte irrtümlich als Vertreter des Sozialministeriums verstanden wurde. Dadurch wurde es erschwert, sich in der Öffentlichkeit als unabhängige Instanz zu präsentieren und zu positionieren. Die Arbeit des Landesbeauftragten hat Bezug zu allen Ressorts. Die Zuordnung zum Sozialministerium wurde dieser Querschnittsaufgabe nicht gerecht und vermittelte ein auf öffentliche Fürsorge reduziertes Bild der Situation von Menschen mit Behinderung. Die Weisungsunabhängigkeit des Landesbeauftragten wurde in der Zuordnung zum Sozialministerium nicht deutlich. Zum Beispiel ist der Landesbeauftragte geforderte, seine Positionierung nach außen Regierungskonform zu gestalten. Seine Tätigkeitsberichte bedurften erscheinen als Kabinettsvorlage der inhaltlichen Abstimmung den betroffenen Ressorts. Die Folge sind textliche Veränderungen und Abschwächungen.“

Damit ist es nun vorbei. Wir freuen uns, dass für Ulrich Hase und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Ära begonnen hat, die ihre Durchsetzungskraft und die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung weiter stärken wird.

Der aktuelle Tätigkeitsbereicht reicht von 2005 bis 2008. Ich nenne nur die wichtigsten Stationen, was in dieser Zeit alles passiert ist: 2006 trat das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes in Kraft. In Schleswig-Holstein begann die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe. 2007 läutete das Sozialministerium den Perspektivenwechsel von der Integration zur Inklusion ein, und das Europäische Jahr der Chancengleichheit fand statt. 2008 wurde das persönliche Budget für Menschen mit Behinderung aus der Modellphase geholt und nun zur Regelleistung. Ebenfalls 2008 ratifizierte der Bundestag die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen.

Das waren gute Anlässe, damit es vorangeht. Die Themenfülle und der beachtliche Umfang von 124 Seiten lassen auf eine Erfolgsstory hoffen. Aber die Realität ist nach wie vor aber eine andere. Das liegt nicht an Ulli Hase und seinem Team sondern daran, dass noch eine ganze Reihe von Hausaufgaben, zu erledigen sind. In der Kürze der Zeit will ich nur fünf Punkte ansprechen:

Landesbauordnung und Barrierefreiheit: Nachrüstepflicht, Berichtspflicht, Sanktionsinstrumente wären notwendig, um die Barrierefreiheit anzusetzen. Wir hatten vor nicht allzu langer Zeit die Landesbauordnung hier in der Debatte. Es zeichnete

sich keine Mehrheit dafür ab, dass wir überhaupt nur in eine ernsthafte Debatte darüber kommen.

Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte: Das Land als Arbeitgeber erfüllt die gesetzlich vorgeschriebenen 5 % nach wie vor nicht, und die Tendenz ist weiter sinkend.

Berufliche Integration von Menschen mit Behinderung insgesamt: Sie hat sich seit Einführung von Hartz IV deutlich verschlechtert - und das, nachdem es eigentlich eine positive Tendenz durch gemeinsame Anstrengung von vielen gegeben hatte.