Protokoll der Sitzung vom 24.02.2006

Wer oder wie soll der Energiemix bestimmt werden, auf den wir uns alle verlassen wollen? Antwort auf diese Frage - Fehlanzeige!

Die Landesregierung will zum Beispiel auch die Windenergie mit „Augenmaß“ unterstützen. Was heißt das konkret, Herr Minister? Wie will sie die Produzenten von Strom aus Windkraft konkret unterstützen? Wie steht die Landesregierung auf mitt

(Konrad Nabel)

lere und lange Sicht zu Subventionen für Windstrom? - Fehlanzeige auch hier! Und wo sollen - außer in Brunsbüttel - neue Kohle- und Gaskraftwerke entstehen?

Der Bericht ist kein Bericht über zukunftsfähige Energiepolitik des Landes, er lässt schon konkrete Aussagen über die zukünftige Politik vermissen. Anhand von Allgemeinplätzen kann man die Zukunftsfähigkeit nicht bewerten. Erst wenn sich die Landesregierung traut, konkret zu sagen, worin ihre zukünftige Energiepolitik überhaupt bestehen soll, können wir auch darüber debattieren, ob wir diese Vorschläge für zukunftsfähig halten.

Auch aus der guten Aufbereitung der statistischen Vergangenheit entstehen einige inhaltliche energiepolitische Fragen. Zum Beispiel sehen wir alle hier derzeit überhaupt keinen Anlass, den Atomausstieg hinauszuschieben oder gar zu kündigen. Die Koalitionsfraktionen haben sich das gegenseitig in ihrem Koalitionsvertrag zugesichert; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SSW und die FDP haben das im November vergangenen Jahres noch einmal bestätigt. Daraus erwächst eine Herausforderung für die zukunftsfähige Energiepolitik der Landesregierung.

Die Daten weisen für 2002 Folgendes aus: Der Primärenergieverbrauch in Schleswig-Holstein wurde zu 43,2 % durch Kernenergie gedeckt und zu 2,6 % durch Windenergie, Wasserkraft und sonstige erneuerbare Energieträger. Der Beitrag der Atomenergie war also siebzehnmal größer als der Beitrag der erneuerbaren Energien.

Unterstellen wir mangels genauerer Angaben bei allen Energieträgern die gleichen relativen Energieverluste bei der Umwandlung von Primär- in Sekundärenergie und ebenfalls die gleichen relativen Verluste beim Transport der Sekundärenergie zu den Endverbrauchern, bei denen die Reste als Endenergie ankommen, müsste langfristig der Wegfall des 17-fachen des derzeitigen Beitrages der erneuerbaren Energien zum Primärenergieverbrauch in Schleswig-Holstein ersetzt werden, um einen Primärenergieverbrauch in Höhe des Jahres 2002 decken zu können.

Ob das überhaupt geschehen muss, und wenn ja, wie das geschehen soll, diese beiden Fragen erscheinen mir als zwei der wichtigsten Fragen für eine zukunftsfähige Energiepolitik. Was meint die Landesregierung in ihrem Bericht dazu? - Gar nichts!

Auf welche Schätzungen des zukünftigen Energieverbrauchs stützt die Landesregierung ihre konkrete Energiepolitik? Wie wird die Bevölkerungsentwicklung, grob geschätzt, wie wird sie den Energie

verbrauch beeinflussen? Wie werden die Alternativen der Landesregierung den CO2-Ausstoß verändern? Wie werden sich ihre Alternativen auf andere energiepolitische Ziele auswirken, denen sie sich verpflichtet fühlt? Stichwort zuverlässige und sichere Energieversorgung zu günstigen Preisen.

Die Antworten auf diese Fragen würden Auskunft über die Energiepolitik geben, die die Landesregierung für zukunftsfähig hält. Schade, Herr Minister Austermann, dass Sie genau diese Fragen nicht beantwortet haben. Wenn ich Koalitionsfraktion wäre, würde ich diese Fragen übrigens noch einmal offensiv stellen. Sie haben doch mit dem Bericht Auskunft über diese Fragen gefordert. Antworten bleibt ihnen der Minister aber bis jetzt schuldig. Vielleicht sagt er noch etwas dazu. Ich könnte Ihnen meine restlichen drei Minuten und 48 Sekunden für die Beantwortung dieser Fragen schenken.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus Müller das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Zukunftsfähige Energiepolitik - ich glaube, es könnte momentan kaum ein spannenderes Thema für unser Land geben. Leider leistet der Bericht dazu keinen Beitrag. Dass mit klugen ökologischen grünen Konzepten schwarze Zahlen geschrieben werden können, hat sich inzwischen weit herumgesprochen, sowohl hier im Lande als auch in Berlin. Insofern freue ich mich, dass wesentliche Teile der rot-grünen Energiepolitik sowohl in der großen Koalition in Berlin als auch in Schleswig-Holstein fortgeführt werden, mit Ausnahme der Steuerbefreiung bei biogenen Kraftstoffen. Wir haben gestern schon einmal darüber gesprochen.

Bei alternativen Kraftstoffen hat Schleswig-Holstein die Nase vorn. Es wäre gut, wenn die Landesregierung über den Nebensatz im Bericht hinaus und über die leise Aussage von Herrn Austermann soeben noch einmal deutlich macht, wie wichtig die Biokraftstoffe sind. Ich wünsche mir den gleichen Elan und das gleiche Engagement, die wir bei anderen Projekten manchmal an der falschen Stelle bei Herrn Austermann erleben, genau bei diesem Thema. Als ehemaliger haushaltspolitischer Sprecher müsste sein Gewicht in Berlin ja groß und seine Stimme vernehmbar sein.

(Dr. Heiner Garg)

Sehr geehrte Damen und Herren, die ErneuerbareEnergien-Branche entwickelt sich zu einem Schwergewicht der deutschen und schleswig-holsteinischen Wirtschaft. Mit einem Umsatzwachstum von 30 % auf 16 Milliarden € innerhalb eines Jahres hat die Branche im Jahre 2005 erneut alle Erwartungen übertroffen. Mittlerweile wurden 160.000 Arbeitsplätze in dem Bereich geschaffen. Die Zahlen sind am 16. Februar 2006 im Rahmen der Jahreskonferenz „Erneuerbare Energien“ in Berlin gemeinsam vom Bundesumweltministerium und der Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare-Energien-Statistik vorgestellt worden.

Schon heute sind die erneuerbaren Energien unverzichtbar für die deutsche Energieversorgung. Ein nationales Energiekonzept muss bei erneuerbaren Energien als Basis für eine dauerhaft sichere und kostengünstige Energieversorgung ansetzen.

Vor allem im Bioenergiebereich war 2005 das Jahr der bisher stärksten Entwicklung. Die Produktion von Biogasstrom und Biokraftstoffen wurde verdoppelt. Welch andere Branche kann das vorweisen? Auch der Absatz von Holzpellets für Gebäudeheizungen wurde um 100 % gesteigert. Das ist eine richtige und kluge Antwort der Menschen auf die hohen Ölpreise.

Insgesamt machen erneuerbare Energien laut Statistik beim Stromverbrauch über 10 %, bei der Wärmenutzung 5,4 % und bei Kraftstoffen 3,4 % aus. Nach internen Branchenschätzungen des BEE liegen die Werte sogar noch höher.

Um den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien abzusichern und zu beschleunigen, ist das angekündigte Gesetz zur Förderung von Wärme aus erneuerbaren Energien das dringendste und wichtigste Instrument, das auf den Weg gebracht werden muss.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Die immer neuen Ölpreisrekorde in den Jahren 2000 bis 2004 haben die Volkswirtschaften der Europäischen Union sage und schreibe 400 Milliarden $ gekostet. Das rechnete der Wirtschaftswissenschaftler Shimon Awerbuch von der britischen University of Sussex den Teilnehmern der Jahreskonferenz „Erneuerbare Energien“ in Berlin vor. Dieser Betrag sei höher als die Ausgaben, um das EU-Ziel für erneuerbare Energien für das Jahr 2020 zu erreichen. Dieses sieht vor, den Anteil von Wind-, Wasserkraft, Bio- und Solarenergie sowie Geothermie am EU-Energiemix auf 20 % zu erhöhen.

Bei der dauerhaften Verdopplung des Ölpreises rechnet der Wirtschaftswissenschaftler aus Großbritannien zudem mit ernsthaften Schäden für die Volkswirtschaften der Industrieländer. Allein in Deutschland würde das Volkseinkommen bei einem Ölpreis jenseits von 100 $ je Barrel um mehr als 8 % sinken - das entspricht einem Betrag von jährlich etwa 200 Milliarden €. Um derartige Risiken und deren Kosten zu reduzieren, müssen die Industrieländer ihren Energiemix auf einen möglichst hohen Anteil erneuerbarer Energien umstellen. Das gelingt nur dann, wenn auch Schwung und Engagement dahinter stehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Auf nationaler Ebene reduziert diese Umstellung die Importabhängigkeit von Öl und deren Konsequenzen. International trägt sie dazu bei, dass Konflikte um fossile Energierohstoffe verringert werden.

Bei der gegenwärtigen Entwicklung wird sich die Importquote von Öl in der EU von derzeit 76 % auf 92 % im Jahr 2015 erhöhen. Das bedeutet neue Abhängigkeiten, entweder von Russland oder vom Nahen Osten, auf jeden Fall Mehrkosten an der falschen Stelle für die Menschen in unserem Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da das Erdöl zu 60 % benötigt wird, um Benzin und Diesel für Autos herzustellen, ist die Frage der Entwicklung neuer Antriebskonzepte ein entscheidender Schlüssel. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen: Selbst George Bush in den USA hat das erkannt. Schweden hat für sich das sehr ehrgeizige Ziele gesetzt, bis zum Jahr 2020 seine Energieversorgung vom Öl unabhängig zu machen.

Wo sind diese Ziele, wo ist dieses Engagement bei der Landesregierung? Der Bericht der Landesregierung ist eher lieblos und technokratisch. Es fehlt die Begeisterung für die tollen Rahmenbedingungen des Landes. Schleswig-Holstein ist in der Tat voller Energie, es ist bei erneuerbaren Energien stark und wir können noch stärker werden. Aber wo sind die klaren Ziele, die man sich setzt, an denen man die Landesregierung im Nachhinein überprüfen kann, feststellen kann, ob sie diese Ziele erreicht hat? Bisher Fehlanzeige!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung vom März 2005, die ein guter Vergleichsmaßstab ist, ging davon aus, dass bis 2010 50 % des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien erzielt werden

(Klaus Müller)

könnte. Wo ist eine vergleichbare Zielsetzung bei der schwarz-roten Koalition? - Fehlanzeige!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Lars Harms [SSW])

Wo wird dieses von unserem eigentlich guten ehemaligen Bündnispartnern eingefordert, lieber Konrad Nabel? - Fehlanzeige! Einen bisschen höheren Maßstab, mehr ehrgeizige Ziele deiner Landesregierung hätte ich mir schon gewünscht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Zum Thema: Weg vom Öl! Die Agrarbasis in Schleswig-Holstein ist gerade wie geschaffen dafür, vom Öl wegzukommen. Wo ist hier der Aufschrei der Agrarpolitiker, dass hier keine klaren Ziele formuliert werden? Es gibt Erhebungen des Iststandes, es gibt wolkige Absichtserklärungen.

(Claus Ehlers [CDU]: Das haben wir im Ge- gensatz zu euch alles auf den Weg gebracht!)

Dass hier verbindliche und klare Ziele von der Landesregierung aufgestellt werden, an denen Sie überprüfen und sagen können: Ja, das ist erreicht, wir sind auf einem guten Weg, das fehlt in diesem Bericht.

(Claus Ehlers [CDU]: Ihr phantasiert und wir handeln!)

Darum muss man doch ringen, das muss man einfordern, genau an dieser Stelle.

Energiepolitik ist immer auch Standortpolitik das ist keine Frage -, aber sie ist auch Klimaschutzpolitik. Wo ist die Verknüpfung von Energiepolitik mit der Klimapolitik in dieser Landesregierung zu finden? Im Koalitionsvertrag heißt es, der Nachhaltigkeitsbericht solle weiterhin gelten. Das ist gut so. Aber wo sind hier Zwischenziele erkennbar, bei denen die Energiepolitik einen wertvollen Beitrag zur Klimapolitik leistet? - An dieser Stelle leider Fehlanzeige!

Die Offshore-Technologie ist in der Tat ein wesentlicher Schritt. Das ist in dem Bericht auch aufgeführt, das hat der Minister gerade noch einmal erwähnt. Aber auch hier fragen wir, wo die Erkenntnisse aus dem letzten Herbst sind, dass OffshoreWindtechnologie eine bessere, eine andere Vergütung braucht, um wirklich durchzustarten? Die konkreten Schritte, die Herr Austermann auf der HUSUMwind leider mit der Verlängerung der AKWLaufzeiten verknüpft hat - das haben wir hier schon einmal hart und deutlich kritisiert -, diese richtigen Teilerkenntnisse, die er hatte: Wo sind Umset

zungserfolge bei diesem Schritt? - Fehlanzeige! Bisher ist dies nicht erkennbar und das ist traurig.

In der Tat: Beim Repowering läuft es im Moment nicht so wie es laufen könnte und laufen müsste. Das hat aber Gründe. Wo ist die Kritik, die Analyse und wo sind die eigenen Vorschläge zum Thema Netzausbau? Wir wissen, dass es hier Großkonzerne gibt, die - vorsichtig gesagt - ein begrenztes Interesse daran haben, erneuerbaren Energien in der dezentralen Struktur zum Durchbruch zu verhelfen. Wo ist die Antwort der Landesregierung auf diese Situation? - Leider muss ich sagen, dass zwar erwähnt wird, dass es ein Problem gibt, aber Handlungsvorschläge, Einflussnahme und konkrete Ideen sind Fehlanzeige.

Wo ist die große Vision davon, dass wir von einer zentralistischen Form der Energieerzeugung hin zu einer dezentralen Form kommen? - Claus Ehlers, das sind Chancen für die Landwirte! Wo ist denn hier die Vision der Landesregierung, um tatsächlich einer zukunftsfähigen Energiepolitik zum Durchbruch zu verhelfen? - Wir sehen bisher wenig davon.

Oder die Diskussion um die Kabel zur Stromversorgung Schleswig-Holsteins: Nach wie vor gibt es hier ein quälendes Hin und Her zwischen Freileitungen und Erdkabeln. Vor Ort äußern sich immer mehr Landtagsabgeordnete, dass Erdkabel der richtige Weg sind. Wir wissen, das dies technisch möglich ist. Die Finanzierungen sind wesentlich günstiger, als es immer vorgegaukelt wurde. Es gibt einen einzigen Satz zum Thema Erdkabel in dem Bericht, obwohl das Thema das Land bewegt, wenn es um Energieversorgung geht. Ich freue mich, ein großkoalitionäres Nicken dafür in der letzten Reihe zu sehen. Wo ist das Engagement der Landesregierung, dieses in so einem Bericht aufzugreifen? Das Nicken war da vorn, Entschuldigung, Herr Koch!

(Zurufe)

Wo ist das Engagement der Landesregierung, um das Thema Erdkabel voranzubringen? - Ich muss leider feststellen, dass dies ausgesprochen begrenzt ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)