Protokoll der Sitzung vom 23.07.2009

Krümmel hat seit Inbetriebnahme 1984 313 meldepflichtigen Ereignisse verzeichnet und liegt damit deutlich über den Durchschnitt. Ja, Krümmel hat dieses Ereignis mit INES 0 gemeldet, Herr Kollege, aber die Gutachter vom TÜV-Nord haben mir gesagt, es sei längst noch nicht ausgemacht, ob es ein Ereignis der Kategorie null oder ein Ereignis der Kategorie eins sei. Man sollte erst einmal die Unabhängigen befragen, bevor man zu einer Gesamtbewertung kommt.

Krümmel hat Stillstandzeiten von über 25 %. Zum Vergleich: Die anderen nach 1980 gebauten Atomkraftwerke haben Stillstandszeiten von 13 % und weniger. Die Störfälle bestätigen überdeutlich unsere Forderung: Wir müssen raus aus der Atomenergie! Nehmen wir den vereinbarten und unumkehrbaren Atomausstieg ernst und den Pannenreaktor Krümmel und am besten auch gleich Brunsbüttel sofort und endgültig vom Netz!

(Beifall bei SPD und SSW)

Ob auf dem rechtlichen Weg des Entzugs der Betriebsgenehmigung, ob als Verhandlungsergebnis oder durch politischen Druck: Die Gespräche müssen von der Landesregierung aufgenommen werden. Das ist meine feste Überzeugung.

Der Ausstieg aus der Kernenergie kommt nicht plötzlich und unerwartet. Politik und Industrie hatten lange Zeit, sich auf Alternativen einzustellen. Deswegen mein klares Bekenntnis zu Alternativen. Kämpfen Sie mit uns für eine angemessene Einspeisevergütung, für einen gezielten Ausbau der Windenergie, für Netze, die diesen Strom auch tatsächlich aufnehmen - ein Problem, dass wir insbesondere an der Westküste haben -, für einen leistungsfähigen öffentlichen Personen - und Güternah- und -fernverkehr, für eine Stadtplanung, die weite Wege unnötig macht und für einen Wohnungsbau, der auf Energieeinsparungen setzt!

Lenken Sie mit uns die Forschungsgelder in diese Richtung, in Richtung der Speicherung der so gewonnenen Energie und vieles andere mehr! Das ist die Linie, die wir verfolgen müssen. Nutzen wir doch lieber diese Chance, die Gewinne nicht in großen Konzernen zu lassen, sondern den Stadtwerken, den Bürgerwindparks und letztlich vor allem den Bürgerinnen und Bürgern gerade in SchleswigHolstein!

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Lars Harms [SSW])

Die Wirtschaftsberatungsunternehmen Roland Berger und McKinsey sagen, Umwelttechnologien, erneuerbare Energien und Effizienztechnologien sind Leitmärkte der Zukunft. Hier werden zukünftig Jobs geschaffen. Was läge näher, als SchleswigHolstein zu dem Land zu machen, dass das Profil von Umwelttechnologie, von erneuerbaren Energien und Effizienztechnologie hat? Das ist die Herausforderung, der wir uns in den nächsten Jahren zu stellen haben. Dazu passt, dass wir uns ebenfalls in Verhandlungen mit Vattenfall über den politischen Weg um ein endgültiges Abschalten der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel bemühen.

(Beifall bei SPD, SSW und des Abgeordne- ten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Ich danke der Frau Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Tenor-Alschausky, lassen Sie mich Ihnen ganz am Anfang für die Art und Weise der Sitzungsleitung am vergangenen Freitag danken.

(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Es war in der Atmosphäre, die Freitagvormittag geherrscht hat, nicht selbstverständlich, das ist so sachlich, so menschlich und so ordentlich vonstattengegangen ist. Meinen herzlichen Dank dafür.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann es eigentlich nicht besser beschreiben als der „Stern“ von heute: „Störfall - Ausfall - Vattenfall“. Am 28. Juni 2007 meldete Vattenfall zwei Störfälle in ihrem Atomkraftwerken in Schleswig-Holstein. Zunächst fährt das AKW Brunsbüttel nach einem Kurzschluss herunter. Gut eineinhalb Stunden später brennt in der Anlage Krümmel ein außerhalb des Reaktorgebäudes gelegener Trafo. Das Kraftwerk geht per Schnellabschaltung vom Netz.

Am 6. Juli 2007 teilt das schleswig-holsteinische Sozialministerium als zuständige Atomaufsicht mit, dass es in dem Reaktor zu einem Feuer kam, dabei

(Dr. Gitta Trauernicht)

Rauch in die Kontrollwarte drang, kurz die Eigenstromversorgung des Reaktors ausfiel und nicht alle Computerdaten gespeichert wurden.

Vattenfall räumt neun Tage nach dem Störfall in Krümmel eigene Fehler ein. Es habe ein Missverständnis beim Personal gegeben, die Kommunikation mit Atomaufsicht und Öffentlichkeit sei nicht zu aller Zufriedenheit gewesen, aber es würden die notwendigen Konsequenzen gezogen. Zwei Jahre lang steht der Reaktor des AKW Krümmel daraufhin still. Unzählige Male hat sich der Landtag mit dem Reaktor beschäftigt, unzählige Male berichtete die Sozialministerin im Sozialausschuss über die umfassenden Maßnahmen, die Vattenfall in enger Abstimmung mit der Atomaufsicht vornimmt. Wir haben uns intensiv mit Rissen in Absaugleitungen auseinandergesetzt, haben über Risse in Armaturen erfahren und uns gemeinsam über nicht fachgerechte Dübelverbindungen gewundert.

Das Ministerium hat immer wieder erklärt, dass es einem Wiederanfahren der Anlage erst dann zustimmen wird, wenn alle anfahrrelevanten Probleme gelöst sind. Der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zum Wiederanfahren wurde dann im Juni 2009 genehmigt, und am 19. Juni 2009 wurde der Reaktor im AKW Krümmel wieder hochgefahren.

Am 1. Juli 2009 geht Krümmel - nach gut einer Woche - bereits wieder vom Netz. Die Turbine der Anlage schaltete sich nach Angaben von Vattenfall automatisch ab. Auslöser war der Ausfall eines Eigenbedarftransformators. Einige Stunden später wird die Anlage mit verminderter Leistung wieder aktiviert. Nach Aussage des Betreibers soll dieser Zwischenfall durch menschliches Versagen ausgelöst worden sein. Nur drei Tage später, am 4. Juli 2009, um 12:02 Uhr steht Krümmel nach einer Schnellabschaltung wieder still. Es gab einen Kurzschluss in einem Transformator. Es kommt zu Stromausfällen in Hamburg und Kiel. Zudem stellt sich heraus, dass ersten Untersuchungen zufolge eine vorgesehene Überwachungseinrichtung des Maschinentransformators vor dem Wiederanfahren nicht installiert wurde.

Und genau wie vor zwei Jahren räumt Vattenfall eigene Fehler ein. Es habe ein Missverständnis beim Personal gegeben, die Kommunikation mit Atomaufsicht und Öffentlichkeit sei nicht zur aller Zufriedenheit gewesen, aber es würden die notwendigen Konsequenzen gezogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich steht zum einen fest, dass von Zuverlässigkeit des Be

treibers schlicht und ergreifend nicht mehr die Rede sein kann.

(Beifall bei FDP und SSW)

Zugleich wirft dieser erneute Störfall im AKW Krümmel die Frage auf, welche Konsequenzen dies für den Betreiber hat und welche Konsequenzen es für den Betreiber haben muss.

(Unruhe)

Ich bitte ganz besonders die Kollegen, die gegen die Auflösung des Parlaments gestimmt haben, um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Denn offenbar haben sich nur zwei Dinge geändert. Zunächst hat Vattenfall in den ersten 40 Minuten nach dem Störfall nicht die zuständige Atomaufsichtsbehörde informiert, sondern die Polizei warum auch immer -, und zweitens hat Vattenfall diesmal etwas schneller die eigenen Fehler eingeräumt.

Ich sage an dieser Stelle klipp und klar: So geht das nicht, Vattenfall! Ich sage klipp und klar: So kann man mit einer Atomaufsicht und frei gewählten Parlamentariern nicht umgehen.

(Beifall bei FDP, SSW und der Abgeordne- ten Birgit Herdejürgen [SPD])

Ich lasse mir das ganz persönlich - das habe ich auch am Freitag gesagt - nicht gefallen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Die Ausflüchte, mit denen uns erklärt werden sollte, warum eine verabredete Audioüberwachung immer noch nicht in Betrieb genommen wird, ist uns allen gegenüber eine schlichte Frechheit gewesen, die wir am Freitag erleben mussten.

Wenn die Atomaufsicht den Störfall von der Polizei erfährt, wenn der Vattenfall-Europachef Hatakka von dem Störfall vom Ministerpräsidenten erfährt, dann ist das nicht nur eine Kommunikationspanne, sondern genau das führt dazu, dass das Vertrauen in das schwedische Staatsunternehmen massiv schwindet und - ich sage, zu Recht - massiv schwinden muss.

Es stellt sich die Frage: Was ist eigentlich im AKW Krümmel in den letzten zwei Jahren, in denen es stillgestanden hat, passiert? Die vereinbarten Installationen, beispielsweise die Audioüberwachung und

(Dr. Heiner Garg)

auch die Inbetriebnahme, kann es wohl nicht gewesen sein. Warum hat sich das AKW Krümmel nach zwei Jahren intensiver Fehlerbehebung unter Aufsicht der zuständigen Behörde aufgrund desselben Fehlers wie vor zwei Jahren wieder abgeschaltet?

Am 28. November 2008 berichtete die ehemalige Sozialministerin Trauernicht dem Landtag, dass die Schadensursache für den damaligen Trafobrand geklärt sei, für den verbrannten Trafo AT 01 ein Ersatztrafo eingebaut worden sei, die Gebrauchsfähigkeit der Trafos AT 01 und AT 02 festgestellt worden sei und die Leistungsschalter AC 01 und AC 02 jeweils durch einen andersartigen Typ ersetzt worden seien.

Die Fragen, die wir uns heute stellen müssen, ist aber: Ist die damalige Störungsursache wirklich vollständig aufgeklärt worden, und sind tatsächlich alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung des reibungslosen Weiterbetriebs abgeschlossen worden? - Offenbar nicht.

Denn nun höre ich, dass sich Vattenfall mit dem TÜV-Nord streitet. So hatte Vattenfall kürzlich erklärt, der Trafo sei von den Sachverständigen und Gutachtern untersucht worden, und es habe keine Beanstandungen gegen die Betriebssicherheit gegeben. Die TÜV-Gutachter widersprechen dem vehement. Die Aussage sei nur an die Bedingung geknüpft, dass eine neue Sicherheitseinrichtung installiert werde. Dies allerdings ist entgegen den Absprachen gerade nicht geschehen, wie Vattenfall selbst einräumen musste. So sagte der Kommunikationsleiter von Vattenfall Europe, Ivo Bannek, am 9. Juli im Interview mit „Deutschlandradio“:

„Und nun ist festgestellt worden nach dem Wochenende, dass wir hier eine Überwachungseinrichtung, die wir dort hätten einbauen sollen und die wir auch einbauen wollten, nicht eingebaut haben, weil offenbar im Kraftwerk nicht nachverfolgt wurde, ob dieser Einbau, der technisch eigentlich keine aufwendige Sache ist, auch durchgeführt wurde.“

Ich frage Sie: Warum eigentlich nicht? Und warum blieb es der Atomaufsicht verborgen, dass diese Sicherheitseinrichtung nicht installiert wurde? Wie konnte unter diesen Umständen die Abnahme erfolgen, und wie konnte die Genehmigung zum Wiederanfahren erfolgen?

(Beifall bei FDP und SSW)

Ich erwarte, dass diese TÜV-Kritik Konsequenzen haben wird. Diese Äußerungen müssen dringend in

eine erneute Überprüfung der Zuverlässigkeit des Betreibers einbezogen werden. Aber ich erwarte auch, dass die zuständige Atomaufsicht im Kieler Sozialministerium aufklärt, warum diese offenbar in gegenseitigem Einvernehmen getroffene Vereinbarung nicht eingehalten wurde und warum das Wiederanfahren genehmigt wurde, obwohl die Sicherheitseinrichtung nicht installiert wurde.

(Beifall bei FDP und SSW)

Möglicherweise stellt sich Vattenfall zu Recht auf den Standpunkt, dass diese Vereinbarung zwar nicht eingehalten wurde, aber es keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, dass sie es nicht getan haben. Denn der Transformator und damit auch die geplante, aber nicht installierte davor geschaltete Sicherheitseinrichtung unterliegt nicht der atomrechtlichen Aufsicht.

Das führt dann aber zu der völlig absurden Situation, dass ein nicht nukleares Anlagenteil auf dem Werksgelände mit erheblichem Einfluss auf die Funktionalität des Reaktors im Aufsichtsvakuum liegt und damit offenbar nur der Eigenverantwortung des Betreibers unterliegt. Das heißt in der Konsequenz auch, dass die von der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht mit Vattenfall im Einvernehmen verabredete Maßnahme demnach weder hätte durchgesetzt noch kontrolliert werden können. Meiner Ansicht nach hätte sich in diesem Fall das Sozialministerium als Verwaltung nach dem Trafobrand 2007 auf jeden Fall einer anderen Handlungsform bedienen müssen,

(Beifall bei der FDP)

beispielsweise in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrags, der die Durchsetzung der vereinbarten Maßnahmen an den Trafos und deren Kontrolle erlaubt hätte. Die Frage ist also: Warum ist das nicht passiert?

In diesem Zusammenhang - das will ich auch ganz deutlich sagen - war es mit Sicherheit wenig hilfreich, dass gleich am Tag darauf der Bundesumweltminister sofort nach den erneuten Störfällen die Forderung aufgestellt hat, die Atomaufsicht von den Ländern auf den Bund zu übertragen. Dass hierbei zwangsläufig der Eindruck entstehen musste, dass die Kieler Atomaufsicht nicht ordnungsgemäß gearbeitet hat, liegt doch auf der Hand. Aber ich will Ihnen ganz deutlich sagen - das sage ich auch Ihnen, der Sie die Atomaufsicht vorübergehend in der Hand hat -: Wenn einer aus den Pannen von 2007 gelernt hat, dann war es die Kieler Atomaufsicht.