Protokoll der Sitzung vom 16.09.2009

(Lars Harms)

und der große öffentliche Druck hatten diese Unternehmensentscheidung damals verhindert, und zwar - wenn man die dann folgende positive Auftragslage betrachtet - zu Recht.

Noch zu Beginn des Jahres war nicht daran zu denken, dass HDW in schweres Wetter gerät. Heute ist es klar, dass ThyssenKrupp sozusagen im Schatten der Werftenkrise den offensichtlich schon lange ins Auge gefassten Ausstieg vollziehen will. Wenn das große Baudock mit dem Portalkran - nicht nur das Symbol für HDW, sondern traditioneller Teil der Silhouette von Kiel - verkauft wird, dann ist ziviler Schiffbau und Handelsschiffbau nur noch sehr eingeschränkt, eigentlich gar nicht mehr möglich. Das schafft Fakten und trifft eben nicht nur die Werft, sondern auch unsere Stadt mitten ins Herz. Gerade jetzt erwarten wir, dass der Konzern sich seiner Verantwortung stellt und den Schiffbau auf HDW absichert, über die Krise bringt, stützt und nicht stürzt.

Die aktuelle Unternehmenspolitik gefährdet aber die wichtigsten und zentralen Ressourcen der Schiffbauindustrie, nämlich die hochwertige Leistung, die gute Motivation und die besonders hohe Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Werften. Der Schiffbau ist in unseren Küstenländern einer der zentralen Industriezweige. Dort arbeiten mehrere 10.000 Menschen. Viele Familien sind betroffen. Deshalb müssen wir hier und heute an der Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien stehen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn für uns ein Bereich systemrelevant ist, dann ist das der Schiffbau. So muss er auch von der Politik und von den Banken, aber auch von den handelnden Firmen behandelt werden. Dies erscheint mir aber nicht wirklich der Fall zu sein. ThyssenKrupp stellt sich seiner Verantwortung offensichtlich nicht, jedenfalls bisher nicht in einem ausreichenden Maß. Sich der Verantwortung zu stellen, heißt nämlich, gerade in dieser schwierigen Lage kooperativ und transparent zu handeln. Wenn ThyssenKrupp die Kieler Belegschaft über die Verkaufspläne erst informiert, wenn der Vertrag schon fast unterzeichnet ist, dann ist das das Gegenteil von transparent. Wenn TKMS einen Zeitdruck entfacht, der ein abgestimmtes Handeln mit allen Beteiligten einschließlich der Belegschaft kaum noch möglich macht, dann ist dies das Gegenteil von kooperativ.

Meine Damen und Herren, ich glaube, unser wichtigstes Ziel muss im Augenblick sein, Zeit zu gewinnen. Wir appellieren von dieser Stelle aus an ThyssenKrupp, den Zeitdruck aus dem Verfahren zu nehmen und die Möglichkeit zu geben, mit allen Beteiligten und mit allen Betroffenen eine gemeinsame Lösung zu finden.

Sich der Verantwortung zu stellen, heißt auch, alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu nutzen, bevor man über den Verkauf spricht. Alle Instrumente zu nutzen, heißt zum Beispiel, die Kurzarbeit auszubauen, Qualifizierungen zu halten und zu erweitern und Kooperationen zu suchen; kurz, sich überzeugen zu lassen, dass im Schiffbau jetzt antizyklisches Handeln angesagt ist und sein muss, wenn man zukünftig wieder Erfolg haben will.

(Beifall bei der SPD)

Sich der Verantwortung zu stellen, bedeutet auch, neue Konzepte zu erarbeiten und neue Arbeitsfelder zu erschließen, die dem Schiffbau jenseits der gegenwärtigen Krise Optionen für die Zukunft bieten können. Eine solche Nische wäre der Ökoschiffbau ebenso wie gefragte Offshore-Techniken. Es gilt, Landstromsysteme weiterzuentwickeln. Das alles können unsere Werften. Deshalb heißt das Motto: Einsteigen und nicht Aussteigen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die Politik wird dazu die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Wir werden darüber diskutieren, und wir werden das hinbekommen. All das ist möglich. Wir brauchen den zivilen Schiffbau in Kiel. Deshalb müssen wir das Know-how für den Überwasserschiffbau sichern.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Arbeitnehmer haben zur Rettung des Standortes in den vergangenen Jahren ihren großen Teil durch Lohnverzicht und durch andere soziale Einbußen erbracht, und zwar bei HDW, bei Lindenau und bei vielen anderen Werften. Sie haben ihren Teil getan. Wir erwarten, dass auch die Konzernleitungen ihren Teil zur Lösung der Krise beitragen, nicht in Hektik verfallen und sich vor allem nicht aus der Verantwortung stehlen.

(Beifall bei der SPD)

HDW muss Universalwerft bleiben. Wenn Sie bei dem schönen Wetter hinausschauen und den großen Kran sehen, dann kann es nur ein Fazit dieser Rede geben: Der Kran muss in Kiel bleiben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU sowie (Rolf Fischer)

Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich danke Herrn Abgeordneten Rolf Fischer. - Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie heute Morgen schon möchte ich meine Freude über das Gelingen eines gemeinsamen Antrags in den Vordergrund stellen, weil ich das Signal wichtig finde. Ich hätte mich aber gefreut, wenn wir diese Kurve, die wir heute tagsüber noch haben drehen müssen und für die sich Rolf Fischer bedankt hat, nicht erst hätten drehen müssen. Dies wäre der Fall gewesen, wenn die SPD - wie sie es ursprünglich vorgehabt hat - einem gemeinsamen Antragswerk zugestimmt hätte. Insofern ist es immer so wie im Himmel: Lieber die Freude über einen reuigen Sünder als über 99 Gerechte, lieber Rolf.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Das gehört zur Wahrheit dazu.

Ein zweiter Punkt ist: Wenn wir dieses Signal senden, dann möchte ich mich auch bei der Regierung, bei Herrn Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und bei Herrn Wirtschaftsminister Biel, bedanken, die bereits erste Gespräche mit der Konzernführung geführt haben, um deutlich zu machen, dass die Umstrukturierung nach der jetzigen Planung mit dem alleinigen Konzentrieren auf die Frage des UBoot-Baus -

(Unruhe)

- Herr Stegner, ich habe das schon verstanden. Ich bin auch dann bei HDW, wenn kein Wahlkampf ist. Die Diskussion um die Fragestellung, ob U-BootBau allein tragfähig ist, hatten wir bereits Ende der 80er-Jahre, als der Ministerpräsident von einer anderen Partei gestellt wurde; das war damals zu Engholms Zeiten unter dem Stichwort: U-Boot-Geschäft Taiwan. Da gab es im Land eine riesige Diskussion. Hier hängen wir von Entscheidungen des Bundessicherheitsrats ab. Das macht es für die Werft enorm schwierig. In diesen Zyklen ist das durchaus profitabel, wenn Aufträge kommen. Wenn aus politischen Gründen andere Wege gegangen werden, dann haben wir bei HDW das Problem mit dem alleinigen U-Boot-Bau.

Wir sind uns völlig einig, deshalb brauchen wir den Handelsschiffbau, den Überwasserschiffbau im zivilen Bereich, um kompensieren zu können und um nicht alleinige Abhängigkeiten zu schaffen. Auch das muss man ehrlicherweise sagen. Daher sind wir uns in der Sache völlig einig. Ich hoffe, es gelingt. Ich hoffe auch, dass wir in dieser Frage die Bundesregierung stärker ins Boot bekommen. Ich habe heute in der Presse gelesen, dass das Bundesverteidigungsministerium sich schon darüber Sorgen macht, ob notwendige Industriekapazitäten, die man in der Tat für die Wehrtechnik braucht, in Deutschland nicht mehr vorgehalten werden. Herr Kollege Stegner, das war Herr Kossendey. Das ist eine generelle Frage der Wehrtechnik. Das ist eine Sorge der Bundesregierung.

Es gibt aber vielleicht die Chance, dass die Bundesregierung wie damals unter Gerhard Schröder beim Verkauf an ThyssenKrupp auch dieses Mal ein Stück ihres Gewichts mit in die Waagschale wirft, wenn es um die Strukturfrage in diesem Bereich geht. Ich glaube, dass wir hier die Chancen entsprechend nutzen müssen. Deshalb ist ein einstimmiges Signal richtig.

Wenn ich sage, dass wir in diesem Bereich gemeinsam handeln sollen, dann will ich auch klar sagen, dass ich nicht der Meinung bin, dass die Politik wieder an Bord gehen soll. Wir haben als Land einmal einen Anteil gehabt. Kollege Stegner, Sie wissen, dass die damalige Finanzministerin Simonis den Anteil in den 90er-Jahren verkauft hat. Wir haben damals heftig über die Frage gestritten, ob es vernünftig war, 9.500 Werkswohnungen in der Bilanz von HDW mit null bewerten zu lassen, ob es richtig war, diese Wohnungen ohne Ausgleich zu Preussag übergehen zu lassen. Ein Hamburger Unternehmer, der mit den Falk-Plänen, hat 2.000 Wohnungen für mehrere 100 Millionen € gekauft. Dieses Geld und diese Vermögenswerte fehlen der Werft natürlich auch heute. Das muss man sehen. Daher zeigt auch dieses Beispiel, dass es der Politik nicht geraten ist, als Unternehmer tätig zu werden.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

- Kollege Weber, das wissen Sie doch. Wenn Ihr damaliger Kollege Müller noch hier wäre, dann wüssten Sie, dass er mit mir in Gaarden gegen dieses Vorhaben der Landesregierung demonstriert hat. Das wissen Sie. Wir erinnern die Unternehmensleitung und die Konzernleitung daran, ihre unternehmerische Verantwortung, die sie eingegangen ist, als sie die Werft übernommen hat, wahrzunehmen. Wir fordern Sie auf, den Handelsschiffbau zu

(Rolf Fischer)

erhalten, und es muss deutsche Politik sein, auch die Rahmenbedingungen in Deutschland wieder so zu machen, dass der Handelsschiffbau eine Zukunft hat. Wir bekennen uns zu beidem; sowohl zum militärischen als auch zur zivilen Nutzung dieser Werft. Das ist das Zukunftskonzept. Rolf Fischer, wir sind uns völlig einig: Universalwerften waren das Design der Vergangenheit. Sie müssen auch das Design der Zukunft sein.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl. Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1876 gründete Georg Howaldt die Kieler Schiffswerft. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich am Standort Kiel eine Werftindustrie mit weltweiter Ausstrahlung. Noch heute ist HDW die größte deutsche Werft und beschäftigt allein in Kiel noch immer 2.300 Mitarbeiter. Weitere Tausende kommen in den unzähligen Zulieferbetrieben hinzu. Interessanterweise liegen die Zulieferbetriebe insbesondere im süddeutschen Bereich. Das muss man immer wieder sagen, wenn die Bayern fragen, was sie mit Werften zu tun hätten.

Mit der Krise des deutschen Schiffbaus seit den 90er-Jahren wurde es allerdings auch für HDW immer schwieriger, sich zu behaupten. Besonders der Containerschiffbau geriet stark unter Druck. Durch Käufe der schwedischen Kockums-Werft, den griechischen Hellenic Shipyrds und Kooperationen wandelte sich HDW zu einem internationalen Konzern. Seit 2005 ist HDW Bestandteil der ThyssenKrupp Marine Systems AG. Auch wenn die HDW schon immer für den euphemisch umschriebenen Kriegsschiffbau berühmt war, so hat die Werft am Standort Kiel auch im zivilen Bereich innovative Prototypen konstruiert und gefertigt, und zwar insbesondere im Containerschiffbau. Beispiele sind Bauten für die Reederei American President Line oder die Reederei Norasia.

Doch die Weltwirtschaftskrise hat den Schiffbau ganz massiv nach unten gerissen. Die Welthandelsorganisation schätzt, dass der Welthandel im Jahr 2009 mit einem Minus von 9 % so stark einbrechen wird wie noch nie zuvor. Neben der Cassens-Werft in Emden, der SMG in Rostock und der SSW in

Bremerhaven hat auch die Kieler Traditionswerft Lindenau bereits Insolvenz angemeldet.

Das Problem ist: Wegen des zusammenbrechenden Welthandels stehen schon seit Monaten keine neuen Bauaufträge in den Büchern. Doch nicht nur das: Eine Reihe von Aufträgen bei deutschen Werften sind wieder storniert worden. Weitere Stornierungen dürften folgen. Allein im Bereich der Containerschiffe sind heute schon etwa 500 Schiffe gänzlich ohne Beschäftigung und liegen auf Reede. Wir können das sehen, wenn wir nach links schauen. Wir sehen das aber auch, wenn wir rechts herausschauen, denn bei HDW haben wir demnächst drei Schiffe, die auf Reede liegen.

Die Auswirkungen für den Werftenstandort Deutschland und damit insbesondere auch für Schleswig-Holstein sind gravierend. Und nun erreicht uns die nächste Hiobsbotschaft: ThyssenKrupp plant die komplette Einstellung des zivilen Schiffbaus in Kiel.

Der Konzern macht hinter die Zukunft der ganzen Sparte ein dickes Fragezeichen. ,,Containerschiffe zählen wir nicht zum Kerngeschäft", sagte eine Thyssen-Sprecherin kürzlich gegenüber dem „Handelsblatt“. Die Hallen sollen an einen Metallbauer verkauft werden, und ein Teil der Arbeitsplätze soll übernommen werden. Doch klar ist das alles noch nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer solchen Lösung kann sich die schleswig-holsteinische Politik nicht abfinden. Das Aus des zivilen Schiffbaus in Kiel - da spreche ich sicherlich nicht nur für die FDP-Fraktion - halte ich für unvorstellbar. HDW muss Universalwerft bleiben.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich möchte an dieser Stelle auch ganz klar sagen: Dass sowohl die vielen Werftarbeiter als auch die Landespolitik von diesen Plänen aus der Zeitung erfahren mussten, empfinde ich als völlig unangemessen. So darf man mit Arbeitnehmern nicht umgehen.

(Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Die Werftenindustrie ist für den Standort Schleswig-Holstein immer noch eine der Schlüsselindustrien, sie sichert Arbeits- und Ausbildungsplätze und leistet mit den zugehörigen Zulieferbetrieben einen erheblichen Beitrag zur Wertschöpfung in unserem Land. Das muss auch der Landesregierung klar sein.

(Thomas Stritzl)

An dieser Stelle muss deshalb auch die Frage gestellt werden, was das Kieler Wirtschaftsministerium in den vergangenen Monaten unternommen hat. Herr Minister Biel, wurden auch Sie erst durch die Presse informiert? Falls ja, halten Sie das für angemessen? Falls nein, was haben Sie bis heute unternommen? Haben Sie Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsminister geführt? Haben Sie Gespräche mit der Konzernleitung aufgenommen? Welche Initiativen aus dem schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium gab es, um die Umfinanzierung laufender Kredite über die KfW zu erreichen oder Festzinskredite nach der OECD-Exportkreditvereinbarung auszuhandeln oder gegebenenfalls die Konditionen für Landes- und Bundesbürgschaften auszuloten? Welche Gespräche hat es mit dem Ziel gegeben, Mittel aus dem Finanzierungsschutzschirm im Rahmen des Konjunkturpakets nach Schleswig-Holstein zu holen?

Ich finde es richtig und wichtig, dass sich der Landtag heute mit einem gemeinsamen Appell an ThyssenKrupp wendet mit dem Ziel, den Handelsschiffbau in Kiel zu erhalten.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns nichts vor: Das allein wird nicht ausreichen. Wir müssen gemeinsam alles dafür tun, die technologische Wettbewerbsfähigkeit der schleswig-holsteinischen Werften zu erhalten und sogar auszubauen. Dazu muss die Innovation im Schiffbau gezielt gefördert werden, und das bestehende Förderprogramm muss entbürokratisiert werden. Die Förderung der maritimen Wirtschaft ist verstärkt auf wirtschaftliche Innovationsanreize umzustellen.

Aber insbesondere notwendig bleibt ein umfassendes Werftenkonzept der Bundesregierung, das mit allen norddeutschen Bundesländern erarbeitet werden muss. Dieses Konzept muss unter anderem eine verlässliche Schiffsfinanzierung enthalten, damit die Verkaufsangebote für Schiffe eine solide Grundlage haben. Nur so wird es uns gelingen, den Werftenstandort Schleswig-Holstein zu stärken.