Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

(Lachen bei CDU und FDP)

- Ich hätte Ihnen zeigen können, wie es haushaltsrechtlich geht. - Meine Damen und Herren, hier wird nicht umgeschichtet, hier werden Schulden gemacht, mit Dynamik, mit Tempo, aber nicht mit

Sorgfalt. Es wird nachgebessert und die Verfassung bleibt auf der Strecke.

Herr Ministerpräsident, Sie haben gemeinsam mit Ihren Koalitionären angekündigt, 200 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen zu schicken. Das haben Sie tun können, weil es von Rot-Grün vorbereitet war. Hier haben Sie die Dynamik, das Tempo und auch die Sorgfalt, sich alte fremde - Federn an den Hut zu stecken.

Bei der Deregulierung warten wir vergeblich auf Taten. Sind es Taten, sind es Untaten? Was mag es sein, was Herr Schlie vorbereitet? Der 5. Januar wird hier beschworen. Wir warten gern. Wir warten auf die Auslegung, auf Tempo, auf Dynamik und haben bisher als Ergebnis nichts als Begriffsverwirrung.

Auch in Sachen Umwelt wurde einiges versprochen. In Ihrem Wahlprogramm sprachen Sie von einer nachhaltigen Förderung unserer einzigartigen Landschaft. Mit der Förderung sollte der Waldanteil auf 12 % der Landesfläche angehoben werden. Forstpolitisch ist es gut. Aber jetzt im Haushaltsplanentwurf sehen wir Kürzungen. In Ihrem Koalitionsvertrag ist noch von Neuwaldbildung die Rede. Ist das eine Frage der Auslegung des Koalitionsvertrags, Herr Kollege?

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU])

Der Wald ist jedenfalls einer der großen Verlierer der großen Koalition: deutlich weniger Natur und deutlich weniger Landschaftsschutz für SchleswigHolstein.

(Thomas Stritzl [CDU]: Na, na!)

Wir haben entsprechende Anträge vorbereitet, Sie können heute noch Ihre Meinung ändern und ihnen zustimmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir einmal weiter auf Ihre Gestaltungsarbeit. Herr Austermann ist sehr aktiv. Die Zwangsfusion der Industrie- und Handelskammern sei noch einmal in Erinnerung gerufen, die er so gern haben wollte. Er nervte die Betroffen mit Dynamik, mit Tempo, mit wenig Sorgfalt und die Vertreter der Wirtschaft lösten es dann für ihn. Herr Driftmann sagte anlässlich des Grünkohlessens auch: Es ist alles gut, die Kommunikation mit der Regierung war noch nie so gut wie jetzt. Das war auch wieder sehr interessant. Sagen wir so oft es geht: Es wird alles gut.

(Anne Lütkes)

Ihre große Koalition meint das namentlich auch, aber der Kollege Hay hat eben wenigstens etwas wieder zurechtgerückt, nämlich zum Thema Landesuniversität. Mit den Betroffenen vorab vielleicht einmal zu sprechen, vielleicht auch einmal die eigenen Wahlprogramme - das von der CDU oder das von SPD - oder gar die Bibel, den Koalitionsvertrag, zu lesen, das fand der Minister nicht so wesentlich. Insofern gab es einen Ruck, aber es gab offensichtlich keine Mehrheit im Kabinett und wenn ich das so sagen darf - eine Schublade öffnete sich und das Projekt wurde hineingelegt - letztlich auch mit Tempo und Dynamik. Herr Herbst sagte sehr vieldeutig, man müsse hier im Plenum noch viel diskutieren. Ich denke aber, am bezeichnendsten war die Äußerung des Kollegen Nabel zu Herrn Austermann, der formulierte: Auf das Handeln der Koalition wird es aber keinen Einfluss mehr haben. Das ist sehr interessant und sehr symptomatisch. Und der Ministerpräsident fährt freundlich lächelnd über das Land und schüttelt Hände.

In Angriff genommen wurde - das wurde hier schon erwähnt - die Reform der Amtsgerichte. Darüber reden wir morgen noch einmal, aber auch das ist kein Lehrbeispiel für interne und externe Kommunikationsfähigkeit. Auch hier Tempo, Dynamik und ganz klar wenig Sorgfalt.

Zum Thema innere Sicherheit lieferten Herr Stegner und die große Koalition bisher drei schwarz-rote Politikstücke ab. Gestern wurde die präventive Rasterfahndung unbefristet ins Gesetz geschrieben temporeich, aber ohne rechtstatsächliche Evaluierung, das wäre die notwendige Sorgfalt gewesen.

Zweitens bescherte uns Herr Stegner einen Gesetzentwurf, mit dem er weitgehend polizeiliche Befugnisse in den Grenzbereich, in den Bereich des Gefahrenvorfeldes verschiebt. Das ist ein völliger Bruch in der Kontinuität sozialdemokratischer Rechts- und Sicherheitspolitik hier in diesem Land.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Die Gesetzesinitiativen des SPD-Ministers lesen sich wie das CDU-Wahlprogramm: Einführung der Schleierfahndung, Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Einführung des Kfz-Kennzeichenerkennungssystems und der DNA-Analyse in anderer Form. Es fehlt nur noch der finale Rettungsschuss.

Der dritte Punkt, ein ähnlicher Wertewandel, ist beim Thema Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber zu finden. Es ist wahrlich keine humane Flüchtlingspolitik, was hier vorangetrieben wird.

Ohne Not wird die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft ausgeweitet. Von Respekt vor den Menschen, die bei uns ihr gesetzliches Recht auf Asyl nachsuchen, ist das nicht gekennzeichnet.

Herr Stegner, die Verwaltungsstrukturreform und die Funktionalreform sind hier gestern schon ausführlich erörtert worden. Interessanterweise hat der Innenminister an unserem vorgelegten Entwurf gestern wenig Kritik gefunden. Das ist interessant, wir sollten weiter diskutieren, denn unser Entwurf ist nicht ein vorher aufgelegter Gesetzentwurf, sondern er diskutiert mit der Öffentlichkeit sehr interessante Vorschläge. Herr Wadephul, der grüne Tisch befindet sich auf jedem Fall mitten in der Wirklichkeit. Sie können gern einmal an ihn herankommen und an diesem Tisch mit uns gemeinsam und den Bürgerinnen und Bürgern Ihre Vorstellungen formulieren und Ihre Fähigkeit von Kommunikation beweisen. Denn der Kreisvorsitzende des lauenburgischen Gemeindetages kritisierte sehr deutlich. Er sagte: Es ist beschämend und traurig, wie man mit uns umgeht. Ich habe so etwas an Arroganz noch nicht erlebt. - Und er meinte wahrlich nicht die Grünen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach mehr Sorgfalt hört sich das nicht an. Aber sicherlich wird der Ministerpräsident hinfahren, die Hand schütteln und freundlich lächeln.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Henning Höpp- ner [SPD])

Das Kindertagesstättengesetz wollten Sie überarbeiten. Das haben Sie getan; darüber haben wir gestern diskutiert. Wir haben entsprechende Änderungsanträge gestellt, die Sie natürlich nicht angenommen haben. Aber wir rufen heute die frühkindliche Bildung erneut auf. Wir beantragen zusätzliche 10 Millionen € für das Programm, das wir „Clever Starten“ nennen, und wir schlagen eine Deckung vor, Herr Finanzminister. Mit diesem Programm kann der Bildungsauftrag gemäß den gemeinsamen Leitlinien umgesetzt werden. Hierzu gehören nicht nur zusätzliche Stundenkontingente für Erzieherinnen und Erzieher, sondern ebenso Angebote gezielter Fort- und Weiterbildung sowie verstärkte Fachberatung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Richtig wäre es natürlich gewesen, im Bildungshaushalt umzuschichten. Das tun Sie, meine Damen und Herren, allerdings anders herum. Sie tun

(Anne Lütkes)

es falsch herum, von den Grund- und Hauptschulen hin zu den Gymnasien.

(Jürgen Weber [SPD]: Quatsch!)

Damit konterkarieren Sie Ihre eigene Vorstellung von Erziehungs-, Bildungs- und Familienpolitik. Sie wissen, da ist viel zu tun. Die große Koalition des Bundes ist Ihnen da zumindest in Worten - was an Taten passiert, werden wir sehen - einen kleinen Schritt voraus. Hier hinken Sie selbst hinter Frau Merkel her, Herr Carstensen - und das nicht mit Dynamik und mit Tempo.

Leider ist der Bildungsbereich auch ein Bereich, wo die Koalition das Schlachtfeld der Eitelkeiten, nur leider nicht das des Fegefeuers betritt. Niemand kommt bisher - so können wir es jedenfalls erkennen - geläutert aus diesem Feuer heraus. Das Miteinander, das Gegeneinander ist nicht zu übersehen. Da nützen auch die Ausführungen des Vorsitzenden der CDU-Fraktion in seiner heutigen Rede nichts.

Schauen wir uns noch einmal den Sozialbereich an. Ein Beispiel dafür, wie sich der rote Faden der Gerechtigkeit verliert, ist die Migrationssozialarbeit. Dieser Rückschritt ist als Politik eine Wende in der Integrationspolitik. Sie streichen die Mittel für Deutschkurse und Sie treten damit die Interessen der Migrationsmitbürgerinnen und -bürger mit Füßen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ähnliches ist zu der Eingliederungshilfe zu sagen. Das ist eben schon vom Herrn Oppositionsführer erwähnt worden. Im Haushaltsstrukturgesetz hätten verbindliche und landesweit vergleichbare Standards festgeschrieben werden müssen. Das passiert nicht und deshalb werden wir das hier nicht mittragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren von der großen Koalition, was waren Ihre Ansprüche, was sind Ihre Maßstäbe? - Ehrlichkeit und nichts versprechen, was man nicht halten kann. Sie haben gesagt, Sie wollen das strukturelle Defizit beseitigen, Sie wollten nennenswerte Einsparvorschläge vorlegen.

Nun hat aber am 25. November der Vorsitzende der CDU-Fraktion klargestellt: Wir werden diese Vorschläge dann für den Haushalt 2007/2008 vorlegen. Haben wir diese Ankündigung in diesem Jahr nicht schon einmal für einen anderen Haushalt gehört?

Sie versprechen ein ums andere Mal, dass die Nettoausgaben sinken sollen. Es geschieht aber nichts, Sie geben mehr aus und der Finanzminister legt aus, legt um und interpretiert: Es ist uns gelungen, den Deckel draufzuhalten. - Das ist auch eine Art des Sparens.

Im Koalitionsvertrag haben Sie versprochen, klare und verlässliche Entscheidungen für die Menschen zu treffen. In den letzten sieben Monaten können Sie sich an Ihren eigenen Ansprüchen nicht messen. Die große Koalition, die Fraktionen, die Regierung geben ein Bild der Zerrissenheit ab und agitieren gegeneinander. Und die Wirtschaft sagt: Alles ist gut.

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

- Deshalb sage ich es hier sehr deutlich.

Wir betrachten das Regierungshandeln mit Sorge. Wir versuchen, den Humor dabei nicht zu verlieren. Es ist aber schon erschreckend, wie parallel zum dynamischen Galoppieren der Regierung die parlamentarische Kultur reduziert werden soll. Ein steter Verweis auf ein Warten auf Regierungsvorlagen, ein steter Verweis auf den Koalitionsvertrag und mitunter die Verweigerung der Auseinandersetzung.

Wir können von Verfassungs wegen nicht klagen, aber wir können von Verfassungs wegen und wir haben sogar von Verfassungs wegen die Pflicht und das Recht - vergessen Sie das nicht –, eigene Vorschläge, Gesetzentwürfe, ja auch Visionen vorzulegen. Ich darf Sie daran erinnern: Ihr Koalitionsvertrag ist eine Vereinbarung zwischen Parteien, er ist keine parlamentarische Selbstbindung. Es ist eben nicht alles gut und es geht auch anders.

Herr Ministerpräsident, Regierungshandeln kann man nicht herbeilachen. Ich habe irgendwo gelesen, man munkele schon, Sie hätten in Ihrer Amtszeit schon fast jeder Milchkanne nördlich der Elbe zweimal die Hand geschüttelt. Ich fand das schon einen netten Hinweis darauf, wie Sie so Ihren Alltag verbringen.

Wir gucken zurück auf Schwarz-Rot und sehen ein verlorenes Jahr für Schleswig-Holstein. Es ist nicht alles gut in diesem Land. Es ginge auch anders. Die grüne Position gerade zum Haushalt wird Klaus Müller noch einmal deutlich machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anne Lütkes)

Das Wort für die zweiten Teil der Redezeit von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus Müller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 1. Dezember hat den Ministerpräsidenten heftig erschüttert. Das „Hamburger Abendblatt“ beschrieb den Stimmungswandel in der großen Koalition und zitierte einen Minister mit den Worten: „Es ist Schluss mit lustig.“ Das ist für jemanden, der politische Reformen in erster Linie mit guter Laune übersetzt, ein harter Schlag.