Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

Ich will den Gedanken des Kollegen Geerdts aufgreifen: Wir sollten uns im Sozialausschuss mit den Vorschlägen der Bürgerbeauftragten zu Veränderungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende konzentrieren, das finde ich richtig. Ich freue mich auch, dass wir dann in direkter Diskussion im Sozialausschuss mit der Bürgerbeauftragten genau diesen Bereich vertiefen können.

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Baasch. - Das Wort für die Fraktion der FDP hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wille-Handels, wir sprechen in ein paar Wochen miteinander über den Bericht. Die Jahr für Jahr unverändert hohen Eingaben an die Bürgerbeauftragte zeigen dieses Jahr einmal mehr, dass Ihre

(Wolfgang Baasch)

Arbeit für den Bürger mittlerweile unverzichtbar geworden ist. Die erfolgreiche Hilfe und das hohe Engagement bei hoher Qualität in der Beratung macht die Bürgerbeauftragte zu einer, jedenfalls aus unserer Sicht nicht mehr wegzudenkenden Institution dieses Landtages. Ich sage das gern an dieser Stelle noch einmal: Es ist die Bürgerbeauftragte des Landtages und ich finde, wir alle können stolz darauf sein, dass wir so eine Institution haben.

(Beifall)

Für Ihr Engagement, Frau Wille-Handels, auch wenn ich jetzt schon der Dritte im Bunde bin, danke ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion sehr herzlich.

(Zuruf von der SPD)

Der Zwischenruf war jetzt wirklich vollkommen überflüssig, weil ich seit sechs Jahren nichts anderes von diesem Rednerpult aus erzähle.

Dass das Büro der Bürgerbeauftragten ein niedrig schwelliges Angebot ist, das vom Bürger auch angenommen wird, zeigt sich allein schon dadurch, dass über 80 % der Beratungen per Telefon durchgeführt werden.

Außensprechtage, Beratungsangebote über die regionalen Sprechzeiten hinaus und die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über E-Mail runden diesen Eindruck weiter ab. Dass es diese Möglichkeiten gibt, ist prima, Frau Wille-Handels. Sie haben hier ganz neue Wege beschritten. Ich freue mich, dass diese Angebote so gut angenommen werden.

Es sind gerade die von den Behörden verunsicherten Bürgerinnen und Bürger, die eben nicht eine weitere Verwaltung ihres Anliegens erwarten, sondern schnelle und konkrete Hilfe. Diese Hilfe konnte in fast 90 % der Fälle durch die Bürgerbeauftragte positiv geleistet werden.

Der jetzt vorgelegte Tätigkeitsbericht für das Jahr 2005 zeigt, dass der Schwerpunkt der Beratung bei Fragen rund um das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, also das so genannte Hartz-IV-Gesetz, lag. Fast jeder dritte Hilferuf, mit dem sich die Bürger an die Bürgerbeauftragte wandten, betraf genau diesen Rechtskreis. Das ist auch nicht verwunderlich. Wir waren alle bereits durch den ersten Zwischenbericht der Bürgerbeauftragten vom 25. August 2005 entsprechend vorgewarnt.

Die Debatten, die wir in der Vergangenheit im Landtag immer wieder über die Umsetzung von Hartz IV geführt haben und auch weiter führen, ergänzen den Eindruck, dass bei diesen Gesetzen

nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch bei der praktischen Umsetzung vor Ort einiges im Argen liegt. Dass dies so ist, zeigt sich allein schon daran, dass fast 80 % der 852 Eingaben zu Hartz IV mit Unstimmigkeiten bei der Leistungsgewährung zusammenhängen. Wenn dann auch noch die Leistungsbescheide zum Großteil unverständlich und die Berechnungen überhaupt nicht nachzuvollziehen sind, dann muss uns das alle nachdenklich stimmen. Dabei ist es wenig beruhigend, dass es sich hierbei um kein schleswig-holsteinisches Phänomen handelt, wie der Bericht des Hartz-IV-Ombudsrates zeigt. Bundesweit haben sich etwa 70.000 Bedarfsgemeinschaften an den Ombudsrat gewandt, ein Großteil davon allein wegen der Unverständlichkeit der Bescheide. Trotz aller organisatorischen Belastungen, die durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf die jeweiligen Arbeitsgemeinschaften der Bundesanstalt für Arbeit und die Kommunen zugekommen sind, ist ernsthaft zu fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ist es denn wirklich so schwierig, Bescheide zu erlassen, die auch ein normaler Mensch noch verstehen und nachvollziehen kann?

(Beifall)

Wenn Bescheide nicht nur unübersichtlich aufgebaut, sondern wegen fehlender Berechnungsgrundlagen, mangelnder Erläuterung und womöglich nicht vorhandener Rechtsbehelfsbelehrung nicht mehr nachzuvollziehen sind, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich die Betroffenen dagegen wehren. Ich finde, sie sollen sich dagegen wehren. Wir müssen sie geradezu dazu auffordern, sich gegen einen solchen Unsinn zu wehren.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, mit ein bisschen gutem Willen lassen sich auch juristisch schwierige Sachverhalte für den Laien durchaus verständlich darstellen, ohne dass dabei rechtlich relevante Aspekte vernachlässigt werden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ansonsten wird - ob beabsichtigt oder nicht - der Eindruck vermittelt, dass Betroffene auf die ihnen zustehenden Rechte ungewollt verzichten müssen, nur weil sie den Leistungsbescheid nicht verstehen. Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit muss bei aller Komplexität des rechtlichen Sachverhaltes heißen, dass der Bürger erwarten darf, korrekt und freundlich informiert und beraten zu werden.

(Dr. Heiner Garg)

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Das ist der berechtigte Anspruch eines jeden Bürgers an die grundsätzliche Arbeitsweise einer jeden Verwaltung. Wenn aber Mitarbeiter einer Behörde nicht einmal mehr telefonisch erreichbar sind und ein persönlicher Beratungstermin sowohl bei Fragen zur Eingliederung als auch zur Leistungsgewährung nur schwer oder gar nicht vereinbart werden kann, dann führt dies zu einem nicht mehr zu behebenden Verlust an Vertrauen in die betreffende Behörde.

Wenn die Bürgerbeauftragte dem Thema Bürgernähe und gute Verwaltungspraxis mittlerweile ein eigenes Kapitel widmen muss, dann sollten wir uns als Politiker auch die Frage stellen, welche verwaltungsinternen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die gute Verwaltungspraxis wieder herzustellen. Wir müssen diese Frage völlig unabhängig davon stellen, ob die von uns verabschiedeten Regelungen und Normen überhaupt praxistauglich sind. Eigentlich ist es doch ein Armutszeugnis, dass die Hilfe der Bürgerbeauftragten genau hier unverändert benötigt wird.

(Beifall bei FDP und SSW)

Für uns alle kann es doch nur darum gehen, dass Verwaltungshandeln so wenig wie möglich Anlass zu Beschwerden gibt.

Das gilt nicht nur für die Bereiche, für die das Land originär zuständig ist, sondern selbstverständlich auch für die Bereiche, für die der Bund die primäre Verantwortung trägt. Dass es für die Landespolitik dabei nicht immer einfach ist, wurde bei der Zusammenlegung der Familienkassen der Bundesanstalt für Arbeit in Schleswig-Holstein deutlich. Wenn Bundesbehörden wie die Familienkassen regelrecht abtauchen und für den Bürger nicht mehr erreichbar sind, dann kann vonseiten des Landes und der Bürgerbeauftragten eben leider nur formal mehr Bürgerfreundlichkeit angemahnt werden. Deshalb ist die Politik sowohl im Bund als auch im Land gefragt, dazu beizutragen, dass Gesetze in der Umsetzung für den Bürger und nicht zum Schutz vor dem Bürger gemacht werden.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das bedeutet für die Politik, also für uns alle, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen zu motivieren und bei ihren Entscheidungen sozusagen mitzunehmen, anstatt sie allein zu lassen.

Wir alle haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass die Arbeit der Bürgerbeauftragten mehr denn je gebraucht wird. Wenn wir ihre wichtige Ar

beit jetzt als eine notwendige Rückkoppelung zwischen Praxis und Politik verstehen, dann sind wir auch aufgefordert, jeweils nicht nur Sonntagsreden zu halten, sondern die Missstände überall dort abzustellen, wo uns dies möglich ist. Wir haben uns aus gutem Grund für die Einrichtung der Institution einer Bürgerbeauftragten entschieden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann reicht es nicht, dass wir diesen Bericht zur Kenntnis nehmen und wohlwollende Worte für die Arbeit der Bürgerbeauftragten finden - das tue auch ich gern -; vielmehr müssen wir auch überall und an allen Stellen, wo uns die Bürgerbeauftragte Hausaufgaben aufgegeben hat, die Konsequenzen aus dem vorgelegten Bericht ziehen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Abschließend möchte ich sagen, dass es sehr schön wäre, wenn wir uns bei irgendeinem der folgenden Berichte von Ihnen, Frau Wille-Handels, in dieser Legislaturperiode gemeinsam darüber freuen könnten, dass die Zahl der an Sie gerichteten Eingaben zurückgegangen ist. Das wäre ein Anzeichen dafür, dass wir als Politiker angefangen haben, in diesem Bereich unsere Hausaufgaben zu machen und dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in Verwaltungshandeln hätten. Ich weiß, dass die Bürgerbeauftragte damit nicht überflüssig würde. Es wäre aber schön, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten würden, dass ihr die Menschen nicht zu sehr die Tür einrennen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Beratung im Sozialausschuss.

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerbeauftragte formuliert höflich, aber ihr Bericht ist eine schallende Ohrfeige für die katastrophale Umsetzung der jüngsten Arbeitsmarktreformgesetze. Als Abgeordnete darf ich in diesem Punkt vielleicht etwas weniger höflich sein. Im Detail können wir für Schleswig-Holstein nachlesen, was der Ombudsrat für die ganze Republik kritisiert: Die Arbeitsagenturen und Kommunen arbeiten trotz einzelnen großen Engagements insgesamt einfach schlecht zusammen. Für die Arbeitslosen und ihre Familien ist das Ergebnis schlicht eine Zumutung. - Vor diesem Hintergrund ist es infam,

(Dr. Heiner Garg)

wenn die große Koalition auf Bundesebene nun seit Monaten immer neue Hetzkampagnen gegen die Arbeitslosen inszeniert, die angeblich zu Unrecht Hilfe bezogen hätten. Das ist schlicht ein Ablenkungsmanöver und Haltet-den-Dieb-Geschrei, um vom eigenen Versagen abzulenken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erhebungen, die hierzu letzte Woche veröffentlicht wurden, zeigen, dass sich der Missbrauch im Promillebereich bewegt. Es gibt überhaupt keinen Grund, den Arbeitslosen mit völliger Leistungsverweigerung zu drohen.

(Peter Eichstädt [SPD]: Wer hat denn das Gesetz verabschiedet? Sie waren doch dabei! - Weitere Zurufe von der SPD)

Einen Moment! Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk. Wer hier ansonsten reden will, verlasse bitte den Saal.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Ich danke für die „Unterstützung“. - Ich weise in diesem Zusammenhang auf eine Debatte hin, die wir demnächst führen werden. Meine Fraktion hat zu dieser Thematik ja noch einen Antrag eingebracht. Darüber sprechen wir aber später.

Nicht die Arbeitsuchenden haben Strafmaßnahmen verdient, sondern die nach wie vor unfähige Zentrale der Arbeitsverwaltung in Nürnberg, die für vieles verantwortlich ist, was wir hier heute beklagt haben. Das Grundgerüst für die Leistungsbescheide zum Beispiel wird dort entworfen. Nach wie vor ergehen diese Bescheide zum ALG II in der Regel ohne nachvollziehbare individuelle Berechnung, ohne einen Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeiten und auch die Kritik des Datenschutzbeauftragten ist noch längst nicht ausgeräumt. Es handelt sich hier ja um hoch sensible Daten.

Die Arbeitsagenturen sind häufig nicht zu erreichen. Das wurde schon gesagt. Offensichtlich können sie auch weder schriftlich noch mündlich den Bürgerinnen und Bürgern die neue Rechtslage erklären. Die Beratungsgespräche finden oft ja auch erst nach Monaten statt. Es ist kein Wunder, dass im Büro der Bürgerbeauftragten Frau Wille-Handels die Telefone nicht stillstehen, umso mehr als die Landesregierung auch die Brosamen an Zuschüssen streicht, die die Selbsthilfeberatungsein

richtungen der Arbeitslosen bisher erhalten haben.

Auch hier werden Sie wahrscheinlich in Zukunft noch mehr Nachfragen bekommen, weil diese kleinen Grüppchen, die sich selber mit Trost und wechselseitiger Beratung helfen, zukünftig noch nicht einmal mehr ihre Miete bezahlen können.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wie in der Hoch- schulpolitik!)