Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Wenn Kinder frühzeitig gut begleitet werden, erhöhen sich in jedem Fall ihre Chancen auf ihrem späteren Bildungsweg. Das sozialdemokratische Bildungsverständnis setzt nicht erst in der Schule an, sondern bezieht ausdrücklich schon den frühkindlichen Bereich ein. Dieser muss qualitativ gut ausgestattet sein. Jedes Kind muss in seinen sprachlichen und sozialen Kompetenzen optimal auf den Schulbesuch vorbereitet werden.

Deshalb ist es jetzt an der Zeit, den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten zu konkretisieren. Dies habe ich schon in früheren Diskussionen angemerkt. Wir haben den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten bereits seit 1992. Viele Kindertagesstätten erfüllen den Bildungsauftrag auch bereits in wirklich guter Qualität. Wir möchten, dass alle Kinder in Schleswig-Holstein die Chancen eines guten frühkindlichen Bildungsangebots in ihrer Kindertagesstätte haben, damit auch sie in Kürze in der Grundschule einen erfolgreichen Start haben.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das darf nur nichts kosten!)

Auch die Eltern können in der Kindertagesstätte eine professionelle Betreuung ihrer Kinder erwarten. Die vorliegenden Leitlinien, die jetzt in das Kindertagesstättengesetz aufgenommen werden, haben sich in der Erprobung bewährt. Dies hört man jedenfalls bei Gesprächen und Veranstaltungen mit Fachleuten vor Ort. Daran gibt es nichts auszusetzen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr das nicht ins Gesetz geschrieben?)

Allen Beteiligten ist klar, dass diese Konkretisierung des Bildungsauftrags eine notwendige Konsequenz aus der bisherigen Arbeit mit den Kindern ist. Es macht keinen Sinn, riesige Leitlinien aufzunehmen.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist auch nicht unser Antrag!)

- Okay, es geht hier nicht um Ihren Antrag. Der Bildungsauftrag muss konkretisiert werden, damit wirklich alle Kinder in den Genuss der Förderung kommen. Das Fachministerium hat zu den speziel

(Präsident Martin Kayenburg)

len Themen bereits Handreichungen herausgegeben und Fortbildungen angeboten, die sehr gern angenommen werden. Das heißt auch, dass wir möchten, dass die konkrete Arbeit, die bereits angelaufen ist, weiterentwickelt wird. Eine neue und andere Arbeitsweise ist im Übrigen für viele Menschen immer eine Herausforderung und eine Bereicherung. Dies sehe ich auch für den Bereich der Kindertagesstätten so. Auch hier wird eine neue und eine etwas andere Arbeit eine Bereicherung für alle Beteiligten sein.

Eine logische Konsequenz ist auch die Zusammenarbeit der Kindertagesstätten mit den Grundschulen. Auch dies gehört bereits für viele Einrichtungen zum Alltag. Der Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule muss für die Kinder ohne Schwierigkeiten ablaufen. Zurzeit herrscht bei den Beteiligten noch Unsicherheit darüber, wie die Vereinbarungen aussehen sollen. Hier möchte ich aber erwähnen, dass es selbstverständlich ist, dass sich die Aufforderung zur Vereinbarung an Kindertagesstätten und Grundschulen richtet. Sie richtet sich nicht - wie immer noch in einigen Bereichen vor Ort vermutet wird - nur an die Kindertagesstätten. Auch die 2004 vom Fachministerium herausgegebenen Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen werden vor Ort bereits umgesetzt. Es ist nur konsequent, diese Aufgaben jetzt in das Kindertagesstättengesetz aufzunehmen, will man die Schuleingangsvoraussetzungen für die Kinder verbessern.

Propst Matthias Bohl, der Vorsitzende des Verbandes der Evangelischen Kindertageseinrichtungen, spricht in seiner Pressemitteilung in dieser Woche von einer schönen Bescherung für die Kindertageseinrichtungen und darüber, dass der Eindruck erweckt wird, die Regierungsparteien würden das Gesetz lieber durchwinken als es ernsthaft auf seine Tauglichkeit hin zu prüfen. Ich frage: Kann er dies überhaupt beurteilen? Ich finde diese Äußerung ziemlich dreist, wenn man bedenkt, wie häufig wir uns in diesem Verfahren mit dieser Thematik befasst haben. Die Fördermittel für die Kindertagesstätten sind in jedem Fall eine schöne Bescherung, denn sie werden im Gegensatz zu anderen Haushaltsmitteln nicht gekürzt. Weiß Propst Bohl gar nicht, was das bedeutet? Diese Frage stelle ich auch an alle anderen Kritiker, die ständig mehr Mittel fordern. In allen Bereichen müssen Kürzungen hingenommen werden. Da ist es schon eine besondere Leistung, ohne Kürzungen weiterarbeiten zu können. Der Kindertagesstättenbereich ist von Kürzungen ausgenommen, da diesem Bereich von der Lan

desregierung und vom Landtag eine große Bedeutung beigemessen wird.

Weiter wird gefordert, dass dieser Betrag festgeschrieben werden soll. Das wünschen sich viele Einrichtungen, um zuverlässig planen zu können. Ich will noch darauf hinweisen, dass dieser Förderbetrag ein freiwilliger Beitrag des Landes Schleswig-Holstein ist. Das heißt, dieser Betrag ist kein Pflichtbetrag und muss nicht bereitgestellt werden. Wir wollen den Förderbetrag aber trotz rückläufiger Kinderzahlen bereitstellen und in seiner bisherigen Höhe von jährlich 60 Millionen € erhalten.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich meine: Zu wissen, dass dieser Betrag auch in den Folgejahren fließen wird, ist wirklich eine schöne Bescherung für die Kindertagesstätten. Den außerdem vorgelegten Anträgen von den Grünen und der FDP werden wir nicht zustimmen. Wir halten diese Anträge für überflüssig. Ich bitte darum, dem Gesetzentwurf - wie im Bildungsausschuss beschlossen - in der jetzt gültigen Fassung zuzustimmen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Kollegin Astrid Höfs und erteile nunmehr für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Kollegin Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An den Anfang meiner Rede möchte ich einige positive Aussagen stellen. Dies tue ich auch, um Missverständnissen vorzubeugen. Es ist richtig, dass die Elternbeteiligung rechtlich abgesichert wird. Es ist richtig, dass Grundschulen und Kindertagesstätten verbindlich zusammenarbeiten müssen. Es ist richtig, dass der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten gestärkt wird, und es ist richtig, dass viele Kindertagesstätten eine sehr gute und engagierte Arbeit leisten und den seit 1991 bestehenden Bildungsauftrag zumindest teilweise schon heute umsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Dennoch lehnt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf aus voller Überzeugung ab. Wir lehnen ihn gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden, mit der GEW, mit den Wohlfahrtsverbänden und mit dem Landesjugendhilfeausschuss ab. Alle diejenigen, die Verantwortung für die Kin

(Astrid Höfs)

dertagesstätten tragen, sind gegen dieses Gesetz, obwohl Sie, Frau Franzen, sagen, die große Koalition habe schon ordentlich nachgebessert. Ich frage mich: Was war denn das für ein Entwurf, als die Sache begann?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vor zwei Tagen hat der Verband der Evangelischen Kindertageseinrichtungen die Kritik noch einmal auf den Punkt gebracht. Ich zitiere zwei Aussagen:

„Die Landesregierung ignoriert die fundierten Bedenken der Beteiligten und der Fachgremien.“

„Die Trennung von Finanzen und Inhalten funktioniert so nicht.“

Diese Zitate machen deutlich, dass sich die große Koalition weder mit der finanziellen Situation der Kindertagesstätten noch mit dem inhaltlichen Anliegen der Träger ernsthaft auseinander gesetzt hat. Der CDU, die sich gern als „Kommunal-Versteher“ sieht, ist die Zustimmung der kommunalen Seite schnurzpiepegal. Der SPD, die sich gern als sozialen Anwalt sieht, ist die Zustimmung der Wohlfahrtsverbände genauso egal. Die Ausschussanhörung, die sehr krass war, hat deutlich gemacht, dass es insbesondere um zwei Fragen geht: Wie kann der umfassende Bildungsauftrag am besten im Gesetz verankert werden? Brauchen die Einrichtungen zusätzliche Haushaltsmittel, um diesen Bildungsauftrag zukünftig konsequent umzusetzen?

Eine der inhaltlichen Hauptforderungen ist es, die Bildungsleitlinien mit ihrem ganzheitlichen pädagogischen Ansatz explizit ins Gesetz aufzunehmen. Frau Höfs, Sie haben es immer noch nicht verstanden: Unser Antrag und der Antrag der Wohlfahrtsverbände heißt nicht, 90 Seiten Bildungsleitlinien in den Antrag hineinzuschreiben. Lesen Sie unseren Antrag! Es geht darum, dass im Gesetz auf die Bildungsleitlinien verwiesen wird, wie es auch jetzt in der Begründung steht. Alle haben gesagt, dass diese Leitlinien zukünftig ein Orientierungsrahmen sind. Das ist die Hauptforderung der Träger. Ich habe Sie dies schon im Ausschuss gefragt und Sie konnten es mir nicht beantworten: Warum kann die große Koalition hier nicht einen Schritt auf die Träger zugehen? Das ist mir schlicht unverständlich. Sie haben dafür keine Begründung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Allein mit dieser Änderung wäre ein Großteil der fachlichen Kritik am Gesetzentwurf hinfällig. Es

wäre klargestellt, dass es in den Kindertagesstätten auch zukünftig um eine ganzheitliche Förderung und nicht um schulische Bildung geht. Frau Franzen, hier macht es mir doch Sorgen, wenn Sie schon im Kindertagesstättenbereich von begabungsgerechter Förderung sprechen. Ich sehe es schon voraus, dass Sie den Kindergarten plötzlich als Einheitskindergarten hinstellen, wie Sie auch die Einheitsschulen diffamieren. Ich fürchte, dass Sie in der Konsequenz noch eine Begabungsteilung oder gleich eine Dreigliedrigkeit der Kindertagesstätten fordern. Wir wollen eine individuelle Förderung bei der sozialen Kompetenz, bei der emotionalen Kompetenz und bei der Wissensvermittlung, wobei die Bereiche jeweils gleichberechtigt nebeneinander stehen müssen. Die große Koalition hat heute noch einmal die Chance, hier nachzubessern.

Die zweite inhaltliche Hauptforderung der Träger ist es, sicherzustellen, dass die verbindliche Zusammenarbeit von Kindertagesstätte und Schule auf gleicher Augenhöhe stattfindet. Es kann nicht darum gehen, dass Lehrer und Lehrerinnen zukünftig einen Zettel in die Kindertagesstätte geben, um aufzuschlüsseln, was ein Kind wissen muss, wenn es in die Schule kommt. Das findet in der Praxis statt. So stellen wir uns das nicht vor.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Es muss zwischen Erzieherinnen und Lehrerinnen eine gute Zusammenarbeit geben. Diese muss gleichberechtigt in der Kindertagesstätte und im ersten Schuljahr stattfinden, damit die individuelle Förderung gesichert ist. Beide müssen sich verändern; die Kindertagesstätte und die Grundschule.

Die Kindertagesstätten fordern mehr Geld für die Umsetzung des Bildungsauftrags. CDU und SPD kommentieren dies immer wieder wie folgt: Das muss doch nicht sein. Erzieherinnen, die sich Mühe geben, bekommen das auch so hin. Ich empfehle Ihnen den Praxistest. Gerade Kindertagesstätten, die die Bildungsleitlinien erproben, berichten, dass sie dringend mehr Zeit für Fort- und Weiterbildung und insbesondere für gemeinsame Fachberatungen in der Kindertagesstätte brauchen. Sie brauchen Zeit, um die Beobachtungsbögen auszufüllen, um sich mit den Kolleginnen und Kollegen fachlich zu beraten und um eine individuelle Förderung für jedes Kind sicherzustellen. Gespräche mit den Eltern, mit der Grundschule, mit den Logopäden sind die Folge der Bildungsleitlinien.

(Monika Heinold)

Mit unserem Haushaltsantrag, den wir morgen stellen, 10 Millionen € für „Clever Starten“, setzen wir genau hier an. Die Frage der Finanzierung ist dabei denkbar einfach: Zaubertopf Schleswig-Holstein-Fonds. 2006 wird dieser rein kreditfinanzierte Topf 80 Millionen € enthalten, ab 2007 jährlich 100 Millionen €. Es handelt sich hierbei nicht nur um investive Maßnahmen, sondern - das hat die Landesregierung bestätigt - zunehmend auch um konsumtive Maßnahmen.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Es ist also nicht so, wie Sie, Frau Höfs, gesagt haben, dass in allen Bereichen gekürzt wird. Das ist schlicht falsch. Eine Landesregierung, die im nächsten Jahr 80 Millionen € neue Schulden aufnimmt und unter anderem sagt, sie wollen einen Schwerpunkt Bildung setzen, muss auch bereit sein, ein Achtel dieser Summe für die frühkindliche Bildung zu reservieren und zu investieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zumal - das hat die Beratung im Finanzausschuss ergeben - 25 Millionen € dieser Mittel noch überhaupt keinen konkreten Verwendungszweck haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie einen Teil davon und es ist viel in diesem Land für die frühkindliche Bildung getan.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Herr Minister Austermann, kürzen Sie Ihre eigenen Spielwiesen und geben Sie der Bildungsministerin etwas ab - im Interesse unserer Kinder.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Für die Sprachförderung hat die Landesregierung zusätzliche Mittel bereitgestellt. Das begrüßen wir. Allerdings waren bis Mitte November weder die Kommunen noch die Wohlfahrtsverbände darüber informiert - so ein Ergebnis der Ausschussanhörung –, ob denn von diesen bis 2010 eingeplanten Mitteln tatsächlich etwas bei ihnen in der Kindertagesstätte ankommt. Die Bildungsministerin macht offenbar Politik im stillen Kämmerlein statt gemeinsam mit den Trägern, mit den Wohlfahrtsverbänden zu beraten, wie es denn vorangehen kann.

Der Landesjugendhilfeausschuss hat zugesagt, verbindlich bis April 2006 einen neuen Verteilungsschlüssel zu erarbeiten. Die Landesregierung hingegen schreibt die Haushaltsmittel bis 2010 fest.

Sie ignoriert schlicht die Beschlusslage des Landesjugendhilfeausschusses. Dies wird der Entwicklung in den Kindertagesstätten nicht gerecht.

Natürlich zeigen Bevölkerungsprognosen - Herr Dr. Klug hat es aufgezeigt - mittelfristig sinkende Kinderzahlen auf. Aber allein die politischen Vorhaben der großen Koalition in Berlin machen deutlich, dass wir zukünftig mehr Mittel für die Kindertagesstätten brauchen. In dem Koalitionsvertrag in Berlin steht, dass das Tagesstättenbetreuungsgesetz ausgebaut werden muss - also mehr Krippenplätze. Sie sagen, dass das letzte Jahr vor der Schule kostenfrei werden soll. - Wer soll es bezahlen? Beruf und Familie sollen besser vereinbar sein - also längere Öffnungszeiten. Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger sollen, damit sie in Arbeit kommen können, für ihre Kinder Kindertagesstättenplätze erhalten. - Ich frage Sie: Wer, wenn nicht das Land, muss sich an diesen Kostensteigerungen beteiligen? Sonst bleibt das an den Eltern hängen. Die zahlen schon heute mehr als genug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir werden insgesamt auch höhere Personalkosten haben, wenn wir die Beschlusslage des Landtages ernst nehmen. Auf Anregung der FDP haben wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen, dass die Erzieherinnen und Erzieher künftig auch auf Hochschulniveau ausgebildet werden sollen. Auch dies wird - machen wir uns nichts vor - steigende Kosten nach sich ziehen.