Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Meine Damen und Herren, zu dem Bericht kann noch sehr viel gesagt werden. Dazu fehlt leider die Zeit. Deswegen zum Schluss die Frage: Was für Schulen brauchen wir? Ich glaube, wir brauchen Schulen, in die Kinder gerne gehen, wo sie begeistert werden, selbst zu lernen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln, wo ihre unterschiedlichen Fähigkeiten anerkannt und gefördert werden, wo Bildung, Erziehung und ganzheitliche Entwicklung als gleichberechtigt angesehen werden. Wir brauchen Schulen, an denen Eltern und Lehrer sich gegenseitig helfen, anstatt sich als Feinde zu betrachten, und an denen Lehrerinnen und Lehrer mit Freude unterrichten. Wir brauchen Schulen, an denen der Satz gilt, den Reinhard Kahl auf jeder Veranstaltung immer wieder wiederholt: ,,Kein Kind darf beschämt werden."

Und das Erstaunliche ist: Solche Schulen gibt es überall. Nicht nur in Finnland, auch in Deutschland, in Bayern ebenso wie in Schleswig-Holstein. Ich

(Karl-Martin Hentschel)

habe einige besucht. Das sind nicht nur freie Schulen oder dänische Schulen, das sind auch ganz normale öffentliche Schulen, wo begeisterte und engagierte Lehrerkollegien die Vorschriften vergessen und eine Schule gestalten, von der andere nur träumen.

,,Geben Sie Gedankenfreiheit!" sagte in Schillers Drama ,,Don Carlos" der Marquis de Posa zum König von Spanien.

(Zuruf von der CDU: Sire!)

Ich heiße nicht Posa und sage deshalb: Geben Sie Unterrichtsfreiheit, geben Sie Spielraum an den Schulen, Frau Erdsiek-Rave, und kommen Sie zur Besinnung, liebe Kollegen von der CDU! Hören Sie auf, in Schleswig-Holstein die notwendige Entwicklung zu blockieren. Ihre Kollegen in Hamburg sind in Bewegung geraten. Nun sind Sie dran!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Für den SSW im Landtag erteile ich das Wort der Vorsitzenden Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für das Innenleben der großen Koalition mag es ja von hoher Bedeutung sein, dass alles, was im vorliegenden Bericht über die Weiterentwicklung des Schulsystems steht, auch im Koalitionsvertrag nachzulesen ist - ,,in Abschnitt 4“, für diejenigen, die es genau wissen wollen. Aber ich gestehe, als Parlamentarierin reagiere ich mittlerweile ein bisschen empfindlich, wenn ich solche Formulierungen höre. Vielleicht sollten wir sagen: im neuen Jahr nicht mehr. Wir wissen, dass wir eine große Koalition mit einem Koalitionsvertrag haben. Ich denke, das ist ein Selbstgänger.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ohne Ironie möchten wir aber gern die Bildungsministerin dafür loben, dass sie die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt der Schule rücken will. Das weitgehende Abschaffen von Sitzenbleiben und Schrägversetzungen sind sinnvolle Maßnahmen. Denn wie alle Untersuchungen belegen, hat beides bisher in der Regel nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Aber ohne Fortbildung der Lehrkräfte wird es aus Sicht des SSW nicht möglich sein, diese Ziele umzusetzen. Denn richtig ist ja, das sagt der Bericht auch, dass es letztlich auf eine Veränderung der Unterrichtskultur hinausläuft.

Auch möchten wir die Bildungsministerin ermutigen, bei der Gemeinschaftsschule nicht klein beizugeben. Was vor der Landtagswahl galt, sollte immer noch der Maßstab für die Einführung der Gemeinschaftsschule sein. Damit meine ich, dass Konkretisierungen und Festlegungen dringend notwendig sind, um die Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein zu etablieren.

(Beifall beim SSW)

Der SSW ist sich immer bewusst gewesen, dass es nicht möglich ist, das Schulsystem in SchleswigHolstein wie auf dem Reißbrett zu verändern. Unser Ziel ist aber weiterhin, dass Kinder länger gemeinsam unterrichtet werden sollen. Und somit werden wir das neue Schulgesetz daran messen, ob es transparente Wege dafür aufzeigt. Das soll heißen: Es darf nicht so kommen, dass nur Gesamtschulen in Gemeinschaftsschulen umgewidmet werden oder dass es ausschließlich zu Zusammenlegungen von Haupt- und Realschulen kommt. Gemeinschaftsschulen dürfen auch nicht per se zu Schulen für Benachteiligte umfunktioniert werden. Denn auch dazu gibt es genügend Untersuchungen: Sowohl die schwachen als auch die guten Schülerinnen und Schüler profitieren von heterogenen Lerngruppen.

Die beiden jüngsten PISA-Studien haben einmal mehr deutlich gemacht, dass in Deutschland insgesamt und auch in Schleswig-Holstein die schulische Laufbahn eines Kindes stark davon abhängt, welcher sozialen Schicht die Eltern angehören. Vor diesem Hintergrund enthält der Bericht einige Aussagen, die den SSW aufhorchen lassen und die wir uns, wenn sie in Gesetzesform vorliegen, ganz genau anschauen werden. Über die Verkürzung der Schulzeit an Gymnasien geht aus dem Bericht zum Beispiel hervor, dass an den Gesamtschulen weiterhin der 13-jährige Bildungsgang bestehen bleiben soll. Das Gleiche gilt für das Fachgymnasium. Aus Sicht des SSW heißt das, dass weitere Hürden eingebaut werden: Nur, wer gut ist und die Unterstützung des Elternhauses erfährt, macht künftig Abitur am traditionellen Gymnasium. Da bin ich wieder bei den sozialen Faktoren. Alle anderen werden auf die Gesamtschule oder auf das Fachgymnasium verwiesen. Dass es Wartelisten bei den Gesamtschulen und bei den Fachgymnasien ein Art Numerus Clausus gibt, füge ich nur am Rande hinzu. Ich sehe darin wirklich etwas, das zu bemängeln ist und das wir nur kritisch begleiten können.

Für den SSW steht fest, dass wir eine Entwicklung dieser Art wirklich nicht wollen. Wir bleiben dabei, dass aus unserer Sicht eine Verkürzung der Schulzeit an Gymnasien nur Sinn macht, wenn die Schul

(Karl-Martin Hentschel)

strukturen insgesamt verändert werden. Nicht hinnehmbar sind für uns Strukturen, die zu weiteren Sortiermechanismen führen.

Zum Thema Oberstufenreform und Zentralabitur haben wir in diesem Hause erst kürzlich eine Debatte geführt. Hier und heute möchte ich nur meiner Verwunderung Luft machen, dass wir dem Bericht auf Seite 5 zum Thema Zentralabitur Folgendes entnehmen können, ich zitiere:

,,In Fächern, wo dies von den Lehrplänen her möglich ist, ist eine Kooperation mit Hamburg angebahnt".

Daher sage ich, wenn die Landesregierung den Nordstaat will, dann soll sie das auch laut sagen und ihn nicht überall mit hineinschmuggeln. Ansonsten teilt der SSW die Kritik der GEW an der Reform des Gymnasiums. Wir sehen nicht, wie es möglich sein wird, ein Profil der Oberstufe hinzubekommen mit der Festschreibung von Mathematik, Deutsch und einer Fremdsprache als verbindliche Prüfungsfächer.

Ich denke, dass das eher mit einem etwas antiquierten Verständnis von Allgemeinbildung zusammenhängt. Diese Kritik haben wir ja auch schon deutlich gemacht, als wir das in der letzten Landtagsdebatte ansprachen.

Der Bericht geht auch auf die Perspektiven für die zukünftige Finanzierung der Schulen der dänischen Minderheit ein. Das ist für den SSW natürlich ein wichtiges Thema. Wir vermissen hier eine Klarstellung der Landesregierung, dass man seit 1997 vom Prinzip der Gleichstellung von öffentlichen Schulen und den Schulen der dänischen Minderheit abgewichen ist. Auch wenn durch eine Schulgesetzänderung, unterstützt von SPD, Grünen und SSW, nach 2001 eine Nachbesserung zugunsten der Schulen in freier Trägerschaft beschlossen wurde, so hat der Dänische Schulverein seit 1997 durch die fehlende Gleichstellung bereits Einnahmen von etwa 6 Millionen € verloren. Das wurde im Übrigen auch bei der Anhörung im Bildungsausschuss im Dezember 2005 deutlich.

Wenn im Bericht daher Zahlen präsentiert werden, die zeigen, dass der Dänische Schulverein seit 2001 weniger Schülerzahlen hat, aber mehr Zuschüsse erhalten hat, so ist das also nur ein Teil der Wahrheit. Bei einer Umsetzung der Gleichstellung hätte der Dänische Schulverein also weitere Zuschüsse vom Land erhalten. Daher darf es niemanden verwundern, wenn der Dänische Schulverein zurzeit große finanzielle Probleme hat. Eine Schließung von drei Schulen und zwei Kindergärten ist immer noch aktuell und soll gegebenenfalls in der

nächsten Woche beschlossen werden. Insbesondere Schulschließungen - ich sage das auch noch einmal - sind für die dänische Minderheit katastrophal, da die Schulen auch Kulturzentren und Zentren insgesamt für die Arbeit der Minderheit sind.

Der SSW hat sich deshalb über die Deutlichkeit gefreut, mit der sich Ministerpräsident Carstensen bei seinen dänischen Gastgebern über die Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein geäußert hat. So hat der Ministerpräsident in Kopenhagen öffentlich klargestellt, dass Minderheitenzuschüsse ,,keine Subventionen“ sind, sondern den Minderheiten als gleichberechtigte Staatsbürger zustehen. Dennoch sei die Frage erlaubt, warum denn die dänische Minderheit bis 2008 auf die finanzielle Gleichstellung bei den Zuschüssen für ihre Schulen warten muss und die Landesregierung nicht schon vorher handeln will.

Im Übrigen darf die Gleichstellung aus Sicht des SSW nicht nur für die Schülerkostensätze gelten, sondern auch für Bauinvestitionen sowie für die Kosten der Schülerbeförderung. Daher findet auch eine andere Aussage des Ministerpräsidenten anlässlich seines Besuchs in Kopenhagen die Zustimmung des SSW. In Dänemark hat Peter Harry Carstensen gesagt, dass die ,,Minderheiten keine Belastung für Schleswig-Holstein, sondern eine Chance sind". Wir fragen uns aber, warum der CDU-Landesvorsitzende dann nicht verstärkt auf seine Kommunalpolitiker im Landesteil Schleswig einwirkt und sie mit seiner Haltung vertraut macht.

Hier denke ich natürlich insbesondere an die Kürzungen bei den Zuschüssen für die Schülerbeförderung in den CDU-geführten Kreisen im Landesteil Schleswig.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist der Un- terschied zwischen Sonntag und Alltag!)

Der Ministerpräsident hat jetzt eine wohlwollende Prüfung einer gesetzlichen Regelung für die Zuschüsse der Schülerbeförderung zu den dänischen Schulen zugesagt. Das ist ausgesprochen positiv.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Der SSW wird daher die in diesem Jahr anstehende Schulgesetzänderung und insbesondere die angestrebte Änderung des Schullastenausgleiches nutzen, um eine gesetzliche Regelung der Schülerbeförderung im Sinne der Gleichstellung herbeizuführen.

Für den SSW steht fest: In Sachen Minderheitenpolitik ist 2006 der Lackmus-Test für den guten Wil

(Anke Spoorendonk)

len der großen Koalition. Dann werden wir sehen, ob den schönen Worten auch Taten folgen.

Der Friesischunterricht in Nordfriesland und auf Helgoland ist eine Erfolgsgeschichte. Dies war die Konklusion meines Kollegen Lars Harms, nachdem er eine Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zum Friesischunterricht erhalten hatte, auf die der Bericht ja auch verweist. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Friesischunterricht erhalten, verdoppelt. Das zeigt, dass die Zweisprachigkeit bei Eltern und Schülern als immer wichtiger angesehen wird und dass man die Möglichkeiten in Nordfriesland auch nutzt.

Allerdings ist die Anzahl der Schulstandorte, an denen Friesischunterricht erteilt wird, in den letzten Jahren leicht gesunken. Es wurden Angebote zusammengelegt und man hat versucht, effektivere Strukturen hinzubekommen. Wir können jetzt feststellen, dass zwar weniger Schulen Friesischunterricht anbieten, dafür sind die Angebote aber viel breiter in der Region verteilt und viel mehr Schülerinnen und Schüler können Friesischangebote wahrnehmen. Das begrüßen wir.

Nicht hinnehmbar ist für uns, wenn diese wichtige Arbeit vor Ort - ich sage es einmal ganz salopp durch kleinliche Auflagen der Schulaufsichtbehörden infrage gestellt oder gar behindert wird.

Leider können wir beim Dänischunterricht an den öffentlichen Schulen nicht in gleicher Weise von einer Erfolgsstory sprechen. Denn hier sind die Zahlen - Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss mit löblichen Ausnahmen, die die Landesregierung ja auch im Bericht erwähnt - zum Beispiel die gemeinsame Europaklasse an den Gymnasien in Niebüll und Tønder -, insgesamt gesehen gesunken. Für eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist es aber entscheidend, dass vermehrt die Sprache des Nachbarn erlernt und gesprochen wird. Der von der Region SchleswigSønderjylland am 9. Februar veranstaltete Sprachentag, woran ja auch das Ministerium beteiligt ist, ist daher ein sehr gutes Projekt, um genau dieses Ansinnen voranzubringen. Aber unter dem Strich bleibt noch viel zu tun.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk. - Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Es ist beantragt worden, den Bericht der Lan

desregierung, Drucksache 16/495, dem Bildungsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 7, Keine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungen.

(Zurufe)

- Aber sehr gern!

(Zuruf: Tagesordnungspunkt 38!)

- Ja, das liegt vor. Es war dem Präsidium entgangen, dass sich die Fraktionen anders verständigt haben.

Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 38 auf:

Beratungsstellen FRAU & BERUF

Landtagsbeschluss vom 11. November 2005 Drucksache 16/338