Protokoll der Sitzung vom 25.05.2005

Es mag zwar gut sein, den Leuten das in Veranstaltungen zu sagen, die dann sagen: Das finden wir prima, wir wollen alle mitreden. Aber die Konsequenzen haben Sie dabei noch lange nicht bedacht: Welches Quorum, welche Verbindlichkeit, wie soll das aussehen? Ich verweise auf die Diskussion, die wir zu diesen Fragen bei der Ergänzung der Landesverfassung hatten. So einfach ist das nämlich nicht.

Das europäische Projekt ist zu Recht auch zu kritisieren. Ich habe vorhin gesagt: Wir stehen am Anfang, wir stehen nicht am Ende mit dem Verfassungsvertrag, der noch keine Verfassung ist, sondern ein Verfassungsvertrag, der hingehen soll zu einer richtigen Verfassung. Das europäische Projekt wird nur nach vorn gebracht, wenn wir uns alle damit identifizieren, und zwar richtig, und es nicht nutzen für vordergründige Argumentationen in Wahlkämpfen oder darüber hinaus.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält jetzt Herr Abgeordneter Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle müssen uns überlegen, wie wir als Politiker, die wir alle Ahnung haben sollten, die Debatte über Europa führen. Erstens. Europa hat uns zumindest in den Ländern, die in der Europäischen Union oder vorher in der Europäischen Wirtschafts

gemeinschaft waren, über 50 Jahre Frieden gebracht. Das hat es in Europa seit 1.000 Jahren nicht gegeben. Seit 1.000 Jahren haben sich die Völker Europas ununterbrochen gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Allein das ist so viel wert, dass ich glaube, dass man das immer wieder bewusst machen muss. Ich tue das in vielen Schülerdiskussionen, die wir auch in der Europawoche geführt haben. Wir müssen das den Leuten immer wieder sagen, sonst vergessen sie es.

Zweitens. Kommen die Rumänen, kommen die Polen? Das typische Argument: Was passiert, wenn wir die Europäische Union erweitern?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Polen sind schon da!)

- Die Polen und die Rumänen sind schon lange da. Wir leben in einer globalisierten Welt und wir werden die Grenzen nicht so abschotten, dass sie nicht kommen werden. Die Frage ist nur: Unter welchen Bedingungen kommen sie?

Als ich ein kleiner Junge war, kamen die Italiener. Da kamen Hunderttausende, ja sogar Millionen Italiener aus Süditalien, aus armen Gegenden hierher, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Heute kommt niemand mehr aus Italien, weil die Europäische Union dazu geführt hat, dass dort Lebensbedingungen herrschen wie hier auch.

(Unruhe)

Ich bin ganz sicher: Wenn wir die Polen nicht in die Europäische Union geholt hätten, würden wir genau die Probleme, die wir heute haben, auch in 50 Jahren noch haben. Aber da wir die Polen in die Europäische Union geholt haben, werden wir in zehn oder 20 Jahren die Situation haben, dass der Wohlstand in Polen so ist, dass keine Polen mehr nach Deutschland kommen.

Das heißt, die EU ist das wesentliche Instrument, uns gerade in einem großen Wirtschaftsraum uns vor der Globalisierung zu schützen. Es ist keine Bedrohung, sondern es ist ein Schutz, es ist eine Chance, weil wir nur so nationale Politik betreiben können, im europäischen Rahmen und nicht im kleinen nationalen, deutschen Rahmen.

Drittens. Es wird viel über die Bürokratie geredet. Dabei wird meistens vergessen, dass die großen Verordnungen, über die wir reden, nicht von der Kommission in Brüssel kommen, sondern von den Ministerräten, von den nationalen Regierungen. Die Bürokratie in Brüssel hat weniger Beschäftigte als die Stadtverwaltung von Köln! Dieses Argument muss man immer wieder verbreiten. Weniger Beschäftigte als die Stadtverwaltung von Köln. Das sagt sehr viel

(Karl-Martin Hentschel)

über die Bürokratie in Brüssel aus. Die Bundesregierung, die Landesregierung sind viel größer. Das muss man wissen, wenn man über diese Fragen redet.

(Unruhe)

Es werden Legenden verbreitet, weil man nicht bereit ist, für die Europäische Union zu werben.

Herr Kollege Hentschel, Ihr vierter Punkt muss entfallen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Letzter Punkt: Ich hätte mir gewünscht, dass wir zu einer gemeinsamen Resolution gekommen wären und die Regierungsfraktionen etwas vorgelegt hätten, das akzeptabel ist. Dass Sie nicht bereit sind, hier einen Kompromiss zu finden, finde ich schade. Vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Bernd Schröder [SPD]: Vielleicht denken Sie ein- mal darüber nach!)

Für eine Wortmeldung nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält jetzt Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es noch einmal klarzustellen: Auch der SSW hat wie alle anderen Parteien hier im Parlament gesagt, dass wir die Verbesserungen, die sich durch den Verfassungsvertrag ergeben, natürlich begrüßen. Da besteht kein Dissens. Es geht nur um die Frage, auf welche Art und Weise wir es schaffen, dass wir unsere Bürgerinnen und Bürger mitnehmen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Da haben wir gesagt: Ein Volksentscheid sollte das Idealbild sein, weil das Mitbestimmung ist, Mitbestimmung pur, wie wir sie auch aus anderen Bereichen kennen. Herr Kollege Fischer, wenn meinetwegen auch nur eine Befragung durchgeführt würde, wäre das immer noch besser, als dass die Leute ganz schweigen müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Nein, Sie haben gerade eben eine kleine Unterstellung gemacht. Sie haben nämlich gesagt, es wäre etwas ganz Schlimmes, wenn wir eine Befragung machen würden, die bösen Bürger würden das ablehnen und wir würden dann trotzdem zustimmen. Das ist das Bild, das Sie gebracht haben.

(Beifall bei SSW und FDP)

Wenn ich als Politiker meine Bürger frage, mein lieber Herr Kollege Fischer, dann halte ich mich natürlich auch an das, was sie zu mir sagen. Wenn die breite Mehrheit das ablehnt, dann würde ich dem im Parlament auch nicht zustimmen, um das ganz klar zu sagen.

Herr Kollege Harms, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Nein, die erlaube ich nicht. Ich habe nur die drei Minuten Zeit. Er hat vielleicht gleich noch Gelegenheit, ans Rednerpult zu gehen. Es gibt ja auch noch genügend andere Sozialdemokraten, die dazu vielleicht etwas sagen wollen.

Mir ist es sehr wichtig, zu sagen, dass ich als überzeugter Europäer - ich kann Ihnen sagen, dass ich wirklich ein richtig großer Europäer bin - natürlich bereit bin, das Risiko einzugehen, eine Ablehnung zu kassieren. Ich sage Ihnen auch, warum. Dieses Projekt Europa ist ein so großes und von den Bürgern so fernes Projekt, dass ich es für unabdingbar halte, Regelungen zu schaffen, um die Bürger mitzunehmen. Mir geht es darum, dass wir es gemeinsam machen. Nicht nur die politische Kaste, sondern auch die Bürger müssen in dieses Projekt mit Begeisterung einsteigen. Nur dann haben wir eine Chance, dass das auch wirklich etwas wird; denn das, was Minister Döring sagte, ist in der Tat ein Problem. Wir haben jetzt das Problem der Umsetzung und nicht so sehr das Problem, ob wir alle ein Europa wollen. Frieden und Freiheit haben wir erhalten; das ist okay.

Herr Kollege Hentschel, mir ist es auch immer wichtig, dass wir darauf hinweisen. Jetzt geht es aber um die Umsetzung. Hierbei geht es um soziale Fragen und um die Fragen, die Herr Kollege Ehlers zum Beispiel aus der Sicht der Landwirtschaft gestellt hat.

Die gleichen Fragen mit einem anderen Vorzeichen beziehen sich dann natürlich auch auf das Entsendegesetz, den Mindestlohn und die Tariftreue. Das sind die sozialen Kisten, die wir dann zu bewältigen haben. Wir müssen sie auf europäischer Ebene, wo die

(Lars Harms)

Richtlinien beschlossen werden, und später bei uns in der Umsetzung bewältigen. Das hat etwas mit der Denke in der Breite zu tun. Das hat auch etwas mit der breiten Diskussion in der Bevölkerung und damit zu tun, was die Bevölkerung will und wie sie es will. Hier müssen wir sie mitnehmen. Anders bekommen wir das Ganze nicht gebacken. Das ist für mich sehr wichtig.

Ich bin bereit, dafür zwischendurch auch eine Niederlage zu kassieren, um es danach besser zu machen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Eine letzte Wortmeldung nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung liegt mir von dem Kollegen Ritzek vor.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind überzeugt, dass die Europäische Verfassung und die Europäische Union eine unwahrscheinliche Bedeutung für unser Land und für alle Mitglieder des Landtags haben. Daran gibt es keinen Zweifel.

Ich finde, das, was Sie, Herr Minister Döring, und die anderen gesagt haben, ist entscheidend. Wie nehmen wir die Menschen mit? Wie kommen wir an die Überzeugung der Menschen heran? Deshalb haben ich und auch die anderen die Gelegenheit genutzt, auf einige Probleme hinzuweisen, die die Menschen bedrücken. Etwa 70 % aller europäischen Rahmengesetze und europäischen Verordnungen greifen heute bereits bis in die Kommunen hinein. Wir hatten heute in der Mittagspause die Vertreter der Handwerkskammer hier bei uns zu Gast und haben diskutiert. Was meinen Sie, wie wertvoll es gewesen wäre, wenn wir vor der Verabschiedung des Dienstleistungsgesetzes mit diesen Vertretern der Handwerkskammer über das Entsendegesetz und die Dienstleistungsrichtlinie gesprochen hätten? Ich meine, das sollten wir entsprechend der Möglichkeiten, die uns die Verfassung gibt, einfordern. Sie gibt uns die Möglichkeit aufgrund des Subsidiaritätsprinzips und des Frühwarnprinzips.

Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das Klagerecht vom AdR. Weil ich gerade den AdR anspreche: Eine Vertreterin oder ein Vertreter von uns geht in den AdR. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir nicht nur im Anschluss das Protokoll erhalten, in dem steht, was dort besprochen und entschieden wurde. Wir müssen die Tagesordnung im Vorhinein erhalten, um im Europaausschuss mit unserem AdR

Mitglied über die Themen zu sprechen und es zu bitten, unsere Empfehlungen zu den Abschlussgesprächen in Brüssel mitzunehmen.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Ich stelle fest, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihren Antrag zurückgezogen hat. Die FDPFraktion hat eine alternative Abstimmung vorgeschlagen. Ich lasse daher jetzt in der Sache über die Anträge Drucksachen 16/84 (neu) und 16/96 abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und SPD, Drucksache 16/84 (neu), seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktion der FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 16/96, dem sich die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angeschlossen hat, seine Zustimmung geben will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/84 (neu) mehrheitlich angenommen wurde.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land SchleswigHolstein Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/82

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Grundsatzberatung. Das Wort für den antragstellenden SSW erhält Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Informationsfreiheitsgesetz des Landes, 1999 vom SSW eingebracht und im Januar 2000 vom Landtag beschlossen, gibt allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht, Einsicht in die Informationen von Behörden zu nehmen. Das Gesetz hat dazu geführt, dass Schleswig-Holstein bundesweit zur Vorreiterin in Sachen Datenschutz und Informationsfreiheit geworden ist. Es stellt somit aus unserer Sicht einen Meilenstein der Bürgerfreundlichkeit dar.

Bereits am Ende der letzten Legislaturperiode hatte der SSW eine Novellierung des Informationsfreiheitsgesetzes in den Landtag eingebracht. Es hatte sich nämlich nach vier Jahren Informationsfreiheit langsam herausgestellt, was noch besser gemacht