Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

(Beifall)

Für die Fraktion der FDP erteile ich deren Fraktionsvorsitzendem, Herrn Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch atemberaubend, mit welcher Flexibilität der Kollege Rother in der Lage ist, alles zu begründen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Lieber Herr Kollege Rother, die Zitierung anderer entbindet nicht von eigenen Überlegungen und die sollten Sie vielleicht einmal anstellen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn ich von den Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD hier höre, das sei ein erfolgreiches Instrument der Fahndung, scheint Ihnen offensichtlich entgangen zu sein, dass es kein Instrument der Fahndung ist. Sonst müssten wir das in der StPO regeln. Es ist ein Instrument der Gefahrenabwehr und soll ein Instrument der Gefahrenab

wehr sein. Es eignet sich zur Fahndung grundsätzlich nicht.

Ich erspare mir die beiden anderen Punkte, die geregelt werden sollen, sondern komme gleich zur Frage der Rasterfahndung. Wir können heute mit größerem Abstand von den Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 nüchterner urteilen, als es seinerzeit bei der Beschlussfassung zur Rasterfahndung im Herbst 2001 der Fall war.

Der Innenminister wurde aufgefordert, jedes Jahr schriftlich darüber zu berichten, zu welchen Ergebnissen die Rasterfahndung kommt. Diese Auswertung sollte Voraussetzung für eine ausgiebige Debatte darüber sein, ob eine Verlängerung der Regelungen zur Rasterfahndung notwendig ist oder ob sie auslaufen sollte. Der ehemalige Minister Buß hat diese Berichte vorgelegt; hierzu gibt es insgesamt drei Umdrucke, Herr Kollege Rother, die Folgendes beinhalten: Erstens. In den Jahren 2001 bis 2003 wurden insgesamt circa 12.000 Menschen in Schleswig-Holstein gerastert. Zweitens. Einen so genannten Schläfer - also eine terroristische Zelle –, für dessen Auffindung die Rasterfindung ja als Mittel dienen sollte, wurde nicht entdeckt. Drittens. Nach 2003 wurde keine Personenrasterung mehr durchgeführt.

Herr Kollege Rother, wollen Sie uns jetzt sagen, dass uns die frühere sozialdemokratische Regierung fahrlässig vor terroristischen Anschlägen deshalb nicht rechtzeitig hat warnen können, weil sie zwei Jahre auf Rasterfahndung verzichtet hat? Oder wollen Sie sagen, das Instrument sei nicht angewendet worden, weil es nicht notwendig gewesen sei?

(Beifall bei FDP und SSW)

Was lehrt uns das? - Es lehrt uns, dass die Rasterfahndung keinen Beitrag zur Auffindung potenzieller Terroristen liefern konnte und dass wir auch heute trotz Rasterfahndung nicht sicher sein können, dass es nicht doch irgendwelche Schläfer in Schleswig-Holstein gibt. Die Rasterfahndung hat nicht den Erfolg gebracht, für den sie seinerzeit eingeführt wurde.

Wenn es aber irgendeinen messbaren Grad für eine polizeigesetzliche Regelung gibt - eine Eingriffsbefugnis muss bisher immer begründet werden –, ist es deren Beitrag für Ermittlungserfolge, die man sich bei deren Einführung erhofft hat. Ansonsten hätte man ja von vornherein auf dieses Mittel verzichtet. Ermittlungserfolge hinsichtlich Terrorverdächtiger hat es bei der Rasterfahndung nicht gegeben.

(Thomas Rother)

Ich füge hinzu: Wir sind mit dem Fall El Masri noch nicht zu Ende.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Möglicherweise ist der Fall El Masri die Konsequenz einer Rasterfahndung aus BadenWürttemberg. Wenn sich das herausstellen sollte, haben wir den Fall, dass ein deutscher Staatsbürger aufgrund einer falschen Rasterung, einer falschen Einstellung von einem ausländischen Geheimdienst entführt und möglicherweise gefoltert wurde, um Aussagen zu erpressen, die auf deutschem Boden nicht möglich wären. Wollen Sie dieses Mittel und die Weitergabe dieser Daten tatsächlich weiter in die Hände der Vereinigten Staaten legen? Ist das Ihr Ernst?

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wenn wir einmal die Terrorereignisse der letzten Jahre betrachten, ist es klar, das es versagen musste. Es gibt kein typisches Personenraster, welches auf einen potentiellen Straftäter oder Attentäter zutrifft. Sie führen die Anschläge von Madrid, London, Djerba an. Bei den Anschlägen in London handelte es sich bei den Tätern um britische Staatsbürger, die bei einer entsprechenden Rasterfahndung überhaupt nicht aufgefallen wären. Darüber muss man sich doch einmal Gedanken machen. Wenn wir nach Frankreich schauen, dann sieht man, wo künftig die Hausaufgaben gemacht werden müssen, nämlich bei der Integration von Migranten. Die Attentäter von London stammten aus Migrantenfamilien, die Krawallmacher in Frankreich zum größten Teil auch. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir es verhindern können, dass es eine solche Unzufriedenheit in unserem Land gibt, damit die Kinder eingewanderter Familien nicht den Parolen der Extremisten folgen.

(Beifall bei der FDP)

Anstatt also die Voraussetzungen für das weitere fröhliche Datensammeln zu schaffen, sollten Sie lieber morgen beim Haushalt unserem Antrag zur Erhöhung der Mittel für die Migrations- und Sozialberatung zustimmen,

(Beifall bei FDP und SSW)

denn da sind die Beträge, um die es geht, besser eingesetzt als bei der Frage, ein Instrument weiter am Leben zu erhalten, das sich als sehr untauglich erwiesen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bedauerlich, dass eine wirkliche Debatte zu den Ergebnissen und Konsequenzen aus den Erfahrungen mit der Rasterfahndung nicht stattfand. Als die Grünen im Innenund Rechtsausschuss beantragten, zu diesem Thema noch einmal eine Anhörung durchzuführen, wurde dies von den Großkoalitionären lapidar abgelehnt. Dass die Union das so sieht, war immer klar, aber dass die Sozialdemokraten das so sehen, das ist für mich neu und extrem bedauerlich. Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie keine Unterstützung von uns für Ihren Gesetzentwurf erwarten.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Kollegen Wolfgang Kubicki und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzenden, der Frau Kollegin Anne Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tatsächlich, dieses vorliegende Gesetz ist ein Novum in der Praxis dieses Hauses. Ein wichtiges, folgenschweres, sicherheitsrelevantes und grundrechtseingreifendes Gesetz wird mal eben so durchgewunken. Es gab, wie Sie schon sagten, Herr Kollege Kubicki, keineExpertenanhörung, keine Evaluierung, sondern ein banales: Was wollt Ihr denn mit solch einer Anhörung, es geht doch nur um die Aufhebung der Befristung, das geltende Gesetz läuft doch weiter? Versteckt zwischen der Novellierung von Zustellungsregelungen wird mal eben die Ermächtigung für die weitere Rasterfahndung in diesem Land beschlossen. Das ist ein Novum in einer Kette von weiteren sicherheitspolitisch bedenklichen Maßnahmen, auf die wir in anderer Sitzung noch zurückkommen werden.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, ich habe als Justizministerin dieses Gesetz unter schweren persönlichen Bedenken mitgetragen, weil einige rechtsstaatlich notwenige Dinge in dieses Gesetz hineingeschrieben worden sind. Ich möchte nur an den Richtervorbehalt und den eben schon erwähnten regelmäßigen Bericht erinnern. Wir haben dieses Gesetz insbesondere mitgetragen, weil es befristet war, befristet zum 31. Dezember dieses Jahres, und das mit der deutlichen Absicht der damaligen Regierungskoalition, bis dahin im Wege einer Evaluation rechtstatsächliche Fakten über das Verfah

(Wolfgang Kubicki)

ren zu sammeln, um die Notwendigkeit einer möglichen fortbestehenden Eingriffsbefugnis zu prüfen. Das war ernst gemeint, und ich hatte damals den Eindruck, das es auch von unserem damaligen Koalitionspartner ernst gemeint war. Festzustellen ist, die Evaluation hat nicht stattgefunden, die breite Anhörung hat nicht stattgefunden, das Gesetz soll durchgewunken werden.

Worum geht es bei der Rasterfahndung? - Zigtausende von Bürgerdaten aus Wasserwerken und Stromlieferungen, Hochschulen und Einwohnermeldeämtern werden miteinander abgeglichen. Ziel der Sache ist es, Personen herauszusieben, die aufgrund bestimmter Merkmale als potentielle Schläfer infrage kommen könnten. Im Herbst 2001 in Ansehung des 11. Septembers haben alle Länder in der Bundesrepublik solche Rechtsgrundlagen geschaffen. Allerdings - sind wir ehrlich - herausgekommen ist für die Bundesrepublik kein ernstzunehmender, allenfalls ein tragischer Erfolg, aber kein Fahndungserfolg im gewünschten Sinne, soll heißen, die Maßnahmen haben nicht zu lebensrettenden neuen Erkenntnissen über Terrornetze in der Bundesrepublik oder Gefahren durch geplante Anschläge geführt. Sie haben allerdings zu einer erheblichen Bindung vieler Arbeitsstunden von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geführt und vielleicht auch zu einem großen Datenmüll, der zu filtern und zu bearbeiten ist. Private Umstände unbescholtener Bürgerinnen und Bürger werden unter die Lupe genommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, was sollte uns unter diesem Aspekt der gesunde Menschenverstand sagen? Es gibt zwei Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Situation ergeben könnten: Entweder taugt die Methode nicht, um auf ökonomisch einigermaßen vertretbarem Wege sicherheitsrelevante Erkenntnisse zu gewinnen, oder es gibt in Deutschland tatsächlich keine potentiellen Terroristen, die nicht sowieso schon behördenbekannt sind. In beiden Fällen ist die Schlussfolgerung: Die Rasterfahndung ist kein taugliches Instrument und gehört abgeschafft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir haben nun von Herrn Innenminister Stegner gehört, dass wegen der „unverändert angespannten Sicherheitslage“ die Fortsetzung der Rasterfahndung notwenig sei. Es sagt, obwohl es keine Treffer gegeben hat, ist die Rasterfahndung insofern ohne

Treffer auch ein wichtiger Erkenntniswert. Nun fragt der ratlose Leser: Was mag das für SchleswigHolstein konkret bedeuten?

Meine Damen und Herren, mehr Überwachung schafft mehr Sicherheit - dieses Mantra wird einmal mehr durch die sicherheitspolitische Gebetsmühle gedreht. Symbolische Gesetzgebung und sicherheitspolitischer Aktionismus sind etwas für Stammtische aber nichts für eine regierungstragende Fraktion, für ein Parlament und erst gar nicht für eine Regierung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Damit keine Missverständnisse auftreten: Islamistischer Terror ist eine sehr ernst zu nehmende Gefahr, die sich auch in Deutschland verwirklichen kann. Dieser Gefahr muss begegnet werden. Um die Frage der Mittel zur Terrorismusbekämpfung muss politisch hart gerungen werden. Gerade dies setzt aber im konkreten Fall die Evaluierung der eingesetzten Instrumente voraus. Maßstab der Sicherheitspolitik sind Effektivität und die unveräußerbaren Grundrechte.

Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, stimmen Sie unserem Streichungsantrag bezüglich dieses Gesetzentwurfes zu. Er hebt die Befristung auf und beendet damit die Rasterfahndungs-Ermächtigungsgrundlage in diesem Land. Das wäre notwendig und stände Ihnen allen gut an. Der andere Teil des Gesetzentwurfes ist unproblematisch. Wir würden ihm zustimmen, wenn darin nicht anderes versteckt wäre. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf in Gänze ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren Vorsitzenden, der Frau Kollegin Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zentrale Punkt bei der Änderung des Landesverwaltungsgesetzes ist, wie Sie erfahren haben, die Entfristung der so genannten Rasterfahndung.

Dabei eine Bemerkung vorweg: Schon die Einführung der Rasterfahndung nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 bereitete dem SSW erhebliche Bauchschmerzen. Im Protokoll von damals ist

(Anne Lütkes)

nachzulesen, dass wir einen eigenen Änderungsantrag eingebracht hatten, der die Stellungnahmen des Landesdatenschutzbeauftragten und des Kollegen Nabel aufgriff. Wir meinten und meinen weiterhin, dass die Rasterfahndung nur bei einer wirklich gegenwärtigen Gefahr begründet ist, dass die Kontrolle auch über Berichte an die Parlamentarische Kontrollkommission erfolgen sollte, dass der Schutz von Berufs- und Amtsgeheimnissen präzisiert werden und die damalige Befristung verkürzt werden sollte. Letztlich enthielten wir uns zusammen mit der FDP der Stimme in Anerkennung der Tatsache, dass die Landesregierung auch von sich aus die Rasterfahndung nur mit Auflagen einführen wollte: die Befristung bis 2005, die richterliche Genehmigung, die Kontrolle durch das Parlament und den Datenschutzbeauftragten. Alles dies waren Schritte in die richtige Richtung, sie gingen uns aber nicht weit genug.

Ich erzähle diese Geschichte, um deutlich zu machen, worum es im Grunde geht, denn das, was der Kollege Lehnert vorhin ansprach, also von wegen organisierter Kriminalität und so weiter, hat mit der Rasterfahndung nichts zu tun. Heute, vier Jahre später, ist von diesem schwierigen Abwägungsprozess von Freiheitsrechten und innerer Sicherheit nichts mehr zu spüren. Mit der Änderung des Landesverwaltungsgesetzes ist vorgesehen, dass die bis zum Ende des Jahres gesetzlich befristete Rasterfahndung fristlos verlängert wird. Wieder einmal lautet die Begründung, wenn man nachbohrt: So steht es im Koalitionsvertrag. Der SSW teilt daher die Auffassung des Landeszentrums für Datenschutz, dass vor dem Novellieren das Evaluieren kommt und kommen muss. Es ist offensichtlich, dass eine solche Prüfung nicht stattgefunden hat.

Zu der Bitte im Ausschuss, eine Anhörung durchzuführen, hat die Kollegin Anne Lütkes schon etwas gesagt. Es gibt keine Evaluierung und keine Anhörung zu dieser wirklich ganz schwierigen Sache.

Daher sage ich, aus keiner Unterlage geht hervor, dass die Maßnahme, die nun zum permanenten Instrument der Sicherheitsorgane werden soll, irgendeinen Effekt gehabt hat. Kein einziger Schläfer wurde in Schleswig-Holstein enttarnt. Fest steht aber, dass Tausende von polizeilichen Arbeitsstunden in diese Rasterfahndung hineingesteckt wurden. Von Geld will ich hier gar nicht reden. Schon 2001 warnten wir davor, dass Unbeteiligte, sprich unschuldige Menschen, im Raster hängen bleiben könnten. Heute wissen wir, dass Tausende von Menschen als potenzielle Schläfer behandelt wur

den und dies zur Gefährdung des Arbeitsplatzes und zur Diskriminierung geführt hat.