Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Ich möchte in diesem Rahmen auf die Tatsache hinweisen, dass der Anteil von Asylanträgen von Minderheitenangehörigen nicht unbeachtlich ist. Aus Serbien und Montenegro kamen 2005 bundesweit 5.500 Menschen die meisten Asylanträge. 37,5 % der Anträge stammten von Angehörigen der dortigen albanischen Minderheit und 39,5 % von Angehörigen der Roma. Nach Serbien und Montenegro kommen die meisten Asylanträge aus der Türkei. Hier liegt der Anteil der Kurden an allen türkischen Erstantragstellern seit Jahren bei über 80 %.

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Minderheiten steht damit zu Recht auf der Tagesordnung des Europarates und jetzt mittlerweile auch auf der Tagesordnung der Europäischen Uni

on. Wir wissen, dass weder diese Menschen noch die Politik in Schleswig-Holstein etwas an der Situation in den Herkunftsland direkt verbessern können. Ich denke, wir können das machen, indem wir wirklich Minderheitenpolitik immer auch als europäische aktuelle Politik betrachten, aber wir können die Situation dieser Menschen bei uns verbessern, wir können ihre Integrationsmöglichkeiten verbessern. Es geht also wirklich um menschliche Schicksale und um Perspektiven, nicht zuletzt auch für hier aufwachsende Kinder und Jugendliche. Ohne eine Perspektive kann eine Integration nicht gelingen und die hängt wiederum von einem gesicherten Status ab.

(Beifall beim SSW)

Es geht aber auch um Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren sind, die also nichts anderes kennen. Darum muss die Integration mit Leben gefüllt werden, das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Menschen Deutsch lernen, dass Jugendliche eine Ausbildung bekommen. Maßstab aller Bemühungen sollte aus unserer Sicht weiterhin die Forderung der Flüchtlingsräte sein, das heißt, Familien, deren Kinder bei der Ausreise minderjährig waren oder in Deutschland geboren wurden, nach drei Jahren ein Bleiberecht zu geben und unbegleiteten Kindern ein Bleiberecht zu gewähren, wenn sie sich seit zwei Jahren in Deutschland aufhalten.

Wir unterstützen weiterhin die Forderung, dass Geduldete und Asylbewerber, die sich seit mindestes fünf Jahren in Deutschland aufhalten, ein Bleiberecht bekommen. Gleiches gilt für traumatisierte Menschen und Opfer rassistischer Angriffe. Das sind die Forderungen der Flüchtlingsräte, auch des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein. Für uns ist das immer noch der Maßstab unserer Forderung und darum hoffe ich, dass es dem Innenminister gelingt, seine Kollegen zu überzeugen. Wir sind dabei an seiner Seite und ich habe das auch so im ganzen Haus vernommen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Minister hat den Bericht gegeben. Ich schließe die Beratungen. Da kein Antrag gestellt wurde -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Überweisung in den Rechtsausschuss! - Weitere Zurufe)

- Dann ist das am Präsidium vorbeigegangen. Ich bitte um Entschuldigung.

(Anke Spoorendonk)

Es ist Ausschussüberweisung beantragt - an den Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung. Wer dem so zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Ablehnung der EU-Richtlinie über die Dienstleistungen im Binnenmarkt

Antrag der Abgeordneten des SSW und der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/503 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Lars Harms vom SSW das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider müssen wir uns heute schon wieder mit der Diskussion über die Ablehnung über die EU-Dienstleistungsrichtlinie befassen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hatte bereits Anfang 2005 einen ähnlichen Antrag auf Initiative des SSW mit Mehrheit verabschiedet, wie er uns heute vorliegt. Im Grunde macht die EU-Kommission bei der Umsetzung der EU-Richtlinie über die Dienstleistungen im Binnenmarkt den gleichen Fehler wie bei der Richtlinie zu Port Package II, die gerade vom EU-Parlament nach vielem Streit abgelehnt worden ist. Trotz vieler Proteste bleibt die EUKommission auch bei der Dienstleistungsrichtlinie hart und macht wenig Zugeständnisse an ihre Kritiker.

In vielen europäischen Ländern haben sich aber sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften gegen die Einführung des so genannten Herkunftslandprinzips gewandt. Mit dieser Neuregelung würden bei Dienstleistungen die gesetzlichen Regelungen des Herkunftslandes gelten, wenn Firmen aus dem Ausland zum Beispiel in Schleswig-Holstein tätig werden. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Arbeitnehmer EU-weit jeweils nach den Tarifen ihres Heimatlands entlohnt werden dürfen. Dieses Vorhaben würde unseren Arbeitsmarkt, unseren Sozialversicherungen, unseren Arbeitnehmern und unseren regionalen Unternehmen massiv schaden. Damit wären Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein massiv durch Billigkonkurrenz aus dem Ausland bedroht. Die Folge wäre Billigkonkurrenz aus Ländern mit niedrigen Löhnen und niedrigen Sozialstandards und damit weiterer Sozialabbau, zum

Beispiel in der Baubranche oder auch in der Daseinsvorsorge.

Weiter sollen die Lohn-, Tarif- und Sozialstandards durch die Behörden des Herkunftslandes kontrolliert werden. Im Klartext bedeutet dies, dass auf hiesigen Baustellen die Tarife und Bedingungen aus Polen oder Tschechien und ab 2007 möglicherweise aus Rumänien gelten sollen und die Einhaltung von den jeweiligen Ländern kontrolliert werden soll. Wie soll das gehen? Werden diese Länder an einer eingehenden Kontrolle ein Interesse haben? Unter diesen Bedingungen hat ein hiesiger Arbeitnehmer keine Chance mehr und ein Unternehmen kann sich dann oft nur noch retten, indem es seinen Sitz ins Ausland verlegt und dann seine Beschäftigten zu den dortigen Bedingungen anstellt. Uns droht somit ein gigantischer Sozialabbau, anstatt den Menschen in den neuen EU-Ländern die Chance zu geben, unsere Standards irgendwann erreichen zu können.

Wir haben diese Thematik schon einmal diskutiert, als wir seinerzeit das Tariftreuegesetz beraten haben. Damals bekamen wir sowohl von den Handwerksverbänden, anderen Branchenverbänden und auch den Gewerkschaften Unterstützung für unser Tariftreuegesetz. Genau die gleichen Gruppen unterstützen uns auch nun wieder. Es ist also keine Frage der Ideologie oder der Seite, auf der man steht, ob man diese Richtlinie ablehnt, sondern nur des gesunden Menschenverstandes. Wettbewerber aus dem Ausland sind uns willkommen, aber nur zu den gleichen Tarif- und Lohnbedingungen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Wird diese EU-Dienstleistungsrichtlinie wirklich umgesetzt, dann werden unsere regionalen Arbeitsplätze durch Lohn- und Sozialdumping aus dem Ausland gefährdet. Nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen von den negativen Auswirkungen einer Dienstleistungsrichtlinie betroffen. Das können wir nicht hinnehmen, zumal gerade diese Unternehmen das Rückgrat unserer schleswig-holsteinischen Wirtschaft bilden.

Ein weiterer Knackpunkt ist die Tatsache, dass die Richtlinie vorschreibt, dass alle rechtlichen Regelungen, die in den einzelnen Nationalstaaten erlassen werden, unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die EU stehen sollen. Sollte dies so beschlossen werden, würde sich ein Bürokratismus in der Rechtsetzung zwischen Ländern, Bund und EU ergeben, der ungeahnte Ausmaße erreicht. Außerdem stellt sich dann irgendwann auch die Frage, was man mit Bundesländern und Nationalstaaten noch

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

will, wenn die letztendliche Entscheidungskompetenz ohnehin nur noch bei der EU liegt. Mit einer solchen Regelung würde man das bewährte Prinzip aufgeben, nur die Rahmenbedingungen auf EUEbene vorzugeben und tiefere Regelungen den einzelnen Staaten zu überlassen. Wir wollen bei dem bisherigen bewährten Prinzip bleiben.

Natürlich gibt es auch einige vernünftige Teile in der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Es herrscht ja auch Einigkeit darüber, dass wir grundsätzlich eine neue EU-Richtlinie in diesem Bereich benötigen. Aber in der jetzigen Fassung muss der Vorschlag der EU-Kommission gestoppt werden. Deshalb muss sich Schleswig-Holstein nochmals klar gegen die Richtlinie aussprechen, die am 14. Februar im EU-Parlament beraten wird. Ich bin daher sehr dankbar, dass es insbesondere die beiden großen Fraktionen und auch die FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bereit erklärt haben, unseren Antrag in einer leicht geänderten Form zu unterstützen. Damit geht von Schleswig-Holstein ein gemeinsames klares Signal aus, dass unsere Landesregierung sich bei der Bundesregierung noch einmal einsetzen muss, um den berechtigten Forderungen der Kritik an der Dienstleistungsrichtlinie gerecht zu werden. Ich glaube, dieses Signal ist auch nötig. Daher noch einmal vielen Dank an das gesamte Haus für die Unterstützung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Hans-Jörn Arp das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr vier Jahren wird in Europa über die Verabschiedung der so genannten EU-Dienstleistungsrichtlinie diskutiert. Lars Harms wies eben schon darauf hin, dass wir das zweite Mal im Landtag darüber debattieren. Vieles von dem, was wir und unsere Kollegen damals gesagt haben, gilt noch genau so. Es steht im Protokoll. Wir sollten dem verantwortlichen Minister, Herrn Döring, das Protokoll auf dem Weg nach Brüssel mitgeben.

Wir unterstützen natürlich ausdrücklich die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Mein Kollege Manfred Ritzek als europapolitischer Sprecher hat oft genug darauf hingewiesen. Dies gilt sowohl für den Handel mit Waren als

auch ausdrücklich für Dienstleistungen. Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes steht in engem Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie des Europäischen Rates. Ziel dieser Strategie ist es, Europa bis zum Jahre 2010 - ein hohes Ziel - zu dem wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Es liegt in unser aller Interesse, dass dieses Ziel verwirklicht wird. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung in Südostasien eine große Herausforderung.

Aber, meine Damen und Herren, die vorliegende Fassung der Dienstleistungsrichtlinie ist nicht geeignet, diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich begrüße ausdrücklich, dass es für unsere Unternehmen, insbesondere im nördlichen Landesteil, künftig einfacher werden soll, eine Dienstleistung in Dänemark anzubieten. Dieses trägt zu einer wirtschaftlichen Stärkung des nördlichen Landesteils bei. Aber dies wird nur funktionieren, wenn ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen wird, der die rechtlichen und sozialen Regeln des Ziellandes berücksichtigt. Es muss verhindert werden, dass deutsche Unternehmen im Ausland Briefkastenfirmen gründen, um sich dem deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem zu entziehen. Dies geht zulasten der vielen ehrlichen Unternehmen hier im Land. Ebenso dürfen ausländische Firmen in Deutschland keinen Wettbewerbsvorteil erhalten, weil in ihrem Heimatland die Ansprüche an den Arbeitsschutz, an die Sozialversicherung oder das Steuersystem niedriger sind als in Deutschland.

Mit anderen Worten: Die CDU-Landtagsfraktion lehnt das so genannte Herkunftslandprinzip entschieden ab. Das Herkunftslandprinzip führt dazu, dass es innerhalb eines Staates unterschiedliche Rechtssysteme geben wird. Das können wir nicht mittragen. Dies wird auch nicht dazu beitragen, dass es einen fairen Wettbewerb zwischen inländischen und ausländischen Unternehmen geben wird. Ich fordere gleiche Bedingungen und gleiche Standards für alle in Europa.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nur so kann es einen fairen und freien Wettbewerb geben. Die EU muss nicht alles regeln. Ich erinnere hier nur an das Subsidiaritätsprinzip, von dem gestern schon einmal die Rede war. Ich denke, sie sollten sich auf ihre Aufgaben konzentrieren.

(Lars Harms)

(Beifall der Abgeordneten Claus Ehlers [CDU] und Lars Harms [SSW])

Lassen Sie mich noch einige allgemeine Worte zu der Dienstleistungsrichtlinie und der Politik der EU sagen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Verantwortlichen in Brüssel mehr und mehr mit Themen befassen, die entweder der reinen ökonomischen Lehre zuzuordnen sind, wie etwa Port Package II, um sich damit fernab von der sozialen Marktwirtschaft bewegen, oder sich mit Fragen befassen, deren Bedeutung für einen gemeinsamen Binnenmarkt maßlos überschätzt wird. Wieso benötigen wir ein einheitliches Maß für den Krümmungswinkel einer Gurke oder einer Banane? Warum brauchen wir eine Richtlinie, die sich ausschließlich mit der Entflammbarkeit von Schlafanzügen befasst? Warum muss in ganz Europa eine einheitliche Sonnenschutzrichtlinie gelten, obwohl die Sonneneinstrahlung in Griechenland eine völlig andere ist als in Irland?

Alle diese Regelungen führen doch letztlich nur dazu, dass in Europa nicht mehr investiert wird, die Produktion eingestellt wird und die Arbeitsplätze abgebaut werden. Ist das das Ziel der LissabonStrategie? Im Gegenteil: Die, die das einmal in Lissabon beschlossen haben, haben damit genau das Gegenteil erreichen wollen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie zeigt wieder einmal deutlich die bekannten Defizite in der europäischen Politik. Statt sich mit den großen Themen auseinander zu setzen, werden wahllos kleine Themen herausgepickt. Der europäischen Politik muss es endlich gelingen, den Menschen Lösungen für die großen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und politischen Probleme zu bieten beziehungsweise sie zumindest aufzuzeigen.

Solange dies in Brüssel aber nicht gelingt, müssen wir uns nicht wundern, wenn das Interesse an und das Vertrauen in eine gemeinsame Europapolitik immer geringer werden und die Wahlbeteiligung an den Europawahlen bedauerlicherweise immer weiter zurückgeht. Statt ständig neue Richtlinien zu erlassen, muss sich die Kommission endlich mit der Entbürokratisierung beschäftigen. Ich schlage vor, nach dem Muster wie in Schleswig-Holstein einen Entbürokratisierungskommissar einzustellen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Schlie! - Weitere Zurufe)

Europa kann von Schleswig-Holstein lernen. Klaus Schlie brauchen wir hier. Aber ein Kommissar für Entbürokratisierung in Brüssel würde uns, aber

auch allen Europäern insgesamt sehr viel weiter helfen.

(Beifall bei CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hans-Jörn Arp und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.