Worum geht es? - In Zukunft sollen die Kommunikationsdaten von über 400 Millionen EU-Bürgern und -Bürgerinnen langfristig gespeichert werden. Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der deutschen Internetwirtschaft hat zum Verhalten der großen Koalition in Deutschland gesagt: Mit der Begründung, Terroristen zu jagen, speichert man jetzt nutzlose Daten auf Kosten der Industrie.
Auch der Dachverband der europäischen Internetwirtschaft führt aus, dass durch diese Maßnahme der globale Wettbewerb völlig verzerrt werde. Diese Maßnahmen belasten die gesamte europäische Internetwirtschaft in einem sehr hohen Maße. Solche Regelungen wären in den USA, wo es bekanntermaßen die meisten Internetprovider gibt, wohl nicht möglich. Wir alle wissen, dass man in den USA ganz gewiss keine Zögerlichkeit oder übertriebene Rücksichtnahme bei der Terrorismusbekämpfung erkennen kann; man kann es ihnen nicht nachsagen.
Bei den Überwachungsplänen in Brüssel geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungsund Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen oder Surfen anfallen. Mithilfe der Datenberge sollen Profile von Kommunikationsverhalten und von Bewegungen Verdächtiger erstellt werden.
Die Auseinandersetzung über die Einführung von Mindestspeicherpflichten von Telekommunikationsdaten gibt es ja nun schon viele Jahre. Zahlreiche nationale Parlamente, auch der Bundestag, lehnten die Vorratsdatenspeicherung immer wieder kategorisch ab. Zum Schluss ging es zu unser aller Erstaunen aber doch recht schnell. Das Gesetzgebungsverfahren könnte wohl als das schnell
ste aller Zeiten in der EU-Geschichte betrachtet werden, da zwischen Vorstellung des Richtlinienentwurfs und der entscheidenden Lesung nur drei Monate lagen. Eine wirklich ernsthafte Debatte über die pauschale Überwachung fand nicht statt.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, Verbraucherschützer und engagierte Verbände, viele quer durch das Land, haben bis zur letzten Minute gegen diese Richtlinie gekämpft. Die langfristige Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten ist nur ein Beispiel für die allgemein zu beobachtende Weichenstellung für mehr Überwachung. Mit dem pauschalen Hinweis auf Terrorismusbekämpfung werden unverdächtige Menschen in verschiedenen Lebensbereichen gescannt und überwacht. Was besonders bedenklich stimmt, ist die Pauschalität. Wir - wir alle, weil wir letztlich alle mitverantwortlich sind - verletzen damit einen der obersten Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland: das Verhältnismäßigkeitsprinzip. - Da bin ich völlig anderer Auffassung als Sie, Herr Kollege Puls.
Aus der Beachtung dieses Prinzips heraus muss jede freiheitseinschränkende Maßnahme - das ist auch eine Überwachung - einer gründlichen Erforderlichkeitsprüfung unterzogen werden. Das heißt, es muss genau dargelegt und es muss auch debattiert werden können, warum diese Maßnahme notwendig ist und andere, weniger scharfe nicht ausreichen. Das ist seit 2001 immer wieder diskutiert worden. Es ist eine fatale Tendenz festzustellen. Da muss ich doch dem Datenschützer von SchleswigHolstein, Thilo Weichert, Recht geben, wenn er die Lage mit seiner Warnung auf den Punkt bringt: Wir müssen verhindern, dass 2006 zum Jahr der Vorratsdatenspeicherung wird.
Der Bundestag hat in seiner alten Zusammensetzung sehr klar gegen Vorratsdatenspeicherung Stellung genommen. Der Beschluss galt, als die Bundesjustizministerin sich auf den Weg machte, um zum Vollzug der großen Koalition wieder einmal einen Koalitionsvertrag, Herr Ministerpräsident, auf EU-Ebene umzusetzen. Dieser Beschluss hätte eigentlich für sie gegolten. Wenn man sich vor Augen führt, dass das Gesetzgebungsverfahren nur drei Monate gedauert hat, dann relativiert sich doch
Was diskutieren wir hier unter Beteiligung der Parlamente, auch der Landesparlamente, wenn hier ein Exempel statuiert wird, wie man ein verfassungswidriges Vorhaben durchzieht? Das ist dann letztlich nur noch symbolische Politik; diese teilen wir nicht. Deshalb wollen wir gern dem FDP-Antrag zustimmen.
Sie haben darauf hinwiesen, Herr Kollege Kubicki, dass wir uns im Ältestenrat über die Verfassungsrelevanz von Telefonanlagengestaltung - um es einmal so zu sagen - unterhalten haben. Auch das Datenschutzgremium des Landtages beschäftigt sich damit. Insofern ist es sicherlich richtig, da noch genauer zu diskutieren. Aber eigentlich ist die klare Aussage trotz der vorgeschobenen rechtlichen Bedenken des Herrn Puls heute Entscheidungslage. Ich halte es für etwas abwegig, an den Formulierungen herumzukritteln. Die Intention des Antrages der FDP ist eindeutig. Ich nehme an, sie beantragen einfach, „Beschlüsse“ statt Pläne aufzunehmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mit den neuen Kommunikationstechniken alles möglich ist, brauche ich in diesem Haus nicht zu vertiefen. Es ist ja mittlerweile auch eine Binsenweisheit, dass riesige Datenmengen vom anderen Ende der Welt innerhalb von Sekunden in die eigenen Wände übertragen werden können. Da die Medien nicht von sich aus erkennen können, welche Informationen gut oder böse sind, juckt es Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden natürlich im
Um Kriminellen, die diese Techniken für illegale Zwecke nutzen, das Handwerk legen zu können, wurde in Deutschland die Vorratsspeicherung von Bestands-, Verbindungsund Nutzungsdaten eingeführt. Mit dem Beschluss des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember des vergangenen Jahres wurde einer EU-Richtlinie zugestimmt, die den Weg für eine flächendeckende Überwachungsstruktur in Europa ebnet.
Genau das ist ja das Neue und Erschreckende, will ich hinzufügen. Denn damit bekommen wir eine Ausweitung der bisherigen Regelung. Das heißt, wer in der EU Anrufe tätigt, im Internet surft oder E-Mails verschickt oder andere Dinge im Internet nutzt, muss künftig davon ausgehen, dass seine elektronischen Fußspuren zwischen sechs und 24 Monate lang gespeichert werden. Dabei beschränkt sich die Richtlinie auch nicht auf Daten bezüglich des organisierten Verbrechens oder des Terrorismus, sondern allgemein auf schwere Straftaten. Hierbei obliegt es den einzelnen Nationen festzulegen, was eine schwere Straftat ist. Diese Debatte steht uns ja noch bevor. Ebenso werden nicht zustande gekommene Telefonanrufe gespeichert. Dabei wurden keine Sicherheits- und Datenschutzkriterien in die Richtlinie eingearbeitet. Mit dieser Richtlinie schafft die EU ein Meer von Daten, damit Polizei und Geheimdienste mithilfe von Data-Mining-Techniken untersuchen und rekonstruieren können, wer wann mit wem und wie lange kommuniziert hat. Ich sage daher auch noch einmal ganz ausdrücklich, wir teilen die Kritik des Datenschutzbeauftragten in dieser Frage.
Schon als wir im Mai 2001 hier im Parlament die Telekommunikationsüberwachungsverordnung debattiert haben, haben wir unsere Kritik gegen eine solche Verordnung ausgesprochen. Wir waren der Auffassung, dass diese Verordnung einen Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger darstellt, der nicht gerechtfertigt ist. Auch hier ist das zentrale Stichwort die Verhältnismäßigkeit.
Angesichts dessen, was die EU jetzt auf den Weg gebracht hat, wird der SSW – das kann nicht überraschen - bei seiner kritischen und ablehnenden Haltung gegenüber solchen Überwachungsinstrumenten bleiben.
Die Vorratsdatenspeicherung ist aus unserer Sicht ein weiteres Law-and-order-Instrument. Aber auch das möchte ich noch einmal anfügen - leider ist es anscheinend so, dass der Innenminister unse
res Landes sich jetzt zu einem begeisterten Fürsprecher so einer Politik unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung gewandelt hat. Ich finde, das ist etwas, was für uns auch schwer zu verkraften ist. Das ist eine Diskussion, die wir schon gehabt haben. Dazu hat es auch Presseveröffentlichungen gegeben. Darum appelliere ich noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen der SPD zu sagen: Jetzt reicht es. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie zu der Tradition der liberalen Innen- und Rechtspolitik zurückkehren, die ja auch immer ein Markenzeichen Ihrer Partei und der letzten Jahre in Schleswig-Holstein gewesen ist.
Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum jetzt gesagt wird, wir hätten keine Einflussmöglichkeit. Da teile ich ausdrücklich die Auffassung der Kollegin Lütkes, die sagt: Wenn wir es ernst meinen mit der Subsidiaritätskontrolle und wenn wir es ernst meinen, dass wir uns als Landtag frühzeitig in die Debatten auch auf EU-Ebene einklinken sollen, dann ist das ein Punkt, wo es wirklich nötig ist, Flagge zu zeigen. Darum ist es richtig und wäre es das Mindeste, dass wir das noch einmal im Ausschuss tun. Wir müssen dann sehen, welche weiteren Möglichkeiten wir haben. Wir können das nicht einfach hinnehmen, indem wir sagen, gut, das EUParlament hat das so beschlossen und dann haben wir keine Möglichkeit, das zu verändern. Das kann nicht das letzte Wort in dieser Sache gewesen sein.
Ich danke der Abgeordneten Spoorendonk und erteile das Wort für einen Dreiminutenbeitrag - - Entschuldigung, Herr Kubicki, würden Sie noch einen Moment warten? - Ich erteile das Wort für die Regierung Herrn Minister Uwe Döring.
- Das können wir ohne den Ältestenrat regeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt das Prinzip, dass die Regierung nicht das letzte Wort haben soll. Damit wäre es richtig, wenn der Kollege Kubicki nach dem Minister spricht. Herr Minister, ich erteile Ihnen jetzt das Wort.
Kubicki; ich lese das jetzt auch einmal selber nach. Ich höre auch sehr gern noch Ihren Beitrag, bevor ich meinen Wortbeitrag leiste.
Lassen Sie mich eine kleine Vorbemerkung machen. Bei diesem Thema tue ich mich ausgesprochen schwer. Es ist eines, bei dem wir uns wechselseitig unterstellen sollten, dass jeder auf seine Weise versucht, zu diskutieren und die Balance zwischen den Themen Sicherheit und Freiheit herzustellen. Wir sollten unterstellen, dass alle Seiten dies wollen, um dann zu sehen, wie wir am besten dahin kommen. Ich muss ehrlich gestehen, nach dem, was in den letzten Monaten und Jahren passierte, fällt mir immer ein Zitat von Benjamin Franklin ein: „Wer seine Freiheit eintauscht, um Sicherheit zu erhalten, der wird am Ende beides verlieren.“ Das ist mehr als 200 Jahre her, aber es gilt nach wie vor.
Weil das so ist, müssen wir bei jedem Eingriff in Bürgerrechte innehalten und prüfen, ob wir nicht an einem Punkt angelangt sind, wo wir tatsächlich sagen müssen: Weiter können wir nicht.
Das ist richtig und deswegen finde ich es gut, dass wir das mit allem Ernst diskutieren, auch noch einmal im Ausschuss, wie es sich tatsächlich verhält. Ich denke auch, bei der Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten - Herr Lehnert hat es vorhin gesagt - muss die Balance gehalten werden. Leider gibt es dabei keine Zauberformel. Die Speicherung dieser Daten ist ganz ohne Zweifel ein gravierender Eingriff. Es wurde schon gesagt, gespeichert werden nicht die Inhalte der Kommunikation, sondern eben die Kommunikation an sich. Aber es ist kritisch wegen der ungeheuren Streubreite. Es werden sehr viele Mengen an Verbindungsdaten gespeichert, unabhängig von einem konkreten Verdacht. Wir müssen in all diesen Punkten sicher gehen, dass mit diesen Dingen kein Schindluder getrieben wird. Deswegen ist der Punkt Verhältnismäßigkeit ernsthaft zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, was die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit angeht, müssen wir erkennen, dass auf der anderen Seite natürlich Terrorismus und organisierte Kriminalität weiter zugenommen haben und dass wir in einer Reihe von Fällen - Herr Lehnert hat darauf hingewiesen gerade durch die Verbindungsdaten Verbrechen haben aufklären können.
Nach langer Diskussion hat der Rat der EU-Justizund Innenminister nun eine gemeinsame Auffassung gefunden. Das Europäische Parlament hat mit wenigen Änderungen zugestimmt. Kern ist der zeit
liche Speicherkorridor von mindestens sechs und längstens 24 Monaten, die Beschränkung des Datenzugriffs auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung erheblicher Straftaten, die Pflicht, durch rechtliche Vorkehrung Datenschutz zu gewährleisten und Missbrauch zu verhindern.
Meine Damen und Herren, ich meine nach langer Diskussion auch bei uns im Hause, dass man einen Kompromiss gefunden hat, dem man zustimmen kann. Er lässt uns auch in der nationalen Umsetzung genügend Spielraum. Am Abstimmungsverhalten der Kollegin Zypries kann ich nichts zu kritisieren finden. Sie hat die Beschlüsse des Bundesrats nicht ignoriert, sondern vertreten. Sie hat dem Kompromiss im Dezember zwar zugestimmt, aber unter dem Vorbehalt, dass die Gremien des Bundestages nach erneuter Konsultation dies bestätigen.
Zweitens ist es natürlich richtig, dass wir im Bereich Bundesrat und Bundestag von einer Mindestspeicherfrist abgesehen hatten. Das ist neu. Aber wir haben auch erleben müssen, dass es eine neue Anzahl von Terroranschlägen gegeben hat. Man kann sich darüber streiten, ob die Mindestspeicherfrist sechs Monate sein muss. Man hat diesen Kompromiss gefunden. Ich bin sicher, dass der Bundestag dies bei seiner Bewertung des Vorschlags des EU-Ministerrats gebührend berücksichtigen wird.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat - übrigens insbesondere auf Initiative Schleswig-Holsteins - mehrheitlich das Vorhaben der EU grundsätzlich begrüßt, die Bundesregierung jedoch aufgefordert, sich für eine dem Datenschutz Rechnung tragende Lösung einzusetzen. Das ist geschehen. Der Kompromiss enthält schon eine Reihe von datenschutzrechtlichen Regelungen. Bei der nationalen Umsetzung wird die Landesregierung ihre Zustimmung im Bundesrat zu den jeweiligen Gesetzen davon abhängig machen, wie weit die Vorgaben des Bundesrates tatsächlich berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Wir sollten das mit allem Ernst miteinander betreiben. Wir wollen dasselbe. Wir müssen sehen, wie wir die Instrumente dafür schaffen. Ich sage aber auch ganz deutlich an dieser Stelle, es gibt auch irgendwo einen Punkt, wo man sagen muss, Bürgerrechte müssen gewahrt bleiben.
Ich danke dem Kollegen Döring und erteile jetzt das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung dem Vorsitzenden der