Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt sind Frau Abgeordnete Susanne Herold und Frau Abgeordnete Sandra Redmann. Ich wünsche den Kolleginnen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind Herr Abgeordneter Claus Ehlers und Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesen Tagen kann der Schleswig-Holsteinische Landtag auf 60 Jahre Parlamentsgeschichte zurückblicken.

„In ruhigen Zeiten des Wohlstandes mag die Organisation von vielen nicht als entscheidend empfunden werden.

Auch eine schwerfällige und unübersichtliche Behördenorganisation wird da vielleicht ohne größeres Murren von der Bevölkerung ertragen werden.

In schwierigen Zeiten muss aber jede Fehlorganisation sich aufs Übelste auswirken. In ihnen muss sich jede Überorganisation des Behördenwesens lähmend der Bewältigung der anfallenden Aufgaben entgegenstellen.

So kommt es heute darauf an, dass sich die provinzielle Landesverwaltung durch Übertragung aller geeigneten Aufgaben an die Selbstverwaltung wirksam entlastet und sich davor hütet, in Fragen entscheiden zu wollen und Dinge an sich zu ziehen, die sachgemäßer und schneller bei den örtlichen Stellen entschieden werden. …

Im Vordergrund der Sorgen stehen natürlich die Finanzsorgen. … Es ist vorbei mit den großspurigen Worten: ‚Geld spielt keine Rolle’.

Für jede Ausgabe muss eine echte Deckung sein. Jede Ausgabe muss letzten Endes durch Werte, durch soziale Arbeit gedeckt sein. Jeder einzelne Beamte unserer Verwaltung, auch wenn er mit Finanzen nichts zu tun hat, muss dafür sorgen, dass wir in dieser Hinsicht durchkommen.

Jeder einzelne muss auf Sparsamste wirtschaften. Jeder einzelne mit geringen Mitteln den größten Erfolg erzielen.

Viel zu oft müssen wir Nein sagen, wo ein Ja erwartet wird.

Selbstverständlich wird alles getan, um den großen Finanzbedarf des neuen Landeshaushaltes zu decken.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese von mir zitierten Sätze klingen uns in diesen Tagen sehr vertraut und aktuell. Doch stammen diese Worte weder aus der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD noch vom Innenminister Dr. Stegner und auch nicht vom Finanzminister Wiegard. Gleichwohl sind diese Sätze in diesem Hause schon einmal gefallen nämlich vor fast genau 60 Jahren.

Am 26. Februar 1946 trat der Erste Ernannte Landtag Schleswig-Holsteins unweit von hier im Kieler Stadttheater, dem heutigen Schauspielhaus in der Holtenauer Straße, erstmals zusammen. Das Theater, umgeben von einer Ruinen- und Trümmerlandschaft, war seinerzeit das einzige Gebäude, das den Bombenkrieg in diesem Teil Kiels unbeschadet überstanden hatte.

Es war Theodor Steltzer, damals noch Oberpräsident der zu Preußen gehörenden Provinz Schleswig-Holstein, der in seiner Antrittsrede als Vorsitzender des Ersten Ernannten Landtages die Politiker auf die Schwere der bevorstehenden Aufgaben und auf ihre Arbeit einschwor. Erst im August 1946 wurde aus dem Oberpräsidenten nominell der Ministerpräsident Steltzer und aus der preußischen Provinz das Land Schleswig-Holstein.

Diese Auftaktsitzung des Ersten Ernannten Landtages war jedoch die erste landesweite Zusammenkunft von Parlamentariern in Schleswig-Holstein nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und dem Ende des Krieges überhaupt. Es war also die politische Geburtsstunde unseres Landtages und der Beginn einer allmählich immer eigenständiger handelnden Landespolitik, vorerst allerdings unter britischer Kontrolle.

Denn eröffnet wurde diese erste Landtagssitzung nicht von Theodor Steltzer, sondern von einem britischen Offizier. Generalleutnant Sir Evelyn Barker war Commander des 8. Britischen Corps, das im Mai 1945 nach Kriegsende in Schleswig-Holstein eingerückt war. Er wies die schleswig-holsteinischen Abgeordneten sowie die anwesenden Offiziere und zivilen Mitarbeiter der britischen Militärregierung in seiner Rede auf die historische Bedeutung dieser Tagung hin.

Am Bühnenvorhang im Theatersaal hing nicht nur symbolisch der britische Union Jack über dem Landeswappen.

1460 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 22. Februar 2006

Seit September 1945 hatte die britische Besatzungsmacht deutsche Parteigründungen zugelassen. Schritt für Schritt wurden wir Deutsche wieder an der politischen Selbstverwaltung beteiligt. Doch an landesweite Wahlen war im Nachkriegschaos schon aus organisatorischen Gründen noch nicht zu denken. Diese fanden erst im April 1947 statt.

Im ersten Nachkriegsparlament Schleswig-Holsteins versammelten sich daher handverlesene Bürgerinnen und Bürger, die von den Briten zuvor auf ihre Vergangenheit hin durchleuchtet worden waren. Die derart bestimmten 61 Abgeordneten sollten die heterogene Nachkriegsgesellschaft unseres Landes widerspiegeln. Sie sollten zugleich aber auch alle relevanten Berufsgruppen, Parteien, Verbände, die Kirchen sowie die Landkreise repräsentieren. So finden wir in der Abgeordnetenliste unter anderem Arbeiter, mehrere Pastoren, Kaufleute und Landwirte, aber auch Berufsbezeichnungen wie „Tischlermeister/Flüchtling“ oder „Ehefrau“. Als Wohnorte der Parlamentarier angegeben waren Adressen unter anderem wie „das Behelfsheim 13, Karlshöhe 13 in Eckernförde“ oder „Zimmer 11, Baracke Flensburg, im Lager Karkamp bei Raisdorf“. Etliche Male stand hinter den Namen der Abgeordneten auf der Liste sehr deutlich „keine Parteizugehörigkeit“ oder „Demokrat ohne politische Partei“.

„To teach the Germans democracy“, die Deutschen die Demokratie lehren, war eines der erklärten Ziele der westlichen Siegermächte für ihre Politikgestaltung in vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland.

Es war eine große Koalition aus CDU, SPD, FDP, KPD und parteipolitisch nicht gebundenen Schleswig-Holsteinern, die unter der britischen Kontrolle im Landtag erste Schritte in parlamentarischer Demokratie und politischer Selbstverwaltung übten oder sie wieder erlernten. Alle Beschlüsse und Gesetze mussten jedoch der britischen Kontrollmacht vorgelegt und mit ihr abgestimmt werden.

Die gewählten Ausschüsse befassten sich 1946 mit heute kaum vorstellbaren Themen. Einige Beispiele: So strebten die Mitglieder des Bildungsausschusses als Fernziel an, die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Klassen von 82 auf 60 zu senken. Der Volkswohlfahrtsausschuss bedauerte, dass es noch nicht gelungen sei, die dringend benötigten 11.000 Prothesen für Kriegsversehrte bereitzustellen. Der Wirtschaftsausschuss befasste sich September 1946 mit der Sorge, dass Schleswig-Holstein mangels Produktionskapazitäten in der britischen Besatzungszone anstelle der dringend benötigten mindestens 120.000 Paar Schuhe wohl nur

40.000 Paar als Zuteilung erhalten werde. Dass es im Land an Ziegeleien, an Zement, Bauholz und Dachpappe fehlte, war in diesem Ausschuss ein ständig wiederkehrendes Thema.

Meine Damen und Herren, in unserem SchleswigHolstein herrschten damals chaotische Verhältnisse. Mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten mussten untergebracht und zusammen mit der einheimischen Bevölkerung versorgt werden. Barackenlager prägten das Land. Der öffentliche Personenverkehr existierte kaum, Kohle zum Heizen war knapp, die Lebensmittel waren rationiert und viele Menschen hungerten.

Nebenbei bemerkt: Angesichts der enormen Bürden und der Schwäche Schleswig-Holsteins, das als Armenhaus der Westzonen galt, regten die Mitglieder des Ersten Ernannten Landtages schon im August 1946 die Gründung eines Nordstaates „Niederdeutschland“ mit Hamburg und Niedersachsen an. Doch die britische Zonenmilitärregierung ging diesen Weg nicht mit. Ebenso lehnte sie interne Vorschläge ab, Hamburg um die Landkreise Pinneberg und Steinburg zu vergrößern - Metropolregion -, um dem Stadtstaat das wirtschaftliche Hinterland bis zur Elbmündung zu sichern.

Ein Jahr später griff Hermann Lüdemann, der erste gewählte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, diese Idee nochmals auf, als er die Gründung des Nordstaates „Unterelbe“ forderte. Dieser sollte aus Hamburg und Schleswig-Holstein gebildet werden. Dieser Zusammenschluss war für Hermann Lüdemann damals schon eine Option zur Bildung starker Länder in einem föderalen Deutschland.

Ich möchte an dieser Stelle gern einfügen, dass der Kollege Fischer in den nächsten Tagen eine sehr facettenreiche Biografie zu Hermann Lüdemann veröffentlichen wird. Da - so denke ich - können wir Geschichte an Personen lebhaft nachempfinden.

Meine Damen und Herren, die politischen Aufgaben 1946 waren so groß, dass sie von einer Partei allein nicht gelöst werden konnten. Da aber nur ein geringer Teil der Abgeordneten des Landtages den neuen Parteien angehörte, dauerte es einige Monate, ehe sich im Plenum Fraktionsbildungen erkennen ließen. Die Abgeordneten dieser - so möchte ich sei einmal nennen - ersten Legislaturperiode fühlten sich weniger als Parteipolitiker, sondern in erster Linie als Vertreter eines Volkes, dessen Not sie schnellstmöglich zu lindern suchten. Es war ein Bewusstsein gemeinsam zu tragender Verantwortung, das die Abgeordneten verband und prägte.

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(Präsident Martin Kayenburg)

Gelebte Demokratie, meine Damen und Herren, braucht aber notwendigerweise Transparenz. Denn die Political Reeducation - die politische Umerziehung - sollte, ja musste die gesamte Bevölkerung erreichen, wollte man den Deutschen den Wert der Demokratie nahe bringen.

So regte schon in der vierten Sitzung des Landtages im Mai 1946 der frisch gewählte Landtagspräsident Pastor Dr. Paul Husfeldt an, man solle Zuschauer zu den Parlamentssitzungen zulassen und in der Presse darauf hinweisen. Es erscheine außerordentlich wünschenswert, dass von dieser demokratischen Schulung weitgehend Gebrauch gemacht werde. Besonders fruchtbar sei ein solcher Besuch für die Jugend. Diese werde dadurch im Rahmen ihrer staatsbürgerlichen Erziehung mit den demokratischen Einrichtungen bekannt gemacht und erhalte so eine praktische gegenwartsnahe politische Erziehung. - Übrigens, im Mai 1946 gab es 200 Besucherplätze.

Dass Sie, liebe Gäste von der Volkshochschule Leck, auf der Tribüne hier und heute der Sitzung des Landtages beiwohnen können, ist auch eine Folge der damaligen Empfehlung, die Landespolitik verständlicher und offener zu gestalten, die Bürger und ihre Volksvertreter näher zueinander zu bringen.

Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren eine schwere Zeit. Es war aber auch - und daran möchte ich besonders erinnern - eine Zeit der großen Persönlichkeiten unseres Landes wie Theodor Steltzer, Andreas Gayk, Hermann Lüdemann oder Friedrich Wilhelm Lübke, die den Übergang Schleswig-Holsteins von der preußischen Provinz bis zur Gründung des Bundeslands Schleswig-Holstein und darüber hinaus geprägt haben. Sie und andere haben sich um den politischen Wiederaufbau unseres Landes verdient gemacht.

Es war ein schwieriger Aufbau, der unter anfänglich britischer Aufsicht und trotz manch späterer Krisen zu einem - wie ich finde - gut funktionierenden Landesparlament, zu einer zuverlässig arbeitenden Landesregierung und zu zuverlässig arbeitenden Vorgängerregierungen und zu einer stabilen Demokratie führte. Ich denke, daran sollten wir uns gerade in heutiger Zeit mit etwas Demut erinnern, wenn uns die heute gestellten Aufgaben manchmal so ungeheuer groß und die politisch gesteckten Ziele manchmal so fern und mühsam erreichbar erscheinen.

Theodor Steltzer schloss damals seine Antrittsrede mit dem Gedanken:

„Es sind nicht neue Formen allein, die zum Ziele führen. Formen schaffen nur Möglichkeiten. Entscheidend ist das auch ein neuer Geist die Formen belebt.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen notwendigen neuen Geist müssen wir uns ungeachtet aller parteipolitischen Unterschiede für unser demokratisches lebendiges Gemeinwesen immer erhalten.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt.

Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 2, 4, 6, 8, 12, 15, 16, 18, 20 bis 23, 25, 28, 29 sowie 31 und 33 ist eine Aussprache nicht geplant. Zur gemeinsamen Beratung sind die Tagesordnungspunkte 11 und 36 - Bericht zum Sachstand Husumer Hafen und Antrag OffshoreHafen Husum zügig ausbauen - sowie die Punkte 19 und 32 - Bericht zur Palliativmedizin und Hospizversorgung und Antrag zur Weiterentwicklung der palliativmedizinischen Versorgung, Ausbildung und Forschung - vorgesehen.

Die Landesregierung hat eine Regierungserklärung zum Thema Vogelgrippe angemeldet. Aufgrund der besonderen Aktualität dieses Themas schlage ich Ihnen vor, die heutige Sitzung mit diesem Punkt zu beginnen und im Anschluss daran die Aktuelle Stunde mit dem Thema Entscheidungen zur Föderalismusreform aufzurufen.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 10. Tagung.

Wir werden heute und morgen unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause jeweils längstens bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist ein Ende der Sitzung gegen 14 Uhr zu erwarten. Eine Mittagspause ist daher am Freitag nicht vorgesehen.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ganz herzlich möchte ich an dieser Stelle noch ganz offiziell die Besucher der Abend-Volkshochschule aus Leck begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen, meine Damen und Herren!

(Beifall)

Ich rufe auf: