Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

- Es ist der Antrag gestellt, die Sitzung zu unterbrechen, bis die Regierung vertreten ist. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen ist beschlossen, die Sitzung zu unterbrechen, bis die Regierung hier vertreten ist. Ich bitte die Verwaltung, dafür zu sorgen, dass die Regierung hier antritt.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Irgendein Minister wird ja wohl Zeit haben!)

(Unterbrechung: 15:06 bis 15:13 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:

Gemeinsam gegen Kinderarmut

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/672

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 16/788

Ich erteile der Berichterstatterin des Sozialausschusses, der Frau Abgeordneten Siegrid Tenor-Alschausky, das Wort.

Der Sozialausschuss hat den ihm durch Plenarbeschluss vom 23. März 2006 überwiesenen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ in zwei Sitzungen, zuletzt am 18. Mai 2006, beraten. Er empfiehlt dem Landtag einstimmig die Annahme des Antrages in der Ihnen mit Drucksache 16/788 vorliegenden Fassung. Ich verzichte darauf, alle Unterpunkte zu verlesen, da ich davon ausgehe, dass die Rednerinnen und Redner der Fraktionen inhaltlich dazu Stellung nehmen werden.

Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Ich sehe keine Wortmeldung.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe jetzt anwesende Landesregierung! Mit unserem ursprünglichen Antrag zur Armutsberichtserstattung hat die grüne Landtagsfraktion eine Debatte über die aktuelle Armutssituation in Schleswig-Holstein angestoßen. Anlass war auch die Kampagne von UNICEF Deutschland und den Sozialverbänden, die eine Reihe konkreter Vorschläge zur Armutsbekämpfung bei Kindern und Familien in SchleswigHolstein beinhaltete. Zu dieser Kampagne gehörten auch Regionalkonferenzen, die vor Ort auf ein sehr positives Echo gestoßen sind.

Wir haben diese gute Initiative im Landtag aufgegriffen. Mit unserem Entschließungsantrag vom März wollten wir erreichen, dass der Landtag ein deutliches politisches Signal setzt und konkrete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung auf den Weg bringt.

(Präsident Martin Kayenburg)

Dieses Ziel ist mit der heutigen Beschlussempfehlung des Sozialausschusses erreicht. Ich freue mich, dass es uns parteiübergreifend gelungen ist, 14 differenzierte Maßnahmen aufzulisten, die heute hoffentlich beschlossen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank auch an meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss. Dort hat es eine sehr konstruktive Debatte gegeben. Es wird zu vier Maßnahmen kommen, die auf Landesebene fast alle umgesetzt werden können.

Dabei knüpfen viele Forderungen an bereits bestehende Konzepte und Projekte an. Gerade angesichts der Haushaltssituation ist das ein notwendiges Signal. Dies reicht von Erhalt der Kinderschutzzentren bis hin zum bedarfsgerechten Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.

Alle Kinder in Schleswig-Holstein, egal, in welchem Elternhaus sie leben, haben ein Recht auf ein gesundes Aufwachsen, auf eine gute Bildung, auf Förderung und Unterstützung. Gemeinsame Anträge führen natürlich auch dazu, dass von eigenen Forderungen Abstriche gemacht werden müssen. So ist von unserer Forderung nach einem flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulangeboten nur noch ein bedarfsgerechter Ausbau übrig geblieben. Da bleibt nur zu hoffen, dass diejenigen, die den Bedarf ermitteln, genauer hinschauen und den Bedarf in der Fläche erkennen.

Ein Punkt in unserem gemeinsamen Antrag ist mir besonders wichtig. Trotz der schwierigen Haushaltslage soll es mittelfristig zu einem beitragsfreien letzten Kindergartenjahr kommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich halte dies für ganz wichtig. Vorbild kann für uns Rheinland-Pfalz sein, wo man gerade die Kindertagesstättengebühren grundsätzlich abschaffen will, wie immer das auch finanziert wird. Gerade für Kinder aus armen Familien ist es ein großes Geschenk, eine Kindertagesstätte besuchen zu können.

Mit dem heutigen Beschluss wird erfreulicherweise eine andere Marschroute eingeschlagen. Wir hatten schon einmal einen Antrag zur Familienpolitik gestellt, in dem das beitragsfreie Kindertagesstättenjahr enthalten war. Anfang dieses Jahres ist der Antrag abgelehnt worden. Jetzt wird er angenommen.

Ich möchte noch zwei Punkte nennen, die Bestandteil des Antrages der Grünen waren und nun leider in dem gemeinsamen Antrag nicht mehr auftau

chen. Zum einen handelt es sich um unsere Forderung nach einer Kindergrundsicherung. Sie war nicht konsensfähig, obwohl sie Bestandteil des Forderungskatalogs von UNICEF und anderen war. Ebenfalls ist nicht die Festlegung enthalten, dass Fördermöglichkeiten für Kindertageseinrichtungen nicht an der Barriere der Elternbeiträge scheitern dürfen. Schade, dass dies nicht mit aufgenommen worden ist.

Auch haben CDU und SPD unsere Forderung, den Schulbesuch von Kindern ohne gesicherten Aufenthalt sicherzustellen, nicht aufgenommen. Mit diesem Thema muss sich der Innen- und Rechtsausschuss noch einmal beschäftigen, weil es wichtig ist, dass alle Kinder in Deutschland die Schule unabhängig vom Elternhaus und unabhängig vom Status der Eltern besuchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist erfreulich, dass wir in dem gemeinsamen Antrag heute viele Maßnahmen haben, die wir beschließen werden. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, Kinderarmut, die es auch in Schleswig-Holstein leider gibt, zu bekämpfen und einzudämmen. Ich denke, das ist ein gutes Signal an die Kinder und ihre Familien in Schleswig-Holstein. Wenn der Antrag beschlossen wird, haben wir viel zu tun, um alles umzusetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Für die Fraktion der CDU erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Thorsten Geerdts.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Den Mitgliedern des Sozialausschusses ist es gelungen, sich auf eine gemeinsame Beschlusslage für einen Antrag zur Bekämpfung der Kinderarmut zu verständigen. Es gab einen Änderungsantrag von CDU und SPD zum Antrag der Grünen. Ich finde es gut, dass es uns gelungen ist, uns auf wesentliche Punkte zu verständigen, und gesagt haben: Wir wollen uns auf die Felder konzentrieren, auf denen wir in Schleswig-Holstein direkt etwas beeinflussen können.

Familie ist für die CDU überall dort - ich will es noch einmal darlegen -, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen. Dabei ist die Familie der Ort, wo Gemeinsinn begründet, gefördert, gefordert und weitergegeben werden kann. Damit die Familie ihre Verantwortung wahrnehmen

(Monika Heinold)

kann, braucht sie entsprechende Rahmenbedingungen und, wo es notwendig ist, gezielte Unterstützung. Das sind die Punkte, die wir in unseren gemeinsamen Antrag aufgenommen haben.

Wenn wir in Deutschland über Armut reden, dann reden wir allerdings nicht nur über materielle Nöte, sondern auch über Vernachlässigung, Verwahrlosung und Gewalt gegen Kinder. Dies möchte ich ausdrücklich betonen.

Wir wollen auch in finanziell schwierigen Zeiten kindgerechte und familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffen und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen.

Wir brauchen eine Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und Kindererziehung für Väter und Mütter. Wir brauchen aber auch eine Parallelität von Beruf und Erziehung ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit. Auch das sagen wir sehr deutlich. Dazu muss die Arbeit im Erwerbsleben und in der Familie besser, gerechter - also fairer - verteilt werden.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt viele hoch qualifizierte Frauen. Deren Potenzial muss genutzt werden. Alle Anstrengungen, die Arbeitswelt familienfreundlich zu gestalten, müssen unternommen werden.

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt es, dass das Thema „familienfreundlicher Betrieb“ im Wirtschaftsministerium herausgehoben bearbeitet wird. Wir wagen in unserem Antrag trotz der miserablen Haushaltssituation, auf die Frau Heinold verwiesen hat, eine sehr klare Aussage zur Kita-Versorgung in Schleswig-Holstein. Die CDU-Landtagsfraktion will von dem Ziel nicht ablassen, für ein kostenfreies Kindertagesstättenjahr zu kämpfen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das kann allerdings nur durch Einsparungen und Umschichtungen in den eigenen Haushalten gelingen. Bei der finanziellen Lage des Landes und der Kommunen ist eine gebührenfreie Kinderbetreuung ohne deutliche Einschränkungen in anderen Bereichen eben nicht finanzierbar. Langfristig ist ein kostenfreies letztes Kindertagesstättenjahr aber anzustreben, um allen Kindern ein vorschulisches Bildungsangebot zu ermöglichen.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Sowohl für den Grundschul- als auch für den weiterführenden Schulbereich bleibt ein flächendeckendes bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsschulen unser Ziel.

Das Leben in unserer Gesellschaft wird immer vielschichtiger. Daher wird die Eltern- und die Familienberatung immer wichtiger. Die CDU-Landtagsfraktion will den Fortbestand der Familienbildungsstätten sichern. Wir freuen wir uns insbesondere über die Zustimmung der Grünen, denn hier hat es einen Positionswechsel gegeben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

- Ekkehard Klug ist noch nie in die Verlegenheit gekommen, dieses Land mit regieren zu dürfen. Wir müssen Beratungs- und Hilfsangebote weiterentwickeln. Dabei gilt es insbesondere, Angebote der Elternschulung und der Elternberatung auszubauen. Wir würdigen ausdrücklich die ehrenamtliche Arbeit von engagierten Bürgerinnen und Bürgern an den Kinder-, Jugend- und Elterntelefonen. Wir sagen ganz klar, dass wir auf die qualitativ hohe Arbeit der Fachberatungsstellen nicht verzichten können, die den Kindern helfen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Gemeinsam stellen wir fest, dass der Kinder- und Jugendaktionsplan der Landesregierung schon nach wenigen Monaten zu einem großen Erfolg geworden ist. Alle Bausteine befinden sich in der konkreten Umsetzung.

Integration statt Ausgrenzung ist eine weitere Antwort auf die Armut von Kindern in unserem Land. Wir wollen als Landtag sichergestellt wissen, dass die Kinder von Migranten eine gute medizinische Versorgung erhalten. Damit junge Menschen in unserer Gesellschaft zuhause sind, setzt die CDULandtagsfraktion auf Integration so früh wie möglich; in der Kindertagesstätte, in der Schule, beim Berufseinstieg. Wir wollen die Integration junger Menschen verschiedener Herkunft fördern und Ausgrenzung bekämpfen. Armut bekämpft man durch Teilhabe. Die Kinder von Deutschen müssen genauso wie die Kinder von ausländischen Mitbürgern Zugang zu Vereinen, Verbänden und Schulen haben. Musik machen und spielen, sich freiwillig engagieren - das schafft ein Klima der gegenseitigen Akzeptanz, in dem jede und jeder dazugehört. Daran zu arbeiten, dass jedes Kind in diesem Land dazugehört, dazu haben wir uns mit diesem gemeinsamen Antrag auf den Weg gemacht. Alle mussten Abstriche machen. Ich glaube aber, diese 14 Punkte, die wir auf den Weg bringen, sind wegweisend. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, sie in dieser Wahlperiode zu realisieren.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

(Torsten Geerdts)