Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Den Kommunen ist mit Hartz IV gesetzlich eine Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden € garantiert wor

den. Wir bestehen als Landespolitiker darauf, dass diese Zusage gegenüber der kommunalen Ebene eingehalten wird. Den Kommunen sollen jetzt die finanziellen Mittel gestohlen werden, die für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren vorgesehen sind. Wer hier 2,5 Milliarden € rückwirkend streicht, der gefährdet alle Bemühungen, auf kommunaler Ebene einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu leisten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wer hier 2,5 Milliarden € streicht, der müsste im Gegenzug auch sagen: Wir denken über die Verpflichtung der Kommunen nach. Dies hielte ich für ein falsches Signal; denn wir sind vor Ort schon viel weiter mit unterschiedlichen Angeboten für die unter Dreijährigen. Diese Last können wir vor Ort auf kommunaler Ebene aber nicht alleine tragen.

Zur Wahrheit in dieser Diskussion gehört wohl auch, dass die soeben vorgelegte Kommunaldatenerhebung zusätzliche Belastungen der Kommunen durch Hartz IV aufweist. Die kommunale Ebene hat nicht zu viel Geld erhalten. Der Bund muss sich auch weiterhin angemessen an den Kosten der Unterkunft beteiligen. Die Ergebnisse der Kommunaldatenerhebung müssen in den so genannten Revisionsverhandlungen Berücksichtigung finden. Die geplante Absenkung der Bundesbeteiligung von 29,1 % auf 0 % rückwirkend für das laufende Jahr und fortwährend für das kommende Jahr bedeutet für die kommunale Ebene einen erneuten Schlag ins Kontor. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker sind es Leid, in ihrer Freizeit in mühevoller Arbeit Vorschläge zur Sanierung kommunaler Haushalte zu erarbeiten, um ohnmächtig zusehen zu müssen, wie kleine Erfolge durch einen Federstrich aus Berlin wieder zunichte gemacht werden.

Die Diskussion über eine Revision von Hartz IV darf nicht ausschließlich eine Missbrauchsdebatte werden.

(Beifall im ganzen Haus)

Damit werden wir vielen Arbeitslosen, insbesondere älteren Langzeitarbeitslosen, überhaupt nicht gerecht.

Die Aussage des amtierenden Wirtschaftsministers, Herrn Clement, der über ein parasitäres Verhalten ganz allgemein redet, ist geschmacklos, verantwortungslos. Sie zeigt, dass dieser Minister in den letzten Monaten keinen Kontakt zu wirklich Betroffenen mehr gehabt haben kann.

(Beifall im ganzen Haus)

Aber auch da sind wir uns in diesem Haus einig. Ich unterstütze ausdrücklich den Inhalt der Presseerklä

(Torsten Geerdts)

rung von Wolfgang Baasch, die die Überschrift „Und Tschüss!“ trug und in Richtung eines solchen Ministers ging. So kann man mit Langzeitarbeitslosen nicht umgehen. Das hilft uns auch bei der Debatte vor Ort nicht. Bei uns kommen zurzeit viele Korrekturwünsche an. Es gibt bei vielen Langzeitarbeitslosen sogar Verständnis für Reformen. Aber sie haben kein Verständnis für solche Sprüche.

Wir müssen alle Gründe für die Ausgabenexplosion bei Hartz IV schonungslos benennen. Ich will drei anführen:

Erstens. Während der Gesetzgeber vor dem Start des Arbeitslosengeldes II von 2,5 Millionen Bedarfsgemeinschaften mit 3,4 Millionen ALG-II-Empfängern ausging, sind es mittlerweile 3,7 Millionen Bedarfsgemeinschaften mit 4,9 Millionen ALG-II-Empfängern. In dieser Frage gibt es in der Tat Nachbesserungsbedarf durch den Bundesgesetzgeber; denn durch die wundersame Vermehrung der Bedarfsgemeinschaften sind auch die Kosten explodiert. Hier erwartet die CDU-Landtagsfraktion deutliche Einschnitte. Dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in einem Jahr um etwa 40 % zugenommen hat, ist einem falschen Gesetz geschuldet und nicht der sozialen Situation in Deutschland.

Zweitens. Es muss die Frage erlaubt sein, ob im Jahr 2005 die personelle Ausstattung in den Arbeitsgemeinschaften und in den Optionskommunen angesichts zusätzlicher Belastungen und höherer Fallzahlen ausreichend war. Konnte angesichts der steigenden Zahl bei dem Personalangebot vor Ort wirklich ausreichend gefordert und gefördert werden? Diese Frage müssen wir zurzeit mit stellen.

Drittens. Ist das Personal vor Ort ausreichend ausgebildet? Eine mangelhafte Sachbearbeitung der Anträge führt zu Widersprüchen und zu einer Klagewut. In Berlin haben von 314.000 Bedarfsgemeinschaften 50.000 Arbeitslose Widerspruch eingelegt.

Es müssen also sowohl die Fehler im System beseitigt als auch der Missbrauch bekämpft werden. Die neuesten Vorschläge des hiesigen Arbeitsministers müssen ernsthaft geprüft werden. Sie dürfen nicht unkritisch übernommen werden. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit Arbeitslosen unter 25 Jahren muss deutlich reduziert werden. Ich persönlich war immer dafür, Arbeitslosen, insbesondere jungen Arbeitslosen, die eine zumutbare Arbeit verweigern, die Leistungen weiter zu kürzen.

Hierzu müssen wir aber auch eigene Beschäftigungsangebote haben. Hierzu muss die Wirtschaft, müssen auch die Unternehmer einen Beitrag leisten. Wir

brauchen mehr Kombilohnmodelle und wir brauchen eine unverkrampftere Diskussion über das Thema Niedriglohnsektor. Bei einer fortwährenden Verweigerung der Arbeitsaufnahme unterstützen wir den Arbeitsminister auch in seiner Forderung, in Einzelfällen Gutscheine auszugeben, statt Geld auszuzahlen. Auch das kann ein Beitrag zur Aktivierung sein. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: In Einzelfällen halte ich persönlich das für richtig.

Den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen sollten wir heute beschließen, um Einfluss auf die aktuellen Entscheidungen in Berlin zu nehmen. Die Kommunen brauchen Verlässlichkeit. Der Beschluss des Bundeskabinetts vom 5. Oktober 2005 ist Murks und gehört einkassiert.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts. - Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Lothar Hay.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab einige Bemerkungen zum Thema Hartz IV machen. Ich bin mit dem, was die Vorredner gesagt haben, weitestgehend einverstanden. Ich will nicht verschweigen, dass wir als SPD-Fraktion im Landtag einige Bedenken hatten, was die Reform betrifft, vor allem was den Zeitpunkt der Umsetzung betrifft. Deshalb hatten wir ja auch den Vorschlag gemacht, das Ganze um ein halbes Jahr zu verschieben.

Ich glaube, wenn man jetzt einmal zurückblickt, dann kann man sagen, dass es auch sinnvoll gewesen wäre, einiges sorgfältiger vorzubereiten. Ich denke etwa daran, dass die Software in einigen Bereichen bis heute nur eingeschränkt funktioniert mit der Konsequenz - wie wir das auch im Optionskreis Nordfriesland erfahren haben -, dass viele Mitarbeiter, die sich eigentlich dem Fördern hätten widmen sollen, damit beschäftigt waren, Daten teilweise per Hand einzutragen. Ich glaube, das ist auch ein Manko gewesen, das man noch einmal deutlich benennen muss.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir haben also heute eine fehlende Symmetrie zwischen Fördern und Fordern. Der Erwerbslose wird zum Objekt des Forderns. Dies darf nicht so bleiben und muss schnellstens in die richtige Richtung gelenkt werden.

(Lothar Hay)

Zugegeben: Bei den Jugendlichen ist man mit dem Fördern schon erheblich weiter. Aber auch hier gibt es noch deutliche Mängel. Es gibt auch vorbildliche Optionskreise und gute Arbeitsgemeinschaften. Aber wir haben, wie ich gerade schon sagte, mit erheblichen technischen Problemen zu kämpfen. Die hätten längst gelöst werden müssen.

Wir sollten das Problem der Kinderarmut bei unserer Schwerpunktsetzung im Blick behalten.

(Beifall bei der SPD)

Wer weniger soziale Auslese in den Schulen fördert - die neueste PISA-Studie hat nochmals eindeutig darauf hingewiesen, dass dort noch Erhebliches zu leisten ist -, der muss die Teilhabe der Kinder aus sozial schwachen Familien erst einmal ermöglichen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt keinen Sachzwang, größere Vermögen steuerlich zu fördern, während 1,7 Millionen Kinder in Armut leben. Das geht in einem Sozialstaat nicht. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Kommunen haben mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ein erhebliches Maß an Verantwortung übernommen. Auf Bundesebene wurde den Kommunen zugesagt, sie um 2,5 Milliarden € zu entlasten, damit aus diesen so genannten finanziellen Spielräumen ein Angebot an Kinderbetreuungsmaßnahmen für die unter Dreijährigen geschaffen werden kann.

Wir haben vor fast einem Jahr hier im Landtag diskutiert und haben deutlich gemacht: Das Land Schleswig-Holstein - wir haben das mit einem Landesgesetz realisiert - wird den Anteil des Bundes an den Unterkunftskosten unmittelbar in die Kommunen transferieren und darüber hinaus seine Nettoentlastungen an die Kommunen weiterleiten. Dazu stehen wir nach wie vor ganz ausdrücklich.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Lassen Sie mich einen kurzen Vorgriff auf die Dezembersitzung des Landtages machen. Die Überweisung von 25 Millionen € aufgrund geringerer Wohngeldaufwendungen des Landes an die Kommunen wird durch einen zweiten Nachtragshaushalt entschieden werden. Das heißt, wir halten Wort, was unseren Beitrag betrifft, und geben dieses Geld den Kommunen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Situation auf Bundesebene ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass keine Einigung über die tatsächlichen Be- und Entlastungen der Kommunen erzielt werden kann. Die Annahmen gehen weit auseinander. Darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden. Die Zahlendebatte ist nicht neu. Sie stand auch Ende letzten Jahres im Brennpunkt der Diskussionen. Man muss eindeutig sagen: Der Bund hat falsche Annahmen zugrunde gelegt. Wer das Jahr 1999 für die Zahl der Anspruchsberechtigten zugrunde legt, vergisst, dass sechs Jahre später die Zahl der arbeitslosen Menschen in diesem Land gestiegen ist und hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Dann muss man die Bundesregierung darauf hinweisen, dass sie die Verantwortung dafür trägt und nicht die kommunale Seite. Diese hat die Zahlen realistisch berechnet.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mein Vorredner hat schon die höhere Verantwortung des Ministers Clement deutlich gemacht. Mit der aus meiner Sicht Menschen verachtenden Missbrauchsdebatte ist kein einziges Problem im Zusammenhang mit den Kosten des Arbeitslosengeldes II gelöst worden. Im Gegenteil - wir können es den Zeitungen entnehmen -: Clements Kampagne hat dazu beigetragen, die Stimmung gegen die Arbeitslosen anzuheizen. Aus meiner Sicht ist dieses Verhalten eines Mitglieds meiner Partei unwürdig.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wo im Einzelfall Missbrauch ist, muss man Missbrauch natürlich bekämpfen. Ich hätte mir vonseiten der Bundesregierung eine ähnliche Debatte gewünscht, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung, Mehrwertsteuerhinterziehung in ähnlicher Deutlichkeit als ein gesellschaftlich nicht akzeptables Verhalten zu brandmarken wie in diesem Fall.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine sehr geehrte Damen und Herren, wie haben einen Mangel an regulären Arbeitsmöglichkeiten und wir haben einen Sozialstaat, der auf Bedingungen aufbaut, die längst nicht mehr gegeben sind. Wichtig ist: Wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten. Geld sollte besser an die verteilt werden, die es wirklich brauchen. Soziale Leistungen müssen also mehr am Bedarf und weniger am Status orientiert sein. Staatliche Transfers müssen an den gegenwärtigen Lebenslagen der Betroffenen anknüpfen und auf die Überwindung von deren Problemen gerichtet sein.

(Lothar Hay)

Für mich steht fest: Man kann die Kluft zwischen Arm und Reich verringern. Man muss nur den Willen dazu haben. Ich habe die Hoffnung, dass dieser Wille bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin vorhanden ist, noch nicht aufgegeben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das SGB II hat sicherlich für viele Menschen Härten bedeutet. Das betrifft insbesondere diejenigen, die vorher Arbeitslosenhilfe oder noch Arbeitslosengeld erhalten hatten und nun auf das meist niedrigere Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Und es betrifft diejenigen, die nun wegen der Anrechnung des Partnereinkommens aus der Förderung herausgefallen sind. Gerade für diese Gruppe werden wir mittelfristig wieder eine Einbeziehung in die Beratungs- und Eingliederungsleistungen erreichen müssen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)