Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

die ihm durch Plenarbeschluss vom 14. Dezember 2005 überwiesen worden waren, in seiner Sitzung am 19. Januar 2006 beraten.

Im Rahmen einer alternativen Abstimmung sprachen sich die Fraktionen von CDU und SPD für die Annahme der Drucksache 16/427 aus, die Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Annahme der Drucksache 16/454. Der Ausschuss empfiehlt dem Landtag daher die Ablehnung des Antrages Drucksache 16/454 und die Annahme des Antrages Drucksache 16/427.

Ich danke der Frau Berichterstatterin. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch Heiner Garg rückt immer näher an dieses Thema heran, denn er ist vor wenigen Tagen 40 geworden. Jeder von uns hat ganz unterschiedliche Ansichten vom Leben und vom Wohnen. Ein ganz besonderes Augenmerk wollen wir auf das Wohnen im Alter richten. Auch in dieser Frage haben wir deutliche Veränderungen der Familiensituation zur Kenntnis zu nehmen. Sie ergeben sich zum einen aus dem demographischen Wandel und zum anderen aus erheblich veränderten Familienstrukturen.

Heutzutage leben sehr oft vier Generationen, manchmal sogar fünf Generationen einer Familie zur selben Zeit, wenn auch nicht am selben Ort oder im selben Haushalt. Wir haben eine Entwicklung von der Großfamilie hin zur Kernfamilie beziehungsweise vom Drei-Generationen-Haushalt zum Zwei- und Ein-Generationen-Haushalt. EinGenerationen-Haushalte haben in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen und belaufen sich derzeit auf knapp 35 % aller Haushalte überhaupt.

In der Gruppe der über 75-Jährigen leben in Deutschland 68 % aller Frauen und 28 % aller Männer in Ein-Personen-Haushalten. Diesen Trend darf man aber nicht automatisch mit einer zunehmenden Einsamkeit oder Isolation der älteren Bevölkerung gleichsetzen.

CDU und SPD im Schleswig-Holsteinischen Landtag wollen die Diskussion über das Thema Wohnen im Alter getrennt von der Pflegeproblematik diskutieren. Das war während der Ausschusssitzung vor ein paar Wochen ein Streit. Ältere Menschen empö

(Präsident Martin Kayenburg)

ren sich, wenn man das Alter in einem Atemzug mit der Pflegebedürftigkeit diskutiert. Aus diesem Grund haben die regierungstragenden Fraktionen einen weiteren Antrag zum Thema ambulante Betreuung und ambulante Pflege gestellt. In diesem Zusammenhang werden wir nicht nur die Versorgung pflegebedürftiger älterer Menschen, sondern auch die Versorgung pflegebedürftiger junger Menschen behandeln. Ich glaube, damit behandeln wir das Thema insgesamt sehr umfangreich.

Ältere Menschen wollen möglichst lange unabhängig und selbstständig ohne jede fremde Hilfe leben. Das durchschnittliche Aufnahmealter von Seniorinnen und Senioren in Pflegeeinrichtungen liegt bei deutlich über 80 Jahren. Das war auch unser großes sozialpolitisches Ziel. Wir wollten es der älteren Generation ermöglichen, möglichst lange in der eigenen häuslichen Umgebung leben zu können. Das Schlagwort heißt immer noch „ambulant vor stationär“. Machen wir uns aber nichts vor: Je älter die Gesellschaft wird, desto mehr werden uns auch im ambulanten Bereich die Kosten explodieren, denn das Verlangen nach zusätzlicher persönlicher Assistenz wird im ambulanten Bereich deutlich steigen.

CDU und SPD fordern mit ihrem Antrag von der Landesregierung einen Bericht, um zu erfahren, welche Wohnraumangebote es für Seniorinnen und Senioren in Schleswig-Holstein gibt, wo eine Nachfrage besteht und wo das Angebot unzureichend ist. Unser Ziel ist es, gerade wegen der demographischen Entwicklung altengerechte Wohnangebote zur Miete und im Eigentum zu entwickeln oder zu halten. Wir wollen in Schleswig-Holstein neue alternative Wohnformen unterstützen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Nachfrage nach generationsübergreifenden Wohnformen wächst. Wohnanlagen, in denen man sich ein individuelles Serviceangebot einkaufen kann, werden verstärkt nachgefragt.

Es ist für manchen ein Horror, für viele ältere Menschen aber mittlerweile eine wünschenswerte Variante, im Alter in so genannten Wohngemeinschaften für Seniorinnen und Senioren zu leben. Auch dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Die Zeiten sind vorbei, in denen Bauunternehmen und Träger von Wohnheimen der Auffassung waren, die ältere Generation sei am besten irgendwo am Stadtrand und ruhig im Grünen aufgehoben. Das Gegenteil ist mittlerweile der Fall. Der Trend geht in eine ganz andere Richtung. Die ältere Generation verlangt Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie wünscht sich vermehrt ihre altengerechte Wohnung, ihre Wohngemeinschaft oder ihr Haus mit Serviceangeboten mitten im Zentrum. Damit

drängt die ältere Generation zurück ins Stadtbild. Ich halte diese Entwicklung für eine sehr gute Entwicklung. Sie ist auch eine Chance für unsere Innenstädte.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Diese Entwicklung verlangt der Politik und den Stadtplanern Weiteres ab. So wird die ältere Generation dort natürlich nicht nur wohnen wollen, sondern sie braucht dort eigene und zusätzliche Versorgungsstrukturen sowie spezielle Kultur- und Bildungsangebote, die wir in den Ballungsräumen haben müssen, weil sie eingefordert werden. Die Senioren brauchen verstärkt gezielte Beratung über die Wohnraumanpassung im Alter.

Ihnen müssen folgende Fragen beantwortet werden: Wie ist die Barrierefreiheit in der häuslichen Umgebung herzustellen? Wie muss beispielsweise die Küche umgerüstet werden, damit der ältere Mensch in der Lage ist, sich selbst zu versorgen? Das ist eine Grundvoraussetzung, um möglichst eigenständig und möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben zu können. Wie werden Bäder altengerecht? Wir müssen klären, ob die Pflegeberatungsstellen, die ich für unverzichtbar halte, diese Aufgaben wahrnehmen können, oder ob wir dort zusätzliche Anforderungen formulieren müssen.

Ein weiteres großes Thema ist das betreute Wohnen. Hier wünschen sich ältere Menschen eine persönliche Betreuung und Beratung durch einen Ansprechpartner, einen haustechnischen Service sowie das Angebot eines Notrufanschlusses. Die Menschen möchten möglichst flexibel und nach Tagesbefinden folgende Leistungen in Anspruch nehmen können, die sie allerdings auch nur nach Inanspruchnahme in Rechnung gestellt bekommen wollen. Diese Diskussion erlebe ich zumindest in meinem Wahlkreis. Sie brauchen eine Essensversorgung, hauswirtschaftliche Dienste, pflegerische Hilfen, Krankenpflege, Wäschedienste sowie einen Fahr- und Begleitdienst. Diese Angebote brauchen sie aber nicht täglich und in vollem Umfang, sondern nach Bedarf.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen von der Landesregierung wissen, wie es in diesem Punkt mit Angebot und Nachfrage aussieht und welche Entwicklungen erwartet werden.

Für die CDU-Landtagsfraktion haben aber auch die Mehrgenerationenhäuser eine große Bedeutung, die ich in diesem Zusammenhang nennen will. Die neue Bundesregierung plant die Einrichtung solcher

(Torsten Geerdts)

Begegnungszentren. Wir brauchen eine stärkere Begegnung und Kommunikation der Generationen untereinander. Mehrgenerationenhäuser sollen offene Treffpunkte für Jung und Alt werden, in denen vielfältige Aktivitäten und Serviceangebote möglich sind. Ich bin fest davon überzeugt: Gerade unsere Innenstädte brauchen diese Mehrgenerationenhäuser, damit viele ältere Menschen auch direkt in den Städten und in den Zentren am Leben teilnehmen können.

(Beifall bei der CDU)

Mehrgenerationenhäuser sollen von freiwilligem Engagement und Hilfe zur Selbsthilfe geprägt werden. Daneben sollen sie ein Netzwerk an Informationen - auch in professioneller Form - bieten. Bereits vorhandene Angebote für Jung und Alt sollen bedarfsgerecht miteinander verbunden und ergänzt werden.

Im Namen der CDU-Fraktion bitte ich die Landesregierung, dass der von uns angeforderte Bericht sowohl vom Sozial- als auch vom Innenministerium erstellt wird, weil beide Bereiche gefragt sind. Heute freue ich mich ganz besonders darauf, dass die erste Rede zum Thema „Wohnen im Alter“ Innenminister Ralf Stegner hält.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wohnen im Alter“ ist ein echtes Zukunftsthema. Wenn ich mich hier so umblicke, sehe ich hier die eine oder den anderen, die oder der sich in nicht allzu ferner Zeit aus persönlicher Betroffenheit intensiv mit dem Thema befassen wird.

(Zuruf von der SPD: Oder sollte! - Heiterkeit und Beifall)

Denn die Gruppe der über 60-Jährigen wird bis zum Jahr 2050 bundesweit von derzeit einem Viertel der Gesamtbevölkerung auf mehr als 30 % anwachsen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der von der Landesregierung und der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände im November des letzten Jahres herausgegebene Diskussionsbeitrag:

„Bereits zwischen 1992 und 2002 ist der Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner, die 60 Jahre und älter sind, an der Gesamtbevölkerung von 21 % auf 25 % angestiegen. Bis 2020 wird dieser Anteil weiter auf 30 % anwachsen. Dann werden in Schleswig-Holstein rund 853.000 Menschen leben, die 60 Jahre und älter sind - über 131.000 mehr als 2003. Ab dem Jahr 2030, wenn die Generation der Baby-Boomer (Geburtsjahrgänge 1963 bis 1968)“

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir!)

„über 60 Jahre alt sein wird, wird der Anteil der 60-Jährigen und Älteren sogar bei etwa 36 % liegen.“

Schon diese demographischen Rahmendaten machen deutlich, wie notwendig es ist, jeweils zum rechten Zeitpunkt zukunftsträchtige und vor allem bedarfsgerechte Wohnungen anzubieten.

Leider wird die dringend erforderliche Diskussion über „Wohnen im Alter“ oft verkürzt geführt. Das zeigt auch der uns vorliegende Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abgeordneten des SSW, dessen Überschrift bezeichnenderweise lautet „Wohnen im Alter und bei Pflegebedürftigkeit“.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Und?)

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die SPD hat sich in den vergangenen Jahren wie die übrigen Fraktionen und die jeweiligen Landesregierungen intensiv mit der Verbesserung der Pflegesituation im Land sowie der Anerkennung der Leistungen des Pflegepersonals beschäftigt und wird dies auch in Zukunft tun.

(Beifall bei SPD und CDU)

Aber: Wenn über „Wohnen im Alter“ gesprochen wird, darf nicht „alt“ mit „hilfsbedürftig“ gedanklich gleichgesetzt werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das macht doch niemand außer Ihnen!)

Das ist eine unzulässige Verkürzung, die den Blick auf die Größenverhältnisse und Potenziale des Wohnens im Alter verstellt.

(Lothar Hay [SPD]: Manche Junge sind früh alt, Herr Garg!)

So ist beispielsweise dem zweiten Altenbericht der Bundesregierung zu entnehmen, dass gut 93 % der über 65-Jährigen in einer normalen Wohnung leben. Selbst bei den über 80-Jährigen leben nur 20 % in speziellen Altenwohnformen wie Alten

(Torsten Geerdts)

wohnungen, Heimen oder Angeboten des betreuten Wohnens. Gerade einmal ein Viertel der über 85Jährigen ist im Sinne der Pflegeversicherung pflegebedürftig, ein weiteres Viertel auf Unterstützungsleistungen von unterschiedlichem Ausmaß angewiesen.

Wohnen im Alter heißt für die Mehrzahl der älteren Menschen also, dass sie angemessene Angebote des Wohnens und auch des Wohnumfelds brauchen, die ihnen trotz gewisser körperlicher Einschränkungen ein Leben in weitestgehender Selbstbestimmung ermöglichen.

Auch wenn die Wohnraumversorgung in Schleswig-Holstein allgemein als gut bezeichnet werden kann, so jedenfalls die Kernaussage des oben schon zitierten Berichts zum demographischen Wandel in Schleswig-Holstein, wirft die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung Fragen auf und fordert aufeinander abgestimmtes Handeln verschiedener Akteure.

Eine der zentralen Herausforderungen des wachsenden Anteils älterer Menschen ist die Notwendigkeit von Barrierefreiheit oder zumindest Barrierearmut der Wohnungen und ihres Zugangs. Auch gewinnen Maßnahmen zur Verbesserung und Aufwertung des Wohnumfeldes an Bedeutung. Dazu gehören bedarfsgerechte Betreuungsangebote und eine ausreichende Nahversorgung. Für die Kommunen wird die systematische Aufwertung von Wohngebieten im Rahmen eines Quartiersmanagements zunehmend an Bedeutung gewinnen, um die Abwanderung der Bewohnerinnen und Bewohner zu verhindern.

Insgesamt wird sich in der Wohnungswirtschaft ein Trend verstärken, der sich von der Neubautätigkeit weg und zur Bestandsentwicklung hin bewegen wird. Zu konstatieren ist ein hoher Modernisierungsbedarf bei der Wohnungsausstattung, bei barrierefreier oder zumindest barrierearmer Gestaltung innerhalb der Wohnungen und der Zuwegungen, aber auch bei den Heizungsanlagen. Dieser Modernisierungsbedarf betrifft sowohl Mietwohnungen in Geschossbauten als auch Ein- und Mehrfamilienhäuser. Die geschilderten Tatbestände sind durch zahlreiche Untersuchungen belegt.

Entsprechen die bisherigen Wohnungsangebote für Ältere auch dem Bedarf, den Wünschen? Und sind sie überall in unserem Land vorhanden? „Wohnen im Heim“ ist eine Wohnform, die die meisten älteren Menschen für sich nicht wünschen. Wunsch vieler Menschen ist dagegen „Wohnen wie bisher“, vielleicht mit zusätzlicher Betreuung.