Protokoll der Sitzung vom 24.03.2006

Einem Neubürger, der aus einem anderen Bundesland zugereist ist, kann man nun die schleswig-holsteinischen Kommunalalternativen wie folgt aufzählen:

Er kann Bürger sein

erstens in einer hauptamtlich verwalteten Gemeinde mit hauptamtlichem Bürgermeister als Verwaltungschef oder

zweitens in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür in einem Amt mit einem gewählten Amtsdirektor als Verwaltungschef, oder

drittens in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür mit einem ehrenamtlichen Amtsvorsteher als Verwaltungschef, oder

viertens in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer Verwaltungsgemeinschaft mit dem hauptamtlichen Bürgermeister der Nachbargemeinde als Verwaltungschef oder

fünftens in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer Verwaltungsgemeinschaft mit dem ehrenamtlichen Amtsvorsteher des Nachbaramtes als Verwaltungschef - die Variante mit dem Amtsdirektor lasse ich einmal aus

oder - hier kommt nun die grandiose Neuerung der Koalition - sechstens in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einem Amt oder in einer Verwaltungsgemeinschaft mit einem Amt beziehungsweise einer hauptamtlich verwalteten Gemeinde mit einem hauptamtlichen Amtsdirektor beziehungsweise Bürgermeister als Verwaltungschef und einem gewählten hauptamtlichen „Hilfsbürgermeister“ für den ehrenamtlichen Bürgermeister.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie alles kapiert? - Gut.

(Holger Astrup [SPD]: Kommunale Vielfalt!)

Dieser Neubürger wird den Variantenreichtum Schleswig-Holsteins nur sehr schwer als die Krönung der Bürgernähe erkennen können, als die die Koalition ihn darstellt. Ob dies die Altbürger in Schleswig-Holstein völlig anders sehen, darf zumindest bezweifelt werden.

Jetzt kommt die Preisfrage: Wo liegt die politische Macht in diesen Gebilden und wie sehen die Möglichkeiten von Menschen aus, die politischen Einfluss auf das Geschehen vor Ort nehmen möchten? Ich bitte Sie, das einmal aufzuzeichnen. Sie werden zu überraschenden Ergebnissen kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der ersten Lesung habe ich auf ein großes Manko des Gesetzentwurfs hingewiesen, dass nämlich das zentralörtliche System des Landes und damit die Raumordnung völlig ignoriert worden sind. Dieses zentralörtliche System ist jedoch keine Nebensächlichkeit, die im Nachhinein irgendwie aufgepfropft werden kann. Sie gehört von Anbeginn an zu einer richtigen und handwerklich sauberen Reform der kommunalen Ebene dazu.

Im SSW-Modell wäre jeder ländliche Zentralort und jedes Unterzentrum eine politische Gemeinde. Die Aufgaben, die dort auch mit räumlichem Bezug für das Umland geregelt werden, würden damit professionell und demokratisch transparent erledigt werden. Das sicherte die Zukunft des ländlichen Raumes; ein zusätzlicher Wahlbeamter tut das nicht.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Astrup?

Nein, im Moment nicht. Ich habe wirklich noch etwas, was ich loswerden will, Herr Kollege.

Ich habe durchaus Verständnis für die Bürgermeister unserer Kleinstädte unter 8.000 Einwohnern, insbesondere auch für deren Arbeitsbelastung. Aber die Möglichkeit, sofern wir im Modell der Koalition bleiben, einem ehrenamtlichen Bürgermeister eine Hilfskraft zur Seite zu stellen, gibt es ja schon. Dies ist nämlich in der geltenden Amtsordnung in § 16 Satz 2 geregelt. Wahlbeamte, die sich zu grauen Eminenzen und Gegenbürgermeistern entwickeln, auf Dauer einzurichten, stößt jedoch auf den energischen Widerspruch des SSW.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt eine weitere spannende Frage: Was hat jetzt ein Gemeindedezernent mit der Bestellung von hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten zu tun? - Zum einen gehe ich jede Wette ein, dass die Änderung der Gemeinde- und Amtsordnung dazu führen wird, dass wir eher selten auf eine Gemeindedezernentin

(Anke Spoorendonk)

stoßen werden. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass es in Gemeinden mit 10.000 bis 15.000 Einwohnern künftig recht interessante Diskussionen geben wird. Denn wenn man wie der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag der Meinung ist, dass hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte ausschließlich Kosten verursachten, dann gilt das ja in besonderer Weise für den Gemeindedezernenten.

Als sich der Landtag im September letzten Jahres in erster Lesung mit der geänderten Einwohnergrenze für die Einstellung von hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten befasste, bin ich ausführlich auf die inhaltliche Position des SSW eingegangen. Aus Zeitgründen werde ich das jetzt nicht alles wiederholen. Ich möchte aber vor dem Hintergrund des FDP-Antrages noch einmal feststellen, dass Gleichstellungsbeauftragte das institutionalisierte schlechte Gewissen auf der kommunalen Ebene sind, wo Frauen immer noch eine viel zu geringe Rolle spielen. Das ist für uns der entscheidende Grund dafür, dass wir dem Antrag der FDP nicht folgen können.

Der Änderungsantrag von CDU und SPD sieht vor, dass der Beschluss, einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten zu kündigen, erst nach drei Monaten wirksam wird. Das hört sich unmittelbar vernünftig an, ist aber im Grunde nichts Besonderes. Ich denke, das entspricht den normalen Kündigungsfristen. Unter dem Strich werden die geänderten und verschlechterten Rahmenbedingungen für die Gleichstellungsarbeit vor Ort zum Wegbrechen ganzer Arbeitsbereiche führen. Daher ist es gut, dass wir in letzter Zeit als Abgeordnete die vielen Tätigkeitsberichte der Gleichstellungsbeauftragten zugeschickt bekommen haben. Denn aus ihnen geht hervor, was sie leisten und über die Jahre geleistet haben. Das soll heißen - ich denke, das ist das, was in die Zukunft weist -, dass wir unbedingt auch eine Qualitätsdebatte über die Zukunft der kommunalen Gleichstellungsarbeit führen müssen. Hartnäckigkeit ist angesagt. Das hörten wir schon von den Kollegen der die Regierung tragenden Fraktionen. Ich finde, Hartnäckigkeit ist auch angesagt, wenn es darum geht, die Zukunft der Gleichstellungsarbeit in den Kommunen zu sichern. Da gibt es allemal noch ganz viel zu tun.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Landesregierung hat nun Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die umfassende Reform der Verwaltung auf allen Ebenen des Landes ist neben Arbeit, Bildung und Haushaltskonsolidierung einer der Eckpfeiler der Regierungsarbeit. Wir gehen heute einen Schritt in diese Richtung. Das ist erforderlich. Das werden wir tun und wir tun genau das, was wir angekündigt haben. Wir reden nicht über eine Gebietsreform. Ich halte übrigens nicht die Anzahl der Gemeinden, sondern die Anzahl der Verwaltungen für zu hoch und insofern haben wir auch nicht verabredet, eine Gebietsreform zu machen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Lieber Herr Abgeordneter Hentschel, ich bin immer derjenige, dem man nicht sagen muss, dass er seine wirklichen Pläne nicht zurückhalten soll. Ich sage immer klar, was ich denke.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Manchmal dauert es lange!)

Deswegen empfehle ich, die Kritik immer auf das zu beziehen, was man sagt und denkt, aber nicht auf das, was man angeblich heimlich plant. Das ist nicht meine Politikvorstellung.

Wir haben gesagt: 8.000 Einwohner sollen die Mindestgrenze für hauptamtlich geführte Verwaltungen sein, Frau Kollegin Spoorendonk. - Das habe ich am 14. Dezember gesagt und das gilt auch heute noch. Das ist ein wesentlicher Punkt.

Übrigens, wenn man von den Ämtern und Gemeinden Veränderungen verlangt - das ist die kostengünstigste Ebene, über die wir hier reden -, dann erwarten diese im Umkehrschluss, dass wir die Verwaltungsveränderungen auch auf allen anderen Ebenen durchführen, nämlich auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte und auch auf der Ebene des Landes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Deswegen hat das, was wir hier tun - die Aufregung darüber verstehe ich in Teilen wirklich nicht; ich komme darauf noch zu sprechen -, natürlich mehrere Folgen. Es hat auch zur Folge, dass wir bei der Grenze von 8.000 Einwohnern über den gegenwärtigen Aufgabenkatalog reden. Von daher bin ich dem Präsidenten des Landesrechnungshofs sehr dankbar dafür, dass er darauf hingewiesen hat, dass es aus vielerlei Gründen - auch hinsichtlich der Komplexität der zu bearbeitenden Materien - wirtschaftlicher ist, dies zu tun.

(Anke Spoorendonk)

Wir erwarten allerdings auch, dass größer gewordene Ämter jenseits von 18.000 oder 20.000 Einwohnern, die selbstbewusst sind und die Aufgaben bürgernäher organisieren wollen, das auch können. Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen und das wird im kreisangehörigen Bereich auch erwartet, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wer sagt, dass er Veränderungen auf allen Ebenen will, der muss auch sagen, dass das vernünftig geschehen muss, und zwar in der Weise, dass man nicht negative Koalitionen bildet und dass man nicht meint, es gehe dem ländlichen Raum gut, wenn es den zentralen Orten schlecht gehe. Das ist falsch. Es muss allen einigermaßen gut gehen, wenn man zurechtkommen will. Deswegen muss man die Dinge meiner Meinung nach positiv begründen und darf sicht nicht negativ gegen das eine oder andere wehren, was häufig auch etwas mit mangelndem Geschick des einen oder anderen in der Vergangenheit zu tun hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, das Beispiel der kommunalen Verwaltungsstrukturreform zeigt noch etwas anderes, dass sich nämlich Festigkeit in der Politik lohnt. Es lohnt sich, nicht einzuknicken, auch wenn der Wind gelegentlich von vorn kommt und manch einer um seinen Posten fürchtet; auch dies ist ein Aspekt, obwohl er öffentlich nie geäußert wird.

Denn wenn man das Land betrachtet - ich bin in den Kreisen und kreisfreien Städten sehr viel unterwegs gewesen -, dann stellt man fest, dass wir in 95 % der Fälle überhaupt keine Probleme mehr haben. Denn manch einer hat sich auf den Weg gemacht, der sich das vorher gar nicht angeschaut hat. Das finde ich an diesem Prozess sehr positiv und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken, weil es meines Erachtens eine Stärke ist zu zeigen, dass die Verwaltung - diese wird schließlich vom Bürger bezahlt - zu Veränderungen in der Lage ist.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich sage das auch deswegen, weil die Menschen außerhalb des öffentlichen Dienstes weiß Gott von ganz schwierigen Veränderungen betroffen sind. Teilweise haben wir Unternehmen, denen es zwar gut geht, die aber trotzdem Arbeitsplätze abbauen und Menschen entlassen. Deswegen muss dieser öffentliche Dienst auch Folgendes zeigen - Sie wissen, dass ich immer für Fairness bin, wenn es in Verhandlungen um Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst geht -: Wo es darum geht, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nur ein paar Kilometer weiter entfernt wahrnehmen soll und nicht

entlassen zu werden, muss dies so gestaltet werden, dass die Bürger ihre positive Einstellung zum öffentlichen Dienst nicht verlieren. - Das muss meiner Meinung nach ein wesentlicher Aspekt sein, wenn man über dieses Thema diskutiert.

(Beifall bei der SPD)

Was die Veränderungen der Vorlage der Landesregierung in den Ausschüssen angeht, so gilt das Struck’sche Gesetz; das hat die Landesregierung zu akzeptieren. - Was die Gleichstellungsbeauftragten angeht, so haben wir eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag; diese wird erfüllt. Die darüber hinausgehenden Äußerungen der Herren Abgeordneten Dr. Wadephul und Hildebrand teile ich als Innenminister ausdrücklich nicht.

Zur Frage hinsichtlich des Gemeindedezernenten möchte ich sagen: Lieber Herr Abgeordneter Hentschel, „können, aber nicht müssen“ ist okay. „Müssen, aber nicht können“ ist ein Problem.

(Heiterkeit bei SPD und CDU)

Das ist allgemein im Leben so und insofern gilt auch für diese Konstruktion, dass ich fest davon überzeugt bin, dass man über die Notwendigkeit dieser Veränderungen streiten kann. Aber dass die meisten Gemeinden klug genug sein werden, das Geld ihrer Bürger nicht dafür zu verschwenden, Posten zu schaffen, die überflüssig sind, will ich ganz deutlich sagen. Da, wo man etwas anderes will, mag man es in kommunaler Selbstbestimmung tun. Dann muss man es selbst bezahlen und den Bürgern auch selbst erklären. Wir reden nicht von einer zusätzlichen Verwaltung. Der Hauptpunkt ist erfüllt.

Nebenbei bemerkt: Ich habe schon Städte besucht beispielsweise die Stadt Meldorf -, in denen mir gezeigt wurde, dass diese es gar nicht wollen und dass sie auch anders zurechtkommen. Wir sollten nicht glauben, dass wir damit in allen möglichen Orten des Landes neue Posten einführen. Dafür wäre vor dem Hintergrund der Finanzlage auch gar kein Raum. Insofern bin ich außerordentlich gelassen.