Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

ne Auffassung ändert und sich eine stärkere gerichtliche Zusammenarbeit als bisher vorstellen kann, dann sollte man dafür offen sein, eine Kooperationsmöglichkeit auf der Ebene eines Verfassungsgerichts zu ermöglichen und eines Tages ein gemeinsames Verfassungsgericht einzurichten. Unterhalb der Schwelle der Kooperation mit anderen obergerichtlichen Institutionen würde ich dies zur jetzigen Zeit allerdings als ein zu starkes Signal in Richtung Nordstaat erachten.

Wir werden mit unserer heutigen Verfassungsänderung, die wir - so hoffe ich - heute in zweiter Lesung mit großer Mehrheit verabschieden werden, noch mehr machen. Wir werden insbesondere den Schutzanspruch hilfsbedürftiger Menschen in Pflege als Staatszielbestimmung verankern. Ich glaube, auch dies ist ein weitreichender Schritt, der allerdings der Situation Rechnung trägt, die man heute des Öfteren in Pflegeheimen antrifft. Es ist Realität, dass sich unsere Gesellschaft mittlerweile so entwickelt, dass die Menschen älter werden. Das ist ein schöner Zustand. Allerdings geht mit dem Älterwerden auch oft Einsamkeit einher. In der Pflegesituation kommt oft Hilflosigkeit hinzu. Vor dem Hintergrund der Menschen, die in dieser Lage sind, durch staatliche Institutionen einen stärkeren Schutzanspruch zu schaffen und zu betonen, halte ich das für richtig. Ich weiß, dass dies keinen subjektiven Anspruch ermöglicht.

Wenn sich die Entwicklung in unserer Gesellschaft aber so vollzieht, dass sich das Altern oft in Senioren- oder Pflegeinstitutionen abspielt, dann müssen wir auch die entsprechenden Standards sichern. Ich füge hinzu: Das ist nicht nur eine Aufforderung an die Kommunen, die die entsprechenden Aufsichtsverpflichtungen zu erfüllen haben. Das muss auch ein Anspruch an das Land sein, mit den Kommunen entsprechende Vereinbarungen zu treffen, sodass dies tatsächlich stattfinden kann und umgesetzt wird. Eine solche Staatszielbestimmung - wenn wir sie denn wollen - darf im Ergebnis nicht leerlaufen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen darüber hinaus auch die Rechte des Oppositionsführers verklaren. Anfang der Legislaturperiode gab es die Situation, dass sich aufgrund des Wahlergebnisses Unklarheiten ergaben. Bisher galt die Bestimmung, dass die stärkste Fraktion der nicht die Regierung tragenden Fraktionen den Oppositionsführer stellt. Aufgrund der gleichen Mandatsanzahlen war schwer zu bestimmen, wer wann und wie Oppositionsführer wird. Dies hat dazu geführt, dass dieses Amt im öffentlichen Licht - wie ich finde zu Unrecht - hinterfragt wurde. Ich hatte

(Thomas Stritzl)

die Freude, an der jetzigen Regelung mitzuwirken, die ich richtig finde. Wir bringen jetzt eine Stufung nach Stärke der Fraktionen untereinander im Landtag, also der Mandatsanzahl ein. Für den Fall, dass diese gleich ist, zählt die erreichte Stimmenzahl bei der vorausgegangenen Landtagswahl. Für den Fall, dass auch hier Gleichstand besteht, entscheidet das Los. Ich glaube, dass wir über diesen Weg zu einer zweifelsfreien und widerspruchsfreien Regelung kommen, die von Anbeginn des Zusammentretens des neu gewählten Landtages an sicherstellt, dass die sogenannte Balance of Power, die durch die Verfassung gewollt ist, gewährleistet ist. So ist diese Position im Landtag mit einem Rede- und Initiativrecht gegenüber dem Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin ausgestattet. Dies ist somit von Anfang an gewährleistet. Ich halte diesen Schritt für einen guten und richtigen parlamentarischen Schritt, den wir heute gemeinsam gehen.

Lassen Sie mich ein letztes Wort zum Parlamentsinformationsgesetz sagen: Auch hierüber stärken wir im Verhältnis der Strukturen zwischen Exekutive und Legislative berechtigterweise die Mitwirkungsmöglichkeiten des Landtages. Die Verfassung sagt, er ist das oberste Organ der politischen Willensbildung. Wenn das so ist, dann muss Willensbildung natürlich auch dadurch ermöglicht werden, dass die jeweilige Landesregierung das Parlament rechtzeitig über wichtige Vorhaben informiert. Ich halte das für einen zentralen Punkt. Ohne Information kann Mitwirkung nicht stattfinden. Das haben wir in den unterschiedlichsten Rollen erlebt.

Dies gibt den Parlamentariern sicherlich auch ein Gefühl der Erleichterung. Wenn man gewisse Informationen auf offiziellem Weg rechtzeitig erhält, dann ist man nicht darauf angewiesen, dass einem Verbände, Organisationen oder Dritte gewisse Informationen zukommen lassen. Ich glaube, das gehört zur Hygiene des gemeinsamen Arbeitens dazu. Es gehört dazu, sich gegenseitig so weit zu vertrauen, dass man sich frühzeitig über das informiert, was man im Wesentlichen vorhat.

Wie die Protokolle zeigen, ist dies im Rahmen der Ausschussberatungen gegenüber dem Ursprungsentwurf im Wesentlichen ohne Veränderung geblieben. Die Ausnahme bildet ein entscheidender Punkt: Wenn die Regierung trotz rechtzeitiger Information über ein entsprechendes Vorhaben, bei dem es auf die Mitwirkung und Willensbildung des Parlaments ankommt, anders entscheidet, dann muss sie diese Entscheidungsabweichung begründen. Auch das halte ich im Zusammenspiel der Kräfte zwischen Exekutive und Legislative für einen wichtigen Punkt. Denn es kann - ich will es

einmal flapsig sagen - nicht befriedigend sein, einem System ausgeliefert zu sein, in dem es heißt: Rechts blinken und links abbiegen! oder umgekehrt. Im Parlament muss es immer die Begründung für einen - sicherlich dann auch in der Sache nachvollziehbaren - Veränderungsprozess der Entscheidung geben. Auch das gehört mit zu einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie.

Kurzum: Wenn wir alle Änderungen, die wir heute im Blick haben und die ich vorgestellt habe, gemeinsam tragen könnten, würde mich das für meine Fraktion freuen. Wir werden dem so, wie von mir vorgestellt, die Zustimmung erteilen. Der Berichterstatter hat auf die entsprechende Vorlage verwiesen. Ich denke, wir gehen damit gemeinsam einen guten Schritt voran, Transparenz und die Menschen, die Wählerinnen und Wähler in SchleswigHolstein, fest im Auge, insbesondere jene Menschen in den Pflegeheimen, die unserer Hilfe bedürfen. Auch jenen wenden wir uns zu. Das ist im Ergebnis ein guter Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall bei CDU und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne begrüßen wir sehr herzlich Mitglieder des SPDOrtsvereins Bredstedt und Schülerinnen und Schüler der Realschule Fockbek mit ihren Lehrkräften. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute verabschieden, ist das Beispiel eines nicht nur erträglichen, sondern ertragreichen Kompromisses der großen Koalition, und es ist im Hinblick auf die Opposition ein Beleg funktionierender Demokratie trotz großer - manche sagen: übergroßer - Regierungsmehrheit.

Aus SPD-Sicht hätte der Ertrag des Kompromisses gern noch ein wenig höher sein dürfen. Denn alle von der Opposition in ihrem Antrag zur Verankerung weiterer Staatsziele in der Landesverfassung vorgeschlagenen Formulierungen stammen von der SPD, sind aber leider mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit - jedenfalls in dieser Legislaturperiode - nicht umzusetzen, weil dies von der CDU im Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden ist.

An unserer grundsätzlichen Auffassung ändert das nichts. Wir bleiben dabei, dass der Schutz und die

(Thomas Stritzl)

Förderung der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit als Staatsziel schon längst Bestandteil der Verfassung hätte sein müssen. Nach unserer Auffassung wäre es in Erfüllung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten aus dem Jahre 1995 sogar rechtlich geboten, dass die Minderheit der deutschen Sinti und Roma den gleichen verfassungsrechtlichen Status erhält, den heute schon die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Für uns wäre das auch ein Beitrag gegen Ausgrenzung und für Integration. Diese Forderung ist nicht nur vom Verband der deutschen Sinti und Roma, sondern auch vom Sydslesvisgsk Forening und vom Friesenrat immer wieder unterstützt worden. Wir hoffen, dass sich irgendwann eine Zweidrittelmehrheit des Landtages dafür gewinnen lässt.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Wir bleiben auch dabei, dass es angemessen und sachgerecht wäre, die besondere Schutzwürdigkeit der Menschen mit Behinderung durch die Aufnahme eines entsprechenden Staatsziels nachdrücklich zu unterstreichen

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

und darüber hinaus ein allgemeines Diskriminierungsverbot zum Schutz sozialer Minderheiten in der Verfassung zu verankern. Auch in SchleswigHolstein sollten nach unserer Auffassung alle drei Säulen der Staatsgewalt verfassungsrechtlich verpflichtet sein, Sorge dafür zu tragen, dass niemand wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner sozialen Stellung, seiner Sprache, seiner politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität bevorzugt oder benachteiligt wird. Wir hoffen, irgendwann auch für dieses Anliegen eine Zweidrittelmehrheit des Landtages zu gewinnen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auch den Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen würden wir gern in die Landesverfassung aufnehmen. Wir wissen, dass diese Forderung vom Landesjugendring und vom Deutschen Kinderschutzbund seit Jahren unterstützt wird, und wir sind der Meinung, dass es auch hierfür - sogar schon seit 1992 - eine völkerrechtliche Verpflichtung gibt. Die Grundsätze der damals von der Bun

desrepublik Deutschland unterzeichneten Konvention der Vereinten Nationen über den Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen haben sich bis heute nicht in der schleswig-holsteinischen Landesverfassung niedergeschlagen. Wir hoffen, dass auch dafür irgendwann einmal - vielleicht schon im Jahre 2010 - eine Zweidrittelmehrheit des Landtages zur Verfügung steht.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Vielleicht schon heute!)

Gemeinsam mit der CDU werden wir heute eine Änderung der Landesverfassung beschließen, die im Wesentlichen aus vier Punkten besteht; der Kollege Stritzl hat sie genannt.

Erstens. Wir wollen die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen in unserer Landesverfassung absichern und eine menschenwürdige Versorgung gewährleisten.

Zweitens. Wir wollen die Voraussetzungen für die Errichtung eines Landesverfassungsgerichts in Schleswig-Holstein schaffen.

Drittens. Wir wollen die verfassungsrechtliche Funktion der Oppositionsführung für Fälle gleich starker Oppositionsfraktionen klarstellen.

Viertens. Wir wollen die Informationspflichten der Landesregierung gegenüber dem Landtag konkretisieren und damit die Kontrollrechte des Parlaments insgesamt stärken.

Wir freuen uns, dass in allen vier Punkten auch die Oppositionsfraktionen mit uns einig sind. Wir werden also gemeinsam den Schutz pflegebedürftiger Menschen als verpflichtendes Staatsziel in die Landesverfassung aufnehmen. Das ist, wie ich finde, ein gutes Signal an die auch in Schleswig-Holstein große und zunehmende Zahl Betroffener, die auf konkrete, auf ständige und regelmäßige landespolitische Unterstützung angewiesen ist.

Wir werden endlich auch als letztes Bundesland ein eigenes Landesverfassungsgericht bekommen, das sachnah, ortsnah und vor allem zeitnah schleswig-holsteinische Verfassungsstreitigkeiten entscheiden kann und wird, anders als das bisher dafür zuständige Bundesverfassungsgericht im fernen Karlsruhe.

Wir räumen auch kleineren Oppositionsfraktionen, wenn sie denn zu zweit sind, die Möglichkeit ein, bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Landesverfassung das Landesverfassungsgericht anzurufen. Hierauf hat der Kollege Stritzl eingangs hingewiesen. Damit stär

(Klaus-Peter Puls)

ken wir die Oppositionsrechte generell und die Minderheitenrechte des SSW speziell, solange der SSW, was wir ja alle wünschen, hier im Parlament vertreten ist. Wir hoffen und sind sicher, dass wir damit bei unseren Oppositionsfraktionen nicht Tür und Tor für einen inflationären Ersatz von Politik durch Juristerei geöffnet haben.

Ich will eine Zusatzbemerkung machen. Bis zur Errichtung des Landesverfassungsgerichts verbleibt es nach Artikel 59 c unseres Gesetzentwurfs für Landesverfassungsstreitigkeiten bei der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und bei dem bisherigen Quorum für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Landtag heraus. Erforderlich für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit unserer Landesverfassung ist also bis zur Errichtung des Landesverfassungsgerichts weiterhin die Zustimmung eines Drittels der Mitglieder des Landtages. Wir gehen jedoch davon aus, dass dies nicht mehr lange der Fall sein wird, weil - das ist uns zugesagt worden - die Landesregierung durch den Justizminister nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs zügig einen Gesetzentwurf zur Einrichtung eines Landesverfassungsgerichts einbringen und vorlegen wird.

Das Parlamentinformationsgesetz nimmt die verfassungsrechtlichen Informationspflichten der Landesregierung auf und legt für jeden Einzelbereich die Art und Weise der Unterrichtung fest, wie sie künftig dann durch die Landesregierung dem Parlament gegenüber zu erfolgen hat. Insgesamt schaffen wir damit ein Informationssystem, das die parlamentarischen Kontrollrechte auf eine nachvollziehbare und handhabbare Grundlage stellt. In mehrfacher Weise legen wir als Regierungsfraktionen heute also auch ein Gesetzgebungspaket vor, das die Oppositionsfraktionen stärkt. Der eigene, heute noch einmal veränderte Gesetzentwurf der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW enthält nahezu wortgleich die Formulierungen unseres Gesetzentwurfs und die Änderungen, die wir im Ausschussverfahren eingebracht haben. Dem Änderungsantrag werden wir nicht zustimmen.

Das Signal nach draußen, insbesondere für die pflegebedürftigen Menschen im Lande, könnten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, verstärken, indem Sie unserem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung geben. 100 % Gemeinsamkeit sind besser als zwei Drittel.

(Beifall bei SPD und SSW)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Vorsitzenden, dem Herrn Oppositionsführer Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir Gesetzentwürfe wie die Verfassung unseres Landes debattieren, dann reden wir nicht über ein normales Gesetz, sondern über die grundlegendsten Normen des Landes.

Nicht umsonst ist eine Mehrheit von zwei Dritteln erforderlich, um die geltenden Regeln der Verfassung ändern zu können. Daher muss auch genau abgewogen werden, welche Regeln die Verfassung ergänzen sollen. Ich habe es früher betont und wiederhole es: Eine Überfrachtung der Normen der Verfassung muss auf jeden Fall vermieden werden.

Die FDP, die Grünen und der SSW haben sich bereits im November letzten Jahres darauf verständigt, die Landesverfassung in einigen wichtigen Punkten zu ergänzen. Wir haben Anfang des Jahres einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht, der im Wesentlichen einer Initiative von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der letzten Wahlperiode entsprach, ergänzt um Regelungen, die aufgrund der Erfahrungen mit den jetzigen Mehrheiten notwendig erscheinen.

Dieser Gesetzentwurf sah Folgendes vor: Es sollte neben dem Schutz der dänischen Minderheit auch der der Sinti und Roma in die Landesverfassung aufgenommen werden. Es sollte ein Schutz sozialer Minderheiten wie das Verbot der Diskriminierung wegen der politischen, weltanschaulichen, religiösen Überzeugung, des Geschlechts, der sexuellen Identität, der sozialen Stellung oder der Sprache in der Verfassung verankert werden. Wir wollten in der Verfassung die besondere Förderung von Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftiger, den Schutz von Kindern und Jugendlichen und den Tierschutz normieren. - Ich frage den Kollegen Stritzl, warum sich der Heimaufenthalt von Pflegebedürftigen vom Heimaufenthalt Behinderter unterscheiden soll.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)