Protokoll der Sitzung vom 27.04.2005

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die zweite Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Die langjährige Abgeordnete Heide Simonis hat mir mit Schreiben vom 25. April 2005 mitgeteilt, dass sie mit Ablauf des 25. April 2005 ihr Mandat im Schleswig-Holsteinischen Landtag niederlegt. Als Nachfolgerin hat der Landeswahlleiter Frau Ulrike Rodust festgestellt. Frau Rodust hat ihr Landtagsmandat gestern angenommen. - Frau Rodust, ich bitte Sie, zur Verpflichtung nach vorn zu kommen. Die Anwesenden bitte ich, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich. Die Abge- ordnete Ulrike Rodust wird nach folgender Eidesformel vereidigt: Ich schwöre, meine Pflichten als Abgeordnete gewissenhaft zu erfüllen, Verfassung und Gesetze zu wahren und dem Lande unbestechlich und ohne Ei- gennutz zu dienen, so wahr mir Gott helfe. - Die Abgeordnete wird von Präsident Martin Kayenburg durch Handschlag verpflichtet.)

Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen eine gute und erfolgreiche Arbeit in unserem Haus.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung will ich für das Haus und auch persönlich einige Worte an die scheidende Ministerpräsidentin und langjährige Abgeordnete Heide Simonis richten.

Sehr geehrte, liebe Frau Simonis! Mit Ihnen scheidet eine der profiliertesten und bekanntesten Politikerinnen Deutschlands aus Mandat und Amt. Sie waren in den vergangenen Jahren das politische Aushängeschild unseres Landes. Sie haben sich mit Herz und Leidenschaft, mit bundesweit bekannter flinker Zunge und mit viel Geschick für Schleswig-Holstein eingesetzt und für den guten Namen unseres Landes viel bewirkt. Ohne mich in Einzelheiten zu verlieren, kann ich feststellen: Ihnen gebühren für Ihre großen Leistungen der herzliche und aufrichtige Dank des ganzen Hauses und die Anerkennung der Mitbürgerinnen und Mitbürger des ganzen Landes.

(Beifall im ganzen Haus)

Sehr geehrte Frau Simonis, Sie sind eine der politisch erfolgreichsten Frauen der Nachkriegszeit. In jungen Jahren waren Sie schon Mitglied des Bundestages

und haben sich dem seinerzeit für weibliche Abgeordnete eher ungewöhnlichen Bereich der Finanzpolitik zugewandt. Ihre Arbeit auf diesem Gebiet war so überzeugend, dass Sie 1988 die erste Finanzministerin der SPD und 1993 die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik wurden. Bis heute hat Ihnen keine Frau auf diesem Weg folgen können. Das ist eine einzigartige politische Karriere. Keiner Ihrer Vorgänger hat dieses Amt so lange ausgeübt wie Sie. Das zeigt auch, dass die Menschen in unserem Land Ihre Leistung durchaus gesehen und anerkannt haben.

Sehr geehrte Frau Simonis, in den fast 12 Jahren, in denen Sie Ministerpräsidentin waren, haben Sie in diesem Landtag für viele rhetorische Höhepunkte und engagierte Diskussionen gesorgt. Aber auch außerhalb des Landtages haben Sie höchst bemerkenswerte rhetorische Eigenwilligkeiten bewiesen. Bisweilen waren das auch Gratwanderungen, die Sie mit Ihrem ebenso gewandten wie gekonnten Auftreten gemeistert haben und die Ihnen parteiübergreifend Sympathie bei den Menschen eingebracht haben. Ich glaube, auch für unsere Arbeit ist es wichtig, dass Sie darüber hinaus auch die Nähe zur Politik hergestellt haben. Auch das wird vielen mit Ihrem Ausscheiden fehlen. Dafür gilt Ihnen unser Dank. Es mutet als Feststellung zwar kontradiktorisch an, aber SchleswigHolstein verliert mit einer Rheinländerin ein politisches Original.

Liebe Frau Simonis, ich bin überzeugt, dass Sie zukünftig auch weiterhin aktiv sein werden. Ich wünsche Ihnen das auch. Sie engagieren sich seit vielen Jahren für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF. Im November 2002 wurden Sie in das Deutsche Komitee für UNICEF gewählt. Dieses Engagement hat Sie in viele Länder geführt und mit berühmten Persönlichkeiten in Kontakt gebracht. So haben Sie vor zwei Jahren in Kiel mit Sir Peter Ustinov die bundesweite Aktion „Friend-Ship“ gestartet. Sie haben damit vielen Kindern in den ärmsten Ländern der Welt geholfen.

(Beifall im ganzen Haus)

Wenn Sie sich diesem Engagement jetzt erneut und verstärkt zuwenden, werden Sie noch mehr Kindern in den Entwicklungsländern helfen können. Für Ihr ohne Zweifel immer großes Engagement, das Sie auch in der Wahrnehmung dieser Aufgabe zeigen, danke ich Ihnen schon jetzt sehr herzlich.

Sehr geehrte Frau Simonis, Sie haben SchleswigHolstein über viele Jahre geprägt. Damit gehören Sie aber nicht nur zur Geschichte unseres Landes. Nein, Sie gehören zur Gegenwart Schleswig-Holsteins. Sie

(Präsident Martin Kayenburg)

waren über ein Jahrzehnt ein - ich möchte sogar sagen -, das Symbol der Politik Schleswig-Holsteins.

Wenn wir über Symbole reden, dann möchte ich Ihnen gleichermaßen als Symbol des Dankes und der Anerkennung und auch als Erinnerung an den Schleswig-Holsteinischen Landtag eine Miniatur unseres Patenschiffes, der „Gorch Fock“, überreichen, das Sie immer an uns erinnern mag. Ganz persönlich wünsche ich Ihnen - wenn ich das im übertragenen Sinne so sagen darf - immer die notwendige Handbreit Wasser unter Ihrem Lebensschiff. Im homerischen Sinne wünsche ich Ihnen immer glückliche Winde, die Sie neuen Zielen näher bringen.

Wie Sie mir erzählt haben, werden Sie in Kürze mit Ihrem Mann in die Toskana fahren, um dort Entspannung und Ablenkung zu suchen. Für diese Zeit wünsche ich Ihnen das Maß an Muße und Distanz, das Sie sich davon erhoffen. Auch dazu will ich im Namen der Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages gern einen kleinen Beitrag leisten, und zwar mit dem Buch von Jutta Stössinger „Toskana - Ein literarischer Streifzug“. Eine kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ erschienene Buchbesprechung war mit „Toskana, sommerselig“ überschrieben. Das hat mich an unser kürzlich geführtes kleines Gespräch erinnert. Als ich dann weiter las: „Natürlich ist der gleichnamigen Fraktion ein eigenes Kapitel gewidmet“ und: „Die Toskana ist ‚Arkadien seit 300 Jahren’, die Liste ihrer Besucher ist lang und illuster“, da wusste ich, das müsste etwas für Frau Simonis sein. Gänzlich überzeugt hat mich der Kritiker aber mit seinem Hinweis, die Autorin behaupte ihren eigenen Ton; mal frech, mal feierlich, eigensinnig und unverbraucht.

Liebe Frau Simonis, ich hoffe, Sie haben ein wenig Freude an der sommerseligen Stimmung, die sich nur in der Leichtigkeit der Toskana spiegelt, und finden Muße und Entspannung bei diesem literarischen Streifzug.

Sehr geehrte Frau Simonis, mit dieser Hoffnung verbinde ich unseren Dank für Ihre Arbeit für dieses Land, wünsche Ihnen für Ihre persönliche Zukunft alles Gute, viel Gesundheit und vor allem Glück und Zufriedenheit gemeinsam mit Ihrem Mann.

Ich sage Ihnen ein herzliches Glückauf.

(Anhaltender Beifall im ganzen Haus)

Heide Simonis, Geschäftsführende Ministerpräsidentin:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bedanke mich für die Gelegenheit, kurz sprechen zu dürfen und mich auch bei Ihnen zu bedanken.

Ich blicke - auch mit einer gewissen Wehmut - auf 17 Jahre zurück, in denen ich in diesem Hause - wenn auch nicht genau in diesem Plenarsaal - die Politik Schleswig-Holsteins mitgestalten durfte. Rund 2.700 Stunden mussten Sie mich im Landtag ertragen, ich Sie manchmal auch. Ich hoffe, dass diese 2.700 Stunden bei Ihnen keine bleibenden Schäden hinterlassen, sondern eher bleibende Erinnerungen.

Ich bedanke mich bei Ihnen für diese lange Zeit der politischen Zusammenarbeit. Ich danke für Ratschläge, für Zustimmung, für Hinweise, aber auch für Kritik, auch wenn ich sie nicht immer gern gehört habe - wer erträgt schon so ohne weiteres und stoisch Kritik -, aber sie hat ja auch etwas angestoßen.

Gemeinsam können wir alle stolz sein auf das, was wir erreicht haben. Wir haben Schleswig-Holstein in diesen vielen Jahren umfassend modernisiert und den bösen Begriff von „Schläfrig-Holstein“ doch deutlich in „Schleswig-Holstein“ umdeuten können. Wir haben den Strukturwandel vom agrar- und werftengeprägten Land zu einer Region mit vielen neuen Unternehmen in Zukunftsbranchen vorangebracht. Durch unser Mitwirken hat Schleswig-Holstein einen enormen Ausbau der Windenergie erreichen können. Arbeit und Umwelt stehen also nicht im Widerspruch; jedenfalls haben wir das an der Stelle gut beweisen können. Durch unser Mitwirken hat SchleswigHolstein mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival und anderen kulturellen Events sein Profil gestärkt, ein bisschen Glamour ins Land holen können. Auch das gehört zu einem Land dazu, dass die Menschen, die in der Welt große Namen haben, gern zu uns kommen und sagen: Da haben wir uns wohl gefühlt.

Auch die Menschen, die hier wohnen, fühlen sich wohl. Gewerkschafter und Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler, junge Menschen und Senioren, Menschen, die von außen zu uns gekommen sind, und solche, die hier geboren sind, alle fühlen sich hier wohl, mischen sich ein, miteinander, manchmal gegeneinander, aber doch nicht so häufig. Eine lebendige Bürgergesellschaft war bei uns nicht nur in Reden zu hören, sondern sie wurde an vielen Orten und in vielen Situationen gespürt und gelebt.

Für diese Ziele haben wir gestritten und gekämpft, manchmal sind die Fetzen geflogen, manchmal sind von einigen von Ihnen messerscharfe Reden gehalten worden und manche haben sich auch ein bisschen mit herangetastet und versucht zu entdecken, was diese Regierung wollte. Nicht alles ist gelungen; das tut mir Leid. Aber nur wer nicht arbeitet, macht wirklich

(Geschäftsführende Ministerpräsidentin Heide Simonis)

keine Fehler. Insoweit ertrage ich mit einem gewissen Stolz den Hinweis in der Zeitung mit den großen Buchstaben, ich hätte zu viel getan. Das ist mir allemal lieber, als wenn da gestanden hätte, ich hätte zu wenig getan. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Es waren erfolgreiche Jahre und ich blicke dankbar auf diese lange Zeit zurück. Für die Zukunft wünsche ich dem Land, dem Parlament und der neuen Regierung eine glückliche Hand, Mut, Geschick, Geduld und auch ein paar Visionen. Ich wünsche ein gutes Gelingen der hoch gesteckten Ziele. Ich wünsche meinem Nachfolger und seinem Kabinett ebenso viel Freude bei der Arbeit, wie ich sie hatte. Aber wenn ich es heute Morgen im Radio richtig gehört habe, braucht man keine Angst davor zu haben, dass er keine Freude an dem neuen Amt haben wird. Das habe ich aus seinen Worten jedenfalls herausgehört.

Ich werde die Politik Schleswig-Holsteins nach wie vor aufmerksam verfolgen. Ich werde verfolgen, wie die Opposition kraftvoll versuchen wird, mit der großen Regierung fertig zu werden. Viel Spaß dabei! Da kann ich Ihnen nur die Daumen drücken.

Mein Herz hängt an diesem Land. Ich würde mich freuen, wenn das Wohl des Landes weiterhin im Mittelpunkt Ihrer Arbeit steht, und ich würde mich sehr freuen, wenn dieses Land - das habe ich auch meiner Partei gesagt - bitte nicht in einem Nordstaat untergeht. Schleswig-Holstein hätte es nicht verdient, seinen schönen Namen an den etwas drögen Namen „Nordstaat“ zu verlieren.

Ihnen allen persönlich alles Gute, viel Glück und viel Spaß bei Ihrer Arbeit! Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Die Anwesenden erheben sich. - Lang an- haltender Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, erlauben Sie mir einige geschäftsleitende Bemerkungen. Die Fraktionen von CDU und SPD haben mit der Drucksache 16/35 einen Vorschlag für die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses eingereicht. Die Wahl soll in dieser Tagung durchgeführt werden, damit sich der Ausschuss in Kürze konstituieren kann. Ich schlage Ihnen vor, dieses Thema als Punkt 7 a in die Tagesordnung aufzunehmen und den Punkten ohne Aussprache hinzuzufügen.

Weiter liegt Ihnen mit der Drucksache 16/37 ein Antrag der Fraktionen von CDU und SPD zur Änderung der Geschäftsordnung vor. Ich schlage Ihnen vor,

dieses Thema als Punkt 16 a in die Tagesordnung aufzunehmen und heute Nachmittag nach den Tagesordnungspunkten 6 und 19 zu behandeln. Ich bitte die Fraktionen, sich über die Redezeiten zu verständigen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit den eben erfolgten Ergänzungen mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 7, 7 a, 9, 10, 12 bis 14, 17 und 18 ist eine Aussprache nicht geplant. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 6 und 19, Gesetz zur Sicherung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Opposition und Änderung der Geschäftsordnung.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Punkte 4, 5, 8, 11 und 15 von der Tagesordnung abzusetzen. Eine Beratung dieser Punkte ist für die MaiTagung des Landtages vorgesehen.

Anträge zur Aktuellen Stunde und Fragen zur Fragestunde liegen nicht vor.

Wann die einzelnen Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen der zweiten Tagung.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Tagesordnungspunkte in der heutigen Sitzung des Landtages zu behandeln. Eine Fortsetzung der Tagung am Donnerstag ist nicht vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:

Wahl einer Ministerpräsidentin oder eines Ministerpräsidenten

Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/38

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt mit der Drucksache 16/38 ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU und SPD vor. Der Wahlvorschlag lautet:

„Der Landtag wolle beschließen: