Protokoll der Sitzung vom 24.02.2006

Haben Sie - und das wendet sich jetzt insbesondere an die Christdemokraten hier im Haus - schon etwas von „Modus 21“ gehört? „Modus 21 - Schule in Verantwortung“ ist ein bayerischer Schulversuch mit Unterstützung der Stiftung „Bildungspakt Bayern“. An dem Versuch nehmen 44 Pilotschulen teil, er wurde im Jahr 2002/2003 gestartet.

Bei diesem Schulversuch geht es darum, dass Schulen selbstständiger werden, unternehmerisches Denken entwickeln und mehr Verantwortung übernehmen. Es geht um mehr Freiheit bei der Gestaltung von Unterricht, beim Personalmanagement und der Personalführung, um mehr Eigenverantwortung bei den Finanzen und um eigenständige Kooperationen nach außen.

Dazu sagte der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider:

„Eine größere Selbstständigkeit der Schulen ist eine unerlässliche Grundlage für eine weitere Qualitätssteigerung.“

Nun komme ich zu meinen roten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zum Schulversuch „selbstständige Schule“ in Nordrhein Westfalen, der von einer SPD-Kultusministerin unter rot-grüner Beteiligung gestartet worden ist. An diesem Schulversuch, der von der Bertelsmann Stiftung unterstützt wird, nehmen 278 Schulen teil. Dabei geht es um mehr Autonomie in der Personalverwaltung, die Gestaltung des Unterrichts, Mitbestimmung und die Übertragung der Dienstaufsicht auf die Schulleitung.

Nun vielleicht auch noch etwas in Richtung FDP: Da gibt es den rot-gelben Schulversuch in Rheinland-Pfalz mit dem Namen „Schulversuch Selbstständige Schule“, der für uns mit Blick auf Pinneberg sehr interessant ist. Dieser Schulversuch wendet sich überwiegend an Grundschulen und im Mittelpunkt dieses Schulversuches stehen nicht nur die Finanz- und Personalhoheit, sondern die freie Entscheidung über die Gestaltung des Unterrichts an den Schulen.

Die Schulen können selbst entscheiden über Unterrichtsinhalte und neue Fächer, Unterrichtsrhythmus, Länge der Lerneinheiten, Klassen- und Gruppenbildung, Prüfungen und Versetzungen. Das Einzige, was ihnen verboten worden ist - hier hat die CDU interveniert -, war, die Zeugnisse abzuschaffen. Obwohl das ursprünglich vorgesehen war, ist das später wieder gekippt worden.

Dieser Schulversuch in Rheinland-Pfalz wird auch von einer ganzen Reihe von Grundschulen durchgeführt. Mit der Einführung würde sich zum Beispiel das Problem mit der Schule in Pinneberg sofort erledigen, weil sie sich in diesem Sinne einfach zu einem Schulversuch erklären kann. Das kann dort auf Beschluss der Schulkonferenz geschehen.

Diese Schulversuche sind kein Zufall. Immerhin ist dem deutschen Schulsystem in allen internationalen Studien bescheinigt worden, es sei überreguliert. Seitdem ist die Schulautonomie in aller Munde. Schulen müssen lernende Einheiten werden. Dazu brauchen sie mehr Selbstständigkeit. Selbstständigkeit heißt aber nicht Verantwortungslosigkeit, im Gegenteil. Mehr Freiheit führt - das zeigen alle internationalen Versuche - immer dann zum Erfolg, wenn es auch mit einer gründlichen Evaluation verbunden ist. Das heißt, die Schulen bekommen alle Freiheiten, aber durch regelmäßige Vergleichsarbeiten werden die Ergebnisse überprüft. Man kann es auch so ausdrücken: In der Zukunft bekommen

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

nicht die Kinder die Zeugnisse, sondern die Schulen.

Meine Damen und Herren, auch in Schleswig-Holstein wurden in den letzten Jahren unter Rot-Grün bereits eine ganze Reihe Initiativen in diese Richtung gestartet. Das wichtigste Projekt dazu ist das Projekt „Regionale Berufsbildungszentren“. Das Projekt läuft seit 2002. An ihm nehmen mittlerweile 14 von 39 Berufsschulen in Schleswig-Holstein teil - also über ein Drittel.

Dieses Projekt ermöglicht die Erprobung neuer Organisationsformen, die Entscheidung über Bildungsgänge, die eigenständige Personalführung, die Finanzbudgetierung und so weiter und so fort. Dieses Projekt war so erfolgreich, dass nun geplant ist, alle Berufsschulen in selbstständige Einrichtungen mit eigener Personalführung, Budget, Vertragsrecht und Gestaltung der Inhalte zu überführen. Diese Einrichtungen sollen dann wie die Hochschulen vom Land über Zielvereinbarungen gesteuert werden.

Es gab in Schleswig-Holstein noch weitere Projekte, um mehr Autonomie herzustellen. Dazu gehört das Projekt „Geld statt Stellen“, wonach Schulen selber über einen Teil ihres Personalbudgets verfügen können sollen. Dazu gehört aber auch die Möglichkeit für Gymnasien und Schulräte, selbst vor Ort die Auswahl der Lehrer und Lehrerinnen vorzunehmen; dies wird mittlerweile von einer Reihe von Schulen genutzt. Dies geschah jedoch nicht im Rahmen von Schulversuchen und war nicht mit weitergehenden Freiheiten verbunden; außerdem gab es keine wissenschaftliche Begleitung.

Es gibt allerdings auch eine ganze Reihe von Initiativen von Schulen und Schulträgern, die von sich aus gern neue Wege gehen wollen, die kreativ sind und Neues anpacken wollen. Dazu gehört nicht nur das Projekt für bilingualen Unterricht an der CarlEitz-Schule in Pinneberg. Dazu gehören vielmehr auch das Projekt „Ostseeschule Flensburg“ oder das Thema Gemeinschaftsschule in Burg auf Fehmarn und in Kellinghusen. Dazu gehört ferner die Initiative für eine Club-of-Rome-Schule in Kiel, die eine Schule nach finnischem Modell einrichten wollen.

Diese Initiativen sind in den angestrebten Zielen und Formen sehr unterschiedlich, aber sie haben etwas Gemeinsames: Bei diesen Initiativen wollen engagierte Lehrerinnen und Eltern zusammen etwas Neues schaffen. Sie haben Ideen und wollen neue Wege gehen, werden aber angesichts unseres Systems daran gehindert.

In all diesen Fällen wird dies vom Ministerium mit dem Argument blockiert, das sei im Rahmen des

öffentlichen Schulwesens nicht möglich. Jeder könne es machen. Es entstünden Ansprüche und man wisse nicht, was sich daraus ergebe und so weiter und so fort.

All die bekannten Modellschulen in Deutschland, die in den letzten Jahren so intensiv diskutiert wurden - von Schulen in München über die HeleneLange-Schule in Wiesbaden, von der Laborschule in Bielefeld bis zur Max-Brauer-Schule in Hamburg - und die teilweise so hervorragende Noten erhalten haben, wären in Schleswig-Holstein nicht möglich gewesen, weil das Ministerium solche Initiativen ablehnt. Das finde ich falsch.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Ihr hättet in den letzten fünf Jahren Anträge dazu stellen kön- nen!)

Sie passen nicht ins Schema.

Meine Damen und Herren, dabei ist das keineswegs der Wille des Gesetzgebers. Denn wir haben in Schleswig-Holstein ja schon heute eine Experimentierklausel im Schulgesetz. Und sollte diese Experimentierklausel nicht ausreichen, dann kann uns die Landesregierung - davon bin ich überzeugt - jederzeit eine geeignete Erweiterungsklausel für das Gesetz vorlegen. Ich bin bereit, hier im Landtag eine weitergehende Klausel zu verabschieden. Es ist keine rechtliche Frage. Es ist die Frage, ob man den Schulen mehr Freiheiten als bisher einräumen will und ob man weitere Schritte über die, die wir bereits gegangen sind, hinaus gehen will.

Aufgrund der leidvollen Erfahrung, dass kreative Initiativen von Eltern und Lehrerinnen ausgebremst wurden, schlagen wir dem Landtag vor, den vorgelegten Antrag zu verabschieden. Auch die Debatte um die Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein droht wieder die klassische Form des Glaubenskrieges anzunehmen.

Professor Karlheinz Burk von der Goethe-Universität in Frankfurt hat kürzlich darauf hingewiesen, dass Reformen von oben ein grundsätzliches Problem haben. Wenn man Reformen von oben macht, passiert Folgendes: Wenn die Reform gut ist, schafft man es, ein Drittel der Leute dafür zu gewinnen. In der Regel ist ein Drittel der Leute dagegen, weil es ihnen explizit nicht passt, und es gibt ein weiteres Drittel, das eher passiv ist und möglichst nichts ändern möchte. Das heißt, wenn etwas von oben verordnet wird, stehen Veränderungen beziehungsweise Neuem immer Probleme entgegen.

Dagegen folgen Schulversuche einer anderen Logik. Denn sie starten da, wo sich bereits eine kritische Masse gebildet hat, um etwas Neues auszupro

(Karl-Martin Hentschel)

bieren, und wo Leute sind, die Lust haben, etwas Neues zu wagen. Und wenn die Initiative vor Ort erfolgt, kann sich auch niemand darüber beschweren, dass ihm von oben etwas Neues aufgedrückt wird.

Bevor sich die Ministerin ein neues Modell für die Gemeinschaftsschule ausdenkt, das dann die schwarzen Mehrheiten in den Kommunen genauso wie die Gesamtschule in Ostholstein auszubremsen versuchen, scheint es mir viel sinnvoller, den Initiativen vor Ort freie Bahn zu geben. Klar ist allerdings, dass wir dann eine landesweit einheitliche Evaluation brauchen, in der der Status von Schulen regelmäßig überprüft wird. Dazu brauchen wir dann auch kein Zentralabitur - das trägt dazu nämlich nichts bei -, sondern wir brauchen Vergleichsarbeiten, die geeignet sind, die Qualität von Schulen anhand ihrer Ergebnisse regelmäßig zu bewerten.

Meine Damen und Herren, wie in der letzten Landtagssitzung auch fordere ich Sie frei nach Schiller erneut dazu auf: Geben Sie Gedankenfreiheit! Bauen Sie keine Tabus auf, sondern schaffen Sie Raum für Initiativen. - Was in Bayern, Nordrhein-Westfalen und sogar in Rheinland-Pfalz möglich ist, sollte auch in Schleswig-Holstein möglich sein - und vielleicht sogar noch mehr!

(Beifall bei von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel. - Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte zehn Minuten, alle anderen Fraktionen hatten fünf Minuten zu diesem Tagesordnungspunkt angemeldet.

Für die CDU-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Sylvia Eisenberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! The same procedure as last time. - In etwas abgewandelter Form kommt mir dieser Gedanke wieder. Ich war zwar nicht auf einer bilingualen Schule, aber Englisch habe ich auch irgendwann einmal gehabt. Ich hatte es zwar nicht mit riesigem Erfolg, wie man meiner Aussprache vielleicht anmerken konnte,

(Holger Astrup [SPD]: Besser als der Kolle- ge Hentschel! - Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von dir ganz zu schweigen!)

aber immerhin bis zum Abitur.

Meine Damen und Herren, uns liegt heute erneut ein Antrag der Grünen vor, der sich mit dem Bereich Schule befasst. Diesmal geht es um Schulversuche und nach wie vor beschleicht mich das Gefühl, dass auch dieser Antrag wieder der Novellierung des Schulgesetzes vorgreifen will.

Wir haben es hier mit Schulversuchen zu tun - dies wurde noch einmal von den Grünen beantragt -, die in anderen Bundesländern bereits laufen oder gelaufen sind; dies haben Sie, Herr Hentschel, auch in Ihrer Begründung dargelegt.

Meine Damen und Herren, nicht jedes Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland muss Modellversuche zur gleichen Thematik durchführen. Nicht jedes Land muss das Rad neu erfinden.

Schleswig-Holstein wird aus den zum Teil erfolgreichen Versuchen das Praktikable übernehmen. Und das Praktikable ist das, was Sie im Koalitionsvertrag auf Seite 29 unter dem Kapitel „Eigenverantwortung der Schule stärken“ finden, so zum Beispiel die Forderung, dass den Schulen zusätzliche Spielräume zur Gestaltung des Schulalltages, des Unterrichts und der pädagogischen Arbeit eröffnet werden; das deckt sich mit den Punkten 1 und 2 des Antrags der Grünen.

Weiterhin finden Sie im Koalitionsvertrag die Forderung, dass die Schulen neu einzustellende Lehrkräfte selbst auswählen können. Auch das deckt sich mit Ihrem Antrag. Ich freue mich, Herr Hentschel, dass Sie unsere Koalitionsvereinbarung offensichtlich so gründlich gelesen haben.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist auch in meiner Mutter- sprache geschrieben!)

Und es gibt die Forderung, dass alle Erlasse und Verordnungen auf den Prüfstand gestellt werden. Auch das deckt sich weitestgehend mit Ihrem Antrag.

Ich stelle also fest, meine Damen und Herren: Es bedarf keines Schulversuchs. Die Koalitionsfraktionen werden die erhöhte Eigenverantwortung der Schulen im Schulgesetz verankern.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf Sie allerdings auch daran erinnern, dass in Artikel 7 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankert ist, dass das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht. Das heißt auch, dass der Staat für ein Mindestmaß an gleichwertiger Schulausbildung zu sorgen hat, und zwar

(Beifall bei der Abgeordneten Frauke Teng- ler [CDU])

(Karl-Martin Hentschel)

im Bereich der Unterrichtsversorgung, im Bereich der Curricula, der jetzt einzuführenden Bildungsstandards und im Bereich der Qualität des Unterrichts. Insofern sind der Eigenverantwortung der Schulen Grenzen gesetzt, vor allem auch deshalb, um die Mobilität der Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein und auch im Bundesgebiet zu erhalten. Das sollten wir hier laut sagen, um keine Hoffnungen zu wecken. Eine Atomisierung des Schulwesens, die Sie, Herr Hentschel und die Grünen, wollen und immer wieder gefordert haben, widerspricht diesem Grundsatz.

Sehr verehrte Vertreter von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ob Sie nun Anträge vorlegen oder nicht, der Zeitplan für die Novellierung des Schulgesetzes steht. Ich unterstelle einmal, dass keine der in diesem hohen Haus vertretenen Parteien ein Interesse daran hat oder haben kann, eine solch komplexe und vielfältig verflochtene Materie wie das Schleswig-Holsteinische Schulgesetz innerhalb von einer Woche oder einem Monat in einem Schnellschuss zu novellieren. Mit Erstaunen und Freude habe ich allerdings ihrem Antrag entnommen, dass Sie neuerdings an einer verbindlichen Output-Orientierung interessiert sind. Das bedeutet allerdings für die CDU-Fraktion nichts anderes als landesweit einheitliche Aufgabenstellungen und zentrale Abschlussprüfungen für alle Schularten.

(Beifall bei der CDU)

Herr Hentschel, ich kann mich sehr gut an Besuche von Schülergruppen hier im Parlament und an Ihre Rede vor den demonstrierenden Schülerinnen und Schülern am Mittwoch erinnern, anlässlich derer Sie vehement und aus populistischen Gründen gegen eine landesweit einheitliche Aufgabenstellung in Abitur- und Abschlussprüfungen argumentiert und polemisiert haben. Sollte jetzt ein Sinneswandel bei Ihnen eingetreten sein, so kann ich wiederum nur sagen: Willkommen bei uns im Boot.