Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

(Minister Dr. Ralf Stegner)

ist. Bürgerentscheide über die Frage anzuzetteln, ob Landesgesetze vernünftig sind oder nicht, kann man machen. Diese sind aber weder genehmigungsfähig noch vernünftig. Ich würde Bürgermeistern raten, sich hier nicht zu verkämpfen. Vorbehaltlich der Zustimmung des Landestages sollen dazu insgesamt 15 Millionen € als Anreiz für freiwillige Verwaltungszusammenschlüsse bereitstehen.

(Zuruf des Abgeordneten Günther Hilde- brand [FDP])

- Ihre zahlreichen FDP-Bürgermeister können das machen. Ich appelliere daher an alle Verantwortlichen, den ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum für die Umsetzung eigener konstruktiver Lösungen zu nutzen.

(Zuruf des Abgeordneten Günther Hilde- brand [FDP])

- Herr Hildebrand, Sie haben meinen Respekt! Der Glaube jedoch, man werde dadurch, dass man den Kopf in den Sand steckt, Änderungen vermeiden können, wird sich als Irrtum herausstellen.

Spätestens am 1. April 2007 wird die Reform mit dem Gesetz über die Neuordnung der kommunalen Verwaltungsstruktur umgesetzt. Auch hier gilt: keine Gebietsreform, aber Verwaltungsreform. Die Garantien des Grundgesetzes in Artikel 28 beziehen sich auf Gemeinden und Städte, nicht aber auf Ämter. Gemeinden haben Verwaltungen, Ämter sind Verwaltungen. In der Zukunft ist dabei eine Reform der Amtsordnung nötig, da bei größeren Ämtern Amtsausschüsse entstehen würden, die schwer regierbar wären.

Wir wollen dafür sorgen, dass die zukünftigen Amtsausschüsse arbeitsfähig bleiben und dass die Gemeinden eines Amtes gleichzeitig entsprechend ihrer Größe angemessen in den Amtsausschüssen repräsentiert sind. Auf diese Weise wird das Ehrenamt gestärkt und das Demokratieprinzip in den Ämtern wird gewahrt. Das kommunale Ehrenamt würde durch die Verwaltungsreform auch hinsichtlich der erweiterten Gestaltungsspielräume gestärkt. Diesen Aspekt möchte ich angesichts manch kritischer Stimmen aus dem kommunalen Bereich besonders hervorheben. Wenn künftig die Kosten für die Verwaltung sinken, dann erhält die Kommunalpolitik wieder mehr Raum für die Gestaltung kommunaler Selbstverwaltungen. Sie kann mehr in Schulen, Kindergärten, Vereine oder Feuerwehren investieren. Wenn eine wegfallende Verwaltung im Schnitt 200.000 € ausmacht, dann sind das - schon ohne den Wegfall von Aufgaben - 10 Millionen € für die kommunalen Kassen.

Liebe Anke Spoorendonk, Sie haben kürzlich davon gesprochen, ich würde allenfalls Behördenmikado, aber keine echte Kommunalreform betreiben.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

- Sehr geehrter Herr Kollege Harms, ich will Ihnen entgegnen: Wir wollen das dänische Beispiel nicht, weil wir weder wollen, dass ohne Berlin - in diesem Fall Kopenhagen - nichts läuft noch dass die Form der Krankenhausfinanzierung für Deutschland gewünscht wird, die Sie verabredet haben. Das passt nicht in unsere Struktur.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Eine Kommunalreform im Sinne einer Gebietsreform ist nicht das Ziel der Landesregierung. In dieser Position unterscheiden wir uns. Wir wollen moderne, reformierte Verwaltungen als Dienstleister für die Menschen. Da gilt nicht die Mikadoregel: Wer sich zuletzt bewegt, der siegt. Die Strategie lautet vielmehr: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Das ist in diesem Fall auch vernünftig. Wenn ich die martialischen Drohungen des einen oder anderen lese, der sich darüber ärgert, dass wir sagen, wir machen das nicht für die Amtsvorsteher und nicht für die Verbandsfunktionäre, sondern wir machen das für die Bürgerinnen und Bürger, die das alles bezahlen, dann gilt das, was Jean Paul einmal gesagt hat: Mut besteht nicht darin, dass man die Gefahr blind übersieht, sondern darin, dass man sie sehend überwindet. Das gilt auch für den politischen Mut. Das gilt auch für die Reform der Verwaltungsstrukturen auf allen Ebenen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die große Mehrheit dieses Hauses dann, wenn wir darüber zu entscheiden haben, in diesem Sinne entscheiden wird.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache. Für die Abgeordneten des SSW hat deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorliegenden Bericht des Innenministers wird an einigen Stellen zu grundlegenden Fragen nur lapidar auf Pressemitteilungen verwiesen. Herr Ministerpräsident, daher spreche ich Sie am Anfang meiner Rede direkt an. Sie haben bei Ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten in diesem Haus erklärt, dass Ihnen die Be

(Anke Spoorendonk)

lange des Parlaments am Herzen liegen und dass Sie das Parlament intensiv einbinden wollen. Daher meine ich, dass so etwas bei so einem Bericht einfach nicht möglich ist. Die Landesregierung ist bei der Erstellung dieses Berichts zur Offenlegung des Sachverhalts und zur Klarheit verpflichtet. Das ist ihre Bringschuld. Das geschieht nicht. Um darauf einzugehen, wird auf Pressemitteilungen verwiesen. Daher sage ich: Wir hätten genauso gut den Pressespiegel mit einer Drucksachennummer versehen können.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein sehr dünnes und sehr allgemein gehaltenes Papier. Es verschweigt mehr, als es berichtet.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man merkt ganz deutlich, dass das eine Reform im Zeichen des Kirchturms ist. Dieser Bericht erfüllt in keinster Weise das, was hier im Landtag gefordert worden ist; zudem ist er voller Lücken und sachlich unbestimmt. Meine kritischen Betrachtungen möchte ich anhand von sieben Punkten näher erläutern. Ich habe diese sieben Punkte auch die „sieben Todsünden“ der Verwaltungsstrukturreform genannt.

Die erste Sünde ist blinder Aktionismus. Die Regierung legt weder eine eigene Analyse noch eine Diagnose der wirklichen Verwaltungsproblemlage in Schleswig-Holstein vor. Ganz allgemein werden die Globalisierung und der Einsparzwang als Gründe für die Vorhaben genannt. Damit kann man alles begründen. Die Regierung unterlässt es vollständig, die Herausforderungen konkret zu benennen, um anschließend daraus schlüssig die geeigneten Maßnahmen abzuleiten. Wenn sich die bestehenden Strukturen nach Aussagen der Landesregierung bisher bewährt haben, wie es im Bericht steht, dann frage ich: Warum sollten sie dann nicht auch die neuen Herausforderungen meistern können? Warum sind dann die Kommunen in der Beweispflicht aufzuzeigen, ob sie neue Aufgaben bewältigen können, und nicht die Landesregierung?

Statt Lösungen für die konkreten Aufgabenstellungen zu finden, sucht die Landesregierung Probleme für ihre geliebte Standardlösung, die Verwaltungszusammenlegung. Der fadenscheinige Vorwand, die Kommunalwahlen 2008 erzwängen eine rasche Entscheidung über die Strukturen, wird von der Regierung selbst ad absurdum geführt, denn es soll ja ausdrücklich nicht zu einer Gebietsreform kommen. An der Gebietskulisse soll sich nichts ändern.

Die zweite Sünde ist Struktur- vor Aufgabenfestlegung. Die Struktur folgt der Funktion bezie

hungsweise den Aufgaben. Dieser Leitsatz aus der Architektur wird hier umgedreht, und zwar mit fatalen Folgen. Es wird erst eine Struktur gebastelt, in die man dann die Aufgaben hineinstopft. Die Vorstellungen von den Strukturen sind sehr viel konkreter als die von der künftigen Wahrnehmung der Aufgaben. Bei den Strukturmaßnahmen wird Hektik verbreitet, während es zu den Vorstellungen der Landesregierung bezüglich der Aufgaben nur vage Andeutungen gibt.

(Beifall bei SSW und FDP)

Die dritte Sünde sind die Unbestimmtheit und die symbolische Politik. Die von der Landesregierung angeführten Ziele der so genannten Reform wie Professionalisierung, Wirtschaftlichkeit und Bürgernähe bleiben im Bericht merklich farblos und unkonkret. Wo sieht die Landesregierung die Defizite der Verwaltungsmitarbeiter? Wie sieht der Professionalisierungsbedarf aus? Das sind indirekte und pauschale Vorwürfe. Das ist keine Begründung und das sind keine Antworten! Im Papier ist von nennenswerten Einsparpotenzialen die Rede. Konkrete Vorstellungen über das Ausmaß hat die Landesregierung jedoch nicht. Sie versteckt sich hinter dem Landesrechnungshof, statt sich selbst Ziel- und Orientierungsmarken zu setzen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vierte Sünde: Warum etwas aufgeben, was funktioniert? Der schleswig-holsteinische Verwaltungsaufbau wird bundesweit gelobt, weil bei uns gerade die Mittelbehörden fehlen. Wir haben stattdessen leistungs- und funktionsfähige Kreise. Egal, wie man die Gebilde nennt, die Regierung versucht mit den neuen Verwaltungsregionen, dem Land neue Mittelbehörden überzustülpen und eine neue Verwaltungsebene einzuziehen. Dabei haben sich die Kreise bewährt.

(Holger Astrup [SPD]: Und was will der SSW?)

Wenn es die Landesregierung mit der Aufgabenkritik ernst meint, warum wird dann nicht ernsthaft eine konsequente Kommunalisierung der Landesvollzugsaufgaben als Alternative zur Mittelbehörde erwogen?

(Beifall bei SSW und FDP)

Hier gilt: Die Beweispflicht liegt beim Land und nicht bei den Kreisen.

Fünfte Sünde: Halbherzig und mutlos. Das Tabu der Gemeindegebietsreform rührt nicht aus der viel strapazierten Bürgernähe, sondern aus der Bürger

(Anke Spoorendonk)

meisternähe der großen Parteien. Die Bürger sind sehr viel weiter. Sie verstehen schon, dass Bürgernähe als Leistungsfähigkeit einer politischen Gemeinde zu sehen ist und nicht als Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltung. Eine Kommunalreform ohne Gemeindegebietsreform ist deshalb halbherzig und mutlos.

(Beifall beim SSW - Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Sechste Sünde: Demokratie- und Repräsentationsdefizit. Lieber Kollege Astrup, hier sollten Sie bitte genau zuhören. Eine reine Verwaltungsstrukturreform, die die Aspekte der demokratischen Steuerung der Verwaltung vernachlässigt, ist bereits auf kurze Sicht nicht tragfähig. Die Landesregierung hat bis jetzt nicht den blassesten Schimmer, wie sich die künftigen Amtsausschüsse zusammensetzen sollen. Nach dem jetzigen Schlüssel würden diese Gremien größer als Kreistage. Der Innenminister hat das anscheinend auch erkannt. Macht man jedoch aus den Amtsausschüssen reine Bürgermeisterrunden, dann leidet die Repräsentativität darunter. Darum wird es leicht zu einer Verfassungsklage kommen können, denn wie die politische Kontrolle der angeblichen Dienstleistungszentren oder kommunalen Verwaltungsregionen aussehen soll, ist im Bericht nicht einmal im Ansatz geklärt.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Demokratie darf nicht weggespart werden. Die kommunale Demokratie ist - das ist ein Allgemeinplatz - die Keimzelle unseres Gemeinwesens. Wie in dem Bericht technokratisch mit ihr umgesprungen wird, das lehnen wir vom SSW aufs Schärfste ab.

(Beifall beim SSW)

Siebte Sünde der Verwaltungsstruktur: Vergrößerung der Kluft zwischen der Verwaltungsebene und der Steuerungsebene. Der Kardinalfehler der Landesregierung liegt darin, dass sie die Kluft zwischen den Verwaltungsebenen und der politischen Steuerungsebene vergrößern will. Die Musik soll, wenn es nach den Plänen der Koalition geht, künftig in den vergrößerten Amtsverwaltungen und in den Verwaltungsregionen spielen. Beide Ebenen hätten es mit mehreren Gebietskörperschaften zu tun, bei denen formal die Steuerung läge. Zeit- und ressourcenaufwendige Koordinierungsprozesse und Aufsichtsfunktionen würden zwischen den künftig vier Verwaltungsebenen im Lande stattfinden. Ich gehe jede Wette ein, dass es stets zu Abstimmungsschwierigkeiten, zu neuen bürokratischen Blüten und Auswüchsen kommen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war im Galopp, wie wir diesen Bericht der Landesregierung aufgenommen und wahrgenommen haben. Darum sage ich zusammenfassend als letzte Bemerkung: Es wäre für uns alle besser gewesen, wenn man dem Antrag des SSW gefolgt wäre, eine Expertenkommission einzusetzen.

(Holger Astrup [SPD]: Oh!)

- Lieber Kollege Astrup, ich rede von einer Expertenkommission!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann hätte man die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichen Modellen auseinander zu setzen. Dann hätte man die Möglichkeit gehabt, das Parlament mit einzubinden, und man hätte auf jeden Fall darauf verzichten können, dass der Innenminister herumreisen muss, um für seine Vorstellungen zu werben.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Günther Hildebrand [FDP]: Das macht er doch gern!)

Ich danke der Kollegin Spoorendonk und begrüße auf der Tribüne ganz herzlich unseren früheren Kollegen Behm. - Herzlich willkommen!

(Beifall)