Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

Kollege Eichstädt, drei Kolleginnen und Kollegen versuchen, Zahlen zusammenzutragen, und kommen zu unterschiedlichen Zahlen. Ich glaube, es spielt überhaupt keine Rolle, wie viel Millionen Menschen entweder schwerhörig oder gehörlos sind, blind oder sehbehindert sind, ich habe wieder andere Zahlen als Sie.

Der Satz, den Sie gesagt haben, ist der Kernsatz, der es wirklich trifft: Es ist keine Minderheit, für die hier irgendein zusätzliches Angebot geschaffen werden soll, sondern diese Menschen gehören unabhängig davon, wie man sie letzten Ende addiert, dazu und sie müssen in die Lage versetzt werden, an unserem gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dazu gehört Fernsehen als Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsmedium an erster Stelle. Insofern streite ich mich nicht über Zahlen.

Diese Menschen werden aufgrund ihrer Behinderung nach wie vor von einem grundlegenden Informations- und Unterhaltungsmedium ausgegrenzt.

Es ist Ihnen nicht möglich, einer Fernsehsendung so zu folgen, wie das Menschen ohne Handicap können. Ihnen entgehen wichtige Informationen deshalb, weil Fernsehsender ihre Sendungen immer noch zu wenig untertiteln, anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, oder in Gebärdensprache übersetzen, wie es in Großbritannien der Fall ist. In noch weniger Sendungen werden die Handlungen und das Umfeld beschrieben.

Welchen Informationsgehalt haben aber Sendungen im Fernsehen für diese große Bevölkerungsgruppe? - Von Heike Franzen kam schon der Vorschlag, sich abends einmal vor einen „Tatort“ zu setzen, die Augen zuzumachen oder die Ohren zuzuhalten. Dann hat man vielleicht eine Ahnung davon, wie Menschen mit entsprechender Behinderung das erleben. Nur der Vorteil für uns ist, dass wir die Augen wieder aufmachen und auch wieder die Finger aus den Ohren nehmen können, aber die Menschen, die eine solche Behinderung haben, können das eben nicht, sondern sie sind darauf angewiesen, dass wir es ihnen ermöglichen, in Zukunft auch diesen Sendungen folgen zu können.

Die Barrieren müssen in unseren Köpfen fallen, die auf solche Hilfen nicht angewiesen sind. Das ist der zweite zentrale Satz, den auch ich mit in die weiteren Beratungen nehmen will, und zwar nicht nur, weil Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes bestimmt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, oder wegen des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes oder des Landes, sondern weil es uns allen eine Herzensangelegenheit sein müsste, diesen Menschen in Zukunft den Zugang zu diesem Informations- und Unterhaltungsmedium besser oder mehr als bisher zu ermöglichen.

(Beifall)

Leider - da hat der Ministerpräsident auch gar nichts schön geredet – stellt sich die Realität im Verhältnis zur politisch gewollten Situation aus unserer Sicht nach wie vor nicht besonders zufrieden stellend dar, trotz vieler Anstrengungen, die im öffentlich-rechtlichen Bereich bereits unternommen werden. Zwar steigt die Zahl der Sendungen, in denen die entsprechenden Untertitel eingeblendet werden können oder eine Audiodeskription angeboten wird, trotzdem liegt der prozentuale Anteil dieser Programme immer noch im niedrigen einstelligen Bereich. Nachrichtensendungen, wie sie bei Phoenix mit eingeblendetem Gebärdendolmetscher gesendet werden, sind nach wie vor die Ausnahme, leider auch in regionalen Programmen.

(Peter Eichstädt)

Umso erfreulicher ist es, dass der NDR angekündigt hat, sein Magazin „DAS!“ ab Frühjahr 2007 mit entsprechenden Videotext-Untertiteln auszustrahlen. Die Sendung „DAS!“ ist nämlich bestes Infotainment, von dem ich niemanden ausschließen will.

Warum fällt es in Deutschland so schwer, den selbst gesetzten Anspruch in Realität umzusetzen? An den technischen Möglichkeiten liegt es mit Sicherheit nicht. Ich glaube auch, dass wir kein Kommunikationsgesetz mit festen Quoten erlassen müssen wie in den USA oder Kanada, um Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte zu geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die Barrierefreiheit, die wir hier heute einfordern, genau das sein wird, was die Menschen in Zukunft stärker einfordern. Dann müssen die Fernsehsender von ganz allein darauf kommen, dass ein solches Angebot nicht ein zusätzliches Bonbon ist, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit werden muss, dass die gesamte Bevölkerung dem angebotenen Programm folgen kann.

Ich freue mich auf die Ausschussberatung.

(Beifall)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Ihnen wären vom gesamten Fernsehprogramm nur 23 Filme des NDR im Jahr zugänglich! So geht es den Blinden und Menschen mit schweren Sehbehinderungen in Norddeutschland. Oder sie könnten nur die „Tagesschau“, „heute“ sowie „ARD-Ratgeber“, „Lindenstraße“, „Polizeiruf“ und „Tatort“, schließlich als Lifesendung den Papst und vielleicht die FußballWM verstehen und das vorhin erwähnte Duell um die Kanzlerschaft. Das ist das derzeitige Angebot für hörgeschädigte Menschen.

Auch wenn wir das Engagement von Herrn Carstensen hier nicht in Abrede stellen wollen, muss man feststellen, dass Schleswig-Holstein und Deutschland auf diesem Sektor im internationalen Vergleich ein Entwicklungsland sind. Das ZDF glänzt mit gerade einmal 18 % der untertitelten Sendungen für Schwerhörige. Immerhin, alle öffentlich-rechtlichen Sender sind durch den Rund

funkstaatsvertrag verpflichtet, tatsächlich allen Bürgerinnen und Bürgern Teilhabe an den Medien zu ermöglichen. Hier besteht ein Rechtsgrundsatz, an dem man ansetzen kann.

Bei der Zulassung der privaten Sender in Deutschland wurde eine solche rechtliche Fundierung offenbar ganz vergessen. Anders kann ich mir es nicht erklären, dass es so schwer ist, hier vorwärts zu kommen. Eine Voraussetzung für Kulturförderung, insbesondere öffentliche Filmförderung, kennt Barrierefreiheit schon gar nicht.

Es geht aber auch anders. Das zeigt beispielhaft Kanada. Alle großen Sender untertiteln die Nachrichten und 90 % des restlichen Programms. Auch Großbritannien verpflichtet sich gesetzlich, 60 % aller Sendungen bis 2008 zu untertiteln. Offenbar erkennen andere Staaten früher das Gleichstellungsgebot für Menschen mit Behinderung als Deutschland, aber sie erkennen offenbar auch den Marktwert eines barrierefreien Programms.

Hier möchte ich einen kleinen Exkurs machen zu der Anmerkung, wir dürften keinen Einfluss auf die Sender ausüben. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es bekanntlich die Siegermächte, die dafür gesorgt haben, dass wir eine solche Rundfunkkonstruktion bekommen, wie wir sie haben, weil ein totalitärer Zugriff auf die Meinung der Bevölkerung nie wieder möglich sein sollte. Für diese Leistung bin ich sehr dankbar. Es ist aber merkwürdig, dass ausgerechnet Großbritannien, Kanada und die USA keine Schwierigkeiten haben, mit ihren überwiegend privaten Sendern, bei ihrer Konstruktion, wie sie das Recht auf öffentliche Meinungsfreiheit verstehen – und das ist in diesen Staaten ja ein sehr hohes Gut -, Barrierefreiheit zu ermöglichen - und das sogar mit einem Gesetz!

Hier scheint mir offenbar eine sehr weitgehende Auslegung dessen vorhanden zu sein, was staatliche Beeinflussung bedeutet. Der Staat hat zu garantieren, dass alle teilhaben können. Wenn zusätzlich Rundfunkgebühren gezahlt und durch die Bundesländer Sender zugelassen werden, müsste da doch ein Dialog möglich sein, der über die Unverbindlichkeit hinausgeht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wie gut, dass es aufgrund der europäischen Richtlinie endlich auch in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz gibt. Neue rechtliche Möglichkeiten der Menschen mit Behinderung werden den öffentlichen Druck erhöhen, dass sich die Medien zukünftig tatsächlich an alle wenden müssen.

(Dr. Heiner Garg)

Als Landtagsabgeordnete sollten wir unsere Hände aber nicht in den Schoß legen und warten, bis die Betroffenen die Gerichte bemühen - und so, wie es in Deutschland ist, müsste das mindestens bis zum Bundesverfassungsgericht hoch gehen, damit sich da etwas tut -, sondern wir sollten als Landtag die Programmdirektoren zur Rechenschaft ziehen, nicht im Sinne von Zensur und Vorschriften, sondern im Sinne eines engagierten Dialogs, der vom Ministerpräsidenten - hier möchte ich ihn ausdrücklich loben - begonnen wurde. Den sollten wir auf verschiedenen Ebenen fortsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten. - Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich gern Besucherinnen und Besucher vom Landfrauenverein Wacken und Umgebung auf der Tribüne begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Lars Harms für den SSW das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der SSW begrüßt den Bericht der Landesregierung, ist doch die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben etwas sehr Wichtiges und es sollte eben diesen Menschen auch möglich sein, sich aus Funk und Fernsehen Informationen zu holen.

Schon vor einigen Jahren machten wir deutlich, dass eine Behinderung nicht in erster Linie ein Mangel des Individuums, sondern vielmehr ein Konstruktionsfehler der Gesellschaft ist. Wenn man sich einmal die Zahl der Menschen mit Behinderung vor Augen hält - immerhin haben in Deutschland über 10 % der Menschen eine Behinderung -, dann wird ersichtlich, wie wichtig dieser Bericht und das Thema „Barrierefreies Fernsehen“ sind.

Bei Barrieren denke ich nicht nur an dicke Mauern und unüberwindbare Treppen. Hindernisse für Menschen mit Behinderung sind all diese Dinge, die der Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben im Wege stehen. Diese große Gruppe der Menschen mit Behinderung hat ebenso wie alle anderen Menschen das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen - und das ist das Fernsehen nun einmal - ungehindert zu unterrichten. So schreibt es unser Grundgesetz. Zwei Artikel früher

schreibt das Grundgesetz sogar, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

Aber wie man aus dem Bericht entnehmen kann, ist dies eben nicht der Fall. Nur eine ausgesuchte Zahl an Sendern bietet überhaupt den Dienst der Untertitelung oder der Gebärdensprachedolmetschung, obwohl die Gebärdensprache vor einigen Jahren als Sprache anerkannt worden ist. Guckt man sich nun die Zahlen aus dem Bericht an, dann sieht man die Unterschiede: Die öffentlich-rechtlichen Sender - allen voran das ZDF mit über 74.000 untertitelten Sendeminuten - sind führend, was das barrierefreie Fernsehen angeht. Dazu kommen dann in den gemeinsam mit ARD getragenen Kanälen noch einige Sendungen wie die „Tagesschau“ und das „heute journal“, die mit Gebärdensprachendolmetschern ausgestrahlt werden.

Natürlich gibt es bei den Privaten Ausnahmen. Dennoch ist die Versorgung mit Informationen nicht befriedigend. Es kann sich bisher eben doch nicht ein jeder und immer mit Informationen aus allen Quellen versorgen.

In anderen Ländern sieht das anders aus. So ist es in Großbritannien so, dass der öffentlich-rechtliche Sender BBC bis zum Jahre 2009 alle Sendungen mit Untertiteln versehen muss. Noch besser ist es derzeit in Kanada. Seit einigen Jahren ist es nun so, dass alle Nachrichten in allen Sendern - also in öffentlich-rechtlichen und privaten - und 90 % des restlichen Programms dieser Sender für Gehörlose und hörgeschädigte Personen zugänglich sind. Ja selbst die USA haben ein Behindertengesetz, das jedem öffentlich-rechtlichen Sender zur Auflage macht, jede seiner Sendungen mit Untertiteln zu versehen.

Wir können derzeit nur appellieren und die Sender und Rundfunkanstalten auffordern, bei uns ähnlich zu agieren. Der SSW begrüßt es daher auch, dass im Bericht steht, dass sich die Landesregierung weiter vehement für barrierefreies Fernsehen einsetzen will. Wir hoffen, dass es nicht nur beim Versuch bleibt, sondern dass die Landesregierung das auch tut.

Vor dem Hintergrund dessen, dass es hier bereits 1999 einen Beschluss gab, der das barrierefreie Sehen fördern und unterstützen sollte, und was bisher passiert ist, bleibt nur zu sagen, dass wir weitermachen müssen und nicht aufhören dürfen, an diesem Thema zu arbeiten.

Etwas Positives ist schon zu sehen. Im Frühjahr nächsten Jahres will der NDR sein täglich aktuelles Journal „DAS!“ mit Untertiteln versehen und aus

(Angelika Birk)

strahlen. Das ist ein Anfang, aber es ist ganz bestimmt noch weiter auszubauen.

Der Bericht hat einen Einblick in die Problematik verschafft, aber nun heißt es - wie bereits erwähnt weitermachen. Wir, die Politiker, und die Landesregierung müssen weiterhin den Einfluss ausüben, der nötig ist, damit auch Menschen mit Behinderung am Leben bei uns teilhaben können.

Der heutige Bericht schließt mit dem Fazit, dass ein wichtiges Instrument der in § 11 Abs. 4 des Rundfunkstaatsvertrages genannte Bericht ist, der alle zwei Jahre veröffentlicht wird. Dazu sage ich, dass es nicht nur alle zwei Jahre zu einer Diskussion über barrierefreies Fernsehen kommen soll. Nein, es ist ebenso wichtig, dass man in den Rundfunkanstalten über Barrierefreiheit diskutiert. Dies sind dann - wie eingangs bereits erwähnt - nicht nur die physischen Barrieren. Es geht nicht nur um Sonntagsreden oder Schönrederei. Es geht vielmehr um die Teilhabe der Menschen mit Behinderung am alltäglichen Leben. Dabei ist wichtig, dass in den Rundfunkanstalten Planungen in diese Richtung gehen, damit Maßnahmen umgesetzt werden.

Auch wir bedanken uns für das Engagement des Ministerpräsidenten und freuen uns über die große Gemeinsamkeit hier im hohen Haus, an diesem Thema intensiv weiterzuarbeiten.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung schließe.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/773, an den Sozialausschuss und an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen und damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt.

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Gebärdendolmetscherin, die hier anderthalb Stunden hoch konzentriert übersetzt hat.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Tätigkeit des Petitionsausschusses